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Akif Pirincci: Felidae

Alles für die Katz!

Francis ist ein Klugscheißer. Und was für einer. Einer von diesen »Weiß ich, kenn ich, war ich schon«-Typen, ohne die die gelungene Zeitgeist-Party nicht auskommt. Einer, der mit seinem Geschwätz jedes Gespräch töten kann, weil man das, was er zur Lage der Nation zu sagen hat, schon aus der letzten Ausgabe von SPIEGEL-TV kennt und sein ultimativer Diät-Tip in der vorletzten BRIGITTE stand. 


Das einzig originelle an Francis ist seine Art er ist eine Katze. Genauer: ein Kater, präzise: Europäisch Kurzhaar, unkastriert. Als philosophierender Detektiv klärt er in »Felidae« von Akif Pirincci die Hintergründe einer grausamen Mordserie unter den Katzen eines Bonner Bürgerviertels auf, und als nachsichtiger Lebensbegleiter wacht er über Wohl und Wehe seines Dosenöffners sprich Herrchens.
Das heißt Gustav, ist ein heruntergekommener Studentenbewegter und bestreitet seinen Lebensunterhalt als Verfasser von »Lebensbeichten« für die Regenbogenpresse: »Mein Schuldirektor hat mich in seinem Büro vergewaltigt!« In der Tat: Francis hat es nicht leicht mit den Menschen.

Doch statt katzenhafter Untersicht befleißigt sich Francis lieber des großen Überblicks wie überhaupt alle Katzen in diesem Roman, in dem das Wort Katze nicht ein einziges Mal vorkommt, seltsam bekannte menschliche Züge tragen. Blaubart‚ der zerbissene Streuner poltert rau, aber herzlich wie der frühe John Wayne durchs Hintergartenrevier, Pascal, der nomen est omen Computerfreak, hat sich mit sanfter Intelligenz nicht nur ins Herz seines Herrchens sondern auch in dessen Datenverarbeitung geschlichen und tippt nächtens Statistiken ein. 


Tierische statt künstlicher Intelligenz als Zukunftsperspektive? Bei der Jagd nach dem Katzen-Ripper vom Hinterhof jedenfalls hilft Kater Francis der Computer seines Freundes Pascal auch nicht weiter, denn es ist viel zuviel übersinnliches, halbreligiöses und horrormäßiqes im Spiel, so dass am Ende doch nur das gute alte Gruselfilm-Showdown die Lösung bringen kann: »Das Haus brannte ab, wurde zu Asche. Und mit dem Haus verbrannte auch...«

Die kleine bunte Katzenwelt, die Akif Pirincci, Jahrgang 1959, in seinem Roman entwirft, ist offensichtlich genau das, worauf die 4,5 Millionen bundesdeutschen Katzenbesitzer gewartet haben: »Felidae« ist ein Taschenbuch-Bestseller an der Hundertausender-Grenze, einer Region, in die zuletzt nur feministische Kurzkrimis oder wohlfeile Steuertipps vorgestoßen sind.

Erfolg ist keine Schande, aber auch kein Qualitätsmerkmal. Was da auf Samtpfoten als Nachttischbuch für Katzenfreunde angeschlichen kommt, möchte sich gern als Tierfabel verstanden wissen, kommt allerdings selten über das kuschelweiche Disney-Niveau der Aristocats hinaus. Nicht die Tradition des Kater Murr oder von Kästners »Konferenz der Tiere« ist es, die Pirinccis Geschichte von Francis‘ Jagd nach dem Katzenkiller in Gang bringt, sondern eine zeitgeistigverseuchte postmoderne Medienwelt: angefangen beim obligatorischen Plädoyer gegen Tierversuche bis zum völlig verunglückten Ausflug in die Mystik, von schicken Seitenhieben auf verbürgerlichte Studentenrevolutionäre bis hin zu ebenso modischen Spitzen gegen minimalistische Designmöbel bedient dieser Roman in einer ehrfurchtgebietenden Fleißarbeit jedes Illustriertenthema der letzten fünf Jahre.

Etwas Neues sagt er dabei nicht, aber so ist es eben in der Postmoderne: alles ist schon geschrieben, gedruckt und gesendet, was bleibt, sind die Wiederholungen im Vormittagsprogramm. So flanieren Kater Francis und Konsorten also am dünnen Fädchen einer Kriminalgeschichte durchs Hier und Jetzt. Doch nicht einmal der Krimi bringt Spannung ins Spiel, denn Akif Pirincci schlüpft nicht etwa als literarischer Untermieter unter die Decke des Genres, er fleddert es vielmehr mit der Geschäftstüchtigkeit eines Grabräubers. Hier ein bisschen detektivische Brillanz à la Conan Doyle, da etwas Weltherrschafts-Wahnsinn im Stil der James Bond-Bösewichte, dazwischen ein paar markige Chandler-Sätze und viel langatmige Agatha Christie-Tüfteleien - fertig ist der der Kletterbaum für den alerten Kurzhaarschnüffler.

Und als ob das noch nicht genug wäre, verwebt Akif Pirincci all diese kriminalistischen Spurenelemente seines Romans mit Kater Francis‘ weit ausladenden Schilderungen seines Lebens und seiner Artgenossen: »Sein eruptives Gefühlsleben schien aus unvermittelt aufbrausenden und wieder genauso abrupt zurückweichenden Emotionsfluten zu bestehen.« Die Katze als Mensch wie du und ich, die Katze als fühlender und gefühlvoller Sozialpartner‚ die Katze als der einzige, der auf den gestressten Großstadtsingle wartet, wenn er aus dem Büro nach Hause kommt: »Felidae« kultiviert die Mythen der Katzenfutterwerbung und die Wunschvorstellung hunderttausender KatzenbesitzerInnen, nach der die Freundschaft eines Vierbeiners immer der eines Zweibeiners vorzuziehen ist, denn: Tiere lügen nicht. In Oliver Stones Yuppie-Fabel »Wall Street« hat es Michael Douglas als Finanz-Tycoon Gordon Gecko all das, was als Folie unter Pirinccis Katzenthriller liegt, auf einen einzigen Satz gebracht: »Wenn du einen Freund brauchst kauf dir einen Hund.«
Reinhard Jahn

(Erstveröffentlichung 1990 bei krimi-forum.de)



Akif Pirincci
Felidae
285 Seiten,
Goldmann Taschenbuch 9298
Wilhelm Goldmann Verlag, 1989