31.7.97

Laudatio von Karr & Wehner
Verleihung des GLAUSER an Hartmut Mechtel


 

Laudatio von Karr & Wehner anläßlich der Verleihung des GLAUSER an Hartmut Mechtel für "Der unsichtbare Zweite", gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever.

Das Preis-Gericht

Als die Jury nach längeren Vorproben, nach Rezeptaustausch und Speisekartenvorschlägen zum Verkosten im Bonner Diplomatenviertel zusammentraf, empfing sie nicht nur die chefin de cuisine nebst Geschmacks-Berater, sondern auch das letzte, per Eilpost eingetroffene Schmankerl aus bergischer Literatenküche.

Zu spät! - wie wir erleichtert angesichts des Umfangs feststellten, das Verfallsdatum war - Glauser-Vorschrift sei Dank - überschritten. Die Bescherung lag geschichtet und gestapelt im Wohnzimmer; das Preis-Gericht lagerte heißhungrig drumherum. Wir aschenputtelten uns durch die Bücherberge und begannen zu sortieren - die guten nach vorne, die schlechten in das Archiv unseres Restaurantbesitzers.

Da gab es Unverdauliches mit eigenhändig gezeichneten Umschlägen und selbstfinanzierten Druckbögen. Einige versuchten es mit Etikettenschwindel und verheimlichten ihr Abpackdatum. Andere verkauften ihr altes Produkt unter neuem Namen zum zweiten oder dritten Mal als Frischware. Manches war fad und ohne Biß und nur für Großkantinen in postgeriatrischen Zentren geeignet, anderes so scharf, daß uns der Atem über all den gehäuften exotischen Gewürzen stockte  und man schon ein Liebhaber ausgefallenster Eßgewohnheiten sein mußte, um sich den Magen nicht zu verderben. Vieles war gut gemeint, aber irgendwann während des Zubereitens mußte der Koch oder die Köchin ein anderes Rezept erwischt und seine Geschichte oder das Personal oder ganz einfach den Hunger der Leser vergessen haben. Das meiste war allerdings gute Hausmannskost mit bekannten Zutaten und bekanntem End-Ergebnis. Nicht zu beanstanden, aber auch nicht das, was unsere Feinschmeckerzungen kosten wollten. Schließlich stellten wir nach längerem Beraten eine Menueauswahl aus einem guten Dutzend Titeln zusammen.

Zur Auflockerung der Geschmacksnerven spülten wird mit Mineralwasser und Fachgesprächen über die Frühfeministinnen des deutschen Vormärzes, über amerikanische Vorabendserien, die demnächst im Nachmittagsprogramm unser Wissen über den längsten plot der Welt erweitern würden, alles Angebissene und Angeknabberte den natürlichen Weg alles Vergänglichen hinab.

Das was nicht ausgeschieden war, unterzogen wir dann einer verschärften Sektion, zerlegten es in seine Ingredienzen, analysierten Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe, filterten und fällten, ließen Eingangssätze auf der Zunge zergehen, Schlußkapitel die Gaumensegel entlangstreichen. Schließlich stand der Speisezettel fest. Alles blickte zufrieden auf die fünf auserwählten Gerichte:

Doris Gercke: Tschingis Khans Tochter               

 Roger Graf: Zürich bei Nacht

Maria Gronau: Weiberwirtschaft              

 Klugmann/Mathews: Vorübergehend verstorben.

Hartmut Mechtel: Der unsichtbare Zweite

Nun galt es nur noch, die plat principale zu ermitteln. Ein Unterfangen, das  sich trotz der konkurrierenden Köstlichkeiten leichter als befürchtet erwies. Zum Höhepunkt unseres Menues erwählten wir Hartmut Mechtel und sein Ost-West Zwillingsstück "Der unsichtbare Zweite". Es besaß alles, was zu einem guten Krimigericht dazugehört: überraschende Zutaten, nachvollziehbare Zubereitung, augenfälliges Dekor und befriedigender Gaumenkitzel, einen imposanten Wechsle von kräftig gewürzten und neutralisierenden Passagen, rasante Spannung und kein gutes Ende - sondern Hunger nach mehr, den Hartmut Mechtel übrigens wie jeder raffinierte Koch nicht nur provozierte, sondern auch gleich mit der Vorlage des zweiten Bandes "Das Netz der Schatten" zu beheben versprach.

Und bei alle, versierten Vorgehen und trotz aller augenzwinkernder Rezpepthinweise: es blieb genau das Quantum Unerklärliches, das Kräutlein Nies-mit-Lust aus dem Garten Wilhelm Hauffs, das Messerspitzlein lirum-larum, ohne das gutes Handwerk nicht zum Kunstwerk wird.

Wir waren und einig: hier bestand Suchtgefahr, und der wollten wir uns als gute Gourmets und Amigos nicht ohne Ihre tätige Lese- und Eß-Mithilfe aussetzen. Also auf an die Festtafel: lasset uns prassen und schwelgen - ein Lob der Völlerei; und dem Autor Hartmut Mechtel unseren Dank für das tolle Gericht (und von Karr & Wehner unseren speziellen Beifall für den Hinweis auf unsere Heimat-Lokalität Essen)

Im Namen des Preisgerichtes ergeht also folgender Spruch:

Die Jury der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur A.I.E.P. DAS SYNDIKAT hat den mit DM 10.000 dotierten GLAUSER 1997 - Krimipreis der Autoren - dem Berliner Autor HARTMUT MECHTEL

für seinen Kriminalroman "Der unsichtbare Zweite" (Argument Verlag) zuerkannt.

Hartmut Mechtel spielt im Kriminalroman "Der unsichtbare Zweite" mit den Regeln des Genre und zeigt, daß der deutsche Kriminalroman seinen Stellenwert innerhalb der Belletristik zu recht behauptet. In eindrucksvollen Bildern und Metaphern zeichnet Mechtel die jahrzehntelange deutsche Trennung und das Nichtwissen beider Seiten voneinander. Die Jury würdigt mit ihrer Entscheidung einen Autor und seinen Kriminalroman, der die politischen und gesellschaftlichen Komponenten der deutschen Wiedervereinigung hervorragend darzustellen wußte. Darüber hinaus würdigt die Jury ihn als einen Meister des Genre, der nicht nur spannend, sondern auch mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen zu schreiben vermag. Bei aller Action mutet sein Roman bewundernswert doppelbödig an. "Der unsichtbare Zweite" ist der erste Teil einer Trilogie in der "Zweiten Reihe" der Ariadne Krimis des Hamburger Argument Verlages. Auch die Fortsetzung "Im Netz der Schatten" hält das hohe erzählerische Niveau.

 gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever.

 

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Hartmut Mechtel: Danke 

Fragmentarische Rekonstruktion meiner Rede auf der Criminale nach Notizen und Erinnerungen.

Ich danke meinen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw., ohne die ich nicht hier und auch nicht da wäre. Ich danke dem Verlag, der mich druckt und der sogar versucht, meine Bücher zu verkaufen. Ich danke meiner Lektorin Gabriele Reinhold, die nach Peter Paul Zahl nun schon den zweiten Glauser-Preisträger unter ihren Autoren hat. Wie ich hörte, rechnen sich ihre anderen Autoren bereits aus, in welchem Jahr sie an der Reihe sind.

Auch anderen gebührt Dank. Zum Beispiel der Schule. Den Deutschlehrern gelang es zwar, mir die Schulpflichtliteratur zu verleiden, doch stand nicht ein einziger Krimi auf dem Lehrplan, also blieb mein Verhältnis zum Genre unge­trübt.

Mein Dank gilt dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokra­tischen Republik. 1980 verhinderte es gemeinsam mit dem potentiellen Verlag die Veröffentlichung meines ersten Bu­ches, und das war gut, denn der Roman war schlecht und, noch schlimmer, genrefrei und autobiographisch. Wäre der Roman damals erschienen, dann wäre ich ein 08/15-Gegenwartsautor und müßte Bücher schreiben, die ich heute nicht mal lesen mag.

Mit folgendem Zitat scheine ich Richard Hey zu widersprechen, was ich ungern mache, weil ich meine, daß er mit jedem Wort recht hat, und weil ich ihn schät­ze. Er gehörte zu den Autoren, von denen ich lernte, daß der Krimi der Gesell­schaftsroman unserer Zeit sein kann. Wenn er sagt, daß die Literatur der Wirk­lichkeit hinterherhinkt, dann ist das nicht falsch, doch stimmt meiner Meinung nach auch das Gegenteil: Es gibt Bücher, in denen vorausgedacht ist, was ge­schieht oder geschehen wird. Die MAZ fragte mich: "Ist der Krimi eigentlich noch ein zeitgemäßes Genre, wo doch die Wirklichkeit die Literatur längst überholt?" Meine Antwort: "Umgekehrt - es geschieht zuweilen, daß der Krimi von der Wirklichkeit eingeholt wird. Wenn man an einen Krimi mehr Ansprü­che stellt als das Rätselspiel um einen Täter, wenn man findet, jede Art von Literatur sollte sich mit Wirklichkeit befassen, dann frage ich mich eher, wie man noch irgend etwas anderes schreiben kann als Kriminalromane."

Zurück zum Dank. Meine Ehrenschuld beim MfS habe ich bereits 1994 abgetra­gen, im Roman "Der blanke Wahn", in dem ein alter Stasimann dem Helden uneigennützig hilft, die Stasi also endlich als der Wohltäterverein dargestellt wird, der sie war. Am Rande: Am Morgen des Tages, als ich nach Jever fuhr, fand ich im Briefkasten einen Brief meines alten Verlages, in dem mir die Ver­ramschung dieses Buches angekündigt wurde. Gutes Timing und cleveres Marketing.

Mein besonderer Dank gilt der Partei- und Staatsführung der DDR, den Grenz­soldaten, den Kampfgruppen der Arbeiterklasse und den Maurern. Der Krimi­nalroman, zumindest die Sorte, die zu lesen und schreiben ich bevorzuge, ist auch Regionalliteratur. Dank der Fürsorge der soeben Benannten hatte ich die Chance, eine bestimmte, eng und sicher begrenzte Region hinreichend genau kennenzulernen. Das bewahrte mich davor, sterile Rätsel zu konstruieren.

Mit Regionalliteratur meine ich die Genauigkeit des Milieus und der Personna­ge, nicht Provinzialismus. Ich meine nicht, daß sie nur innerhalb der beschrie­benen Region gelesen werden sollte. Schließlich lesen wir auch die New Yorker und Stockholmer und Londoner Regionalkrimis. Warum also die dortigen Regionsbewohner nicht auch uns? Oder doch wenigstens die Kölner einen Berliner und die Dresdner einen Jeverschen Krimi? Wir haben uns im Syndikat zusammengeschlossen - nicht nur, um uns gegenseitig Mut in der Dunkelheit reduzierter Beachtung zuzusprechen, sondern auch, um dem deutsch-sprachi­gen Kriminalroman zum Durchbruch zu verhelfen. Der Durchbruch steht noch aus, aber der Vormarsch ist nicht mehr aufzuhalten.

Es bleibt der Dank an die Jury. Genaugenommen schreibe ich darüber, wie es mir gerade geht. Es gibt mir Auftrieb, zu erfahren, daß zumindest die Juroren sich für meine Befindlichkeit interessieren. Allerdings, das will ich nicht ver­schweigen, stellen sie mich vor ein unvorhergesehenes Problem. Der dritte Band Parr sollte, wie es sich gehört, finster ausgehen. Jetzt, da es mir besser geht, muß ich ihn wohl happy enden lassen. Beschwerden darüber bitte an die Jury.

gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever.

 

Laudatio auf Richard Hey
anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser 1997

 

Regula Venske

Laudatio auf Richard Hey anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser 1997

Lieber Richard Hey, liebe Kolleginnen und Kollegen ...

Als ich mich in der Vorbereitung auf unsere Jury-Sitzung in Richard Heys Oeuvre einlas, traf es mich unvorbereitet und mit voller Wucht - nun, ich will nicht gerade sagen: daß der sogenannte deutsche Frauenkrimi von einem Mann erfunden wurde - aber: daß Richard Hey mit seiner Kriminalkommissarin Katharina Ledermacher bereits in den siebziger Jahren eine würdige Vorgängerin für die später nachfolgenden Heldinnen erfand.

Es war diesem Autor nicht unbedingt in die Wiege gelegt, einmal für sein Lebenswerk mit dem Ehren-Glauser “für seine Verdienste um den deutschsprachigen Kriminalroman” ausgezeichnet zu werden. In den “was Dramatiker angeht: dürren fünfziger, beginnenden sechziger Jahren“ war Richard Hey (laut Theater heute) als Dramatiker “eine Hoffnung”. Die Hoffnung aber, die er für das deutsche Drama weckte, hat er als Verfasser von ungezählten Hör- und Fernsehspielen und schließlich im Kriminalroman erfüllt - vielleicht eingedenk der Vorstellung, daß auch Shakespeare, hätte er heute gelebt, für Funk und Fernsehen geschrieben hätte; Kriminalgeschichten allemal.

So reiht sich der Ehren-Glauser in eine interessant gemischte Liste von Literaturpreisen ein, mit denen Richard Hey bislang ausgezeichnet wurde, und setzt diese würdig fort: 1955 die Fördergabe des Schiller-Gedächtnispreises des Landes Baden-Württemberg für sein zweites Theaterstück Thymian und Drachentod (das erste hieß übrigens, vielleicht durchaus programmatisch fürs Gesamtwerk: Revolutionäre und wurde 1953 uraufgeführt); 1960 den Gerhart-Hauptmann-Preis der Freien Volksbühne Berlin; 1964 den Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Hörspiel Nachtprogramm, schließlich 1983 den Kurd-Laßwitz-Preis für den Science-fiction-Roman Im Jahr 95 nach Hiroshima.

Auch in seinen Theaterstücken ging es Richard Hey - so etwa im drittem Stück mit dem schönen, bereits auf Kriminalistisches anspielenden Titel Der Fisch mit dem goldenen Dolch, 1958 uraufgeführt - bereits um eine kritische Sicht auf einen verantwortungslosen, zynischen Journalismus, um Parteienproporz und Bürokratismus. Man erkennt also in den Inhalten, mit denen sich Hey früh befaßte, eine Kontinuität bis hin zu seinen Kriminalromanen, die wir heute besonders würdigen wollen. Es sind vier an der Zahl: Ein Mord am Lietzensee, 1973 - wie auch die anderen - in der von Richard Hey mitbegründeten AutorenEdition erschienen, Engelmacher & Co.  aus dem Jahr 1975, Ohne Geld singt der Blinde nicht von 1980 und schließlich Feuer unter den Füßen, ein Roman, 1981 erschienen, in dem Hey Motive seines Drehbuchs zu dem Fernsehfilm Der Mann auf dem Hochsitz - 1978 in der ARD gelaufen - verwendete.

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Hier agierte nicht mehr Katharina Ledermacher, die ja zum Entsetzen des Publikums am Ende des 3. Krimis ihren Dienst als West-Berliner Oberkommissarin quittierte, sondern ihre schwäbische Kollegin Marianne Buchmüller, von der am Ende des Romans allerdings zu hoffen stand, daß sie in die Fußstapfen der Ledermacherin treten würde.

Die zeitgenössischen Rezensenten wurden nicht müde, Heys Rang unter den “wenigen ernstzunehmenden deutschsprachigen Krimiautoren” zu betonen ...; kein Geringerer als Walter Jens etwa würdigte das “Auf-denKopf-Stellen traditioneller Kriminalroman-Muster in Form einer vordergründig spannenden und hintergründig reißerischen Geschichte”.

Auch heute noch, da die Konkurrenz um einiges größer geworden ist, quantitativ und qualitativ, nicht zuletzt durch eine ganze Phalanx weiblicher Kommissare und Ermittlerinnen, auch heute behauptet die Ledermacherin, und mit ihr Richard Hey, noch und erst recht diesen Rang. Die gesellschaftlichen Probleme, die sich ihr vor rund zwanzig jahren stellten, existieren immer noch und in verschärfter Form: Immobilienspekulationen und -pleiten, Jugendgewalt und sogenannte “Altenfallen”, Drogenhandel und Fremdenhaß, die Bedrohung durch eine Mafia, die nicht erst importiert zu werden braucht, weil die Gesellschaft sie schon selber produziert usw. Und nach wie vor macht die Ledermacherin bei der Lösung der Fälle eine gute Figur: eine unkonventionelle, interessante und glaubwürdige Erscheinung, deren politisches Bewußtsein und deren Sensibilität beeindrucken. Oder, genauer gesagt: die Sensibilität, mit der ihr Autor sie wahrnimmt und entfaltet, beeindruckt. ...

Das Markenzeichen ihres Schöpfers Richard Hey ist ein Generationen und Geschlechter übergreifender Humanismus, ein Humanismus, so möchte ich sagen, der Bildung, des Stils und der politischen Moral. Er habe sich für eine weibliche Hauptfigur entschieden, weil er mit ihr “eine genaue, empfindliche Beschreibung der Opfer” besser leisten zu können glaubte, gab Richard Hey auf einer VS-Tagung 1977 zu Protokoll; sicher ein besserer Grund für eine solche Wahl als das Schielen auf das vordergründig Erfolg heischende und scheinbar Marktgängige, das man heute - bei manch einem jüngeren, auch männlichen Kollegen - antreffen kann.

Kein Lorbeer für Angelo hieß eines der frühesten Hörspiele von Richard Hey. Bevor es nun heute abend Lorbeer für Richard gibt, möchte ich noch eine Bitte äußern: Im Jahr 95 nach Hiroshima finden wir Katharina Ledermachers Grabstein auf einem Friedhof in Fuertoventura. Darauf stehen ihre Lebensdaten: 1935-2002. Ein paar Jährchen lang könnte sie also noch jede Menge Fälle lösen. Lieber Richard Hey - wie wär’s?

gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever
    

Richard Hey

Rede anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser-Preises, Jever 31.5.97

Mich freut es sehr, einen Preis von Kollegen zu bekommen. Und eine Ehre ist es natürlich, bei aller Lotterie, die zur Preisvergabe gehört. Ich denke, auch Irene Rodrian oder Michael Molsner hätten den Ehren-Glauser nach Hause tragen können. Die haben viel mehr Kriminalromane geschrieben als ich, und gewiß keine schlechteren. Damit möchte ich nicht die Weisheit der Jury in Frage stellen, oh nein! Sondern eher eine gewisse Verlegenheit zugeben. Denn ich habe mich ja, Kriminalromane schreibend, immer mehr vom Krimi entfernt, vom “einfachen, eindimensionalen” Krimi, wie ich ihn ohne Überheblichkeit nennen möchte. Dieser Krimi ist wichtig, er hat sein Publikum: Leute, die abends, zermürbt von den Problemen des Tages, ins Bett kriechen, voller Furcht, keinen Schlaf zu finden. Die dann aber, mit Hilfe einer spannenden Geschichte, die sie nichts angeht - jemand wird ermordet, jemand wird verdächtigt, jemand wird verfolgt, Grausiges häuft sich - eine ruhige Nacht haben. Krimis als Problemverjager, als Schlafhilfe. Von Anfang an fühlte ich mich nicht in der Lage, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Im Gegenteil. Ich wollte den Lesern mit Problemen kommen, die sie, hoffte ich, was angingen. Ich wollte ihnen nicht zum Schlaf verhelfen, sondern zu - wenn auch nur sehr vorübergehender - Wachheit. Ja, das alte Aufklärungsspiel, das wollte ich spielen. Deshalb beulte ich die Form des Kriminalromans aus, von Roman zu Roman, und je sicherer ich wurde, ein bißchen mehr. Übrigens stelle ich mit Vergnügen fest, daß auch Regula Venske und Hartmut Mechtel, (deren letzte Romane ich sofort gelesen habe, als ich hörte, ich kriege diesen Preis) mit Ausbeulen beschäftigt sind, ebenso P.M.Carlson, der ich gestern zuhörte, und wahrscheinlich die meisten von Ihnen. Nach einiger Zeit merkt man allerdings, das Ausbeulen genügt nicht, führt nicht weiter. Entweder man muß zurück zum eindimensionalen Krimi. Oder man muß was anderes versuchen. Ich versuchte was anderes, schrieb Nicht-Krimi-Romane, die ich dann in Richtung Krimi ausbeulte. Irgendwann kam ich dahinter, daß ein bedeutender Teil der Weltliteratur aus genau solchen Produkten besteht. Sie werden mich nicht mißverstehen. Ich sage ja nicht, daß ich, mit meinen kümmerlichen Auflagen, Weltliteratur mache. Ich sage lediglich, daß ich auf einem Gebiet zu arbeiten versuche, das mir gute Literatur möglich machen könnte. Nur, im deutschen Sprachraum gibt es auf diesem Gebiet allenfalls Ausnahmen, keine Tradition.

Woran liegt’s?

Vor einiger Zeit, ich weiß nicht mehr wann und bei welcher Gelegenheit, habe ich eine Antwort versucht. Daß nämlich die gescheiterten Revolutionen der Deutschen die Ursache sind. Als nämlich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Studenten, Lehrer, Professoren begriffen, daß aller Kampf um die Veränderung der Verhältnisse vergeblich gewesen war, transportierten sie ihr Träume in die Literatur. Dort sollte das Erhabene, das Schöne, das Gute und Gerechte Wirklichkeit werden, dort sollte leben, was Kanonen zusammenkartätscht hatten. Freilich mußte auch das ungebildete gemeine Volk zugleich mit banaler Zerstreuung bdeient werden. So entstand U- und E-Literatur als Gegensatz (in den angelsächsischen Sprachen, beispielsweise, gibt es den nicht), und wir müssen uns in der E-Literatur mit einem erheblichen Anteil von metaphysischer Erwartung herumplagen. Dem wollte ich von Anfang an entgehen. Deshalb begann ich mit Kriminalromanen. Und hörte gleich von einem E-Kritiker, den ich, egal ob er gerecht oder ungerecht urteilt, wegen seiner Kenntnisse und Leidenschaftlichkeit schätze, von Marcel Reich-Ranicki nämlich: Lieber Hey, Ihre Sachen lese ich nicht, weil ich nie Kriminalromane lese. Das war vor 25 Jahren. Aus solcher Voreingenommenheit sind wir inzwischen heraus - dank der Bemühungen einiger anderer Literaturkritiker und -professoren. Nicht zuletzt auch durch die Tätigkeit der Ehrenwerten Gesellschaft. Aber die Spaltung von U- und E-Literatur existiert, wenn auch gemildert, weiterhin. Und es bleibt weiterhin die Frage, warum wir sie bisher nicht überwinden konnten.

Heute denke ich, mein erster Anwortversuch war, wenn auch nicht falsch, so doch nicht konsequent genug. Seit jeher haben bei uns, trotz aller bedrohlichen Metaphysik, jüdische Dichter und Schriftsteller U und E aufs Leichteste und Eleganteste verbunden. Sie sind von unseren Großvätern und Vätern ermordet oder vertrieben worden. Jetzt fehlen sie und ihre Nachfahren der deutschen Literatur. So einfach ist das. Und so verheerend zugleich. Wenn ich eine Frau nachts einen Brief in einen Berliner Briefkasten werfen lasse, so kann das, bestenfalls, gut erzählt sein. Läßt Philip Roth jemanden in New York einen Brief in einen Kasten werfen, so ist es große Literatur. Sie merken, ich übertreibe. Aber, sagte Heinrich Böll mal, wenn ich nicht übertreibe, bin ich nicht realistisch und keiner hört mir zu. Dort, wo jüdische und nichtjüdische Schriftsteller unter gleichen gesellschaftlichen Bedingungen arbeiten, entsteht ein Klima, das beide weiterbringt. Und genau dieses Klima gibt es nicht mehr bei uns. Wir können nur hoffen, daß es wieder möglich wird.

Denn - und damit komme ich zum Schluß - der ausbeulende Krimi-Autor heute ist jemand, der sich auf unsicherem Boden bewegt. Er betreibt, so habe ichs mal gelesen, Geschichtsschreibung von unten. Aber die Geschichtsklitterung von oben, durch die Nachrichten in Zeitungen und elektronischen Medien, ist stärker. Und nicht nur die Klitterung. Was immer dem Autor Neues einfällt - in der Wirklichkeit ist es längst da. Da gehts zu wie im Wettlauf zwischen Hase und Igel. Der Autor kommt immer zu spät. Nehmen Sie zum Beispiel das Buch von Jan Philipp Reemtsma IM KELLER. Ich glaube nicht, daß ich mich irre, wenn ich behaupte, keiner von uns hier in diesem Saal hätte Entführung und Erpressung so beschreiben, so analysieren können. Ganz zu schweigen von den großen Verbrechen, die zum Alltag dieses Planeten gehören. Wie könnten wir, weiteres Beispiel, auch nur ansatzweise die Verbindung von kollektiver Feigheit und Geschäftsgier der sogenannten Freien Welt als Reaktion auf die nun seit acht Jahren andauernden Morddrohungen, denen unser Kollege Rushdie ausgesetzt ist, wie seine physische Situation deutlich machen.

Aber ich sehe schon, ich bin dabei, auch dieses Dankesworte unziemlich auszubeulen. Die Kunst des feinen Übergangs zu einem eleganten Schlußsatz wird mir jedoch, fürchte ich, nicht gelingen. So bleibt mir nur, zu hoffen, Sie nehmen meine Beulen mit Nachsicht hin. Ich danke fürs Zuhören.

gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever


Veröffentlicht in Secret Service Nr 86 , Juni 1997
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