1.1.11

Andreas Hoppert: Die Medwedew-Variante


Marc
Hagen erwacht - und weiß nicht wer er ist. Zum Glück ist da sein Freund Gabriel, der ihm erklärt, was passiert ist und warum er jetzt mutterseelenallein in einer Wohnung Bielefeld sitzt. Ausgerechnet Bielefeld.
Was Gabriel erzählt, klingt einigermaßen logisch, wenn auch ungewöhnlich: Demnach ist Marc ein Lebensversicherungs-Betrüger, der in Deutschland seinen Unfalltod vorgetäuscht hat, um sich mit seiner Freundin in die Karibik abzusetzen. Und der einen schweren Unfall hatte, bei dem er sein Gedächtnis verloren hat. Gabriel soll ihn jetzt betreuen, bis er sich wieder daran erinnert, wo er die kassierte Lebensversicherung gebunkert hat - als Entgegenkommen von Versicherungsgesellschaft und Staatsanwaltschaft. Sagt Gabriel.
Aber kann Marc ihm trauen?

Überhaupt: Ist er wirklich Marc Hagen?
Aber alle seine Fragen erledigen sich schon am nächsten Tag, als Marc Hagen erwacht - und nicht weiß, wer er ist. Aber da klingelt es zum Glück und vor der Tür steht ein Mann, der sagt, er sei Gabriel, sein Freund, und er werde ihm jetzt genau erklären, warum er hier mutterseelenallein in Bielefeld gestrandet ist...

So könnte das jetzt endlos weitergehen, wenn Marc nicht versuchen würde, all das zu behalten, was Gabriel ihm erzählt und was mit ihm passiert. Er beginnt, ein Tagebuch zu führen. Problem allerdings: Wie erinnert er sich daran, wo er das Tagebuch versteckt hat, wenn er am nächsten Morgen wieder ohne Erinnerung erwacht?

Das Psycho-Puzzle, mit dem Andreas Hoppert seinen Roman beginnt, wird Stück für Stück zu einem kleinen, feinen Psycho-Thriller wie aus der Meisterwerkstatt der klassischen Franzosen Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Eine überaus trickreiche Geschichte, überraschend und nachhaltig verstörend.

Andreas Hoppert
Die Medwedew-Variante
grafit Krimi 308

Hans-Hermann Sprado: Risse im Ruhm

Zuerst sieht es aus wie eine normale Geiselnahme in einem Hamburger Kaufhaus. Aber dann entdeckt Star-Reporter Mike Mammen, dass sein Frau und seine Tochter unter den Opfern sind. Und ihm wird klar, dass er die Täter kennt. Eine rasante Recherche-Tour beginnt, ein aktionsreicher Roman, geschickt verankert in der aktuellen Zeitgeschichte. Jagd auf alte Nazis, Zusammenbruch der DDR, die Sensationsgier der Medien - das alles verwebt der Journalist Sprado geschickt zu einem gutgeschriebenen, atemlosen Thriller.

Hans-Hermann Sprado
Risse im Ruhm
Solibro Verlag

Reginald Hill: Die Launen des Todes

Detective Inspector Peter Pascoe hat wieder einmal unter seinem Chef Detective Chief Inspector Andy Dalziel zu leiden. Und unter Fanny Roote, den Killer, den er hinter Gitter gebracht hat.
Fanny hat sich im Gefängnis selbst resozialisiert so scheint es wenigstens. Er hat Literaturwissenschaft studiert und mit der Unterstützung eines angesehenen Professors promoviert, ist jetzt Verwalter eines bekannten literarischen Nachlasses und gern gesehener Gast bei akademischen Treffen.
Aber was, zum Teufel, treibt Fanny, dies alles, seine Erfolge und Erlebnisse, in ausführlichen Briefe zu schildern, die den Detective Inspector langsam aber sicher um den Schlaf bringen. Denn er hat den Verdacht, dass Franny schon längst wieder kriminell geworden ist und seine Briefe in Wirklichkeit eitle Selbstdarstellungen seiner neuen Verbrechen sind.

Zugleich wird Weihnachten gefeiert und das Jahr wechselt in Mid-Yorkshire und die Polizeimacht ist einerseits froh - weil die ordentlichen Berufsverbrecher auch eine Art Feiertagsruhe pflegen - andererseits aber auch aufmerksam - weil gerade an Feiertagen die "familiären Streitigkeiten" zunehmen.

Die Frage ist auch, wie die Geschichte von Detective Constabler Hat Bowlewr ausgeht, der sich in eine berückend schöne Bibliothekarin verliebt hat - die ein sehr, sehr dunkles Geheimnis hat. Und wie es mit Sergeant Wield und dem Strichjungen und Herumtreiber Lee ausgeht, der sich gerade verzweifelt bemüht, sich als guter Informant und Tippgeber bei der Polizei - und bei Wield persönlich - einzuschmeicheln.

Ein typischer Reginald Hill-Krimi und für dessen Fans ein Leckerbissen - für Leser, die erst Fan werden wollen dieses wahrscheinlich besten Krimi-Autors Großbritanniens, sollen vor den LAUNEN DES TODES erst DIE RÄTSELHAFTEN WORTE lesen, in dem viele Grundlagen für das aktuelle Buch gelegt werden.

Reginald Hill
Die Launen des Todes
Droemer

Jason Starr :Twisted City

Eine Geschichte darüber, was passieren kann, wenn man zum falschen Zeitpunkt in der falschen Bar sitzt. David Miller ist Journalist bei einem mittelmäßigen Finanzblatt in New York, und er ist eigentlich nur in die Bar gegangen, um eine Frauen anzusprechen.
Aber dann gerät er nur ins Gespräch mit einem seltsamen Typen, und als er geht, bemerkt er, dass man ihm seine Brieftasche geklaut hat.

Kein großes Drama, sollte man meinen. Daheim wartet die abgedrehte Rebecca auf David, mit der er zusammenlebt, wenn sie nicht gerade mit ihren Künstler- und Tänzerfreunden herumzieht. Und zwischendurch lebt sie von Davids Kreditkarte. Insofern hat es auch etwas Gutes, dass seine Brieftasche weg ist - David will die Chance gleich nutzen, um sich von Rebecca zu trennen.

Aber die will nicht. Aber das ist eine andere Geschichte - die richtige Geschichte geht weiter mit er Frau, die sich bei David meldet,w eils ei angeblichs eine Briefasche gefunden hat und sie ihm nun zurückverkaufen will. David lässt sich auf ein treffen mit ihr ein- Sue, eine heurntergekommene Prostituierte mit einem Appartement in einem Stadtteil, in dem man sich nachts nicht allein bewegen sollte.
Irgendwie scheint Sue die Brieftasche allerdings nicht gefunden zu haben, sondern mit dem Dieb in Verbindung zu setzen. Ist das ein Komplott? Ehe David das entscheiden kann, taucht Sues Zuhälter auf und verwickelt David in einen Streit - bei dem er auf der Strecke bleibt. David und Sue als Partners in Crime. Das kann einfach nicht gut gehen.
Sie müssen die Leiche verschwinden lassen, es gibt Verdächtigungen - gegenseitige und die der Polizei. Und es gibt immer noch Rebecca, von der David sich trennen will - die das aber ganz einfach ignoriert.

Faszinierend knöpft Jason Starr die Schicksale seiner Hauptpersonen zusammen - so unvorhersehbar wie das Leben entwickelt sich die Geschichte - aber dich immer genau und straff organisiert im Blick auf David und seinen Charakter. Das ist das wirklich faszinierende an diesem Roman: die Suggestion, mit der Jason Starr einen zum Mitwisser, Komplicen, Bruder seiner Hauptfigur macht. Und uns damit erklärt: Auch dir könnte das passieren. Auch du könntet ein Mörder werden.

Jason Starr
Twisted City
Diogenes

Bernhard Jaumann: Die Vipern von Montesecco

Matteo Vannoni kommt aus dem Gefängnis, kommt zurück nach Montesecco - 15 Jahre hat er gesessen, weil er seine Frau Maria erschossen hat, als er sie mit Giorgio Lucarelli erwischte.
Montesecco liegt im Hinterland der Adria, die geballte Hitze drückt auf die Dächer, die Fensterläden sind geschlossen, und gegen Abend trifft man sich auf der Piazetta unterm Kirchenportal. Hier schlägt das Herz des Dorfes. Hier sitzen sie, essen, trinken, reden: Ivan Garzone, Marta Garzone, die Barpächterin, Angelo Sgreccia, der Lastwagenfahrer, Benito, Curzio und all die anderen.
Sie reden und fragen sich, wie es sein wird, wenn Matteo jetzt seinen Nebenbuhler Giorgio wiedertrifft.

Und dass sie sich treffen werden, ist unausweichlich. Denn in Montesecco leben nur noch ein paar Dutzend Menschen, siebenundzwanzig, um genau zu sein. Alle anderen sind weggezogen, vor Jahren schon, nach Mailand und Turin, Deutschland oder Belgien, auf der Suche nach Arbeit. Die Schwefelmine ist geschlossen, die Läden haben pleite gemacht, die Schule ist aufgegeben und das einzige, was noch wächst in Montesecco ist die Zahl der Gräber auf dem Friedhof.

Das von Giorgio Lucarelli wird bald hinzukommen, der an diesem glutheißen Nachmittag von einer Viper gebissen wird. Es gibt viele Vipern in Montesecco in diesem Sommer. Treibt die Hitze sie aus den Bergen herunter? Oder lockt sie das Böse, das die Dorfgemeinschaft bedroht? Denn nicht allein die Viper hat Giorgio getötet - alles deutet darauf hin, daß jemand ihn fand und ihn hat sterben lassen. Jemand hat ihn ermordet.
Mit einem Mörder kann man in Montesecco leben - aber nicht mit einem unaufgeklärten Mord. Und deshalb beschließt man, das Geheimnis um Giorgios Tod zu klären, das Geheimnis der Vipern von Montesecco.

Eine Dorfgeschichte, eine sehr europäische Geschichte. Den analytischen Erzählungen von monströsen Serienmorden aus den amerikanischen Großstädten setzt Glauser-Preisträger Bernhard Jaumann sein poetisches Konzept der archaischen Dorfgemeinschaft entgegen. Das Leben, die Liebe, der Tod - nicht mehr und nicht weniger ist der Stoff seiner elegant zwischen Lebensfreude, Komik und dramatischem Gottesgericht schwebenden Geschichte.

Bernhard Jaumann:
Die Vipern von Montesecco
Gustav Kiepenheuer

Horst Eckert: 617 Grad Celsius

Angela Winkler kommt zurück nach Düsseldorf. Die junge Kommissarin aus dem bewährten Team vom KK-11, dessen Einzelschicksale Horst Eckert bisher in seinen Romanen verfolgt hat, wird von ihrer Chefin Ela Bach gleich mit einer sensiblen Ermittlung beauftragt: In der Innenstadt ist in einem leergezogenem Wohnhaus die Gasleitung explodiert. (Bei 617 Grad - die Temperatur, bei der Erdgas explodiert) In den Trümmern sind mehrere Leichen gefunden worden. Unfall? Oder kaltblütiger Mord? Denn einer der Toten ist ein Kunstprofessor.

Die Ermittlungen führen Angela zurück in die Vergangenheit, zum Mord an einem jungen Künstler - Daniel Lohse - der damals Aufsehen erregte. Und die Ermittlungen führen Angela auch in der Geschichte ihrer Familie zurück - zu einem Vorfall aus dem Jahr 1976, als ihr Vater Bernd Winkler - Polizist wie sie - einem Popstar Drogen untergeschoben hat - im Auftrag eines Mannes, der heute der Ministerpräsident von NRW ist.

Wie das alles zusammenhängt, entwickelt Horst Eckert in einer komplexen Dramaturgie bis zum bitteren Ende des ganzen Falles. Ein Schlüsselroman zur Landespolitik in unserem Land ist "617 Grad Celsius" nicht - auch wenn manche Leser schon nach Parallelen zur wirklichen Landesregierung gesucht haben. Die geschilderten Verflechtungen von Politik und Polizei, Macht und Korruption sind vielmehr allgegenwärtig - und wenn men es so sagen will: NRW ist überall.

Horst Eckert
617 Grad Celsius
grafit

Karin Slaughter: Dreh dich nicht um

Sara Linton ist eigentlich Ärztin - aber sie ist auch zur um CoRoner von Grant County in Georgia bestellt, zur Leichenbeschauerin, die über Unfall, Selbstmord oder Mord zu entscheiden hat. Bei dem toten Studenten, der auf dem Campus des CIT College unter einer Brücke gefunden wird, ist die Sache wirklich nicht einfach - klar ist nur, dass er in den Tod gestürzt ist - ob gestoßen oder gesprungen, das ist die Frage.

Doch gerade als Sara Linton mit den Ermittlungen beginnt, geschieht es Schreckliches: Ihre Schwester Tessa, hochschwanger, mit der Sara gerade unterwegs war, als der Einsatzruf kam, und die jetzt mit am Tatort ist, wird in unmittelbarer Nähe in einem Wäldchen von einem Täter brutal mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt.

Sara ist geschockt - Tessa ringt mit dem Tod. Ist sie das Opfer eines Mörders geworden, der auch den Studenten azf dem Gewissen hat? Polizeichef Jeffrey ermittelt in diese Richtung, Polizeichef Jeffrey - er ist Saras Ex-Mann - und als die beiden jetzt gemeinsam an dem Fall arbeiten bleibt nicht aus, was so oft geschieht, wenn zwei sich nach einer längeren Trennung wiedersehen. Soviel und nicht mehr zur love-story in dem Roman.

Die interessanteste Geschichte dieses dritten auf deutsch erschienenen Thrillers von Karin Slaughter ist allerdings die der Ex-POlizistin Lena - eine ehmalige Kollegein von Jeffrey und im letzten Roman von Karin Slaughter Opfer eines brutalen Serienkillers, der sie fast umbrachte.

Keine Frage, Lena ist traumatisiert von der Gewalterfahrung und kann ihren neuen Job beim Sicherheitsdienst auf dem Campus der Universität nur mit Mühe erledigen. Ein schmieriger Vorgesetzter, Überstunden, zu wenig Geld, die Schwieirgkeiten mit dem Studenten.

Warum lässt sich Lena dann ausgerechnet noch auf eine Affäre mit einem Typen ein, der auf Gewalt steht - und der das auch ihr gegenüber ausspielt?

Drei hochspannende Handlungsfäden sind hier also zu einer komplexen Geschichte verknüpft - der man freilich auch vorwerfen könnte, dass sie mitunter lalzu routiniert - amerikansich eben - erzählt wird. Und weil es eben alles amerikansich ist an diesem Roman, wird man nicht mit vorgekauten Ideologien belästigt und man bekommt auch nicht vorgekaut, was nun gut und was böse zu sein hat. Sondern Karin Slaughter erzählt von Menschen mit allen ihren charakterlichen Schattierungen, die alle drei in der einen oder anderen Art in diesen Mordfall - denn nichts anderes war der Tod des Studenten - verwickelt sind.

Karin Slaughter
Dreh dich nicht um
Wunderlich Verlag
März 2005