31.12.08

Suanne Mischke: Wölfe und Lämmer

Mehr als nur Land-Idylle

Vier Menschen auf einem ausgebauten Bauernhof im Norddeutschen. Zwei Pärchen, alte Freunde, beautiful people allesamt: hier hat sich das klassische Bürgertum unserer Tage versammelt: Robin, der verhinderte Schriftsteller mit seiner Freundin Klara, die heimlich Wölfe züchtet, um sie dann ebenso heimlich für eine mysteriöse Tierschutzorganisation in deutschen Wäldern auszuwildern.
Barbara, die ihre Erfüllung als Lebensabschnittsgefährtin von Hannes findet, dem Fernsehrichter, der unter der Woche in Hamburg zu tun hat und sich da die eine oder andere erotische Abwechslung gönnt.

Idylle also, vordergründig, brüchig. Idylle, die von dem kleinsten Windstoß in Unordnung gebracht werden kann. Wie zum Beispiel von Nasrin, der jungen Türkin, die Barbara über den Weg läuft und behauptet, sie noch aus ihrer Zeit als Kindergärtnerin zu kennen. Als typischer Gutmensch hilft Barbara Nasrin natürlich, weil diese sich angeblich vor ihrer Familie verstecken muss.
Ist es Zufall, dass zur gleichen Zeit eine Journalistin heftig gegen Barbaras Gefährtin Hannes schießt? Der Pappa Gnädig des Fernsehgerichtes soll sich noch zu seiner Zeit als echter Richter mit harten Urteilen gegen ausländische Jugendliche als rechter Populist profiliert haben.

Erst einmal in Unordnung geraten, kann die Idylle nicht mehr länger aufrechterhalten werden, schon gar nicht, als plötzlich eines Nachts auf dem Hof ein Schuss fällt und ein Toter vor der Tür liegt. Wir Leser wissen, dass es der Liebhaber der Wolfsfreundin Klara ist, aber wir wissen nicht genau, ob es wirklich Robin war, der ihn erschossen hat.

Vier Leute und eine Leiche - damit beginnt dann in Susanne Mischkes Roman die Kriminalgeschichte etwas ins Absurde abzudrehen. Denn wie soll man so ohne weiteres glauben, dass die vier sich kaltblütig entschließen, den Toten verschwinden zu lassen - indem sie ihn einfach den Schweinen zum Fraß vorwerfen? Der Thriller wird zur Farce - und die reißt letzendlich allen Beteiligten am Landleben die Maske der Bürgerlichkeit vom Gesicht.

Susanne Mischke
Wölfe und Lämmer
Piper 4236

16.12.08

Silvia Roth: Querschläger

Ein Fall für Kommissar Henrik Verhoeven und Kommissarin Winnie Heller.

Wiesbaden, 18 September, Vormittags. Ein maskierter junger Mann betritt das Clemens Brentano Gymnasium. Er hat eine Gewehr dabei und eine automatische Pistole, eine Glock. Er hat sich vorgenommen, ein Blutbad anzurichten - und am Ende ungeschoren davonzukommen. Er will die Polizei glauben machen, ein Mitschüler sei der Attentäter gewesen. Ein Mitschüler, den er in die alte Turnhalle bestellt hat, wo er ihn zwingen wird, mit ihm die Kleidung zu tauschen, um dann einen Selbstmord zu fingieren.
Soweit, so dramatisch ist der erste Höhepunkt in dem Thriller QUERSCHLÄGER von Silvia Roth.

Doch die Autorin zieht den Fall nicht so sehr am Spektakulären auf - sie vergräbt sich nicht in Ursachenforschung, versucht nicht, den Motiven von schulischen Amokäufern nachzuspüren, sondern konzentriert sich im folgenden auf ihre beiden Hauptfiguren, die den Kommissar Henrik Verhoeven und seine junge Kollegin Winnie Heller von der Wiesbadener Kripo, die die SOKO zum Fall Brentano-Gymnasium leiten. Was es bei einem Amoklauf noch aufzuklären gibt, scheint recht übersichtlich - bis sich die Hinweise immer weiter verdichten, dass neben dem Amokläufer noch ein zweiter Täter in der Schule gewesen ist, der nicht nur den Schüler entsprechend manipuliert hat, sondern sich aich dessen Wahnsinnstat für siene eigenen Zwecke nutzbar gemacht hat.

Silvia Roth ist eine neue Stimme in der deutschen Krimiszene - QUERSCHLÄGER ist ihr zweiter Roman mit den Kommissaren Verhoeven und Heller: ein packender, souverän erzählter Unterhaltungsroman.

Silvia Roth
Querschläger
Hoffmann und Campe
Hardcover

15.12.08

Nicci French: Bis zum bitteren Ende

Es geht ganz schnell, so ein Unfall mit dem Fahrrad. Astrid Bell ist Fahradkurierin in London, und sie erlebt es am eigenen Leib. Als die nach der Arbeit heimkommt in die Maitland Road, wo sie mit Freunden in einer WG lebt, passiert es: einen Moment nicht aufepasst, eine Autotür geht auf und Astrid macht den Abflug.

Zum Glück ist ist nicht viel passiert, die Autobesitzerin ist eine Nachbarin, die sich sofort wortreich entschuldigt. Alles nochmal gutgegangen. Denkt Astrid. Bis die Nachbarin zwei Tage später ermordet aufgefunden wird.

Die Polizei nimmt Astrid und ihre Mitbewohner aus der WG unter die Lupe, findet aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die etwas mit dem Tod der Frau zu zun haben. Alles noch mal gutgegangen.
Könnte man denken.

Doch soll Astrid als Kurierin bei einer Kunden in einem der besseren Bezirke der London ein Päckchen abholen. Die Kundin macht nicht auf - Astrid schöpft Verdacht und findet die Frau: tot, ermordet, verstümmelt.
Das ist kein Zufall mehr, das denkt sich auch die die Polizei. Genau wie Astrid meint man, dass der Täter wohl unter den Mitbewohnern von Astrid WG in der Maitland Road zu suchen ist.

-Miles, der Vermieter, der mal mit Astrid zusammen war und jetzt Leah heiraten will.
-Owen, der cooole Fotograf.
-Davy, der Mitläufer, der bloß icht anecken möchte.
-Pippa, die die Männer nimmt wie sie kommen und jede Menge Spaß auf ihrer Bude hat.
-Mick, der große Schweiger und
-Mel, die Anwältin.

Allesamt eine Gruppe von Twenty- und Thrirty-Sometings, aus denen man ein Generationsportrait zeichnen könnte - was man aber in einem Krimi nicht unebdingt muss. Es bleibt, so scheint es, also bei der Geschichte von Astrid, die von ihr selbst erzählt wird: Wie die WG-Bewohner mit den Morden fertig werden, was es für Eifersüchteleien wegen der verschiedenen Bettgeschichten gibt und und vor allem: wie man mit der Kündigung umgeht, die Hausbesitzer Miles ausspricht: Alle sollen ausziehen, weil er mit Leah dort allein wohnen möchte. Ja - the times are a-changing.
Und dann passiert noch ein Mord.

Und plötzlich wird alles ganz anders, mit einem erzählerischem Kniff bringt das Autorenteam Nicci French schlagartig neue Spannung in ihre erzählte Kriminalgeschichte.

Wieder einmal versierte Spannung von Nicci French. Lebensnah und mit viel Sympathie für die verschiedenen Personen erzählt.

Nicci French
Bis zum bitteren Ende
C. Bertelsmann

14.12.08

Wolfgang Schorlau: Brennende Kälte

Georg Dengler ist Wolfgang Schorlaus Serienheld - ein ehemaliger BKA-Zielfahnder, der jetzt in Stuttgart als Privatdetektiv arbeitet, gerne gut isst und auch gerne mit seiner Freundin Olga, eine Taschendiebin, zusammen ist.

Soweit, so klassisch. Denglers Fälle haben allerdings wenig mit dem Private-Eye-Mythos zu tun - es sind immer Expeditionen in die Porblemfelder unseres Staates und unserer Gesellschaft, Denglers Fälle sind - so sagt man jedenfalls - Politthrillers.

Dabei fängt diesmal wirklich alles wie in einem klassischen Privatdetektivroman an: Sarah Singer will, dass Dengler ihren Mann sucht. Der war als Berufssoldat mit der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt und zeigte sich nach seiner Rückkehr seltsam verändert, aggressiv. „Mein Mann ist krank und gefährlich.", sagt Sarah Singer.

Dengler setzt sich auf die Fährte des verschwundenen Soldaten - und auch auf eine Spur aus seiner Vergangenheit: Denn er ist sich sicher, dass er Sarahs Mann von früher kennt, aus Kindertagen, als sie beide im Dorf, in dem sie aufwuchsen, miteinander gespielt haben.
Doch bevor er dieses alte Geheimnis lösen kann, bekommt er es mit den aktuellen Dimensionen des Falles des Soldaten Singer zu tun.

Steckt er hinter den mysteriösen Toten, die bald in der Umgebung von Stuttgart auftauchen: Menschen, die innerlich verbrannt zu sein scheinen? Haben sie etwas mit einer neuartigen Mikrowellenwaffe zu tun die die Amerikaner in Afghanistan testen, und für die ein deutscher Waffenkonzern einen Entwicklungsauftrag bekommen möchte? Mit allen Mitteln?

Think global, act local: Schorlau zeigt, wie sich die weltpolitische Thriller-Intrige auch auf die deutsche Provinz auswirkt.

Wolfgang Schorlau
Brennende Kälte
KiWi Taschenbuch

13.12.08

Nina Kramer Ein Leben ohne mich

Thrillerthema Embryonenhandel: Das Geheimnis der Schneeflocken

Schwer verletzt, mit verbrannten Fingerkuppen, die Haare rasiert, bewusstlos. So wird eine Frau in Schweden gefunden. Sie heißt Romy Cohen, aber das weiß sie nicht - sie hat ihr Gedächtnis verloren. Und damit auch ihre Gefühle, die Fähigkeit zur Empathie, zu Mitleid, Hass, Freude, Liebe. Nur ihre Instinkte sind noch intakt: Reaktionsschnell ist sie, extrem schlagkräftig und hochintelligent.

Der Mann, der sie nach Hamburg zurückholt sitzt im Rollstuhl - und sie muss ihm glauben, was er ihr sagt: dass er Journalist ist und sie Rechercheurin bei ihm war, für eine Story über Embryonenhandel Material zusammengetragen hat. Dabei ist sie offenbar auf etwas gestoßen, was einigen Leuten nicht in ihre Pläne passt. Etwa dem norddeutschen Neonazi Sieger und seinem "Nordischen Kreis", in dem die Gedanken der Eugenik und Rassenforschung des Dritten Reiches am Leben erhalten werden. Oder einigen Ärzten, die Frauen gegen viel Geld zu künstlich erzeugten Schwangerschaften verhelfen.
Mit all diesen Zeitgenossen bekommt es Romy Cohen jetzt bei der Suche nach sich selbst erneut zu tun, und das ist nicht ungefährlich.

Was sie - und auch die Autorin dieses Thrillers - aber neben aller Identitätssuche am meisten beschäftigt, ist die Frage: Was ist Leben, was macht es einzigartig. Und: darf der Mensch überhaupt dieses Leben mit Samenspenden, gehandelten Embroynen oder Leihmuttermutterschaften manipulieren?
Dabei kommt Romy Cohen dem Geheimnis der "Schneeflocken" auf die Spur, den "schlafenden Seelen" der Embryonenkinder, die in den Tiefkühlschränken der Mediziner darauf warten, leben zu dürfen.

Nina Kramer setzt in ihrem "Ein Leben ohne mich" ihre hochemotionale Heldin in eine thrillerschnelle Krimi-Geschichte mit viel Nachdenklichem und Nachdenkenswertem zum Thema Reproduktionsmedizin. Das ist eine gewagte Mischung, aber sie funktioniert ganz ausgezeichnet, gerade weil hier eine Autorin das Genre "Krimi" nicht nur als reine Spannungsmaschine versteht, sondern als wirklichen Roman, als Platz für eine Geschichte. von Menschen und ihren Schicksalen.

Nina Kramer:
Ein Leben ohne mich,
Pendragon
Erschienen im Juni 2008

12.12.08

Ulrich Magnus Hammer: Die Akte Serkassow

Mord mit Polonium:
Ungewöhnlicher Spionageroman

Wir erinnern uns noch an den Tod des russischen Ex-Geheimdienstler und Journalisten Litwinenko, der im Jahr 2006 in London an einer Vergiftung mit Polonium 210 starb - ein Vorfall, der alle Züge eines Geheimdienstthrillers trug: Musste Litwinenko sterben, weil er Wladimir Putin gefährlich werden konnte? Steckte der KGB-Nachfolgedienst FSB hinter dem Anschlag mit dem ebenso gefährlichen wie seltenen und teurem Polonium? Oder war es eine über die Bande gespielte Intrige, mit der der russische Staatschef diskreditiert werden sollte?

Jetzt gibt es einen Geheimdiensthriller, der genau dieses Szenarium aufgreift: Die "Akte Serkassow" von Ulrich Magnus Hammer nimmt den Fall Litwinenko als Vorbild für eine extrem spannende Polit- und Geheimdienststory aus der Gegenwart. Das Besondere an diesem fulminanten Debütroman des bildenden Künstlers und Musikers Ulrich Magnus Hammer: Es handelt sich um einen Dokumentenroman. Will sagen: alles, was wir zu lesen bekommen, sind Berichte, Protokolle, Zeitungsmeldungen etc, die erst in der Montage den Blick auf die spannende Geschichte freigeben.

Im Mittelpunkt steht "Dostojewski" - eine Art privater Agent, offenbar ehemaliger Stasi-Mann - der von einem mysteriösen "Puschkin" beauftragt wird, die Hintergründe eines Anschlages auf den russischen Dissidenten und Journalisten Serkassow aufzudecken.
Serkassow - er lebte unter der Deck-Identität eines Künstlers in Deutschland - war nach London geflogen, um sich mit einigen Leuten zu treffen, die ihm offenbar geheime Informationen über die Machenschaften des russischen Präsidenten Romanow zuspielen wollten.
Als Serkassow dann in Berlin aus dem Flugzeug stieg, war er mit Polonium 210 vergiftet - und stirbt nach kurzer Qual in der Charité. Währenddessen wirft "Dostojewski" im Auftrag von Puschkin sein Netz aus, um alle Informationen abzufischen - er erpresst, er betrügt, er bezahlt, er ist bei seinem Job ungeheuer effektiv. Ein Roman, der mit seiner ungewöhnlichen Form seine Geschichte noch spannender erzählt als sie es ohnehin schon ist. Man muss dieses "Dossier" nur aufmerksam lesen, um den Zusammenhang zwischen den Dokumenten und der Wirklichkeit im neuen Russland zu erkennen.

Ulrich Magnus Hammer:
Die Akte Serkassow
Fredebold und Fischer
Hardcover.

11.12.08

Schicksale hinter den Pragrafen

Deutsche Anwaltskrimis abseits der Gerichtssal-Dramatik

Wenn Anwälte Krimis schreiben, dann geht’s wie bei Scott Turow ums große Ganze im Gerichtssaal oder wie bei John Grisham ums intrigante Klein-Klein in amerikanischen Großkanzleien.
Einspruch. Es geht auch anders.

Beweisantrag Nummer Eins: Klaus Erfmeyer, Anwalt aus Dortmund, hat seinen verdrucksten Helden Stephan Knobel in bislang zwei Romanen bis zum Sozius einer mittelständischen Dortmunder Kanzlei hochgeschrieben - und dabei in der Gegenbewegung Knobels Ehe derart hoffnungslos zerrüttet, sodass nun im dritten Band die Scheidung ansteht.
In "Geldmarie" verschwindet Knobels Freundin (und Scheidungsgrund) Marie nach einem Besuch bei ihrem Germanistik-Professor. Schwierig wird die Suche nach ihr, weil der Professor tot ist und die Polizei nicht so recht an einen plötzlichen Herzinfarkt glauben will. Der Fall schmiedet Knobel mit einem Ekelpaket von Kollegen zusammen und entwickelt sich abseits aller Juristerei zu einem Psycho-Thriller voller menschlicher Tragik.

Beweisantrag Nummer Zwei für ungewöhnliche deutsche Juristen-Krimis führt ins Weser-Elbe-Dreieck, da wo das Land flach und die Menschen bodenständig sind. Hier hat der Anwalt Wilfried Eggers seinen literarisches alter ego Peter Schlüter angesiedelt. Man kann sich diesen Kleinstadtanwalt so richtig vorstellen, ein Anfangsvierziger, der sich mit den Verhältnissen am Amtsgericht arrangiert hat, ein bisschen gefrustet, ein bisschen resigniert, ein bisschen angepasst. Und ausgerechnet er - "keine Asylsachen, kein Ausländerrecht, keine Strafprozesse" - bekommt es gleich mit zwei Fällen zu tun, die ihn am Ende bis tief nach Anatolien führen, wo die Menschen unter dem titelgebenden "Paragraf 301" ("Beleidigung der türkischen Nation") des türkischen Gesetzbuches mehr leiden als leben.

Da ist einmal Emin Gül, dessen Auslieferung in die Türkei Schlüter abwenden soll - weil Gül dort angeblich wegen seiner Beteiligung an einem Pogrom gegen Aleviten verfolgt wird. Auf der anderen Seite gerät Schlüter auch an denFall von Heyder Cengi, einem Türken alevitischen Glaubens, der wegen - sagen wir mal "fahrlässiger Tötung" - gesucht wird und dem Verurteilung die Abschiebung droht. Zwei Fälle, die zu Fixpunkten in diesem ungewöhnlichen Anwaltskrimi werden, der angenehm breit und bunt erzählt ist, ganz ohne Gerichtssaal-Duelle, dafür mit viel norddeutscher und türkischer Atmosphäre, in die immer wieder kleine, beeindruckende Charakterstudien eingewebt sind, die diesen Krimi abseits seiner aufklärerischen Anlage auch zu einem großen Menschenbuch machen.

Klaus Erfmeyer:
Geldmarie
Gmeiner

Wilfried Eggers
Paragraf 301
Grafit Hardcover

10.12.08

Philipp Moog: Lebenslänglich

Serienmörder - weichgespült: Killer in der Lebensfalle

Von Reinhard Jahn

Er ist nicht wie der smarte Nihilist Tom Ripley, er ist auch nicht wie der blutrünstige Yuppie-Killer Patrick Bateman aus dem "American Psycho" von Bret Easton Ellis. Der Mörder, über den der Schauspieler Philipp Moog in seinem Debütroman "Lebenslänglich" schreibt, ist ein kleiner Münchner Bankkassierer.
Ein Nichts, eine Null, einer, den man nicht zur Kenntnis nimmt.
Ein kleiner Angestellter, der im Aquarium seiner verglasten Kassenbox sein kleines, unbedeutendes Leben lebt.
Der gefangen ist in einem unansehnlichen Körper: "Meine Oberschenkel reiben stoßend aneinander, mein Bauch versucht meinen Körper mit kreisenden Bewegungen aus dem Gleichgewicht zu bringen, während meine Hängetitten ihren ganz eigenen Rhythmus gefunden haben und mir abwechselnd auf die Wampe klatschen. Ich möchte das nicht in Zeitlupe sehen."

In seinem Tagebuch - das wir lesen - offenbart sich sein ganzes Leiden an seiner verhassten Existenz, dem Leiden daran, nicht wahrgenommen zu werden.
Zugleich ist dieser Tagebuch-Krimi auch ein messerscharfes Protokoll, wie sich dieses kleine Nichts in seiner Welt aus Selbstekel und Selbsttäuschung verläuft und alles schließlich in einer Serie von Morden endet.

Denn unser Held von der traurigen Gestalt glaubt, er könne die Zuneigung seiner beiden in aller Heimlichkeit verehrten Kolleginnen Daphne und Yvonne gewinnen, indem er sie einfach von ihren sportlich-gestählten Liebhabern befreit. Gedacht, getan - ein kleiner Stoß im richtigen Moment oder ein Stich mit der Fonduegabel in den richtigen Körperteil - und schon wähnt sich der kleine Kassierer den beiden Angebeteten ein Stückchen näher.
Doch weit gefehlt - Daphne und Yvonne haben nicht besseres zu tun, als sich den Ersatz für ihre dahingegangenen Gespielen wieder nur in der Bodybuilder-Liga zu suchen.

Philipp Moog erzählt das tragische Schicksal seines Helden unaufgeregt, lässt seine Hauptfigur aus sich selbst sprechen und drängt sich nicht mit Deutungen seiner Geschichte auf. Das wirkt suggestiv, macht nachfühlbar und nachvollziehbar, wie jemand sich selbst eine Lebensfalle stellen kann. Besonders intensiv teilt sich das in der vom Autor selbst eingelesenen Hörbuchfassung mit - faszinierend, wie Philipp Moog, als Synchronsprecher gelegentlich auch als deutsche Stimme von Orlando Bloom zu hören, da in seine Figur hineinkriecht.

Philipp Moog:
Lebenslänglich
dumont Hardcover

Hörbuch bei PATMOS

9.12.08

Sebastian Fitzek: Der Seelenbrecher

Es ist der 23 Dezember - und wir werden Zeuegn eines Experimentes, das ein Psycho-Professor mit zwei Studenten starte: die jungen Leute bekommen eine "Patientenakte" zu lesen, in der es um die Ereignisse geht, die an einem - Zufall? - 23. Dezember in einer psychiatrischen Klinik in Berlin gegeben hat.

In dieser Akte erzählt ein Patient der Teufelsberg-Klinik. Er heißt Caspar, bzw so nennt er sich, denn mehr weiß er nicht von sich: Mit einer retrograden Anmesie ist er vor ein paar Tagen halb erforen im Schnee vor der Klinik aufgefunden worden.

Und jetzt, am Tag vor Heilig Abend, spitzt sich die Situation in der Klinik zu. Draußen tobt ein Schneesturm wie ihn Berlin noch nicht erlebt hat (und wahrscheinlich auch nie erleben wird), die Notbesatzung der Klinik ist von der Außenwelt abgeschnitten und nach einigen mysteriösen Ereignisse macht sich nicht nur bei Caspar der schreckliche Verdacht breit, dass der SEELENBRECHER in der Klinik ist - ein gewissenloser Serientäter, der bisher drei Frau ins einer Gewalt hatte und sie so quälte, dass sie seither in einer Art Wachkoma liegen.Und es kommt, wie es in einem Thriller, der nach dem Grundmodell von Agatha Christies "Zehn kleinen Negerlein" konstruiert ist, natürlich kommen muss: den ersten Morden in der Klinik folgen weitere, bald verdächtigt jeder jeden und mit jedem Schachzug, den der SEELENBRECHER aus dem Hintergrund macht, wird die Lage für die Überlebenden auswegloser.

Sebastian Fitzek zieht im SEELENBRECHER alle Register des Cliffhanger-Handwerks: Schnelle Schnitte, mysteröse Ereignisse,eine schreckliche Bedrohung und vor allem die gnadenlosen vorwärtsgetriebene Action. Das ist kein normaler Thriller mehr, das ist reiner Spannungs-Rock'n Roll!

Sebastian Fitzek
Der Seelenbrecher
Knaur TB

8.12.08

Peter Abrahams: Gerissen

Ivy Seidel ist Schriftstellerin - oder besser: sie will eine werden. Bis dahin kellnert sie in Verlaine's Bar und deshalb nimmt sie auch den Stellvertreter-Job an, den ihr Kollege Joel ihr zuschustert: den Schreibkurs für Häftlinge in der Haftanstalt DANNAMORA, weit draußen vor der Stadt. Eine fremnde Welt, in die Ivy da eintaucht: Sicherheitskontrollen., die kalte Knastatmosphäre und nicht zuletzt ihr Schreibkurs:
-El Hassam.
-Morales.
-Perkins.
-Balaban.

Balaban überlebt den Kurs nicht, er wird Opfer einer Geföngnisauseinandersetzung. Sowas passiert hier dauernd, sagen die Wachen. Für Balaban kommt Harrow in den Kurs - und der schreibt Geschichten, die.... seltsam sind. Seltsma gut und seltsam wirklich auf einen Überfall bezogen, wegen dem er einsitzt. Die anderen, mit denen er angeblich ein kleines Spielcasino überfallen hat, sind entweder tot oder verschwunden oder im Zeugenschutzprogramm. Und nicht nur die Beteiligten sind verschwunden - die Beute ist auch niemals wieder aufgetaucht.
Ivy will mehr über Harrow wissen und setzt sich auf die Spur des Überfalls. Kann es sein, dass Harrow gar nicht daran beteiligt war? Dass man ihn hingehängt hat, oder zum Sündenbock gemacht hat?

Gradlinig, intensiv, mit Dialogen, die auf den Punkt geschrieben sind. Ein Verwirrspiel, das von Seite zu Seite spannender wird - bis eines feststeht: hier kann man niemandem trauen.

Peter Abrahams
Gerissen
Knaur

7.12.08

John Misto: Des Teufels Stimme

Es ist eine regnerische, stürmische Nacht als Constable Greg Raine und seine Parterin Nikki zum Frauenkloster von St. Michael gerufen werden - ein Einbruch, mehr ist scheinbar nicht passiert.
Doch es gibt einiges, was Greg aufmerksam werden lässt - denn er kennt St. Michael gut - schließlich hat er hier bei Mutter Dominic und ihren Nonnen einen Teil seiner Kindheit verbracht.
Und daran nicht nur die angenehmsten Erinnerungen.

Jetzt fragt sich Greg, ob der Einbruch mit Vandalismus etwas mit dem Verschwinden der dreijährigen Anna Brennan zu tun hat, die hier in St, Michael am Rande des Weihnachtsgottesdienes verschwunden ist. Denn bei den Fingerabdrücken, die nach dem Einbruch im gesichert wurde, ist einer, der zu Anna Brennan passt. Und es ist kein Abdruck, den der Eindringling hinterlassen hat, sondern er stammt von einer jungen Nonne: Schwester Martha, angeblich Kind einer Prostituierten und im Kloster aufgewachsen.

Fingerabdrücke lügen nicht - ist also Martha die verschwundene Anna? Obwohl Gregs Vater - pensionierte Polizist und seinerzeit an maßgeblicher Stelle mit dem Fall befasst, beschwört, dass das Kind tot sei. Beweisen kann er das freilich nicht - also nur Gerede eines schwer krebskranken, totgeweihten Mannes?

Für Constable Greg Raine wird der Fall zur persönlichen Sache, als seine Partnerin und Freundin Nikki bei einer Explosion ums Leben kommt. Kann es sein, dass eigentlich er in der Feuerhölle sterben sollte?

John Misto, erfahrener australischer Theater- und Drehbuchautor zieht in seinem Debütthriller DIE STIMME DES TEUFELS die Spannungsschraube ganz subtil immer weiter an. Je weiter wir Greg Raine bei seinen Ermittlungen folgen, desto mehr verlieren wir - genau wie er, den Boden unter den Füßen. Alles kreist um die Kirche und das Kloster von St. Michael, wo sich offenbar schon vor Jahren die Schicksale aller Beteiligten untrennbar miteinander verflochten haben - zu einem tödlichen Gewirr von Lebenslügen, Machtgier und Korruption.

Die Lösung dieses Durcheinanders führt Greg schließlich bis an die Grenze seiner Leidensfähigkeit - das Finale des Romanes lässt alle Vermutungen, die der Leser über die Zusammenhänge gehabt hat, ins Leere laufen und präsentiert eine Lösung, die die Bezeichnung "überraschend" wirklich verdient - allerdings nicht so ganz die Bezeichnung "glaubwürdig".

John Misto
Des Teufels Stimme
Fischer TB

Richard Stark: Fragen Sie den Papagei

Der Papagei gehört Tom Lindahl, einem Versager, der sich in einen kleinen Ort in Massachusetts zurückgezogen hat, um mit der Welt zu hadern, nachdem seinen Job bei der Rennbahn in der Nachbarstadt verloren hat. Tom Lindahl ist eine tickende Zeitbombe, aber leider ist Parker, der Gangster, auf ihn angewiesen. Denn Lindahl gewährt ihm Unterschlupf, als Parker nach einem schiefgelaufenen Raubüberfall auf der Flucht durch die Wälder von Massachusetts ist.

So ein Gangster, denkt sich Lindahl, ist genau der richtige Partner für seine Rache an der Rennabhn. Denn Lindahl hat sich einen Coup ausgedacht, wie man die Wochenendeinnhame aus den Büros dort klauen kann.

Interessiert Parker der Coup? Man weiß es nicht genau, und das macht einen Großteil der Spannung dieses perfekt geschriebenen Thrillers aus, mit dem Richard Stark alias Donald E. Westlake nach vielen Jahren seine Serie um den Berufsverbrceher PARKER wiederbelebt. Parker ist amoralisch, egoistisch, knallhart, aber irgendwie doch kein schlechter Kerl. Ein Profi im Raubgeschäft, seinerzeit als er vor mehr 25 Jahren zum ersten Mal in der Krimiszene aufzauchte ein absolutes Novum. Der bad Guy als Held, das Verbrechen als Beruf - die Unterwelt mit all ihren Verflechtungen als Gegenentwurf zu unserer Gesellschaft - das funktioniert jetzt und heute in diesem neuen PARKER-Roman immer noch genauso perfekt wie damals. Genau wie der spezielle Richard Stark-Stil, in dem Westlake seine Parker-Geschichten erzählt. Sprache auf den Punkt gebracht, kein Wort zuviel und keins zuwenig, und das alles gewürzt mit Dialogen, aus denen man die Stimmen von Clint Eastwood oder Robert deNiro heraushört.

Mit dem Plan, in den Tom Lindahl seinen Partner in Crime Parker hineinzieht, steuert die Story Zug um Zug ihrem Höhepunkt entgegen, spannt uns auf die Folter, lässt uns mitleiden und mitfiebern mit Parker, dem Gangster. Oder mit der dunklen Seite in uns. Perfekte Krimi-Unterhaltung.

Richard Stark
Fragen Sie den Papagei
Zsolnay

26.11.08

Bochum, ich komm aus dir: Krimi - total abgefahren

Neue Frauen mischen den Revierkrimi auf

Von Reinhard Jahn

Kennt noch jemand Zora Zobel? Die schrille Anarcho-Braut, die Mitte der Achtziger nicht nur die Krimi-Szene in Bochum und im Revier aufmischte? Unkonventionell, feministisch und mit Dialogen, die auf den Punkt geschrieben waren von ihrer Autorin Corinna Kawaters.
Sie war Mitte der Achtziger die die Urmutter des flapsigen Zeitgeist-Krimis und ist - wahrscheinlich unbekannter Weise - die Patin von Lucie Klassen und dem Team Minck & Minck, die mit ihren neuen Bochumer Krimiheldinnen jetzt die Szene aufmischen.

Auftritt Lucie Klassen: Kaum ein Krimi-Debüt ist in der letzten Zeit mit soviel Lorbeeren überhäuft worden wie "Der 13. Brief" der Physiotherapeutin aus Bad Pyrmont. Sie lässt ihre gerade mal 20 gewordene Heldin Lila Ziegler aus dem Intercity, der sie eigentlich zum Jurastudium nach Bielefeld bringen soll, in Bochum aus dem Zug in direkt mitten ins Bermuda-Dreieck und ein Krimi-Abenteuer stolpern, das erfrischend spritzig daherkommt. Denn, gerade dem Gymnasium entronnen, findet sich Lila plötzlich aus eigenem Entschluss als undervocer-Assistentin des Privatdetektivs Ben Danner dann doch plötzlich auf der Schulbank wieder. Was, das soll Danner für einen Freund ermitteln, steckt hinter dem mysteriösen Tod der 16jährigen Schülerin Eva? Und wie ist die Teenie-Clique, in die sich Lila einschleicht, in die Sache verwickelt?

Der Ansatz erinnert an die US-Serie "Veronica Mars", die Story wird hier wie dort auf einem ebenso lockerem wie hohem Niveau erzählt. Lucie Klassen steigt mit ihren brillanten Alltagsdialogen und den schönen kleinen Szenen aus dem Teenager-Leben sofort in die Bundesliga des deutschen Krimis ein: ihr Debüt hat Klasse.
Ihren Erstling haben die Krimi-Damen Edda und Lotte Minck aus Bochum schon vor einem Jahr mit "totgepflegt" abgeliefert - jetzt folgt "abgemurkst - Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben".

Diese Maggie Abendroth ist eine Miss Marple auf Speed - eine "abgestürzte Medienfuzzi-Liesel aus Köln", die jetzt in Bochum gestrandet ist, wo sie bei Oma Berti als Verkaufshilfe "anner Bude" aushelfen muss.

Ganz wie die klassische Zora Zobel hat Maggie vor nichts und niemandem Respekt, aber zu allem einen ätzenden Kommentar auf der Lippe. Drei Kerle müssen in dieser rasanten Krimi-Comedy zwischen Bochum-Stiepel und Bergbau-Museum daran glauben, ehe Maggie-Dampf-in-allen-Gassen die Sache in einem schrill parodierten Hollywood-Showdown alles zu einem guten Ende bringt. Damit setzen die Fernsehprofis Minck & Minck, genau wie Lucie Klassens Erstling, einen erfrischend neuen Akzent, der den Ruhrgebietskrimi endlich aus seinem sozialromantischen Tiefschlaf reißt.

Lucie Klassen:
Der 13. Brief
grafit

Minck&Minck:
abgemurkst
Droste

Kleines Krimi-Glossar

whodunnit (who-done-it):
Der klassische Rate- und Rätselkrimi, in dem es darum geht, den Mörder gemeinsam mit dem Kommissar oder dem Laiendetektiv zu ermitteln.
Agahta Christie, Dorothy Sayers, Martha Grimes, Elizabeth George

Thriller
Aktionsorientiertes Abenteuer, meist auch mit eine gesunden Portion SEX angereichert. Ein (Super)-Held (oder eine Gruppe) muss sich mit einem groß abgelegten Verbrechen befassen.
Untergruppen:
Techno-Thriller: Spielt meist im Milieu der Militärs (Tom Clancy) und besticht durch präzise Waffenbeschreibungen
Medical-Thriller: Spielt im Krankenhaus und Arzt-Milieu, bzw in Forschungsbereichen (Gentechnologie). Oft geht es um die Bekämpfung von Epidemien, oft aber auch um verbrecherische Intrigen in Großkrankenhäusern oder im Gesundheitswesen. (Michael Palmer)
Polit-Thriller: Nachfolger der Spionage-Thrillers. Es geht im Intrigen im höchsten politischen Bereich: Machtkämpfe, Korruption. Seit der Auflösung des Ost-West-Konfliktes fehlt der Bösewicht UdSSR.


Psycho-Thriller
Oft wird aus der Perspektive des (späteren) Täters geschildert, wie es zum Verbrechen kam, wie der Täter sich der Ermittlung entziehen versucht, wie er mit der Tat zurecht kommt.
(Patricia Highsmith, Ruth Rendell/Barbara Vine)

Privatdetektiv-Roman / PI-Novel
Amerikanisch geprägte Spielart des Genres, geprägt von Chandler und Hammett: Ein privater Ermittler, der oft höhere moralische Ansprüche hat als die Polizei, ermittelt.
Chandler, Hammett, Spillane

Historischer Krimi
Wie der Name bereits sagt: Kriminalgeschichte, die in vergangener Zeit spielt. Das Spektrum reicht von der ANTIKE über das Mittelalter bis in die deutsche Nachkriegszeit.
Besondere Spielart: Klosterkrimi
Klassiker: Der Name der Rose (Umberto ECO)
Romane von Elizabeth Peters um Bruder Cadfael

Rebecca-Roman oder "Ladykrimi"
Nach dem Muster von Daphe DuMauries "Rebecca" gestaltete Romane um junge Frauen die sich in einen attraktiven, aber düsteren Mann verlieben und ihm in seine Welt folgen.Wo sie dann zu entdecken glauben, dass der Gatte sie töten möchte. Was stimmen kann - oder auch nicht.

Gangster-Roman
Minderheiten-Spielart, in der es um die Schilderung von Verbrechen und Verbrechenr in der Unterwelt geht. (Little Ceasar von W.R. Burnett, moderner Klassiker: Elmore Leonard)

Regional-Krimi
Angeblich deutsche Spielart des Krimis: Geschichten aus kleineren Städten und/oder Regionen, die viel Wert auf authentisches Lokalkolorit legen. "Köln Krimis", "Ruhrgebietskrimis". Meist Whodunnits oder Privatermittlergeschichten mir bisweilen skurrilen Helden. ("Orginale")

TV-Novel. bzw "Filmroman"
Nach Erfolgsfilmen oder erfolgreichen Fernsehserien geschriebene Romane. Bei Romanen nach Fernsehserien entweder
a) auf der Basis der Episodendrehbücher oder
b) in freier Weiterentwicklung der Serienformats und der Hauptfiguren.
Im Gegensatz dazu: Romanvorlage - hier handelt es sich um ein Buch, das verfilmt wurde.

Kriminalhörspiele / Hörbücher
Inzwischen werden sowohl inszenierte Kriminalhörspiele, die als Adaptionen von Erfolgsromanen entstanden, als auch eigens produzierte Lesungen von Büchern als "Hörbücher" bezeichnet.
a) Hörspiele sind - wie Verfilmungen - inszenierte Bearbeitungen. Sie haben Musik, mehrere Schauspieler.
Hörspiele werden von den Rundfunkanstalten produziert (Ausnahmen bestätigen die Regel) und gesendet. Zu kaufen gibt es sie nur, wenn ein Verlag sie auf CD oder Cassette veröffentlicht.
-Wo erfahre ich, wann welches Stück gesendet wird?
Die ARD-Anstalten versenden teilweise noch Hörspielbroschüren (WDR etwa, halbjährlich). Auf den Internetseiten der Anstalten gibt es immer Hörspielprogramme.
-Wo gibt es Infos über alte, bzw früher gelaufene Hörspiele?
In entsprechenden Datenbanken im Internet
http://www.hoerdat.de
http://www.hoerspiel.com
-Wie komme ich an Mitschnitte?
Bei anderen privaten Sammlern.

b) Hörbücher sind (oft eingekürzte) Romane, die vorgelesen werden - oft von bekannten Schauspielern oder bekannten Synchronstimmen
Hörbücher werden von Verlagen (meist denen, in denen das Buch erschien) hergestellt und von diesen verkauft.

red herring
Falsche Spur, die im Krimi gelegt wird, um vom echten Mörder abzulenken. Benannt nach dem Salzhering ("red Herring") der bei einer Fuchsjagd über die Fuchsspur gezogen wird, um die Spürhunde zu verwirren.

locked-room-mystery
Die höchste Perfektion des Ratekrimis: Ein Mord in einem geschlossenen Raum muss gelöst werden. Es gibt diverse Möglichkeiten der Lösung:
a) Der Raum wurde nach der Tat verschlossen (Tür/Fenster)
b) Die Tat wurde erst nach Öffnen des Raumes begangen
c) Das Opfer beging Selbstmord, aber die Spuren deuten auf Mord
d) Geheimtüren sind eigentlich verboten

hardboiled-novel
Die "harte Schule" des Krimis. Gangster- Privatdetektiv oder Polizeigeschichten, in denen es zumeist um Einzel- oder Gruppenschicksale geht, die sich in der Unterwelt behaupten.


police-procedural (Polizeiroman)
Roman, der die Ermittlungsarbeit der Polizei genau schildert. Meist steht ein Team von Polizisten im Mittelpunkt, das sich mit einem oder mehreren Fällen beschäftigen muss.
Altmeister: Ed McBain ("87. Polizeirevier")

inverted story
Die "umgedrehte Geschichte": Wir verfolgen den Täter bei der Tat und begleiten ihn, wie er die Entdeckung durch die Polizei verhindern will. Teilweise

Henning Mankell: Der Held des gehobenen Dienstes

Das Erfolgsgeheimnis von Henning Mankell:
Kommissar Wallander als Meister des Scheiterns

"Später sollte Wallander sich an den Fall als einen der schwersten und kompliziertesten seines Berufslebens erinnern" - diese Art von mysteriösem Gemurmel des Erzählers lieben Mankell-Fans - und der Autor weiß das ganz genau, denn er gibt seinen Lesern, was sie verlangen. Oder sind es nur geschickt gelegte falsche Spuren, mit denen er uns suggerieren möchte, dass das, was wir gerade lesen, bedeutungsvoller ist, als wir im ersten Moment denken?

Später, wenn der Bestseller-Hype um Super-Wallander verflogen ist, werden wir uns fragen, warum Millionen vom "Mörder ohne Gesicht" bis zu "Brandmauer" jede Zeile verschlungen haben. Was an diesem deprimierten Helden der Mittelmäßigkeit so interessant war, der sich bei eingehender Betrachtung eigentlich doch nur ein zeitgemäßer Widergänger des Stockholmer Kommissars Martin Beck erweist, dessen Fälle Maj Sjöwall und Per Wahlöö zwischen 1965 und 1977 in zehn Romanen geschildert haben. Der deutsche Martin Beck-Hype jener Zeit zeugte nicht nur den deutschen Soziokrimi, in dem Täter immer nur Opfer der Verhältnisse waren, sondern glich in seiner Heldenverehrung auch der aktuellen Mankell-Mania.

Henning Mankells depressiver Kommissar also als neuer Held der alten 68er: Kurt Wallander und Co liefern die perfekten Identifikationsmuster für die altgewordenen Rebellen. Mit Wallander haben sie vor den Umständen und der Bürokratie resigniert: Helden des gehobenen Dienstes, altgewordene Hausbesetzer, die entsetzt feststellen, dass ihr Bausparvertrag zuteilungsreif ist. Wallander zeigt ihnen, dass sie nicht allein sind: Die Ehe kaputt, die Beziehung zur Tochter problematisch, das Verhältnis zum Vater zwiespältig - da bleibt eigentlich nur noch die Flucht in den Job.

Der Held als workoholic - da liegt Mankells Wallander auf einer Linie mit anderen Krimi-Erfolgen: von den skandinavischen Superweibern Hanne Wilhelmsen (von Anne Holt) und Annika Bengtzon (von Liza Marklund) bis zu Tempe Brennan, der forensischen Anthropologin von Kathy Reichs. Wie sie ist Wallander höchst organisiert in seinem Büro-Alltag als Polizist in Ystad: er füttert die Verwaltung zuverlässig mit dem Papierkram, den sie von ihm erwartet - Pressemitteilungen,. Berichte und Protokolle - und findet sich damit ab, dass ihm andere den gleichen Papierkram auf seinen Schreibtisch schaufeln. Der Marsch durch die Institutionen ist festgefahren im Stellungskampf des Papierkrieges.

Aber wo andere Krimi-Autoren das schüttere Privatleben ihrer Helden allerdings nur als gegeben setzen, gräbt sich Mankell tiefer in Wallender ein und stößt auf die Relikte des ewigen Klassenkampfes: die entsetzte Hilflosigkeit über der Ungerechtigkeit der Gesellschaft, die Idee, dass alles irgendwie zusammenhängt und dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.
Tief in seinem Inneren ist Wallander wahrscheinlich ein Zwangsneurotiker, genau wie sein Vater, der seit Jahrzehnten das gleiche Bild malt, und in dessen geistigen und körperlichen Verfall er immer wieder den eigenen Niedergang vorausahnt.

Aber genau so wird er geliebt: ein zweiflerischer schwedischer Bulle, der sich mit einer penetrant sozialpädagogischen Attitüde ins Leben seiner Familie und seiner Kollegen drängt, obwohl eigentlich er selbst am therapiebedürftigsten ist. Als Fallstudie in Sachen Helfersyndrom kaschiert er seine Versagensängste in endlosen Telefonaten: Gesagtes wird wieder und wieder gesagt und dann noch einmal wiederholt - genau wie der Erzähler Mankell sich nicht darauf verlässt, dass das einmal Erzählte genügt und es deshalb zur Sicherheit im nächsten Kapitel noch einmal wiederholt. Das retardierende Moment Lebensmotto und Stilprinzip und Wallander als Archetyp des sich "irgendwie" diffus unwohl fühlenden Sozialromantikers, der sein schlechtes Gewissen über die Designer-Möbel in seiner Eigentumswohnung mit Dritte-Welt-Seminaren und einem Dauerauftrag für amnesty international beruhigt.

Die Kritik und die Fans nennen das realistisch - und es ist zu befürchten, dass das leider richtig ist.

Reinhard Jahn
(Reinhard Jahn, Krimi-Kritiker und (unter H.P. Karr) Krimi-Autor. )

2.11.08

Wo steht der deutsche Krimi?

Der deutsche Krimi steht...

...zunächst einmal nicht alleine da, sondern ist der deutschsprachige Krimi. Österreich und Schweiz sind keine Anghängsel des Genres, sondern fester Bestandteil der deutschsprachigen Krimiszene. Deshalb wird es auch Zeit, daß auch einmal einen CRIMINALE in Wien oder Zürich stattfindet.

Der deutsche Krimi steht...
...ziemlich gut da, denn inzwischen werden jedes Jahr rund 200 neue deutschsprachige Krimis veröffentlicht. Die GLAUSER-Jury kann ein Lied davon singen, was es heißt, sich durch jeweils rund 150 eingereichte Titel zu kämpfen, ohne dabei von umfallenden Buchstapeln erschlagen zu werden - und am Ende einen gerechten Juryspruch zu fällen.

Der deutsche Krimi steht...
...in einer Tradition, die von den großen Angelsachsen geprägt worden ist. Conan Doyle, Christie, Sayers, Chandler und Hammett sind die Stationen einer literarischen Entwicklung, auf die sich jeder deutschsprachige Autor bezieht. Aber auch auf Friedrich Dürrenmatt und Friedrich Glauser, E.T.A. Hoffmann und Theodor Fontane.

Der deutsche Krimi steht...
...immer mit einem Bein im Grab, denn üblicherweise verschwindet ein Roman nach ein bis zwei Jahren vom Markt und wird nicht wieder aufgelegt. Als ob sich niemand für "German Crime Classics" interessieren würde.

Der deutsche Krimi steht...
...mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Da kann keiner behaupten, Kriminalromane seien eskapistische Literatur. Krimis bügeln die Widersprüche in unserer Gesellschaft nicht glatt, sondern machen sie zum Thema: Korruption, Polizeigewalt, die gesellschaftlichen Ursachen von Verbrechen - all das ist Thema das deutschsprachigen Krimis.

Der deutsche Krimi...
...steht aber auch nicht als monolithischer Block in der Landschaft. Er bietet eine Vielfalt von Spielarten: Psychothriller, Komödien, Action-Abenteuer, Milieustudien und regionale Geschichten. Seine Helden sind Polizisten, Privatschnüffler und Reporter, weibliche und männliche Spürnasen, mal aus Ambition und mal aus Notwendigkeit.

Der deutsche Krimi steht...
...mit dem Rücken zur Wand, denn als Roman muß er sich gegen die Übermacht der Fernsehkrimis behaupten. Für den Fernsehkrimi spricht nur, daß die allermeisten deutschen Seriendrehbücher auch von deutschen Autoren geschrieben werden. Gegen den Fernsehkrimi spricht, daß die Bedenkenträger in den Produktionsfirmen und Redaktionen Kriminalgeschichten nur als Vehikel sehen, um die Kernzielgruppe der Werbewirtschaft anzusprechen.

Der deutsche Krimi steht...
...in Konkurrenz zu den zahlreichen Übersetzungen von "Mysterys" und "Crime Fiction" aus anderen Sprachen, die von den Verlagskonzernen auf den deutschsprachigen Markt geworfen werden. Als ob ein deutscher Autor nicht in der Lage wäre, ebenfalls einen "Blockbuster" zu schreiben.

Der deutsche Krimi steht...
... auf Kriegsfuß mit der Kritik. Zwar hat sich die Lage in den letzten Jahren ein wenig gebessert, aber immer noch werden die meisten Neuerscheinungen in "Krimi-Ecken" oder "Buchtips" in zwei bis fünf Zeilen abgehandelt, werden wie in der Schule mit Zensuren abgeurteilt und dann offenbar sofort vom Redaktionsvolontär vom Redakteursschreibtisch geklaut, um wirklich gelesen zu werden.

Der deutsche Krimi steht also...
...auf dem Standpunkt, daß er sich nicht verstecken muß.

Autor: Reinhard Jahn

26.10.08

Thema: Wirtschaftskrimis

Rainer C. Koppitz;
Machtrausch. Ein Wirtschaftskrimi
Gmeiner

Anton Glock ist auf dem Weg nach oben. Als man ihm anbietet, die Leitung der zentralen Strategieabteilung eines großen Münchner Konzerns, der Schuegraf AG, zu übernehmen, überschlagen sich plötzlich die Ereignisse: Eine Bekannte wird brutal verstümmelt, sein Vorgesetzter begeht Selbstmord und er erhält mysteriöse Drohbotschaften. Der ehrgeizige Glock muss feststellen, dass in seinem neuen Verantwortungsbereich geheime Abteilungen existieren, die auf keinem Organisationsplan erscheinen. Er versucht, die Vorkommnisse zu verstehen und dringt dabei tief in die Strukturen und inoffiziellen Netzwerke des Konzerns ein, den er bisher so gut zu kennen geglaubt hatte …


Jospeh Finder:
Goldjunge
Heyne
Adam Cassidy hat ein Problem. Nein, eigentlich hat er zwei Probleme. Das eine hat mit seiner Gutmütigkeit zu tun, das andere mit seiner Abenteuerlust. Denn Cassidy hat für einen einfachen Lagerarbeiter auf Kosten seiner Firma eine Party ausgerichtet. Jetzt droht ihn sein Chef wegen Veruntreuung anzuzeigen -- es sei denn, er schmuggelt sich in das Konkurrenzunternehmen Trion ein, um es auszuspionieren. In kürzester Zeit steigt Cassidy, mit der entsprechenden Biografie ausgestattet, zur rechten Hand des Konzernchefs auf. Und er hat guten Sex -- ein doppelter Tanz auf dem Vulkan. Denn eigentlich versteht der Angestellte weder etwas vom großen Geschäft noch von den Verlockungen der Damen der besseren Gesellschaft. Als er dann auch noch versucht, seine lästigen Mitwisser loszuwerden, droht ihm die Geschichte vollends zu entgleiten …

Joseph Finder:
Jobkiller
Der Klappentext sagt: Nick Conover, Boss einer marktbeherrschenden Firma in einer amerikanischen Kleinstadt, steht mit dem Rücken zur Wand: Einzelne Vorstandsmitglieder versuchen, die Firma hinter seinem Rücken zu verkaufen.
Conover weiß auch, dass er nach Massenentlassungen viele Feinde in der Stadt hat, doch wie weit der Hass gegen ihn gediehen ist, wird ihm erst klar, als es zu spät ist und ein Mann dabei sein Leben verliert.

26.9.08

Stan Jones: Gefrorene Sonne

Alaska, am Rande des Permafrost, in Chukchi, einer Siedlung, in der städtisches Leben und Gebräuche der der Ureinwohner aufeinandertreffen. Nathan Active ist Polizist in Chukchi, ein State Trooper, der hier in der Grenzwelt zwischen Weißen und Inupiaq genau richtig ist - Sohn einer Eskimo-Mutter aufgewachsen bei Pflegeeltern in der Stadt, jetzt wieder im land seiner Väter - als Vertreter des Gesetzes.

Jaron Palmer hat eine Frage, einen Auftrag für Nathan: Der Prediger aus Chukchi bittet Active, seine Tochter zu suchen: Grace. Die ehemalige Schul-Schönheitskönigin, die Ausreißerin, von der man zuletzt nur noch hörte, dass die im Rotlichtbezirk der nächsten Stadt gesehen wurde. Scham und Schande für die Familie. Aber Palmer senior möchte wissen, was mit seiner Tochter Grace los ist - und Nathan Active möchte helfen. Und ein wenig ist er auch fasziniert vom Bild Grace Palmers, das der Vater ihm gibt. Dem Bild der Schönheitskönigin.

Die Chance für Ermittlungen in der Stadt sind gut: Nathan wird zu einem Computerseminar dort hingeschickt er trifft einen befreumdeten Kollegen, nimmt Grace Palmers Spur auf und findet, was man erwarten kann: eine Karriere nach unten. Barschlägereien, Verhaftungen, Hinweise auf Prostitution. Bis zu einem Punkt vor einigen Jahren, and em sich Grace Palmers Spur plötzlich abreißt. Es gibt keine Hinweis mehr auf sie. Dafür auf eine andere Frau - Angie Ramos, angeblich eine Freundin von Grace.
Ist Grace tot? Eines der nicht identifizierten Opfer, deren Akten sich Avtive ansieht? Hat etwa Angie Ramos Grace getötet und sich dann abgesetzt?
Active hat also eine neue Spur: Angie Ramos. Er stöbert sie in einer bizarren Umgebung einer Stadt auf, die von der Fischverarbeitung, von einem einzigen Unternehmen lebt, in dem Angie als Arbeiterin untergekommen ist.
Angie? Nathan stockt er Atem, als er die Frau sieht, deren Spur er verfolgt hat. Er ist sicher, dass es Grace Palmer ist.
Womit sich seine Hypothese, dass Angie Grace getötet haben könnte, auf einmal vollkommen umkehren: hat Grace Angie getötet, um mit deren Identität weiter zu leben.
Und noch etwas bereitet Nathan Active Sorge: was ist das für ein Gefühl, das ihn bis hierher zu Angie/Grace getrieben hat, das ihn jetzt weiter treibt?

Und damit ist erst die Hälfte der Geschichte erzählt,. die Hälfte der Geschichte, die eigentlich nicht die Geschichte eines Kriminalfalles ist, sondern die Geschichte von Nathan Active, der mit einem Kriminalfall konfrontiert wird. Mit einem Fall, der immer neue, bizarrere une bedrückendere Dimensionen annimmt, je näher sich der State Trooper mit Grace Palmer und ihrer Familie beschäftigt.

Ein äußerst intensiver Roman, Krimi und Psychogramm in einem, voller bunter, eindringlicher atmosphärischer Schilderungen vom Leben in Alaska am Rande des ewigen Eises.

Stan Jones:
Gefrorene Sonne.
Unionsverlag

24.9.08

Silvia Kaffke: Das rote Licht des Mondes

Duisburg Ruhrort 1854. Das Örtchen vor den Toren Duisburg ist zur Boomtown in Sachen Kohle und Stahl geworden - Zechen, Eisengießereien, Stahlwerke schießen aus dem Boden, der Ort scheint aus allen Nähten zu platzen.
Hier lebt Lina Kaufmeister, Mitte zwanzig und unverheiratet, eine nach den Begriffen der Zeit "alte Jungfrer". Als Tochter eines Reeders und Spediteurs muss sie ihrem stoffeligen Bruder und seiner gebärfreudigen niederländischen Gattin das Haus führen, obwohl sie lieber als Schneiderin auf eigenen Beinen stehen möchte.
Aber das geht nicht - jedenfalls nicht so einfach - in einer Zeit, in der eine Frau nicht von sich aus eine Wohnung mieten und schon gar kein Bankkonto eröffnen darf.
Es ist Nacht, es ist nebelig, als Lina auf einer einsamen Straße vorm Ort zwei schrecklich zugerichtete Leichen findet, Kinder, arme Geschöpfe aus den Elendsquartieren der Stadt. Ein Fall für Commissar Robert Borghoff, zusammen mit zwei Schutzmännern die gesamte Polizeimacht Ruhrorts. Ist der Täter einer der wallonischen Fremdarbeiter, die von den Kohlebaronen herangeschafft werden? Oder einer der Binnenschiffer, die Ruhrort regelmäßig anlaufen?
Im Laufs einer Ermittlungen trifft der Commissar immer wieder auf Lina Kaufmeister, die ihre ganz eigenen Spuren in diesem Fall verfolgt. Und natürlich kommen die beiden sich bei der Aufklrung des Falles auch sehr, sehr nahe... und die Lösung des Falles ist wirklich eines "historischen Krimis" würdig.
Viel Spannung, eine wunderbare Heldin, das bunt und detailreich geschilderte Milieu zu Mitte des 19. Jahrhunderts und dazu noch ein ungewöhnlicher Kriminalfall: Silvia Kaffke ist hier ein Meisterstück gelungen.

Silvia Kaffke
Das Rote Licht des Mondes
Wunderlich

19.9.08

Krimis und Bücher - Bücher in Kriminalromanen

Dass Bücher tödlich sein können, wissen wir spätestens seit "Der Name der Rose" (1980) von Umberto Eco , ein internationaler Bestseller. Die ganze Geschichte des mittelalterlichen Mönches William von Baskerville ist ein "Buch im Buch", so die Fiktion des "Herausgebers", der angeblich 1968 ein 1842 erschienenes Buch in die Hände bekommt, das wiederum eine Übertragung einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert ist: eben jene Erzählung von William von Baskervilles Gefährten Adson von Melk, dem literarischen "Watson" der Sherlock-Homes-Figur Williams.

Adson und William

Erzählt wird die Geschichte von sieben Tagen, die Adson und William im November 1327 in einer Cluniazenserabtei im Appenin verbringen, und je weiter die Geschichte mit geheimnsvollen Todesfällen unter den Mönchen voranschreitet, desto deutlicher wird, dass die Klosterbibliothek im Mittelpunkt des Geheimnisses steht, und zwar ein geheimer Bereich dort, der "Finis Africia" genannt wird. Und ein Buch ist die Mordwaffe, ein Buch, dessen Seiten der Urheber der Morde mit einem Gift präpariert hat, das jeder Leser zu sich nahm, wenn er mit angefeuchtetem Finger die Seiten umblätterte. Und ein Buch ist das Motiv, der Anlass aller Morde: die - verschollene oder nie geschriebene - Poetik der Komödie des Aristoteles. Und die Bibliothek nimmt ihr Geheimnis mit, als sie im großen Finale des Romanes niederbrennt.

Der Dante Club

Ein geheimnisvolles Buch auch als Thema in "Der Dante Club" von Matthew Pearl (2003), der seine Geschichte rund um Dantes "Göttlicher Komödie" entwickelt. Schauplatz ist Boston in der Mitte des 19. Jahrhunderts, vorwiegend das intellektuelle und akademische Boston. Aufgeschreckt wird die Gesellschaft durch brutale Morde an einem Richter, einem Pastor und einem Aufsichtsrats des Harvard-Universität. Und es bedarf schon eines literarisch versierten Polizisten, um auf die Spur des "Dante-Clubs" der Universität zu kommen.
Dantes Text über die "Hölle" aus der "Göttlichen Komödie" als Vorbild für die Methode der Morde - die "Göttliche Komödie, die gerade von Henry Wadsworth Longfellow übersetzt wird. Seine Texte diskutiert der Dichter in eben jenem "Dante Club" mit seinen Dichterfreunden und seinem Verleger. Aber was hat der Dante Club wirklich mit den Morden zu tun? Können die Dichter und Akademiker die Taten aufklären - und weitere verhindern, weil sie Dantes Text genauer und besser zu deuten wissen als der Polizist?
Die Geschichte der ersten vollständigen Übersetzung des "Göttlichen Komödie" in den USA wird verwoben mit einem prallen Gesellschaftsdrama aus den USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Wo bei Umberto Eco und Matthew Pearl die Literatur und das Buch noch Gegenstand und Auslöser der Kriminalgeschichte ist, da tritt bei Manuel Vasquez Montalban der Betrieb ums Buch in den Mittelpunkt des Krimis: "Undercover in Madrid" ist die mit ätzendem Sarkusmus erzählte Geschichte der Triebe und Umtriebe der (spanischen) Literaturszene.
Ein Literaturpreis von ungeheuerer Höhe ist gestiftet worden und zur Preisverleihung finden sich alle, die in Frage kommen oder irgednwie beteiligt sind, in einem Madrider Nobelhotel zusammne. Niemand weiß, wer der Preisträger sein wird - und natürlich weiß auch niemand, wer der Mörder ist, dessen Tat bald aufzuklären ist. Der Fall für Montalbans Schnüffler Pepe Carvalho zeichnet ein bitterböses Bild der Literaturszene mit ihren Hofschranzen und Geschäftemachern, den selbsterklärten Literaturliebhabern und den verschwurbelten Leidenschaften die sie pflegen.

Der Tod eines Kritikers

Natürlich kann man auch Martin Walsers Abrechnung "Tod eines Kritikers" als Kriminalroman aus der Literaturszene lesen - oder auch nicht. Der Schriftsteller Hans Lach sieht sich nach einer schrillen Literaturfete im Haus seines Verlegers auf einmal unter Verbrechens-Verdacht: er soll etwas mit dem Verschwinden - und möglicherweise dem Tod? - eines Großkritikers zu tun habe, mit dem er zuletzt auf der Fete zusammengetroffen ist. Was Hans Lach dann in eigener Sache in Gesprächen mit allen Beteiligten ermittelt, trägt zwar formal Züge eines Kriminalromans, aber es ist doch in Wirklichkeit ein Stück Literatur-Literatur, in dem ein Autor seine obsessive Fixierung auf die Literaturkritik und einen bestimmten Kritiker abarbeitet.

Das Plagiat

Nicht ganz so ätzend wie bei Vasquez Montalban und nicht so besessen wie bei Martin Walser geht es dagegen in "Das Plagiat" von Rex Stout zu. Das ist ein ein "richtiger" Krimi - Nero Wolfe, schwergewichtiger Meisterdetektiv in New York und ständiger Sparringspartner seines Sekretärs und Mannes für alle Fälle Archie Goodwin wird von einem Autoren- und Verlegerkommittee zur Aufklärung eines literarischen Verbrechens engagiert: In den vergangenen Jahren tauchten insgesamt vier Mal stets kurz nachdem ein Autor einen Bestseller veröffentlicht hatte, unbekannte Autoren auf und behaupteten, der Erfolgsautor habe sich dreist aus ihren Manuskripten bedient, die sie früher einmal - erfolglos natürlich - bei Verlagen oder Agenturen eingereicht hatten. Sind also die Bestseller-Autoren allesamt literarische Diebe? Oder hat man ihnen nur übel mitgespielt? Für einen Meisterdetektiv wie Wolfe ist es natürlich ein Klacks, mittels eines Stil- und Sprachanalyse zu ermitteln, das hinter allen vier angeblichen Plagiatsfällen offenbar nur ein einziger Drahtzieher steckt. Aber den zu ermitteln ist dann um so schwerer, zumal er damit beginnt, alle möglichen Belastungszeugen der Reihe nach zu ermorden. "Das Plagiat" spielt Ende der 50er Jahre in einem derart beschaulichen New York, dass man es kaum für möglich hält, und ist ein nettes keines Kabinettsstückchen aus der Nero-Wolfe Reihe, mit der Rex Stout weltbekannt wurde.

Ohne Manuskripte wären die Plagiate in Rex Stouts Roman nicht möglich gewesen - und Manuskripte stehen auch im Mittelpunkt von zwei Krimis, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
In "Das Manuskript" von Val MacDermid, der Meisterin des britischen Thrillers, bekommen wir es mit Penny Varnavides zu tun, erfolgreiche amerikanische Autorin einer Jugendkrimiserie. Sie stirbt während ihres Aufenthaltes in London durch eine explodierende Bierflasche - an sich keine große Sache, die leicht als Unfall durchgehen könnte, wenn die Polizei nicht herausfinden würde, dass Penny für ihren neuen Roman eine höchst unkonventionelle Mordmethode erfunden hat: eine explodierende Bierflasche. Hat das Leben hier die Kunst imitiert - oder ein Mörder die Idee für eine Mordmethode gestohlen?
Da niemand ausser Pennys Expartnerin Meredith kaum jemand das Manuskript kennen konnte, hält sich die Polizei an sie, und in ihrer Not läßt Meredith ihre Freundin Lindsay Gordon aus Kalifornien als Retterin in der Not einfliegen. Und Lindsay tun sich bei der Suche nach dem Mordmotiv die Abgründe der Verlagsbranche und der Literaturszene auf. Und es stellt sich weniger die Frage, wer von Pennys Tod profitiert, sondern vielmehr, wer am meisten?

Ein Manuskript als Gegenstand des Ränkespiels der unterschiedlichsten Gruppen ist auch "Das Kastler-Manuskript". Der Spionage- und Action-Thriller von Robert Ludlum opriert nach der einfachen Formel: Groß ist nicht groß genug. Als Experte für weltumspannende und hochkarätige Verschwörungen erzählt Robert Ludlum zuerst einmal davon, wie FBI-Chef J. Edgar Hoover im Auftrag einer Gruppe einflussreicher Männer eleminiert wird und wie man sich Hoovers geheimes Archiv mit zahllosen brisanten Informationen über die Polit- und Wirtschaftselite der USA aneignet. Doch das Material ist nicht komplett - und da kommt der Thriller-Autor Peter Kastler in Spiel, der als unwissendes Trüffleschwein der Clique die fehlenden Unterlagen beschaffen soll. Für Peter Kastler wird die Sache zu einem Abenteuer auf Leben und Tod, bei dem er nur nach und nach begreift, dass er lediglich eine Figur in einem Spiel ist, dessen Regeln er nicht begreift - und bei dem absolut offen ist, ob "Das Kastler-Manuskript" jemals vollendet wird..

Und natürlich gehören auch wirklich unvollendete Kriminalromane echter Autoren zum Thema "Krimis und Bücher". Aus einem nachgelassenen Fragment eines Philip Marlowe-Romanes von Raymond Chandler (1888 - 1959) machte Robert B. Parker - den Krimikenner aufgrund seiner Parker-Serie als Chandlers legitimen literarischen Erben betrachten, im Jahr 1989 einen "neuen" alten Marlowe-Krimi: "Poodle Springs" (deutsch: "Einsame Klasse") zeigt und Phil Marlowe als fast gesettelten Ehemann, der sich mit der Perspektive konfrontiert sieht, schon bald nur noch Gatte seiner Frau, als "der Mann an ihrer Seite" seine Tage im mondänen Wohlstandsghetto Poodle Springs zu verbringen. Das einzige, was da totgeschlagen wird, so scheint es, ist die Zeit. Aber natürlich kommt alles ganz anders und Marlowe ist schon bald wieder auf vertrautem Terrain im Einsatz.

Aus nachgelassenen Unterlagen der britischen Autorin Dorothy Sayers (1893 - 1957) über Lord Peter Wimsey und seine Gattin Harriet Vane hat in jüngst die Britin Jill Paton Walsh neue Kriminalgefälle für "Lord und Lady Wimsey" geschaffen. "Mord in mageren Zeiten" führt uns ins England von 1940. Harriet Vane - jetzt Lady Wimsey - hat sich mit ihren Kindern aufs Land zurückgezogen. Es ist Krieg, in der Nähe des Landsitzes ist ein Stützpunkt der Royal Air Force . Dann liegt eines Tages eines der Mädchen tot auf der Straße, das den Soldaten die Zeit bis zu ihren Einsätzen verkürzte. Ein Mord, dessen Aufklärung den ganzen Scharfsinn von Lord und Lady Wimsey fordert.


Umberto Eco: Der Name der Rose, Hanser
Matthew Pearl: Der Dante Club, Hoffmann und Campe
Manuel Vasquez Montalban: Undercover in Madrid
Rex Stout: Das Plagiat (vergriffen)
Martin Walser: Tod eines Kritikers
Val McDermid: Das Manuskript
Robert Ludlum: Das Kastler-Manuskript
Robert P. Parker / Raymond Chandler: Einsame Klasse
Jill Paton Walsh / Dorothy L. Sayers: Mord in mageren Zeiten

18.9.08

Gut und Böse sind nicht schwarz und weiß

Mit "Verstummt" liefert Karin Slaughter eine wirkliche gelungene Überraschung für alle Thriller-Fans.

Von Reinhard Jahn

Wie gut es doch ist, dass wir die Guten in einem Krimi gleich erkennen. Den hart arbeitenden Cop zum Beispiel, einen wie Michael Ormewood vom Atlanta Police Department. Nach langen Jahren bei der Sitte ist er jetzt der Mordkommmission, und gleich sein erster Fall. Eine grässlich verstümmelte Prostituierte ist in einem heruntergekommenen Sozialbau gefunden worden. Das geht ihm an die Nieren. Und auch privat hat Michael es nicht leicht. Seine Ehe ist am Ende, er hat ein Verhältnis mit der Teenager-Nachbarin, macht sich Sorgen seinen behinderten Sohn. So weit, so schlecht. Dass man ihm für die Mordermittlung dann noch den freakigen Special Agent Will Trent als Partner gibt, liefert in jedem stinknormalen Polizeithriller dann das grundsätzliche Konfliktpotential, an dem unser Held wachsen und reifen kann: Es wird alles seinen geordneten Gang gehen, denken wir: Stress mit den Kollegen, tiefe emotionale Krise, showdown mit dem Serienkiller, der inzwischen noch ein paar Prostituierte Opfer getötet hat.

Soweit, so gut fängt auch Karin Slaughters neuer Thriller an. Doch dann wechselt sie in "Verstummt" auf einmal die Perspektive und alles wird ganz anders, viel, viel besser als man es nach ihren routinierten Serienromanen um die Pathologin Sara Linton erwartet hat.
Sobald Slaughter sich nämlich, soviel kann verraten werden, diesem Special Agent Will Trent zuwendet und auch der undercover-Polizistin Angie P., die bei Michel Ormewoods Ermittlungen nur eine Nebenrolle gespielt hat, wird aus der Geschichte ein wirklicher Thriller - eine scharf beobachtete und geschickt eingefädelte Familien- und Polizeigeschichte, die - auch das hat man selten - von Seite zu Seite immer spannender wird. Denn plötzlich ist nichts mehr so überschaubar simpel schwarz und weiß, wie es auf den ersten Seiten wirkte. Wir erfahren nämlich, dass die Politzistin nicht immer die ganz Guten sind, und wir müssen auch lernen, dass nicht für jede Mordserie der sattsam bekannte schrille Psycho-Freak veranwortlich ist, mit dem sich Krimi-Autoren gern aus der Verpflichtung zur überzeugenden Motivierung ihrer Täter stehlen.

Karin Slaughter:
Verstummt
Blanvalet,
480 Seiten

17.9.08

Tana French: Grabesgrün

Irland. Archäologen arbeiten an einer Ausgrabung bei dem Örtchen Knockknarree in der Nähe von Dublin, um noch Fundstücke zu sichern, ehe das Areal dem einer Schnellstraße weichen wird.
Da wird ein totes Mädchen auf dem Altarstein gefunden, der im Mittelpunkt der Ausgrabung steht. Es ist die junge Katy Devlin.

Ein Fall für die beiden Detectives Robert Ryan und Cassie Maddox, ein Detektive-Gespann, wie es eigentlich "normaler" nicht sein könnte: eine Kumpelfreundschaft, eine berufliche und private Vertrauensbeziehung, bei der Robert auch schon mal eine Nacht auf Cassies Couch verbringt, wenn man zuvor gemeinsam zuviel gebechert hat.

Soweit, so gut - was Cassie nicht weiß, ist, dass der Fall der toten Katy für Robert eine ganz besondere Bedeutung hat: er stammt aus Knockknarree, und er war als Kind - im Alter von Katy - in einem mysteriösen Fall verwickelt, der bis heute nicht aufgeklärt ist: zwei Kinder aus seiner Clique sind damals verschwunden, im Wald neben dem die Ausgrabungssstätte liegt, und Robert ist als einzigem Kind nichts geschehen. Doch er kann sich bis heute nich erinnern, was seinen Freuden damals zugestoßen ist. Natürlich wird dieses Kidnheitstrauma bei den Ermittlungen im Fall Katy Devlin noch ein Rolle spielen - aber bis es soweit ist, bekommen wir in diesem wirklich dicken (500 Seiten) Debütkrimi sehr souverän und kenntnisreich, farbig, lebendig und gut erzählt, wie die Ermittlungen von Robert und Cassie und ihrem Kollegen Sam ein ums andere mal ins Leere laufen. Bis Robert am Ende dann - natürlich - doch noch den richtigen Schlüssel zur Lösung des Mordrätsels findet.

GRABESGRÜN ist ein Debüt, das berauscht, mit Personen so lebensnah um lebendig, dass man sie lieben muss und erzählt mit einem Charme, aber auch einer Präzision, die süchtig macht.

Der Verlag gibt sich spröde mit den Angaben zur Autorin: Tana French wurde in den USA geboren, wuchs aber auch in Italien und Malawi auf. Seit 1990 lebt sie in Dublin. Sie machte eine Schauspielausbildung am Trinity College und arbeitet für Theater, Film und Fernsehen.
Grabesgrün wurde als das beste Debüt mit dem Edgar Allan Poe Award der Amerikanischen Krimiautoren ausgzeichnet. Zu Recht.

Kein Zweifel, man merkt der Komposition des Buches die Begabung, aber auch die Routine der Bühnen- und Fernseharbeit an. Besonders deutlich, besonders gut ist dies bei den Dialogen zu sehen - den langen Szenen, in denen sich die Personen umkreisen, scheinbar alltägliches reden, aber doch etwas anderes meinen.

Da mag man es nicht so recht glauben, wenn die Autorin sagt: "Wenn ich mit einem Buch beginne, habe ich keine Ahnung. wohin mich die Geschichte führen wird. Alles, was ich habe, ist eine Figur und eine vage Ahnung der Richtung, in die sie sich bewegt. Und eine Menge Kaffee."
Was GRABESGRÜN offen lässt - das Geheimnis, was Robert Ryans Freunden seinerzeit im Wald Knockarree passiert, wird hoffentlich in einem der nächsten Bücher gelöst. In Großbritannien ist bereits THE LIKENESS (Die Ähnlichkeit) von Tana French erschienen. Dort ist nicht mehr Rob Ryan der Erzähler, sondern Cassie Maddox.

Tana French:
Grabeagrün
Scherz-Verlah
Hörbuch im Argon Verlag
Deutsche Fassung gekürzt 440 Minuten (das sind knappe acht Stunden)
Englische Fassung "In The woods" Länge 20 Stunden

16.9.08

Komm schon, Baby - lach dich tot!

Krimi und Humor

Von Reinhard Jahn

Können Verbrechen komisch sein? Darf man darüber lachen?
Wo bleibt der Humor bei Mord und Totschlag?
Natürlich kann Verbrechen auch komisch sein, natürlich gibt es Komik im Kriminalroman. Das Kunststück ist halt, die komische, humorvolle Komponente - das Lachen - mit der ernsthaften Komponente in Einklang zu bringen.
Die wenigsten Autoren können das - deshalb ist der komische Kriminalroman auch ein seltenes Gewächs, noch seltener ist der wirklich gelungene komische Krimi.

Fangen wir aber erst einmal mit einer Negativauswahl an:
Was ist nicht komisch?
Definitly nicht komisch sind Autoren wie Henning Mankell mit seinem Kommissar Wallander oder Donna Leon mit Commissario Brunetti. Mankells skandinavischer Bedenkenträger, der an der Welt und der Umwelt verzweifelnde Wallander, hat ebenso wenig komisches Potential wie sein Kollege Brunetti, der zweiflerische Gondel-Cop.
Denn beiden fehlt Ironie und Selbstkritik. Wallander und Brunetti - besser: Mankell und Leon nehmen die Welt, die sie beschreiben als Reflexionsfläche ernsthafter Diskurse: über Terrorismus, Korruption, Ausländerfeindlichkeit oder was auch immer. Aber wenn solche großen Dinge wie etwa der Verfall eines Gesellschaftssystems durchdekliniert werden, dann ist dort kein Platz für eine Distanz, wie Selbstironie oder Sarkasmus, Zynismus oder Humor sie erfordern.
Humor ist sozusagen der zweite Blick auf die Welt, der andere Blick: Der, der sich nicht auf das große, sondern das kleine richtet. Der nicht das offensichtliche, sondern des hinter- und untergründige in den Fokus nimmt.

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Der beste Witz der Welt:
Sherlock Holmes und Dr. Watson machen Camping. Nach einer guten Flasche Wein legen sie sich hin und schlafen ein. Ein paar Stunden später wacht Holmes auf und stößt seinen Freund an: "Watson, schauen Sie zum Himmel und sagen Sie mir, was sie sehen!"
Watson: "Ich sehe unzählige Sterne"
Holmes: "Was schließen Sie daraus?"
Watson überlegt einen Moment: "Astronomisch gesehen schließe ich, dass es Millionen von Galaxien und Milliarden Planeten gibt. Astrologisch stelle ich fest, dass der Saturn im Sternbild des Löwen steht. Horologisch folgere ich, dass es ungefähr viertel nach drei Uhr morgens ist. Theologisch erkenne ich, dass Gott mächtig ist und wir alle klein und unbedeutend sind. Meteorologisch nehme ich an, dass morgen ein wunderschöner Tag sein wird. Und was folgern Sie?"
Holmes: "Dass irgendein Mistkerl unser Zelt gestohlen hat..."

Lachen mit Poirot und Wimsey

Viele klassische Helden der Kriminalliteratur haben es, das gewisse Etwas, die gewisse Distanz zu sich selbst, einen Sinn für Ironie und Selbstironie. Hercule Poirot, der kleine belgische Meisterdetektiv aus Agatha Christies Romanen zum Beispiel. Als geborener Meister der Selbstinszenierung choreografiert er seine Auftritte bis ins absurde Detail, ohne sich dabei aber zum Clown zu machen. Ganz im Gegenteil - dadurch, dass Mrs Christie soviel Liebe auf die Schilderung der kleinen Schrullen verwendet, die Figur auch in ihren Schwächen so sorgfältig ausmalt, bringt sie uns Poirot viel näher, als es bei einem klaren, ungebrochenen Protagonisten jemals gelingen könnte: Supermänner haben eben keinen Humor, Supermänner werden bewundert, aber man findet sie selten sympathisch.

Lord Peter Wimsey ist auch so ein Fall, wenn auch ein etwas eleganterer, denn eigentlich war der Gentleman-Detektiv von Dorothy Sayers bereits als Parodie auf die existierenden Meisterdetektive angelegt, eine Parodie, die er glücklicherweise nicht wurde, weil er Harriet Vane traf, die Frau seines Lebens, die er vor dem Galgen rettete und damit zum Mann, Liebhaber, Gatten wurde.

Humor in allen Formen bringt uns also Menschen nahe und näher - Humor rundet eine Persönlichkeit ab und lässt uns schneller und leichter glauben, dass dieser Mensch, dieser Held, all diese unglaublichen Dinge erlebt, von denen erzählt wird.

Das funktioniert um so besser, je besser der Erzähler - der Autor - sein Handwerk beherrscht und es versteht, Ironie und Humor nicht nur in Äußerlichkeiten zu schildern, sondern ihn auch in der Sprache zu verweben:
"Die Haupthalle des Sternwoodschen Hauses war zwei Stockwerke hoch", erzählt Raymond Chandlers Philip Marlowe. "Über den Türflügeln, die eine Herde indischer Elefanten durchgelassen hätten, war auf einem breiten bunten Glasfenster ein Ritter im dunklen Harnisch bei der Errettung einer Dame zu sehen, die an einem Baum gefesselt war und praktischerweise nichts weiter trug als eine Menge langes Haar. Der Ritter hatte kontaktfreudig das Visier hochgeklappt und fummelte an den Stricken herum, mit denen die Dame am Baum festgezurrt war." (Der tiefe Schlaf)

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Der zweitbeste Witz der Welt:
Zwei Jäger sind im tiefsten amerikanischen Wald auf Pirsch, Plötzlich bricht der eine zusammen. Sein Kollege reißt sein Handy heraus und ruft den Notruf an: "Mein Gott, ich glaube, mein Kumpel ist tot!"
"Sind Sie sicher?", fragt der Operator in der Notrufzentrale.
Eine Pause. Der Operator hört einen Schuß. Und dann sagt der Anrufer: "Ja."

Dünner Mann und allergischer Mann

Also das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen zu sehen, das übliche Schema aufzubrechen und bis ins Gegenteil zu verdrehen, Dingen eine neue Bedeutung zu geben oder aber auch den Lauf der Dinge so sein zu lassen, wie er ist: zufällig, anarchisch, nicht geordnet - das macht das Wesen des Witzes und des Humors aus.

Eines Witzes, den etwa in Detektiv-Klassikern wie "Der dünne Mann" von Dashiell Hammett Nick und Nora Charles in ihren srewball-Dialogen zelebrieren - die Kriminalgeschichte ist hier zum Teil nur Bühne für eine Gesellschafts- und Ehekomödie - die allerdings wesentliche Erkenntnisse über das Mann-Frau-Ding in den besseren Kreisen der 20er Jahre vermittelt. Nebenbei, sozusagen.

Der Witz im Alltag suchen und ihn auch zu finden, das ist eine Begabung, die auch Gunter Gerlach hat. Der Hamburger Autor hat Bartzsch erfunden, den Detektiv der unter 99 Prozent aller bekannten Allergien leidet.

"Bartzsch!" stellt er sich in der Regel vor. "Wie der Kindermörder nur mit z."
Dass er als multipler Allergiker seine nahezu staubfreie Wohnung eigentlich nicht verlassen sollte, macht ihn nicht gerade zum Idealkandidaten für einen Detektiv - der sich doch in allen Milieus, also auch den staubigsten - bewegen können sollte. Wie Bartzsch also in den Gerlachs "Allergiker"-Krimis damit fertig wird, macht einen Großteil des Humors der Romane aus. Dass Gerlach darüber hinaus auch einer der besten Beobachter und Analytiker von Alltagsgeschehen ist, gibt seinen Romanen noch einen ganz besonderen Reiz.

Und wie überall komische Situationen entstehen, wenn Menschen mit ihren Stärken und Schwächen aufeinandertreffen, wenn sie ihre Interessen ausgleichen wollen oder einfach mit einander umgehen wollen (oder müssen), entsteht auch in der ganz normalen Straßenkriminalität Komik.

Ja, Verbrechen kann auch komisch sind, aber nicht jedes Verbrechen ist es auch. Der Axtmörder, der serienkillend den einschlägigen Profilern und Cops die Arbeitsgrundlage liefert, ist nicht zum Lachen. Die Bzeiehungsdramen im Kleinbürgermilieu, bei denen Lebenslügen und emotionale Konflikte auf- und abgearbeitet werden, sind es auch nicht. Komisch ist das Verbrechen meist in seiner Kleinform, die sich nicht gegen Leib und Leben, sondern gegen Geld und Gut des Mitmenschen richtet. Komisch sind meist Gauner, über deren Aktivitäten und Erfolge - meist allerdings auch Misserfolge - man sich amüsieren kann: der Einbrecher, der im Schnapsladen gleich zur Verkostung schreitet und von der Polizei sturztrunken abgeführt werden kann. Der Trickbetrüger, der in die Fänge einer resoluten Seniorin gerät, oder der schusselige Passfälscher, der den 34. Januar als Geburtsdatum in seine neuen Papiere einträgt und sich wundert, warum er bei der nächsten Kontrolle verhaftet wird - die Geschichten vom Versagen des Verbrechens goutieren wir nicht nur gern in den bunten Meldungen der Tagespresse, sondern auch im Kriminalroman.

Wobei die wirklich guten Versager im Krimi auch immer wirkliche Menschen - quasi Ganoven wie Du und Ich- sein sollten. Wie etwa der biedere deutsche Angestellte Heinz Borbet, der in "Beule oder Wie man einen Tresor knackt" von Klugmann und Mathews über Wochen versucht, einen Safe zu knacken, den ihm die kriminelle Fantasie der Autoren in den Keller gestellt haben.
"Pecunia non olet!", sagte der Polizist
"Wie bitte?", fragte Borbet.
"Sie sind Lateiner?", fragte der Polizist.
Borbet war verwirrt.
"Ich stamme aus Niedersachsen!"

Oder aber der zweifelhafte Meisterganove Dortmunder, der in einigen Romanen des Amerikaners Donald E. Westlake demonstriert, in welchem Missverhältnis der Aufwand an krimineller Energie mitunter zu ihrem Ergebnis stehen kann. Oder als brillantes kleines Kabinettsstückchen die Chronik der kriminellen Karriere zweier Schnapsladenräuber, die Elmore Leonard in "Dies ist ein Überfall" nachzeichnet - in Dialogwitz und Slapstick auch gekonnt nachgeahmt von Peter Meisenberg in "Schmahl".

Komik ist aber nicht nur dort unten möglich, down to earth, auf der Straße, in der Welt, wie wir sie kennen und manchmal hassen, sondern auch in der Oberliga, dem fast rein literarischen Spiel mit Sprache und Versatzstücken - in der Krimi-Parodie.
Für die Experten ist nichts komischer als einen richtigen Krimi zu übertreiben und seine Standardfiguren -situationen und .-plots durch den Kakao zu ziehen. Das funktioniert um so besser, je weiter die Formeln und die Gesetze des Gegenstand der Parodie allgemein bekannt und verbreitet sind.

Wenn Superdetektiv Chico Pipa in den "Super-Thrillern" des Italieners Carlo Manzoni mit seinem whisky-saufenden Hund Gregg auf Ermittlungstour geht, die einen Mike Hammer (von Mickey Spillane) vor Neid erblassen lässt, dann ist das für die einen - die kaum etwas von Chandler, Hammett oder Hammer kennen - höchstens überspannter italienischer slapstick, für die anderen - die Kenner - ist es augenzwinkernder Krimi-Humor, der alle hardboiled-novels mit ihre toughen Helden auf italienisch-chaotische Normalmaß herunterstutzt und das alles it einer gehörigen Portion Absurdität würzt.

Es geht freilich auch etwas subtiler, weniger laut, also, wie mancher jetzt sagen wird: harmloser, etwas menschlicher, etwas näher an der Wirklichkeit als die reinen Insider-Jokes.
Subtil wie etwa wiederum bei Gunter Gerlach, der in "Falsche Flensburger" zum ersten Mal Jakob Vogelsang auftreten ließ, einen Gelegenheitseinbrecher und Schriftsteller, dessen aktuelles Abenteuer "Irgendwo in Hamburg" ihn wieder in seine Heimatstadt zurückgeführt hat, und zwar ins gefährlichste aller sozialen Biotope - ein Mietshaus. Mit Vogelsang hat der Autor eine perfekte Verschränkung von Krimi-Muster und absurdem Welttheater gefunden - der kriminelle Schriftsteller, beziehungsweise der schriftstellernde Kriminelle, der sich seinen Weg - und seine Geschichte - zwischen diesen beiden Polen suchen muss: der Welt und der Literatur.

ENDE

Literatur:
Gerlach, Gunter Die Allergie Trilogie:
"Kortison", "Katzenhaar und Blütenstaub", "Neurodemitis"
Rotbuch Verlag

Gerlach, Gunter Die Jakob Vogelsang-Romane
"Falsche Flensburger","Irgendwo in Hamburg"
Rotbuch Verlag

Klugmann/Mathews
"Beule"
Rowohlt Verlag

Leonard, Elmore
"Dies ist ein Überfall"
Rowohlt Verlag
Neuausagbe unter dem Titel "Beute"
Heyne Verlag

26.8.08

Martin Schüller: Verdammt lang tot

Jan Richter ist wieder da - der Held aus Martin Schüller Roman "Jazz". Vier Jahre hat er in Lissabon gelebt - lange genug, wie er meint. Als ihn der legendäre Posaunist Bob Keltner bittet, sein Kölner Sextett aus den Siebzigern noch einmal auf die Bühne zu bringen, ist das für Jan die Gelegenheit in seine Heimatstadt Köln zurückzukehren.

Doch bei dem Versuch, die alte Band wieder zusammenzubringen, stößt Jan auf die Spur eines lange zurückliegenden Todesfalls und dann schließlich auf einen Toten: Bob Keltner. Der Posaunist liegt tot ins einem Hotelzimmer und die Polizei meint, dass es nur einen gibt, der der Mörder sein kann: Jan Richter.

Martin Schüller schreibt Männerromane, und er schreibt über Männer und Musik - eine Seltenheit in der aktuellen Krimiszene. Mit "Jazz" hat er Jan Richter eingeführt, mit "King" schrieb er einen Krimi über die Zeit, die Elvis Presley in Deutschland verbrachte. Schüllers Geschichten atmen die Poesie der Einsamkeit und haben den Blues.

Martin Schüller
Verdammt lang tot
Emons Verlag

22.8.08

George D. Shuman: 18 Sekunden

Sherry Moore ist blind. Aber sie hat eine Fähigkeit, die sie zur gefragten Mitarbeiterin bei Mordermittlungen macht: wenn sie einen Toten berührt, kann sie vor ihrem inneren Auge die letzten 18 Sekunden nachfühlen, nachempfinden, die dieser Mensch vor seinem Tod wahrgenommen hat - Bilder, Eindrücke, Erinnerungen Emotionen, die geordnet werden müssen, die nicht immer direkt das Bild des Mörders zeigen, aber einen Hinweis geben, wo er zu finden sein könnte.

Detective Kelly O'Shaugnessy aus Wildwood, New Jersey, hält Sherry für genau die richtige, die ihr bei der Suche nach dem Mörder helfen kann, der es in ihrem Revier auf junge Frauen abgesehen hat.

Der heißt - das erfahren wir Leser von Anfang an - Earl Sykes und hat sich nach seiner Entlassung aus dem Taxahoma State Prison direkt nach Wildwood begeben hat, um eine Spur aus seiner Vergangenheit aufzunehmen. Eine Spur, die seine Geschichte mit der von Sherry Moore verbindet.

Mit Sherrys "übersinnlichen Fähigkeiten" kommt ein fantastisches Element und ein zusätzlicher Reiz in die traditionelle Kriminalstory, das die Anhänger des "reinen" Krimis natürlich irritiert, aber natürlich für zusätzliche Spannung sorgt.

George D. Shuman
18 Sekunden
Heyne Taschenbuchkrimi

8.8.08

John Katzenbach: Der Patient

Ganz weit hinten hier im Krimi-Archiv stehen sie noch, die Bücher, die mich vor mehr als zwanzig Jahren einen Monat lang um den Schlaf gebracht haben, weil ich sie immer erst weglegen konnte, wenn ich die letzte Seite gelesen hatte - und das war selten vor drei Uhr morgens der Fall. Mehr als zwei Dutzend Krimis haben die Meister des Psycho-Thrillers, der verdrehten Seelenstudien, geschrieben - das Autoren-Team Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Die beiden Franzosen waren echte Könner, wenn es um darum geht, ihre Protagonisten und mich als Leser in die Zwischenzone von Wahn und Wirklichkeit zu versetzen. Ihre Stories führen mit immer neuen, cleveren Wendungen ins absolut Unerwartete. So auch in ihrem Roman VERTIGO, den Alfred Hitchcock mit James Stewart und Kim Novak verfilmte.
Und ich bin sicher, wenn Hitchcock jetzt DER PATIENT von John Katzenbach in die Hände fiele - er würde sich umgehend die Filmrechte an dieser Geschichte sichern. An der Geschichte von Dr. Frederick Starks, dem einzelgängerischen New Yorker Psychiater, der am Abend seines 53. Geburtstages im Wartezimmer seiner Praxis-Wohnung auf einem der Stühle einen ganz speziellen Glückwunschbrief findet:

Herzlichen Glückwunsch zum 53. Geburtstag, Herr Doktor.
Willkommen am ersten Tag Ihres Todes.

Nun steht man mit 53 dem Tod in der Tat näher als dem Leben, aber dass die Gratulation kein Scherz ist, sondern eine Drohung, wird Starks klar, als er weiterliest. RUMPELSTILZCHEN nennt sich die mysteriöse Figur, die da so plötzlich unseren unauffälligen, zur Trägheit neigenden Helden aus der Bahn seiner wohlgeordneten Analytiker-Existenz wirft:

Ich existiere irgendwo in Ihrer Vergangenheit.
Sie haben mein Leben zerstört. Auch wenn Sie vielleicht nicht wissen, wie und weshalb oder auch nur, wann, so ist es trotzdem der Fall. (...) Sie haben mein Leben zerstört. Und jetzt bin ich fest entschlossen, Ihres zu zerstören.

Eine Drohung, die Frederick Starks Leben in den nächsten Tagen dramatisch verändert. Er wird lernen, allem und jedem zu misstrauen - ganz besonders sich selbst und seiner Wahrnehmung. Er wird sich fragen, ob sein letzter Patient wirklich selbst vor die U-Bahn gesprungen ist, unter der er starb, oder ob er gestoßen wurde. Er wird ahnen, dass die Klage einer ehemaligen Patientin wegen sexueller Belästigung nicht zufällig gerade jetzt auf seinen Schreibtisch flattert. Und er wird dabei nie sicher sein können, ob die Menschen, mit denen er es zu tun bekommt, nicht ein Teil des Spiels sind, das sein unsichtbarer Gegner ganz allein für ihn inszeniert.

Hier also die Regeln unseres kleinen Spiels: Ab Morgen früh um sechs gebe ich Ihnen genau 15 Tage um herauszufinden, wer ich bin. Wenn Sie es schaffen, müssen Sie eine dieser kleinen Anzeigen unten auf der Titelseite der NEW YORK TIMES schalten und darin meinen Namen drucken lassen. Weiter nichts. Lassen Sie meinen Namen drucken.

Fünfzehn Tage Frist für Frederick. Fünfzehn Tage für die Suche nach RUMPELSTILZCHEN, fünfzehn Tage, die John Katzenbach als Achterbahnfahrt durch alle Stadien der Verzweiflung seines Helden: hinter jeder Ecke lauert eine Überraschung, jede vermeintliche Entdeckung führt nur zu einem neuen Rätsel, jeder Schritt führt ihn nur noch näher an den Abgrund. So souverän wie in DER PATIENT hat mich in der letzten Zeit selten ein Thriller gefesselt. Ein Page-Turner im wahrsten Sinn des Wortes, denn Rumpelstilzchen bringt Frederick Starks in eine wirklich verzweifelte Situation:

Sie werden feststellen, dass auf dem zweiten Blatt dieses Briefes 52 Namen aus Ihrer Verwandtschaft aufgelistet sind. (...) Falls Sie es nicht schaffen, die Anzeige wie oben beschrieben aufzugeben, dann bleibt Ihnen nur eine Wahl: Bringen Sie sich augenblicklich um, oder ich vernichte einen dieser unschuldigen Menschen.
Bringen Sie sich um, Herr Doktor. Springen Sie von einer Brücke. Pusten Sie sich das Hirn mit einer Pistole weg. (...) Suchen Sie sich einen passenden Balken und hängen Sie sich daran auf. Die Methode bleibt ganz Ihnen überlassen.
Doch das ist Ihre beste Chance.

Ein Mensch, der in ein Komplott gerät, von dem er nicht sagen kann, wieviel er sich davon nur einbildet und wieviel davon Wirklichkeit ist. Das ist der Stoff, aus dem auch seinerzeit Boileau und Narcejac ihre Thriller gestrickt haben, und mit der gleichen Eleganz mit der die beiden Franzosen mich seinerzeit auf die Folter spannten, hat mich jetzt John Katzenbach um den Schlaf gebracht. Deshalb ein guter Tipp: Fangen Sie nicht irgendwann nachmittags mit dem Lesen an. Sonst enden Sie so wie ich hier im Krimi-Archiv: erst um halb vier in der Nacht, mit der letzten Seite.
Autor: Reinhard Jahn

John Katzenbach:
Der Patient
(Original: The Analyst)
Knaur Taschenbuch

7.8.08

Robert Brack: Und das Meer gab seine Toten wieder

Hamburg 1932. Mit dem Schiff aus England kommt Jennifer Stevenson in die Hansestadt, Vertreterin der "International Association of Policewomen", also der Dachorganisation der Polizistinnenn. Warum sie nach Hamburg gekommen, erzählt uns Jennifer Stevenson in "Uns das Meer gab seine Toten wieder". dem neuen Roman von Robert Brack, der schon mit seiner "St. Pauli Trilogie" gezeigt hat, dass er sich sehr gut im historischen Hamburg auskennt.

Der Vorfall, den Jennifer Stevenson untersuchen soll, liegt mehr als ein halbes Jshr zurück, hat aber die Hamburger Polizei bis ins Mark erschüttert: Zwei Beamtinnen der gerade gegründeten WKP - Weiblichen Kriminalpolizei - sind nach einem Streit mit ihrer Vorgesetzten nach Pellworm gefahren und dort - nun ja: gestorben. Die Berichte widersprechen sich - lagen sie jetzt vergiftet nebeneinander am Strand, wurden sie Opfer der einsetzenden Flut und wurden sie erschossen?
Wie auch immer - der Vorfall war jdenfalls für den Polizeipräsidenten Anlass, die gerade gegründete weibliche Kripo wieder auszuflösen und deren Chefin kaltzustellen.
Der Hintergrund dieses ganzen Falles ist authentsich, bis him zu dem Tod de rbeiden Polizistinnen auf Pellworm. Robert Brack hat aus den historischen Unterlagen seine Version des Geschehen entwickelt - es ist die Geschichte der Machtkämpfe und der Infiltration, mit der die Nationalsozialisten amVorabend der Machtergreifung bereits ist Männer (und nicht Frauen!) bei der Polizei in Stellung bringen.

Knapp, präzise, spannend. Ein historischer Polizeiroman, ein kleiner zeitgeschichtlicher Thriller. Kurz: Robert Brack in Bestform.

Robert Brack:
Und das Meer gab seine Toten wieder
Ed Nautilus

Mechthild Borrmann: Morgen ist der Tag nach gestern

Feuer am Niederrhein oder:
Die Leiche im Keller

Hochsommer am Niederrhein - in dem Örtchen Elten brennt ein Sommerhaus. Ein großes Feuer - gelegt mit mehr als 50 Litern Diesel. Zwei Tote findet die Mordkommission Kleve unter Leitung von Kommissar Peter Böhm: Gustav Horstmann - einen honorigen Bürger, verdientes Mitglied der Gesellschaft, engagiert in einer sozialen Stiftung. Dazu eine unbekannte männliche Leiche. Und im Keller des ausgebrannten Hauses einen düsteren Raum, abschließbar, mit einem PC, vielen Fotos, auf denen junge Mädchen - Kinder- zu sehen sind.

Was hier geschehen ist und wer wen getötet hat - das ist eine der drei geschickt miteinander verschränkten Geschichten des Romanes: eine Ermittlungsstory aus der Mankell-Schule. Eine andere Geschichte ist die eines Vaters, der seine Lebensbeichte in das Schulheft seiner vor Jahren verschwundenen Tochter Miriam schreibt. Miriam wurde offenbar entführt, weil man sie für eine andere hielt, für ihre Freundin, Tochter einer bi-nationalen Ehe. Bestehen Zusammenhänge mit anderen Mädchen, bei denen man vermutet, dass sie von ihren Vätern in deren Heimatland entführt wurden?

Ein wenig Ruth Rendell spielt schließlich bei der Geschichte von Frank Zach in den Roman hinein, dem etwas simplen Muttersöhnchen, der als Faktotum das Sommerhaus des Toten betreut hat, und der jetzt zunehmend besorgt verfolgt, wie sich die Ermittlungen der Polizei auf ihn konzentrieren.

Die Mordkommission dreht sich lange im Kreise und auch um sich selbst - da hat ganz klar das Team des Niederrhein-Krimi-Trios Leenders/Bay/Leenders Pate gestanden - und kann am Ende dann doch noch die einzelnen Geschichten dieses soliden Krimis zusammenbringen, mit dem der Bielefelder Pendragon-Verlag seine neue Reihe mit regionalen Romanen weiter profiliert.

Mechthild Borrmann
Morgen ist der Tag nach gestern
Pendragon

Elisabeth Herrmann: Die siebte Stunde

Anwalt Joachim Vernau (bekannt aus dem Überraschungsdebüt DAS KINDERMÄDCHEN von Herrmann) in Berlin lässt sich aus finanziellen Gründen als Lehrer engagieren - er soll an der Alma-Mahler-Werfel-Schule den "Teen Court" leiten, eine Art Schüler-Gerichtsbarkeit in Verbindung mit einer Jura AG.

Die Schule ist eine Edel-Einrichtung ganz im Gegensatz zur direkt gegenüber liegenden Breitenbach-Hauptschule, die Schülerinnen in Vernaus Kurs heißen Samatha, Revanna oder Maximiliane und die Eltern lassen sich ihren Aufenthalt in der Edelbildungsanstalt einiges Kosten.

Dass etwas nicht stimmt, wird Vernau klar, als er merkt, dass man ihm etwas verheimlicht - eine Schülerin aus seinem Kurs hat Ende letzten Schuljahres Selbstmord begangen. Niemand will darüber reden, alle spielen es herunter.
Aber die Sache scheint etwas mit den seltsamen Zeichen zu tun zu haben, Vernau unter einigen Stühlen seiner Schüler im Kurs entdeckt. Ein Giftattentat auf eine weitere Schülerin und zahlreiche Hinweise führen Vernau auf die Spur: An der Schule wird ein LIVE ACTING ROLE PLAY gespielt, ein Rollenspiel, bei dem die Mitspieler für die Spielzeit in die Rollen von Monstern, Kämpfern, Kriegern, Elfen schlüpfen und schwere Kämpfe (in ihrer Phantasie) unter den Clans ausgefochten werden.

Die "Schwarze Königin", von der Vernau immer wieder hört, schient so eine Figur aus so einem Rollenspiel zu sein. Und sie scheint es darauf abgesehen habne, einen Schüler nach dem anderen aus Vernaus Kurs in den Tod zu treiben.

Das ist süffig erzählt, geschickt wird die anfängliche Heile-Welt-Atmosphäre an der Schule Stück um Stück zerstört, um dem Fall auf die Spur zu kommen und die Abgründe der Menschen zu zeigen, die in ihn involviert sind.

Elisabeth Herrmann:
Die 7. Stunde
List

2.8.08

Susanne Goga: Leo Berlin

Berlin 1922 - die Inflation beginnt, Berlin ist die Hauptstadt und zwar noch längst nicht s groß wie heute, aber doppelt so aufregend: Amüsierclubs, Bordelle, das verrufene Scheunenviertel, die sogenannten "Ringervereine", in denen die schweren Jungs sich zusammengeschlossen hatten zu einer Art Sozialkasse, die für Frau und Kinder aufkam, wenn der Mann ins Gefängnis kam.

Und natürlich die Berliner Schickeria, feine Damen, halbseidene Herren, Gigolos, Abenteurer, Gentlemen und Scharlatane. Der Wunderheiler, der in seinem "Studio" den Damen der besseren Gesellschaft mit einem weißen Pulver zu besserer Stimmung verhilft, ist eindeutig ein Scharlatan - hat ihm deshalb jemand die schwere Buddha-Statue über den Kopf geschlagen, de man neben seiner Leiche findet.

Ein Fall für Leo Wechsler, Kriminalkommissar bei der Berliner Kripo, die seinerzeit unter der Leitung eines Mannes stand, der später einen legendären Ruf erringen sollte: ERNST GENNAT, auch genannt DER DICKE.
Die Ermittlungen führen Leo Wechsler in die schicken Villen des Bürgertums und in die Absteigen des Scheunenviertels - ohne dass er zunächst verwertbare Hinweise auf den Täter finden kann. Und der Täter ist nicht untätig, wie wir schon bald erfahren, wenn die Perspektive in der Geschichte wechselt.

LEO BERLIN führt uns in eine bislang kaum beschriebene Szenerie der deutschen Geschichte - die Zeit zwischen den Kriegen, die man teilweise auch die "Goldenen Zwanziger" genannt hat.

Eine spannende Kriminalstory mit viel, viel Zeit- und Lokalkolorit aus dem Berlin der Zwanziger Jahre.

Susanne Goga:
Leo Berlin
DTV

31.7.08

Andreas Franz
Spiel der Teufel

Bestseller-Autor aus Hessen

Wallace-Spannung im neuen Gewand

Edgar Wallace lebt. Er heißt jetzt Andreas Franz, lebt in Hessen und hat sich in den letzten 15 Jahren mit 17 Romanen einen Dauerplatz in den Bestsellerlisten erschrieben.
Nun sind Bestseller noch nie durch besondere Stilistik und Sprachkunst aufgefallen - danach muss man auch bei Andreas Franz lange suchen. Bestseller werden Bestseller, weil sie in Story und Sentiment aufs Gigantische setzen, die ganz großen Gefühle, die ganz großen Komplotte, den ganz großen Nervenkitzel. So auch hier, genau wie zu Zeiten von Wallace selig, wo es immer um einen finsteren »Hexer«, einen »Mönch mit der Peitsche« oder wenigstens um den »Safe mit dem Rätselschloss« gehen musste. Dass da mitunter die Logik des Plots ein wenig auf der Strecke blieb, hat damals keinen gestört und stört auch beim »Spiel der Teufel« von Andreas Franz kaum.
Hat sich Kommissar Gert Wegner in der Garage seiner Kieler Vorortvilla wirklich selbst mit Autoabgasen vergiftet? Wegners Kollegen Sören Henning und Lisa Santos, Serienhelden von Andreas Franz, haben ihre Zweifel, zumal in derselben Nacht noch die Leiche einer Asiatin gefunden wird, die eine Profi-Killerin gewesen zu sein scheint.
Und ebenfalls zur gleichen Zeit erhält der angesehener Herzchirurg Besuch von einem zwielichtigen russischen Geschäftsmann und dessen Assistentin. Die beiden machen ihm ein Angebot in Sachen Organhandel, das ihm einen Schauer über den Rücken laufen lässt.
Ab sofort laufen die polizeilichen Ermittlungen von Lisa Santos und Sören Henning und die Geschichte des erpressten Chirurgen parallel zueinander ab und man braucht nicht viel Fantasie, um zu ahnen, dass sie am Ende beim Showdown zum gemeinsamen Höhepunkt kommen werden.
"Spiel der Teufel" orientiert sich an der Erzählweise von Henning Mankell, dem schmucklosen ausgebreiteten Bericht dessen, was geschieht, der gelegentlich durch Szenen mit großem Schauwert akzentuiert wird: Nachteinsätze, Razzien und düstere Dialoge über die Ungeheuerlichkeit des Verbrechens, mit dem man es in diesem Fall zu tun hat. Ganz wie bei Wallace eben.  - Reinhard Jahn

Veröffentlicht am 31.7.2008 in NRZ / WAZ Funke Medien

Andreas Franz
Spiel der Teufel
496 Seiten
Knaur Hardcover