7.12.15

Kult und Klassiker, Neuausgaben und Neuauflagen


Warum gibt es Neuauflagen / Neuausgaben von Kriminalromanen?

Falsch – die Frage muss heißen: 

 

Wieso sind die wichtigen, stilprägenden Kriminalromane nicht ständig verfügbar?
Und weshalb Neuausgaben gemacht werden müssen.


Die wichtigen Kriminalromane wichtiger Autoren sind nicht durchgängig verfügbar, weil…

 

 Die wirtschaftliche Antwort:

Kriminalromane sind Unterhaltungsliteratur, Gebrauchsliteratur, Entertainment. Sie werden nicht mit derselben editorischen Sorgfalt behandelt wie die sogenannte hohe oder "ernste" Literatur. Kriminalromane erfüllen für den Verlag ihren wirtschaftlichen Auftrag ("Gewinn machen") und werden nicht mehr aufgelegt / hergestellt / angeboten, wenn sie das nicht mehr gewährleisten.
Beispiel:
Ross Thomas – seine Polit-Thriller bei Ullstein, oft nach der ersten Auflage out of print

Die verlegerische Antwort

Es kommt immer wieder vor, dass das Werk eines Autors verteilt über die Jahre in verschiedenen deutschen Ausgaben und Verlagen erschienen sind. Das Werk ist dann zumeist – siehe wirtschaftliche Antwort – nicht mehr komplett im Angebot. Andererseits kann auch ein aktueller Verlag aus rechtlichen Gründen nicht immer die "früheren" Werke eines Autors erwerben, um eine Gesamtausgabe zu veranstalten (soweit er meint, dass sich dies überhaupt lohnt)
Beispiele: Ed McBain und die Romane um das 87ste Polizeirevier

Die inhaltliche Antwort:
Kriminalromane sind zeitgebunden – sie haben den Ansatz, die Gegenwart realistisch zu schildern. Deshalb wirken viele Kriminalromane bereits nach zehn Jahren "antiquiert", altmodisch und überholt. Dazu kommt, dass sie auch in der Erzählweise und Form an ihre Zeit gebunden sind. Nur bei wenigen Autoren und Werken ist es so, dass sie sich einen Platz im Kanon der Kriminalliteratur geschaffen haben und es sich "lohnt", sie im Sinne einer Traditionsbildung wieder aufzulegen oder sorgfältig zu editieren.
Beispiel: Donald E. Westlake / Richard Stark: Die Parker Romane

Die Leser-Anwort:
Nachwachsende Krimifans, die ihre Leidenschaft für das Genre anhand aktueller Krimis entdeckt haben, suchen nach den "Wurzeln" des Gneres und möchten wissen, wie das Genre früher aussah und von welchen Autoren es gepägt wurde. Hier können Neuausgaben bei der Traditionsbildung helfen. Wie dies etwa mit den Ausgaben von Agatha Christie geschieht.

Muss es deshalb wirklich Neuauflagen/Neuausgaben geben?
Das Contra-Argument:

Neuauflagen sind angesichts der breiten Verfügbarkeit von antiquarischen Ausgaben  nicht mehr nötig. Und spätestens seitdem Texte  auch als Ebook vorliegen, sind sie ohne große Lagerhaltung permanent online verfügbar.
Unter diesem Aspekt wären nur Neuausgaben in neuen oder vollständigen Übersetzungen sinnvoll oder nötig.


Das aktuelle Krimi-Ranking:


Die acht wichtigsten Krimi-Neueditionen und Werkausgaben


Auf Platz 8
Jörg Fauser (1944 – 1987)

Zuerst schrieb er Lyrik und Texte im Stil der Beat-Geberation über seine Drogebnsucht. Später journalistische und schriftststellerische Arbeiten auf dem schmalen Grad zwischen E- und U-Literatur. Er sah sich als "Handlungsreisenden in Sachen Text". Vier Kriminalromane, klassisch im Zuschnitt, aktuell und viril in der Gegenwartschilderung.



Das Werk: Gedichtsammlungen, Textsammlungen, vier Kriminalromane, eine Biographie (Marlon Brando), Songtexte für Achim Reichel u.v.a.m.

Die Neuausgabe(n):
1990-94 Jörg-Fauser-Edition in acht Bänden, einem Beiheft und Ergänzungsband bei Rogner & Bernhard
2004–2009 Neue Edition der Werke Jörg Fausers beim Alexander Verlag, Berlin. Mit Vor- und Nachworten. Aktuell auch Fausers Bücher als Ebooks

Ist die Neuausgabe sinnvoll: Die zweite Neuausgabe auf jeden Fall, weil sie das Werk auch mit Sekundärtexten erschließt. Fausers Krimis sind stets  nur im Rahmen dieser Neuausgaben erschienen.


J.L. Burke
Foto: Burke/facebook
Auf Platz 7
James Lee Burke: (*1936)

Der große alte Mann des zeitgenössischen US-Krimis. (Kritiker Andreas Ammer: "Burkes Stärke ist die pure erzählerische Wucht.") schuf mit seinem Polizisten Dave Robicheaux   aus New Orleans den archetypischen amerikanischen Helden der Post-Vietnam-Generation

Das Werk:  20 Robicheaux Romane von 1987 bis 2013
Auf deutsch. verstreut auf mindestens zwei Verlage (Ullstein / Goldmann):
mehr als ein Dutzend Titel der Dave Robicheaux-Reihe (1991 – 2002)
Derzeit mit der Hackberry-Holland-Reihe bei Heyne (2014ff)



Die Neuausgabe: Die 12 auf deutsch erschienen Titel der Dave Robicheaux-Reihe als Ebook bei EDEL

Ist die Neuausgabe sinnvoll?
Sinnvoll in dem Sinn, dass die deutschen Titel der Robicheaux-Reihe (elektronisch) verfügbar sind. Ansonsten: reine Rechtevermarktung  ohne Werkpflege.



Auf Platz 6

Agatha Christie (1890 – 1976)
Die Queen of Crime regierte im Golden Age des Genres in den 1920ern und 1930ern und entwickelte die sogenanten Cozies und Landhaus-Krimis bis zur Perfektion.

Das Werk: 66 Romane (zwischen 1921 und 1976)

Deutsche Ausgaben:
Nach dem Krieg beim schweizer Scherz-Verlag, nach dessen Übergang zum Fischer-Verlag dann dort.

Deutsche Neuausgabe:
Alle Romane ab September 2014 im Atlantik-Verlag.
Die Neuausgabe präsentiert zum Teil Neuübersetzungen. Die Ausstattung (Cover) ist einheitlich und an der britischen Ausgabe orientiert.

Warum war die Neuausgabe sinnvoll?
Die alten Übersetzungen waren zum Teil gekürzt, sie sind auch sprachlich sehr ihrer Zeit (fünfziger Jahre) verhaftet.


Auf Platz 5
Ross Macdonald: (1915 – 1983)
Ross Macdonald alias Kenneth Millar (Realname) schuf mit seinem Detektiv Lew Archer den legitimen literarischen Erben von Chandlers Philip Marlowe.

Das Werk: 18 Lew Archer-Romane, diverse andere Krimis als "Kenneth Millar"

Deutsche Ausgaben: verteilt auf drei Verlage, teilweise unter Kenneth Millar, später unter Ross Macdonald, in verschiedenen Schreibweisen.

Die Neuausgabe: 18 Lew Archer-Romane bei Diogenes
ab Anfang der 1980 nicht kontinuierlich, im Zusammenhang mit der Übernahme der deutschen Macdonald-Rechte durch Diogenes
Aktuell teilweise in Neuübersetzungen, meist mit einem Nachwort von Donna Leon

Ist die Neuausgabe sinnvoll?
So, wie sie begonnen wurde  (keine Kontinuität, keine Konsequenz) eher nicht


Bild: CrossCult
Auf Platz 4
Ian Fleming (1908 – 1964)
Er schuf  den archtypischen Helden der Moderne: Bond, James Bond. Die Bond-Romane lieferten die Vorlage für eine der erfolgreichsten Serien der Kinogeschichte, sie waren stilprägend für die Spionage- und Thriller-Litteratur der Nachkriegszeit und des Kalten Krieges.

Das Werk: 12 Romane, 9 Stories

Die deutsche Ausgabe:
verteilt auf zwei Verlage (Scherz und Ullstein), in jeweils ihrer Zeit gemäßen, etwas gekürzten Übersetzungen. Dann lange Zeit out of print.

Die Neuausgabe:
Seit zwei Jahren im Verlag CrossCult, der die Gesamtrechte an Flemings Bond-Werk, inklusive der nachgeschriebenen Romane erworben hat.
Die Ausgaben werden alle neu übersetzt und erhalten ein einheitliches Coverdesign.

War die Ausgabe nötig:
Ja. Denn sie liefert erstmals den integralen Roman-Bond.

Trivia: Der Flughafen auf Jamaika heißt ab 2011 Ian Fleming International Airport.


McBain bei Ullstein
Foto: Jahn
Auf Platz 3
Ed McBain (1926 – 2005)
EdMcBain gilt mit seinem Romanen um das Personal des 87sten Polizeirevier im fiktiven "Isola" als der Schöpfer des modernen Polizeiromans. Er "erfand" das aus einzelnen Persönlichkeiten bestehende "Team", das den Solo-Ermittler des "private eye" ablöste. Mit seinem  am Film und Fernsehen orientierten Stil führte er den Krimi in die Moderne.

Das Werk: Die 87ste Revier Romane (55 Titel)

Die deutschen Ausgaben:
Zunächst bei Ullstein als GELBE KRIMIS, später bei Bastei-Lübbe

Die Neuausgabe:
Der Hamburger Culturbook-Verlag begann zusammen mit dem großen Fanbuch "Cops in the City" von Alf Mayer und Frank Göhre mit der Neuausgabe der 87ste Revier-Romane als Ebook. Die Neuausgabe wird zunächst die auf deutsch erschienenen Titel  zusammenführen, später möglicherweise auch die noch nicht übersetzten Titel bringen.

Ist die Neuausgabe nötig: Ja.


Georges Simenon
Bild: wikipedia CC BY-SA 3.0
Auf Platz 2
Georges Simenon (1903 – 1989)
Der französische Schnell- und Vielschreiber schuf eine der prägenden Figuren des europäischen Kriminalliteratur: Kommissar Jules Maigret. Simenons Stil ist klar, einfach, voller Atmosphäre und mit einem scharfen Blick auf die Menschen.

Das Werk: 193 Romane (davon 75 Maigret-Romane)

Die deutschen Ausgaben:
Nach dem Krieg in zwei Verlagen – Kiepenheuer und Witsch und Heyne. Ohne editorische Ambition. Erst mit dem Übergang der Rechte zu Diogenes begannen sogfältige Editionen.


Die Neuausgabe:
Diverse Neuausgaben bei Diogenes, zuletzt alle Maigret-Romane und teilweiser Neuübersetzung. Es folgten auch die  kompletten sogenannten "Non-Maigrets".

War die Neuausgabe nötig: Unbedingt.


Und auf Platz 1
Ross Thomas: (1926 – 1965)Ross Thomas war Soldat, Journalist, Wahlkampfberater, Schriftsteller – und das alles neben- und nacheinander auf den Philipinen, den USA, in Deutschland und Nigeria.
Seine Polit-Thriller sind geschliffen erzählte Analysen von Machtstrukturen im westlichen Kapitalismus. Er ist der würdige Nachfolger von Eric Ambler.

Das Werk: 25 Romane (davon 5 als "Oliver Bleeck")

Deutsche Ausgaben: verteilt auf verschiedene Verlage, primär Ullstein Krimis. Die frühen Romane sind teilweise radikal gekürzt

Die Neuausgabe: nach und nach im Alexander-Verlag.
Neuübersetzungen und bearbeitete und ergänzte Übersetzungen. Dazu Nachworte.

Ist die Neuausgabe sinnvoll? Unbedingt.