27.7.13

Cay Rademacher
Der Schieber


Hamburg 1947- Eine Stadt in Trümmern, die Besatzungsmacht ist England, entsprechend gelassen und gentlemanmäßig tut da mancher  Besatzungsoffizier seinen Job. Allerdings nicht die, die im Zuge der Reparationsregelung die Demontage im Hafen vorantreiben, darunter den Abbau der Blohm und Voss Werft.
In einer  Halle auf dem Blohm und Voss-Gelände findet man eine Leiche - ein Halbwüchsiger, tot, auf einem Bindgänger gebettet. Eine heikle Situation, bei der die Mordkommission erst einmal den Bombenräumdienst holen muss, um an das Opfer heranzukommen.
Erst dann kann Kommissar Stave von der Kripo damit anfangen, sich mit der Aufklärung des Falles beschäftigen - also zuerst einmal damit, die Identität des Jungen festzustellen. Keine einfache Aufgabe, bei mehreren tausend namenslosen Waisen in Hamburg - die entweder in Heimen leben oder auf der Straße, und dort oft organisiert in Banden, die von Kohlenklau bis Prostitution alles betreiben. Langsam kommt bei Staves Ermittlungen heraus, dass der Junge an Schwarzmarktgeschäften der besonderen Art beteiligt war - er hat nicht Zigaretten oder Lebensmittel "verschanzt", sondern Tonbänder.

Der Kriminalfall, den Cay Rademacher in "Die Schieber" erzählt, ist normal, keine ungewöhnliche oder übergroße Geschichte. Das faszinierende des Buches ist die Schilderung des zerstörten Hamburgs - für die der Autor offenbar viel recherchiert hat. Und ganz besonderes widmet er sich - in kleinen Beobachtungen und geschickt eingewebten Charakterstudien auch der Verfasstheit der Deutschen im  Jahr Zwei.

 Das fragile Verhältnis zwischen Sieger und Besiegten kristallisiert sich deutlich in der Beziehung zwischen Kommissar Stave und dem britischen Nachrichtenoffizier MacDonald heraus. Der eine ganz lässiger Gentleman, durch und durch britisch, der andere ein deutscher Beamter mit Hang zum Spießertum, aber auch innerlich zerrissen von der Angst vor der Begegnung mit seinem Sohn, der als glühender Nationalsozialist in den Krieg gezogen ist und jetzt aus russischer Gefangenschaft zurückkehrt.
Wie diese beiden, Stave und MacDonald, miteinander umgehen und schließlich gemeinsam den Fall lösen - das ist eine große menschliche Geschichte in einem kleinen Krimi - ein Juwel unter den Trümmerkrimis.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Cay Rademacher
Der Schieber
Dumont

Edgar Franzmann
Adenauers Auge


Einen Schuss zuviel gehört, zwei Fragen zuviel gestellt und drei Artikel zuviel geschrieben - und zack sitzt Georg Rubin, Chefreporter des Kölner "Blitz", eines Zwischendings von Stadt-Anzeiger und Express - im Knast. Zwar nur Untersuchungshaft - aber die Anklage ist nicht ohne: Terrorverdacht. Da versteht der Staatsanwalt auch in Köln keinen Spaß mehr.

Das Attentat, um das es geht, geschah beim Besuch der Bundeskanzlerin in ihrer Heimatstadt Köln (Die Dame ist eine Art CDU-Ausgabe von Hannelore Kraft, die vom Autor aus Verfremdungsgründen im Schnellverfahren ins Kanzleramt befördert wurde). Getroffen hat die Kugel aus einem Präzisionsgewehr der Bundeswehr einen den fünf Wirtschaftsweisen, der neben der Kanzlerin stand - Irrtum oder Plan?  Während der Killer in Köln untertaucht, stöbert Journalist Rubin hinter der Sache her und kommt Zug und Zug einem Geheimnis nach dem anderen auf die Spur - darunter auch dem von Adenauers Auge: das hängt in Berlin überm Kanzlerinnen-Schreibtsich und hat eine ganz besondere Aufgabe.

Edgar Franzmannn, selbst Journalist in Köln, erdet seine thrillermäßig angehauchte Story vom Pressemann, der dem großen Komplott auf die Spur kommt mit ganz viel Kölner Ambiente - und da speziell in der Kölner Medienszene. Angefangen vom Rollschuh-Paparazzo "Zack" bis hin zum Verlegerpärchen aus Vater und Sohn findet der Eingeweihte auf fast jeder Seite die eine oder andere bekannte Promi-Nase liebevoll portraitiert. Abgerundet wird das alles mit viel Privatleben aus dem Hause Rubin - von dem Stress mit der Ex bis hin zum neuen Leidenschaft - dem Tango und der Tangotänzerin. Rubins Annährung und Aneignung an den Tanz ist dabei oft spannder zu lesen als die ganze Krimin-Action -  wobei dann aber zum Schluss dann doch noch die eine die andere gekonnt ergänzt. Und wer nach diesem Buch nicht Tango tanzen lernen will, der hat nicht verstanden, worum es im Leben wirklich geht.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

Edgar Franzmann
Adenauers Auge
Emons

Nicola Förg
Mordsviecher

Ein ernstes Thema spannend verpackt in in einen Krimi.

Zweiundsechzig Hunde mit den achtzehn Welpen, geschätzte hundert Wellensttiche, dazu Pferde, Kaninchen, Klapperschlangen, Vipern, Cobras, Spinnen und Skorpione, ein Krokodil oder Waran.
Dazwischen Kilian Stowasser, 55, geboren in Buenos Aires, jetzt aber hier im Landkreis Garmisch ansässig und nur als "der Schlafsackmo" bekannt, der "Schlafsackmann", der in seiner Firma hochwertiges Outdoor-Equipment und Marken-Daunenjacken produziert.

In seiner Freizeit - oder seiner zweien Existenz - war Stowasser offenbar ein Animal Hoarder, der in einem alten gehört hudnerte von Tiere in absolut desaströsen Verhältnissen hielt - vom Pfed bis zum Skoprion-
Wer Stowasser inmitten seiner gehorteten Tiere umgebracht hat, damit muss sich Kommissarin Irmi Mangold von der Kripo Garmisch beschäftigen. Schnell steht fest, dass Stowasser senior in seiner geheimen  Animal Farm von einer schwarzen Mamba gebissen wurde und an den Folgen starb. Die Frageb, mit dene sich die Kommissarin beschaeftigen muss, sind: war das Mord? Und: wo ist die Mamba? Für die erste Frage gibt es genügend Verdächtige in einem recht überschaubaren Krimiplot.

MORDSVIECHER ist nicht der heitere Bergkrimi, für den man ihn ansgesichts des bunten Covers halten könnte. Die Autorin - gelernte Journalistin - hat vielmehr das Thema Animal Hoarding ind en Mittelpunkt ihrer Geschichte gestellt und geht den verschiedenen Aspekten des Themas nach. Bis hin zu der Frage, woher die Daumen, mit denen der "Schlafsackmo" (Schlafsack-Mann) seine Daumenjacken fabriziert kommen - und ob sie wirklich tierverträglich gewonnen oder ob sie bei der sogenannten "Lebendrupf" geerntet wurden.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Nicola Förg
Mordsviecher
Piper

Gerd Schilddorfer
Falsch

Ein Polit- und Action-Thriller von internationalem Zuschnitt. Schauplätze rund um den Globus und Verschwörungen, die das auch rechtfertigen.

Paul Hoffmann weiß, dass die Männer, die vor der Tür seiner Zuflucht im kolumbianischen Dschungel stehen, gekommen sind, um ihn zutöten. Ehe sie zum Zug kommen, kann er noch drei Brieftauben losschicken - die mit ihren Botschaften die Schicksale von drei Menschen beeinflussen.
Taube Nummer eins landet bei Wilhelm Klausner im basiliansichen Urwald, die anderen beiden in Bogata und in Medellin.
Klausner lässt durchs eien Enkeltochter fioane den Abenteurer und Piloten Joe Finch engagieren, der dem Geheimnis der Tauben-Botschaft nachgehen soll - und vor allem die beiden anderen Empfänger aufspüren soll. Aber dem wird bald klar, dass er und Fiona nicht die einzigen sind, die hinter den Bitschaften und dem Geheimnis her sind, das sich dahinter verbirgt - und das - natürlich - wieder einmal seine Wurzeln in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrirges hat, aber auch in den Tagen des Russischen Revolution, als der jüdische Juwelier Kronstein mit einem Vermögen aus Russland flieht..

Schnell wechselnde Schauplätze, eine souverän erzählte Geschichte, ein sorgfältig ausgearbeitetes plot und nicht zuletzt auch die sympathischen Helden machen FALSCH zu einem Leseerlebnis, das auf keiner der 670 Seiten nachlässt. Das ist internationales Thriller-Niveau.

(Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)

Gerd Schilddorfer
Falsch
Hoffmann und Campe

Michael Theurillat
Rütlischwur

Ein Mädchen kommt mit 13 zu den Mönchen eines schweizer Klosters und wächst bei ihnen auf, Judith ist hoch begabt und kann gut mit Zahlen - kein Wunder, dass sie sich ihre ersten Meriten als professionelle Poker-Spielerin verdient.

Dann ist da Kommissar Eschenbach - der sich in der Züricher Polizeibehörde kaltgestellt fühlt und deshalb einen Job bei einer Bank annimmt, den ihm ein alter Schulfreund anbietet. Er wird Leiter der Compliance-Abteilung (die Gesetzes- und Prinzipientreue eines Unternehmens, Teil der Unternehmenskultur)  und macht sich auch da gleich die ersten Feinde, als er vergisst, dass man in der freien Wirtschaft nicht so offen ruppig auftritt wie im Polizeidienst.

Bald stellt er fest, dass aus der Bank große Beträge von den Anlegern abgezogen werden und in kaum nachvollziehbaren Kanälen verschwindne. Aber das scheint keinen der Bankvorstände zu interessieren.
Dann wird auf einmal Eschenbachs Freund und Vertrauter bei der Bank ermordet - und die junge Judith gerät unter Mordverdacht. Eschenbach ermittelt auf eigen Faust und kommt dbei unter anderme Hawala-Banksystem auf die Spur, einem verdekcten Banksystem, das sehr gut geeigent ist, um Geld zu waschen.

Geschickt konstruierter Thriller aus dem Milieu des großen Geldes. Engagiert erdacht und souverän erzählt. Ausgezeichent mit dem Friedrich Glauser Preis 2012.
(Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)


Michael Theurillat
Rütlischwur
Ullstein-List

Sebastian Fitzek / Michael Tsokos
Abgeschnitten


Der Berliner Rechtsmediziner Paul Herzfeld ist schockiert - bei einer Obduktion findet er im Kopf einer schrecklich zugerichteten Leiche einen Zettel mit einer Telefonnummer: Es ist die Nummer seiner Tochter Hannah. Und als Herzfeld sie anruft, muss er von der Mailbox hören, dass Hannah offenbar gekidnappt wurde und der Täter plant, eine makabare Schnitzeljagd mit Herzfeld zu spielen - mit weiteren Hinweisen, wie er seine Tochter retten kann. Hinweise, die allesamt in Leichen platziert sind. So etwa in einem Toten, den die Comiczeichnerin Linda auf Helgoland findet. Die Insel ist durch einen Sturm vom Festland abgeschnitten, also muss Paul Herzfeld der jungen Frau per Telefon Anweisung geben, wie sie den Toten zu obduzieren hat, um die versteckten Hinweise zu finden.

"Abgeschnitten" ist ist ein Thriller, der auf den groben, makabaren Effekt abzielt. Seinen Thrill (oder Gruseleffekt) bezieht er daraus, dass ständig an Toten oder Halbtoten herumgrschnitten werden muss. Bei der mörderischen Schnitzeljagd bleibt die Logik (und die Glaubwürdigkeit) mehr als einmal auf der Strecke, was man von einem sonst so sorgfältig arbeitenden Autor wie Sebastian Fitzek eigentlich nicht erwartet.
Wie er überhaupt hier hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt - vielleicht aus Rücksicht auf seinen Co-Autor Michael Tsokos, einem renommierten berliner Rechtsmediziner, der sich selbst auch schon mit einem Sachbuch hervorgetan hat.

Fazit: Thriller-Spannung der eher gröberen Art: Obduzieren und obduziert werden. Teenager-Schocker, der kaum mehr als routinierte Unterhaltung bietet.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Sebastian Fitzek / Michael Tsokos
Abgeschnitten
Droemer

Jörg Steinleitner
Aufgedirndlt

Aufregung am Tegernsee - der Emir von Ada Bhai hat sein Kommen angesagt, um dort ersten Haus am Platz Quartier zu beziehen und ein "Harmesdamen"-Casting abzuhalten. Der Gewinnerin winken nicht nur ein goldene Kreditkarte und ein Hochschulabschluss, sondern auch ein Gutshof in Bayern.
Kein Wunder, dass bald der Ausnahmezustand im See herrscht ... mit dem sich Anne Loop und ihre Kollegen vom örtlichen Polizeirevier aueinandersetzen müssen. Anne Loop, eigentlich Rheinländerin - und im Moment vom Lebensabschnittsgefährten verlassen - muss sich dabei mit der recht speziellen bayerischen Mentalität ihrer Revierkollegen auseinandersetzen.

Doch die Polizistin - sie sieht aus wie Angelina Jolie, was ihr bei den Männern einige Vorschusslorbeeren verschafft, weiß, wie sie die Männer zu nehmen hat.
Die Situation um den Emir eskaliert dann, als aus dem Osten - aus Sachsen - eine siebenundzwanzigköpfige feministische Bio-Kommune anreist, die ihren Heimathof verloren hat und jetzt einen einfachen Plan verfolgt: Eine der 27 Kommunardinnen wird das Haremscasting und damit den ausgeschriebenen Gutshof gewinnen, wo man dann eine neue Heimat finden kann.
Doch so leicht ist das nicht  - zumal bald eine der Damen tot am Seeufer liegt

AUFGEDIRNDLT ist eine ins Absurde überdrehte Bayern-Geschichte mit Krimi-Touch, ein Stück gutgeschriebenes  Bauerntheater, in dem bei allem Klamauk auch immer genau auf die etwas dunkleren Seiten des Bayern an sich geschaut wird: die Eingleisigkeit im Denken, die ihn manchmal behindert, sein übersteigertes Spießertum besonders wenn es um Frauen geht - aber auch die nonchalante Weltoffenheit, mit der man alles einfach gut findet, was gut für Bayern ist.
Kurz: Ethno-Krimi jenseits des Weißwurstäquators.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

Jörg Steinleitner
Aufgedirndlt
Piper

20.7.13

Simon Urban
Plan D


Was wäre wenn? Zum Beispiel, wenn es die deutsche Wiedervereinigung nicht gegeben hätte? Wenn es Honecker-Nachfolger Egon Krenz 1989 doch noch irgendwie geschafft hätte, die DDR als eigenen Staat zu bewahren? Wenn also die Mauer nicht gefallen wäre?

Wenn wir heute immer noch von zwei deutschen Staaten sprechen müssten: Einer BRD unter Bundeskanzler Oskar Lafontaine und einer DDR, in die Otto Schily übergesiedelt ist, um dort Innenminister und damit der Boss der (reformierten) Stasi zu werden?
Statt der Wiedervereinigung gab es die "Wiederbelebung", die Position der DDR stärkte sich schlagartig durch die Durchleitungsgebühren für russisches Erdgas, das für die BRD bestimmt ist.

So erleben wir also die DDR im Jahr 2011 - und lernen Martin Wegener kennen, Hauptkommissar der Volkspolizei. Der Fall, mit dem er sich befassen muss, wird ihn in Schwierigkeiten bringen, das weiß er sofort, als er den Toten sieht: Ein alter Mann, erhängt an einer der Gas-Pipelines. Seltsam: die Schnürsenkel zu einem achtfachen Knoten gebunden - ein altes Zeichen der Stasi für einen Verräter. Ist die STASI schuld?

Der Fall ist ein Politikum  und der Apparat reagiert, wie man es von der DDR erwarten kann: die Stasi will mitmischen, das Innenministerium will vertuschen, die Polizei will sich verdrücken. Doch weil die Sache geklärt werden muss, wenn man deutsch-deutsch Spannungen vermeiden will, greift man zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Kommissar Wegener wird ein bundesdeutscher Ermittler zur Seite gestellt, als Kollege und Beobachter zugleich.

Eine spannende und phantasievoll entwickelte Kriminalstory in einem alternativen Deutschland. Bestechend die vielen kleinen Ideen, mit den  hier die DDR zum "heutigen" Zeitpunkt gezeichnet wird, und beeindruckend die Logik und Konsequenz mit der hier Geschichte weitergedacht wird. Und eine Kriminalgeschichte erzählt wird. (Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)

Simon Urban
Plan D
Schöffling

Jeanette Erazo Heufelder
Der Blumenkrieger


Am 7. August 1930 kommt ein junger Mann in das Polzeirevier Berlin-Halensee, um einen Mord zu gestehen. Er nennt sich "Sujamani", gibt an, Journalist zu sein, obwohl noch nie etwas von ihm veröffentlicht wurde - und er hat seine Mutter erstochen.

Das kam so: Er saß auf dem Rand der Wanne, in  der seine Mutter badete und unterhielt sich mit ihr, als ihm sein Dolch aus dem Gewand rutschte. Seine Mutter fühlte sich dadurch bedroht, begann ihn zu beschimpfen und bedrohte ihn nun ihrerseits mit ihrer Pistole. Worauf er sich nur mit seinem Dolch gewehrt und verteidigt habe - 13 Stiche zählt der Rechtsmediziner später.

Ein Schlagzeilenfall aus dem Berlin der 30er Jahre - der "Ödipus von Kudamm" wurde Max Thielecke gegannt, Sohn der "Prominentenschneiderin" Camilla Thielecke. Vaterlos bei der Mutter aufgewachsen, mit 25 immer noch daheim lebend, wahrscheinlich auch mit ihr in einem Bett schlafend. Von einer bizarren tyrannischen Liebe seiner Mutter geprägt, die ihn von der Schule fernhielt, ihm selbst lesen und schreiben beibrachte und sein Leben offenbar in jeder Beziehung bestimmte.

Was für ein Stoff! hat sich Jeanette Erazo Heufelder gedacht, als sie 2005 einen Zeitungsartikel über Sujamani, den Muttermörder las. Sie hat recherchiert, die Polizeiakte im Berliner Landesarchiv gefunden und diese zur Grundlage für ihren Text "Der Blumenkrieger" gemacht.  So ähnlich hat auch schon Andrea Maria Schenkel bei "Tannöd" gearbeitet - und ähnlich literarisch dicht ist auch "Der Blumenkrieger" angelegt. Es ist der Lebensbericht eines Muttermörders, die Autorin schlüpft in  ihre Figur, lässt Sujamani/Thielecke über 100 Seiten erzählen, wie er schließlich zum Mörder wurde.

Das Portrait eines grausamen Mutterliebe, die perfekt erzählte Geschichte eines bizarren Mordes. Das ist faszinierende Kriminalliteratur.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Jeanette Erazo Heufelder
Der Blumenkrieger
Nordpark-Verlag

19.7.13

Krimis machen 1 - Erste Eindrücke








Krimis machen. Der Krimi in Deutschland – Cashcow oder Literatur?

Öffentliches Symposium mit Abendveranstaltung
12./13. April 2013 

literaturforum des Brecht-Hauses, Berlin

Das Symposium beschäftigte sich mit den pragmatischen und inhaltlichen Aspekten des z.Z. wichtigsten Buchmarktsegments. Mit am Prozess des Krimi-Machens beteiligten Autoren, Programmmachern, Verlegern, Buchhändlern, Übersetzern, Kritikern und anderen Spezialisten wurden die wesentlichen Themen kritisch beleuchtet und diskutiert, um den literaturgeschichtlich einmaligen Erfolg eines Genres zu analysieren.






 
Foto: Reinhard Jahn

 Erste Eindrücke - Tagungsraum im Brecht-Haus: knapp 90 Plätze, vollbesetzt bis überbucht. Das beweist das große Interesse der Krimi-Szene an Selbstvergewisserung. Unter den Teilnehmern fast alle, die im Krimi was zu sagen haben. Buchhändler, Verlagsleute, Presse, Kritiker, Autoren.



 Geballte Medienmacht: krimikruse  und krimimimi Tatjana Kruse twittert die Veranstaltung, "Mimi" Miriam Semrau bloggt.
Wisenschaftliche Überwachung (hinten): Prof Jochen Vogt




























































Tatjana Kruse, Miriam Semrau und im Hintergrund Jochen Vogt (Foto: Reinhard Jahn)



 


 
Foto: Reinhard Jahn

  
Gegen Ausbruchsversuche aus dem Genre wurden genregerechte Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Krimi machen hinter Gittern.
(Ehe wieder Missverständnisse aufkommen: Das ist ein *joke*, das Foto wurde von der kleinen Galerie im Veranstaltungsraum aufgenommen, wo überzählige Besucher ausgelagert wurden.)

16.7.13

Ist die Geschichte ein Thema in der deutschsprachigen Kriminalliteratur?
Interview mit Reinhard Jahn vom Bochumer Krimi-Archiv



Ist die Geschichte ein Thema in der deutschsprachigen Kriminalliteratur?
Interview mit Reinhard Jahn vom Bochumer Krimi-Archiv

FRAGE: Was kennzeichnet denn einen historischen Kriminalroman?

Dass er eine Kriminalgeschichte in einer früheren Zeit erzählt - also Lebensumstände, Ideologie etc der gewählten Zeit gut darstellt. In dieses Ambiente kann man entweder einen traditionellen Kriminalfall ansiedeln - also einen Mord und dessen Aufklärung - oder man versucht sich auf dem Königsweg und erzählt von einem Verbrechen, wie es so nur in der gewählten Epoche geschehen und aufgeklärt werden konnte.

FRAGE: Passt das denn zusammen – das moderne Genre und eine weit entfernte erzählte Zeit, etwa das Mittelalter?

Es ist natürlich eine besondere Herausforderung, wenn die Kriminalgeschichte und der Fall in einer Zeit angesiedelt sind, in der es unser aktuelles Rechtssystem und auch die grundlegenden Ermittlungsmethoden der Kriminalistik noch nicht gab. Ein wenig muss man dann als Autor wahrscheinlich doch seine Phantasie spielen lassen und "analoge" Ermittlungsmethoden erfinden, um die für eine Ermittlung nötigen "Spuren" zu erhalten. Kurios wirkt es immer dann, wenn Mittelalterdetektive plötzlich CSI-ähnliche Praktiken anwenden.
Besser ist es, wenn eine Kriminalgeschichte an das Rechtsempfinden etc der gewählten Zeit angepasst wird - auch wenn es schwierig wird, zu erzählen, dass jemand wegen "Zauberei" oder "Gotteslästerung" oder "Häresie" überführt werden soll.

FRAGE: Welche sind für Sie die herausragenden Autoren dieses Bereichs im Genre?

Zunächst einmal Philip Kerr - sowohl mit seinen "Berlin Noir"-Romanen um den Privatdetektiv Bernie Gunther, der im Berlin des III. Reiches und im Nachkriegsdeutschland seine Aufträge erledigt. Aber auch Kerrs historische Variante "Newtons Schatten" ist ausgezeichnet.
Im deutschen Bereich sind es Volker Kutscher mit seiner Gereon Rath-Serie und Cay Rademacher mit seinen in Hamburg angesiedelten Nachkriegskrimis, für die einmal der Gattungsbegriff "Trümmerkrimis" geprägt worden ist. Beide Autoren verstehen es ausgezeichnet, die jeweilige Zeit fühl- und spürbar zum Leben zu erwecken.


FRAGE: Welche Rolle spielt die Geschichte des 20. Jahrhunderts, also die Zeitgeschichte?
Es ist wohl schon zum Ausdruck gekommen, dass sie eine große Rolle spielt.
Es gibt in diesem Bereich der Zeitgeschichte noch viele "graue Flecken" mit bislang noch nicht genau erklärten oder erforschten oder in Vergessenheit geratenen Ereignissen.
- etwa das Kennedy-Attentat - an das sich viele Verschwörungstheorien knüpfen lassen.
Unter anderem ist etwa auch die Phase des politischen Terrorismus (RAF) in der BRD ein interessantes Thema, das sicher in den nächsten Jahren verstärkt ins Zentrum von "zeitgeschichtlichen" Kriminalromanen treten wird.
Auch der ganze Komplex der Wiedervereinigung im Zusammenhang mit den Aktivitäten des MfS (der "Stasi") in der DDR wird noch zum Thema werden. Schon jetzt sind etwa verschiedenen Thriller im Umlauf die sich auf die Vorkommnisse um die sogenannten "Rosenholz-Dateien" beziehen. Das sind 381 CDs, angeblich mit den Klarnamen von Agenten der Hauptverwaltung Aufklärung HVA des MfS im westlichen Ausland, die im Prozess der Wiedervereinigung verschwanden und schließlich beim CIA wieder auftauchten.


FRAGE: Wie arbeiten Autoren, die die Geschichte im Krimi aufarbeiten? Wissenschaftlich? Oder ist die Historie nur eine Kulisse für gute Geschichten?

Das kommt immer darauf an, um welchen Autor es sich handelt und wie er seinen ganz persönlichen Zugang zu seinem historischen Stoff gestaltet..
Ich schätze, zu 60 bis 70 Prozent nutzen sie die Zeit als Kulisse. Für einen klassischen Ermittlerkrimi muss man keine Geschichte aufarbeiten. Aber für einen Polit-Thriller schon.


FRAGE: Eine Phase, die oft Thema ist: Die Weimarer Republik. Können Sie ein Beispiel nennen? Hier wäre sicher zuerst der bereits erwähnte Volker Kutscher zu nennen...

Ja, unbedingt. Volker Kutscher Gereon-Rath Reihe ist einzigartig im deutschen Sprachraum - sowohl was sie Anlage als Romanreihe angeht als auch die Tiefe und Ausführlichkeit ihrer Darstellung Berliner Geschichte. Gereon Rath ist ein Kommissar aus Köln, der in der Weimarer Zeit nach Berlin versetzt wird. Das Leben in der Stadt, die politischen und gesellschaftlichen Zustände werden bunt, dicht und prächtig geschildert.
Ein weiteres Projekt, das ebenfalls in dieser Zeit angesiedelt ist, ist die Romanreihe "Es geschah in Berlin", jeweils ergänzt um die Zahl des Jahres, in der der Roman spielt. Die Romanreihe wird von verschiedenen Autoren geschrieben und geht auf eine Idee des Berliner Krimiautors Borst Bosetzky zurück, der auch selbst mit zahlreichen Romanen in der Reihe vertreten ist. Im Mittelpunkt der Reihe steht der Kriminalbeamte Kappe, dessen Karriere wir von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit verfolgen können. Dadurch, dass verschiedene Autoren an der Reihe mitwirken, werden unterschiedliche Schwerpunkte in der Geschichtsdarstellung gesetzt - was zu einem sehr breiten Spektrum führt.

FRAGE: Neben den Autoren, die schwerpunktmäßig historische Krimis schreiben, gibt es aktuell auch einige, die nach aktuellen Krimis sich un auch historischen Stoffen zugewandt haben - wie etwa Mechthild Borrmann. Kann man sagen, dass es einen Trend zu zeitgeschichtlichen Themen in der deutschsprachigen Kriminalliteratur gibt?

Ja, unbedingt. Neben Mechtild Borrmann ist auch Andrea Maria Schenkel zu nennen. TANNÖD und FINSTERAU und KALTEIS handeln mehr oder minder authentische historische Stoffe ab.
Ähnlich geht ROBERT BRACK in der Klara Schindler-Reihe in die Vergangenheit zurück und erzählt Hamburger Geschichten mit deutlichem Zeitbezug aus den zwanziger Jahren.
Außerdem findet sich eine kleine Häufung von Ruhrgebietsromamen aus den 60er-Jahren - wie etwa BLÜTENTRÄUME von Christiane Dieckerhoff, die historischen Revier-Romanen von Peter Kersken und KOHLENSTAUB von Anne Kathrin Koppetsch.


FRAGE: Welche Rolle spielt die NS-Zeit als Thema?
Für ausländische Autoren - vornehmlich GB und US-Autoren ist diese Zeit eine immer gern genommene Kulisse, wenn es um den "Ursprung" des Bösen geht.

FRAGE: Haben Sie eine Erklärung, dass so viele zeitgenössische Krimiautoren sich ausgerechnet dieser zeitgeschichtlichen Phase zuwenden, die man in der Literatur doch schon „abgearbeitet" wähnte …

Kriminalliteratur nimmt als Genre Literatur stets Strömungen der Höhenkamm-Literatur bzw der allgemeinen Belletristik auf. Das können stilistische als auch inhaltliche Motive sein.

FRAGE: Inwieweit eignet sich denn Ihrer Ansicht nach das Genre, um Zeitgeschichtliches zu erzählen? Passt das überhaupt zusammen?

Ja. Krimi ist wie ein Cocktail. Gemeinsam ist allen Cocktails: der Alkohol als Treibstoff (die Kriminalhandlung), unterschiedlich ist die Mischung mit anderen Flüssigkeiten (Liebe, Zeitgeschichte, Abenteuer etc)