Kapitel 4 – Berlin, Bücher und ein zwielichtiger Held
Die Jahre 1929 bis 1933 waren für Frank Arnau besonders produktiv – und turbulent. Während er in Berlin als Berater für große Unternehmen arbeitete, schrieb er zugleich wie im Rausch: mindestens ein Dutzend Romane, die meisten erschienen in der bekannten Reihe der „Blauen Bücher“ beim Leipziger Goldmann-Verlag.
Heute sind viele dieser Werke kaum noch auffindbar. Unterhaltungsliteratur wurde von Bibliotheken selten systematisch gesammelt, und so sind viele Titel verloren gegangen. Was man jedoch noch lesen kann, zeigt: Arnau war weniger der klassische Krimiautor, sondern eher Chronist seiner Zeit – seine Romane waren „Zeit- und Gesellschaftsromane mit kriminalistischem Einschlag“.
In Kämpfer im Dunkel etwa erzählt er von einem deutschen Grafen, der im Ersten Weltkrieg als Spion arbeitet. Stahl und Blut schildert das Schicksal einer Eisengießerei. Am bekanntesten aber ist wohl Das Antlitz der Macht (1930). Hier taucht eine Figur auf, die Arnau gleich mehrfach beschäftigte: Felix Umballer, ein eiskalter Workaholic und Machtmensch, skrupellos im Aufstieg, rücksichtslos in seinen Methoden.
Umballer wirkt fast wie die deutsche Vorwegnahme von Harold Robbins’ Figuren oder wie ein Vorläufer von „Dallas“-Bösewicht J.R. Ewing: Er manipuliert die Kohleindustrie, inszeniert Streiks, spekuliert mit Elektrizität – alles, um die Regierung in die Knie zu zwingen. Arnau erzählt das wie einen Wirtschaftsroman, unterlegt mit sozialökonomischen Debatten – garniert mit einer melodramatischen Liebesgeschichte, in der Umballer im Affekt den Liebhaber seiner Frau erwürgt.
Ein Vierteljahrhundert später griff Arnau die Figur wieder auf: In Auch Sie kannten Felix Umballer (1956) erscheint Umballer erneut – diesmal als Hochstapler, der mit Adligen und Geschäftsleuten in der Nachkriegszeit einen gigantischen Finanzschwindel organisiert. Arnau betrieb hier schon früh, was Raymond Chandler später „cannibalizing“ nannte: die Mehrfachverwertung von Ideen, Figuren und Rechercheergebnissen.
Besonders deutlich wird dieses Prinzip im Projekt Die verschlossene Tür (1932). Nach dem Vorbild des britischen „Floating Admiral“ sollte eine Reihe deutscher Autoren gemeinsam einen Kriminalroman schreiben – jeder ein Kapitel. Arnau schrieb den Anfang: „Der Mord in der Villa Jessika“. Klassisch beginnt es: eine erschossene Frau, eine Waffe neben der Leiche, eine Handvoll Verdächtiger, ein Kriminalrat, der ermittelt, und ein neugieriger Reporter.
Doch während Arnau noch ein logisches Whodunit plante, schlugen die nachfolgenden Autoren immer wildere Haken, bis am Ende nur eine bizarre Auflösung blieb: Arnau musste seinen eigenen Reporter Somlay zum Täter machen.
Dass Arnau hier reale Erfahrungen einfließen ließ, liegt nahe. 1925 hatte er in Frankfurt den Tod der Ingenieurswitwe Ada Hof recherchiert, den die Polizei als Selbstmord einstufte. Arnau war überzeugt, es handle sich um Mord, fand Indizien und – nach eigener Darstellung – brachte den Liebhaber der Frau sogar zum Geständnis.
Viele Jahre später variierte er das Motiv erneut: In Mordkommission Hollywood (1957) entdeckt eine Schauspielerin ihre erschossene Freundin, eine Pistole liegt neben ihr. Wieder gibt es zahlreiche Verdächtige, wieder mischt ein Reporter mit, und wieder ist am Ende klar: Der Reporter selbst war der Täter.
Arnaus Romane lebten stark von dieser Mischung: reale Recherchen, eigene Erfahrungen und literarische Fiktion. Manchmal nutzte er sie auch außerhalb der Literatur: Als ihn 1932 ein Berliner Schmuddelblatt mit angeblichen Frauengeschichten erpressen wollte, erinnerte er sich an eine Szene aus Das Antlitz der Macht. Darin füttert der Industrielle Umballer Zeitungen mit gefälschtem Material, um sie später öffentlich bloßzustellen. Arnau tat dasselbe: Er schickte unter falschem Namen gefälschte Anschuldigungen samt gefälschten Gerichtsurteilen an die Zeitung. Als diese sie ungeprüft abdruckte, verklagte er sie – und zwang den Chefredakteur zu einer öffentlichen Entschuldigung.