19.12.14

Factsheet Polit-Thriller

Factsheet Politthriller
Das wichtigste zuerst:
Was ist eigentlich ein Politthriller?

Abgeleitet von der Definition, die Wikipedia für den Politthriller im Kino findet, kann man sagen:
Zitat:
Der Politthriller unterscheidet sich vom klassischen Thriller dadurch, dass sich die Handlung der Geschichte mit Verwicklungen auf staatlicher Ebene, mit terroristischen Anschlägen, Spionage oder kriminellen Machenschaften staatlicher Institutionen oder deren Vertretern beschäftigt. Dies geschieht durch Einarbeitung von fiktiven politischen Ereignissen, die in existierenden oder fiktiven Ländern stattfinden. Die dargestellten Ereignisse nehmen mitunter Bezug auf reale politische Ereignisse der Vergangenheit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Thriller#Politthriller

Halten wir fest:
1. Verwicklung auf staatlicher Ebene
2. Einbeziehung eines politischen Umfelds in die Handlungsentwicklung
3. gegebenenfalls Einbeziehung von terroristischen Elementen
4. gegebenenfalls Einbeziehung von Spionage-Elementen und Agenten
5. Verwendung realer, bzw fiktionalisierter politischer Hintergründe

Zur Beschreibung, was ein Polit-Thriller (jenseits des "Kriminalromans") erzählt, ein Zitat von Eric Ambler (1909 – 1998) , dem Godfather des modernen Polit-Thrillers ("Die Maske des Dimitrios", 1939):
»Bei einem Mordanschlag ist es für mich nicht das Allerwichtigste, zu wissen, wer den Schuss abgegeben hat, sondern wer die Kugel bezahlt hat«

Dahinter steht der Gedanke der "strukturellen Gewalt", bzw des "institutionalisierten Verbrechens", der davon ausgeht, dass in komplexen Organisationen wie Staaten, Konzernen oder Geheimdiensten ein eigenes, vom allgemeinen Konsens abgekoppeltes Rechts- und Unrechtsempfinden herausgebildet wird, bzw Handlungen zum Systemerhalt und Machterweiterung durchgeführt werden, die sich jenseits allgemeiner moralischer Grundsätze bewegen.

Ein Politthriller erzählt dabei nicht notwendigerweise davon, wie solche Entwicklungen enthüllt und bestraft werden, sondern durchaus auch davon, wie das Individuum an der der Aufdeckung scheitert, bzw das Individuum am Ende seine eigene Machtlosigkeit erkennen muss.

Der Polit-Thriller als Kind des Kalten Krieges:

Rund um den James Bond-Zyklus von Ian Fleming, bzw der "Circus"-Welt von John le Carré entstand in den fünfziger Jahren eine blühende Szene von Romanen, in denen die verdeckten Operationen der westlichen Geheimdienste gegen die verdeckten Operationen der östlichen Geheimdienste (das KGB) erzählt wurden.
-Politischer Hintergrund war das "Gleichgewicht des Schreckens" und dessen atomare Bedrohung.
-Die Helden des Kalter-Kriegs-Thrillers sind Männer, mit einem großen M. Oft mit militärischer Vergangenheit (Commander James Bond). Oder aus der Verwaltung des Inneren à George Smiley.

Der Polit-Thriller als Sammelbecken der Verschwörungs-Theoretiker
Mit dem Ende des Kalten Krieges ende der siebziger Jahre rückten "innenpolitische" Themen ins Zentrum des Polit-Thrillers: verdeckte Aktionen staatlicher Einrichtungen, strukturelle Gewalt, Geheimbündelei. Es geht unter anderem um
-ein gescheitertes Attentat auf Charles de Gaulle ("Der Schakal" von Frederick Forsythe)
-die endlosen Spekulationen über die Hintergründe des Attentates auf John F. Kennedy
-ein gescheitertes libysches Atom-Attentat auf New York ("Der fünfte Reiter" von Collins/Lapierre)
-die Korruption und der Zerfall des sowjetischen System ("Gorky-Park") erzählt von einem US-Autor

Nebenzweig: Polit-Thriller als Sammelbecken für Nazi-Folkore
Zyklisch gibt es Wellen von Romanen, in denen es um "geheime Pläne", "geheime Forschungen", "bisher unbekannte Tatsachen" aus der Zeit des Dritten Reiches und besonders der zweiten Weltkrieges geht, die die Grundlage oder Ursache für eine heutige Thriller-Geschichte bilden.
Es geht um
-Geheimwaffen
-Das Bernstein-Zimmer / Beutekunst
-geheime Nazi-Kolonien und Pläne zur Errichtung eines Vierten Reiches.
FAZIT: Das sind in der Regel keine echten Politthriller, sondern spekulative Action-Romane

Aktuelle Polit-Thriller
In den aktuellen Politthrillern werden einerseits die Spionage- und Geheimdienstgeschichten weitergeführt, die im Kalten Krieg Konjunktur hatten. Das Feindbild (bzw die "Gegenspieler") derzeit: religiöse Extremisten ("Islam"), aber auch nationale Extremisten (Ukraine).
Autoren: Olen Steinhauer, Stella Rimington (Ex-MI5-Chefin) , Greg Rucka 
Sobald terroristische, also politische motivierte Verbrechen eine Rolle spielen, kann auch aus einem "normalen" Kriminalroman ein Polit-Thriller werden – prägend hier "Die Brandmauer" von Henning Mankell, in dem es darum geht, wie Kommissar Wallander aus Ystad ein komplexes cyberterroristisches Anschlagsszenario auf das Weltfinanzsystem aufdeckt.

Andererseits sind nicht alle Romane, in denen sich die Handlung im politischen Raum entwickelt, Politthriller – Geschichten von geplanten und gescheiterten Attentaten auf den US-Präsidenten etwa (im Film; "Air Force One", "White House down") sind nicht anderes als im Washington oder der Nähe des Präsidenten angsiedelte Action-Stories.

16.12.14

James Lee Burke: Regengötter


Neun junge Frauen findet Sheriff Hackberry Holland nach einem anonymen Anruf hinter der verlassenen Kirche von Chapala Crossing, einer von Gott verlassenen Ecke von Texas. Hingemetzelt von Mädchenhändlern, für die ein schräger Killer arbeitet, der sich der "Preacher" nennt.
Mit diesem packenden Szenarium beginnt eine moderne Western-Story im Cinemascope-Format, die die Schicksale von Verfolgern und Verfolgten, Jägern und Getriebenen mit perfekter Ökonomie und traumwandlerischem Gespür für Spannung und Atmosphäre auf fast 700 Seiten auffächert.
Was für ein Brocken von einem Buch – nicht nur wegen des Umfangs, sondern auch wegen der Wucht, mit der hier erzählt wird. Die brennende Hitze von Texas, die vielfältigen Figuren, denen man James Lee Burke durch seinen Roman "Regengötter" folgt, führen uns auf ihrem Weg durch ihr Leben bis in die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz.   Ganz großes Kino.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

James Lee Burke
Regengötter
Heyne Hardcore

8.12.14

Diese 10 Filme sorgten für Skandale




1928 Der andalusische Hund von Luis Bunuel
In dem surrealistischen Kurzfilm ist zu sehen, wie eine Rasierklinge ein Auge zerschneidet

1947 Monsieur Verdoux  von Charles Chaplin
 

Das Publikum fand es geschmacklos, einen Frauenmörder so menschlich darzustellen, wie Chaplin es tat

1951 Die Sünderin von Willi Forst

 In der Skandalszene ist für einige Sekunden Hildegard Knef als Modell eines Malers nackt zu sehen.

1963 Das Schweigen von Ingsmar Bergman
 

Der Film thematisiert Entfremdung und Existenznot und enthält einige spekulative sexuelle Szenen

1972 Der letzte Tango in Paris von Bernardo Bertolucci

 Die offen dargestellte Sexualität ohne emotionale Bindung zwischen Marlon Brando un Maria Schneider erregte Anstoß.

1973 Der Nachtportier von Liliane Cavani
 

Die Darstellung einer sexuellen Beziehung zwischen einer ehemaligen KZ-Insassin und ihrem ehemaligen Wärter erregte Anstoß.

1975 Die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini
 

Extreme sadistische Sexualpraktiken werden in Beziehung zu politischen Aussagen gesetzt.

1976 Im Reich der Sinne von Nagisa Oshima
 

Offene Darstellung von Sexualität, bei der sich die Partner am Ende zerstören und verstümmeln.

1988 Die letzte Versuchung Christie von Martin Scorsese

 Die Darstellung Jesu steht im grundsätzlichen Widerspruch zur christlichen Heilsbotschaft

1992 Basic Instinct von Paul Verhoeven
 

Sharon Stone schrieb Filmgeschichte durch die Verhörszene, in der sie keinen Slip trägt.

5.12.14

Die telefonische Mordsberatung auf WDR5
Die besten Krimis des Jahres 2014


Reinhard Jahns "Beste 2014"

Walter Lucius:
Schmetterling im Sturm
Suhrkamp Verlag

Schauplatz Niederlande, Amsterdam. Alles beginnt, als die Journalistin Farah Hafez sich im Krankenhaus nach dem Zustand ihrer Gegnerin erkundigen will, die sie gerade bei einem Kampfsport-Turnier besiegt hat. Es wird gerade ein Unfallopfer eingeliefert – ein ausländisch aussehender Junge, der Mädchenkleider trägt. Farah erkennt die Sprache des Jungen – es ist die Sprache ihrer Heimat Afghanistan. Der Junge ist schwerverletzt auf der Straße in einem Waldstück gefunden worden, wo auch ein ausgebrannter Kombi mit zwei verbrannten Toten steht. Mindestens zwei Dinge sind mysteriös: Die Mädchenkleider, die der Junge trägt, deuten auf ein "Baccha Baazi" hin, bei dem ältere Männer sogenannte Tanzjungen missbrauchen. Und die Tatsache, dass der anonyme Notruf über den Fundort des Jungen von der Gattin eines populären TV-Moderators abgesetzt wurde, der ganz in der Nähe lebt – aber angeblich nichts mit dem Fall zu tun haben will. In all diesen Fragen ermitteln nicht nur die Kommissare Joshua Calvino und der aus Nordafrika stammende Marouan Diba sondern auch bald Farah und auch die Notärztin Danielle Bernson, die den Jungen versorgt hat, will zur Aufklärung beitragen. So beginnt ein großartiges Ensemblestück aus der Feder des fernseherfahrenen Walter Lucius. Es ist der erste Band einer Trilogie, an der Lucius arbeitet, und die viele unangenehm scharfe Schnitte durch die niederländische Gesellschaft legt und einen genauen Blick auf die Korruption in Politik und Wirtschaft wirft. Walter Lucius entwickelt die Geschichte mit großer Dynamik, aber auch mit Blick für Details und Figuren zu einem atemlos spannend erzählten Politthriller über Macht, Politik und Korruption in den Niederlanden und in Europa.
Reinhard Jahn WDR 5 Mordsberatung (Oktober 2014)

Orkun Ertener:
Lebt
Fischer/Scherz

Can Evinmann ist als Ghostwriter für Anna Roth engagiert, die berühmte Schauspielerin und Gattin des Industriellen Martin Eissler. Da bittet ihn eines Tages Ellen Reichert, eine der Assistentinnen von Anna Roth, sich doch einmal mit ihrem Großvater zu treffen – Anton Mahler, hochbetagt, habe angeblich auch eine Lebensgeschichte zu erzählen. Anton Mahler entpuppt sich als ehemaliger SS-Mann, der während der Besetzung Thessalonikis 1942 auch für Gräueltaten verantwortlich war. Als seinerzeit seine Frau von Widerstandskämpfern entführt wurde, hat ein gewisser Chaim Evinmann dafür gesorgt, dass sie – und Anton – überlebten. War dieser Evinmann ein Vorfahre von Can – der zwar türkische Wurzeln hat, aber ansonsten zu hundert Prozent zum deutschen Showbiz-, Medien- und Intellektuellenmileu gehört. Doch die vielen mysteriösen Vorfälle nach seiner Begegnung von Anton Mahler drängen ihm bald den Verdacht auf, dass seine Familie, die Familie um Anton Mahler, und besonders die Familie des Industriellen Eissler und auch die seiner Frau vor mehr als 70 Jahren im besetzten Thessaloniki auf schicksalhafte Art und Weise in tragische Ereignisse verwickelt wurden, die bis heute Auswirkungen haben. Ein opulenter, großer Kriminal- und Familienroman.
Reinhard Jahn WDR 5 Mordsberatung (August 2014)




Richard Crompton:
Wenn der Mond stirbt

Deutscher Taschenbuch Verlag
Nairobi, Kenia, um die Weihnachtszeit des Jahres 2007. Das Land steht vor den Präsidentschaftswahlen. Der Wahlkampf und die Wahl selber, aber auch die dort stattfindenden Wahlfälschungen, bilden den Hintergrund für die Mordermittlung, mit der sich Detective Mollel von der Polizei befasst. Eine junge Frau ist tot in einem Abwasserkanal gefunden worden – eine Massai, wie man an den Stammesnarben erkennt. Mollel selbst ist ebenfalls ein Massai, deshalb interessiert ihn diese Tote besonders. Schnell ist klar, dass die Frau als Prostituierte gearbeitet und Kontakte zu einem einflussreichen Prediger mit einer großen eigenen Kirchengemeinde hatte. Doch warum wurde sie getötet? Hat sie irgendetwas gehört oder gesehen, in dem Park, in dem sie ihren Mörder traf? Oder hatte sie vielleicht sogar Beziehungen zu einem der Politiker, die im Wahlkampf stehen? Der Fall nimmt eine dramatische Wende, als Mollel Hinweise darauf findet, dass die Tote ein Kind zur Welt gebracht haben soll, ehe sie getötet wurde. Das Leben in der Metropole Nairobi bildet den Hintergrund für die Geschichte und die farbenprächtige und detailgenaue Schilderung ist die große Stärke dieses Kriminalromans. Der Autor, ein britischer Journalist, hat offenbar genau hingeschaut, ehe er mit seiner Arbeit begann und mit Detective Mollel, dem "einsamen Massai", wie ich ihn nennen möchte, ist ihm einer des faszinierendsten Protagonisten der letzten Zeit gelungen. Mollel ist irgendwann einmal kaltgestellt worden; jetzt wird er reaktiviert. Er zieht seinen Sohn alleine auf und muss sich gegen seine Schwiegermutter wehren, die den Jungen gern bei sich haben möchte. Und nicht zuletzt hat Mollel als Gegenpart stets seinen Kollegen Kiunga an seiner Seite; einen Pragmatiker, der Mollel manchmal auch vor sich selber schützt.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung (Juni 2014)



Bernhard Aichner:
Totenfrau
btb Verlag
Brünhilde Blum, genannt Blum, ist Bestatterin. Mark, ihr Mann, ist Polizist. Als Mark vor ihrem Haus überfahren wird und stirbt, bricht für Blum eine Welt zusammen. Dann, als sie Marks Sachen sortiert, stößt sie auf seinem Handy auf die Gesprächsaufzeichnungen mit einer jungen Frau, Dunja, die Mark vernommen hat, um den Menschenhändlern auf die Spur zu kommen, die Dunja und andere aus Kroatien ins Land gebracht haben, um sie auszunutzen. Als billige Arbeitskräfte und als Prostituierte. Blum macht sich auf die Suche nach Dunja und findet sie. Dunja ist sicher, dass Marks Tod kein Unfall, kein Zufall war. Und Blum nimmt sich vor, die Männer zu finden, die Dunja Gewalt angetan haben, um sie dafür bezahlen zu lassen und um Informationen über Marks Tod zu finden. Der Fotograf, der Priester, der Koch, der Clown und der Jäger. Mehr als diese Beschreibungen kann Dunja von den Männern nicht geben. Doch Blum und ihr Vertrauter Massimo, ein Freund Marks,  finden die Männer, einen nach dem anderen. Und ihre Rache ist grausam; schließlich hat sie als Bestatterin ausreichend Erfahrung im Umgang mit Toten. Eine spannende, vorwärtstreibende Geschichte, ein absolut ungewöhnlicher Stil: Kurze Abschnitte, prägnante Dialoge; Bernhard Aichner ist immer ganz nah dran an seiner Hauptfigur. Er folgt Blum bei ihrem Rachefeldzug, nimmt uns Leser mit ins Boot und lässt uns mitzittern, ob Blum ihr Vorhaben gelingt, und hoffen, dass sie damit davonkommt. Spannung pur, Krimi vom Feinsten.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung (April 2014)




Dirk van Versendaal:
Die Engel warten nicht
BTB

Knut Giovanni Myrbäck – mit so einem Namen kann das Leben nicht gutgehen. Myrbäck ist ein mittelgroßer Kleinganove, der gemeinsam mit seinem Kumpel Jan Holzapfel nach Auftrag eines Polen Luxuslimousinen in Hamburg und Umgebung klaut. Die Wagen gehen dann sofort in den Osten und die Sache ist gelaufen. Bis bei einem Job alles schiefgeht; der Audi Q7, den die beiden für Staczek, den Polen, beschaffen, ist kaum in der zwielichtigen Werkstatt ihres Komplizen Raschke abgestellt, als die Werkstatt (und Raschke) in die Luft fliegen. Dann wird bei Drochtersen eine verbrannte Leiche gefunden und Myrbäck und Holzapfel können den Polen nicht mehr erreichen. Irgendjemand scheint hinter ihnen her zu sein. Wer? Das weiß man nicht, aber besser, man haut erst einmal ab – nach Nynäsham, einer Kleinstadt südlich Stockholms, zu Holzapfels Schwester Heidi, einer frustrierten Schulkrankenschwester, die sich um Sassie Linné kümmert, eine wildes Mädchen, das allerdings derzeit eine Hausarrest-Strafe verbüßt und deshalb eine Fußfessel trägt. Sassies Vergangenheit ist eng mit Christiania vernunden, der geduldeten "Autonomen Zone" in Kopenhagen. Schnell fühlt sich Myrbäck zu der unkonventionellen Sassie hingezogen und während er zusammen mit Holzapfel in Kopenhagen mit Autodiebstählen wieder auf die Beine zu kommen versucht, entwickelt sich eine spröde, nicht ganz problemfreie, Liebesbeziehung zwischen den beiden.Eine sehr präzise und mit Blick aufs Detail erzählte Gauner- und Ganovengeschichte aus Norddeutschland und Schweden mit Protagonisten, die einem langsam aber sicher ans Herz wachsen und zwar je mehr, desto mehr sie vom Pech verfolgt werden. Myrbäck und Holzapfel sind die Art von Stehaufmännchen, die man einfach gern haben muss. Auch wenn man immer befürchten muss, dass sie dir den Wagen klauen, sobald du ihnen den Rücken zuwendest. Pulp Fiction made in Germany – frisch, lebendig, komisch und spannend. 
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung (Februar 2014)




1.12.14

Lee Child
61 Stunden

Bolton in South Dakota, eine Kleinstadt mitten im Winter. Alles ist zugeschneit, die Temperaturen sinken empfindlich unter Null. Hierhin hat es Jack Reacher, den einzelgängerischen Ex-Militärpolizisten verschlagen – als der  Touristenbus, in dem der schwarz mitgefahren ist, in einen Unfall verwickelt wird und man jetzt in Bolton festsitzt.
Und auch gleich in wieder in einen Abenteuer – "Fall" kann bei Jack-Reacher-Romanen nicht sagen – gerät, dass ihm alles abverlangt – und bei dem man sich fragt, wie er am Ende davonkommen wird.
Die Stadt lebt von dem Gefängnis in der Nähe – für das man sich als Standort beworben hat, um den Preis, dass die Polizei von Bolton bei Alarmen im Gefängnis strikte Sicherheitsmaßnahmen durchführen muss.
Im Moment – als eine Kaltfront Bolton mit arktischen Temperaturen und heftigen Schneefällen überzieht – hat Boltons Polizeichef nur eine Sorge: dass Janet Salter am Leben bleibt, eine alte Dame, Professorin, die als Zeugen in einem Verfahren gegen einen der Biker aussagen soll, die sich in einem aufgelassenen Militärstützpunkt am Rand von Bolton eingenistet haben. Dass interessierte Kreise Emma Salter gern töten würden, ist klar.
Noch 61 Stunden bis zum Showdown – so beginnt das Buch und zählt mit jedem Kapitelende die Zeit weiter herunter – bis zum großen feurigen Finale in dem alten Militärstützpunkt, bei dem Jack Reacher einem ultrabrutalen mexikanischen Drogenboss den Garaus macht, der als Hintermann für all die Gewalt verantwortlich war, die in Gestalt der Biker und anderer über die Stadt gekommen ist.
Und der großen finale Feuerball am Ende des Romanes ist zugleich der letzte und größte Cliffhanger, mit dem Lee Child uns dann allein lässt.

Es kann nur einen wie Jack Reacher geben: fast zwei Meter groß, durchtrainiert und als ehemaliger Militärpolizist meist – also eigentlich immer – auf der Seite der Guten. Reacher ist ein Pragmatiker des Lebens, zu dem ganz natürlich auch Gewalt gehört. Die übt er nicht gern aus, aber wenn, dann äußerst effektiv. Jeder Reacher-Roman ist eine neue Expedition auf die dunkle Seite Amerikas – bissig erzählt und kompromisslos auf den Höhepunkt getrieben.,
(Reinhard Jahn WDR Mordsberatung)

Lee Child
61 Stunden-ein Jack Reacher-Roman
München: Blanvalet, 2013

Telefonische Mordsberatung
Ulrich Nollers Top-Krimis 2014

Ulrich Noller - Krimi-Experte bei der Telefonischen Mordsberatung auf WDR5
Foto: Reinhard Jahn

Die Telefonische Mordsberatung auf WDR5
Ulrich Nollers Top-Krimi-Tipps 2014

James Lee Burke:
Regengötter

Texas, irgendwo im Nirgendwo. Ein Anrufer hat nächtliche Schüsse gemeldet, hinter einer verfallenen Kirche findet Sheriff Hackberry Holland neun Leichen. Junge Asiatinnen, zum Teil minderjährig; sie hatten als Prostituierte oder Tänzerinnen gearbeitet, wurden entführt, schließlich mit einem Maschinengewehr aus dem Zweiten Weltkrieg niedergemäht und mit einem Bulldozer notdürftig verscharrt. Ein Massaker, hinter dem keine Einzelperson stecken kann ...
Für seine Leser macht James Lee Burke in seinem wuchtigen, epischen Kriminalroman "Regengötter" nicht lange ein Geheimnis daraus, wer die Frauen getötet hat und warum; die verschiedenen Ermittler, die über kurz oder lang neben dem Sheriff mit dem Fall zu tun haben, tappen auf unterschiedliche Weise mehr oder weniger lange im Dunkeln. Der Spannung tut das keinen Abbruch; sie lebt nicht von der Frage nach der Auflösung des Falls, sondern vielmehr von den Charakteren, die auf unterschiedliche Art direkt oder indirekt mit diesem Fall zu tun haben - und von den Dynamiken, die sich zwischen ihnen ergeben.James Lee Burke, geboren 1936, ist einer der großen alten Männer der (amerikanischen) Kriminalliteratur. Über zehn Jahre lang nahm der deutsche Buchmarkt keine Notiz mehr von ihm und seinen Romanen. Jetzt fasst sich der Heyne Verlag wieder ein Herz, und das hat sich gelohnt: "Regengötter" ist ein herausragender Roman; eine souverän gezeichnete Geschichte wie ein Historiengemälde, auf dem vom ersten Moment an alles zu sehen, trotzdem in jedem Augenblick aber immer wieder Neues zu entdecken ist.
Ulrich Noller WDR 5 Mordsberatung  (Oktober 2014)
© by Ulrich Noller

ZoranDrvenkar:
Still

Ein Mädchen wurde entführt; sie schweigt, seitdem sie wieder auftauchte. Ein Verlorener baut sich eine neue Identität, in die er eintaucht, um Anschluss zu finden an eine Gruppe von Männern. Männern, die ein dunkles Geheimnis haben, und die ein zweites, ein heimliches, Leben führen neben ihrer ganz durchschnittlichen, bürgerlichen Berliner Existenz. So weit, so einfach, so klar – und (scheinbar) konventionell die Ausgangsbasis, die Zoran Drvenkar für seinen neuen Thriller "Still" gewählt hat. Wie Drvenkar seine Geschichte dann erzählt, das ist allerdings derart atemberaubend, inhaltlich wie formal, dass es einem dem Boden wegzieht beim Lesen. Die Männer entführen Kinder, das Mädchen ist als einzige entkommen; der Verlorene vermisst seine Tochter – der Rest ist eine nervenzerreißende Suche nach dem Bösen, die streckenweise kaum zu ertragen ist, weil Zoran Drvenkar seinem Thema durch die Kraft seiner literarischen Kunst so nahe kommt, dass man sich intuitiv fragt, ob dieses Buch nicht auch "böse" sein könnte. Ist es aber natürlich nicht, sondern ein so verdammt guter Text, dass er schafft, was Literatur in Zeiten der Überproduktion bloß noch selten gelingt: zu erschüttern. Und das weniger wegen des Schock-Effekts, der diesem Thriller innewohnt, als wegen seiner ungeheuren Originalität. "Still" ist ein Meisterwerk, sprachlich brillant, verwegen konstruiert, exzellent komponiert. Ginge es gerecht zu in der Welt (des Literaturbetriebs), würde diese Geschichte in diesem Herbst mit dem Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres ausgezeichnet werden. Wird natürlich nicht passieren, "Still" ist schließlich "nur" ein Spannungsroman. Gut möglich, dass die Buchpreis-Entscheider nicht mal wissen, dass er existiert.
Ulrich Noller WDR 5 Mordsberatung (Juni 2014)© by Ulrich Noller

Tom Hillenbrand: 
Drohnenland
Nachts um Vier geweckt zu werden, um irgendwo auf einem Feld eine Leiche zu begutachten, ist niemals ein Vergnügen. Immerhin; der Mann war gut gekleidet. Das macht es für Aart van der Westerhuizen wenigstens ein bisschen erträglich. Allerdings ahnt der EU-Kripoermittler da noch kaum, welch heftige Ermittlung ihn erwartet: Der Tote war ein Parlamentarier des europäischen Parlaments, und sein Fall ist, das werden die Ermittlungen bald zeigen, nicht der einzige. Tom Hillenbrand, bislang bekannt als Kolumnist und Autor von "Gourmet-Krimis", legt mit Drohnenland einen fulminanten Politthriller vor, der in der nicht allzu fernen Zukunft angesiedelt ist und die Europäische Union als autoritären, korrupten Überwachungsstaat präsentiert. Das dystopische Bild, das Hillenbrand da entwirft, ist atemberaubend: Teile der EU sind im Meer versunken, die Gemeinschaft führt Energie-Kriege mit dreckigen Methoden, Privatsphäre ist ein Mythos von gestern, weite Teile des täglichen Lebens werden von Rechnern und künstlichen Intelligenzen beeinflusst. Und die Polizei arbeitet mit sogenannten "Spiegelungen"; bestimmte (Verbrechens-) Szenarien werden mit Hilfe der Computer in virtuellen Realitäten rekonstruiert. Drohnenland ist ein Science-Fiktion-Politkrimi mit Elementen des hartgesottenen Ermittlerromans, der gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Entwicklungen der Gegenwart intelligent in die Zukunft weiter denkt und dabei ein paar philosophischmoralische Fragestellungen aufwirft, die es in sich haben.
Ulrich Noller WDR 5 Mordsberatung (Juni 2014)
© by Ulrich Noller

Dennis Lehane:
In der Nacht

Boston, die 1920er Jahre, die Zeit der Prohibition, der großen Gangstersagen – das ist das Setting, in dem "In der Nacht", der aktuelle Romane von Dennis Lehane angesiedelt ist. Ein Milieu, zu dem eigentlich alles schon gesagt ist, so sollte man meinen – aber das stellt sich als Irrtum heraus, wenn man diesen grandiosen Roman liest: “In der Nacht“ ist herausragend gut konstruiert und geschrieben; die Zeit der "Roaring Twenties" wird originell ausgeleuchtet; die Charaktere sind brillant gezeichnet – allen voran der Polizistensohn Joe Coughlin, der unbedingt ein großer Gangster werden will, und Emma Gould, die fatale Liebe seines Lebens. Von Dennis Lehane stammen die Buchvorlagen zu Erfolgsfilmen wie "Shutter Island" oder "Mystic River". Er hat an Fernsehserien wie "The Wire" und "Boardwalk Empire" mitgearbeitet und er ist im Moment einer der interessantesten, weil vielseitigsten Kriminalschriftsteller überhaupt. Im deutschsprachigen Raum ist Lehane
erstaunlicherweise noch nicht so bekannt, wie es seiner Bedeutung entspricht. Gut, dass der Diogenes Verlag sich an einem "Neustart" versucht. "In der Nacht" ist wohl das erste einer Reihe von Werken Lehanes, die bei dem Verlag erscheinen werden, der auch viele Klassiker des amerikanischen Noirs im Programm hat. Das passt, denn Dennis Lehane bietet nicht weniger als Premium-Genreliteratur für Leser mit Erwartungen.
Ulrich Noller WDR 5 Mordsberatung (April 2014)
© by Ulrich Noller

Lee Child:
61 Stunden

61 Stunden beginnt auf dem Highway. Irgendwo im Nirgendwo verunfallt ein Bus voller Rentner, mit dabei: Jack Reacher. Reacher ist ein ehemaliger Militärpolizist, der nichts als seine Zahnbürste besitzt und sich von hier nach da durch die Vereinigten Staaten treiben lässt und dabei, klar, immer wieder in Verbrechen verwickelt wird, die er dann im Auftrag des Guten mit Hirn und Muskeln aufzuklären hat. Diesmal landet er durch den Unfall bei klirrender Kälte also in einer eingeschneiten Kleinstadt namens Bolton in South Dakota, wo die örtliche Polizei eine nette alte Dame zu schützen versucht, die zur falschen Zeit am falschen Ort war und deshalb von der Drogenmafia zum Schweigen gebracht werden soll. Das Problem bei der Sache: Wenn es im örtlichen Privatgefängnis einen Alarm gibt, sind sämtliche Polizisten zum Einsatz um den Knast herum verpflichtet. Und klar, bald heulen die Sirenen. Ganz großartig, wie listig Lee Child aus diesem Setting nicht nur ein ganz spezielles Kleinstadtpanorama, sondern auch eine extrem packende Geschichte wachsen lässt, die im Prinzip einem Showdown auf 448 Seiten gleichkommt. Gäbe es Weltmeisterschaften für Kriminalschriftsteller – das Team "Reacher und Child" gehörte zu den Top-Favoriten. Lee Child ist alles andere als ein avantgardistischer Poser, der auf Metaebenen erzählt und dabei das Rad neu zu erfinden versucht. Er ist ein Handwerker: aber einer, der sein Gewerk zwar schon so perfekt im Griff hat, wie kaum jemand sonst, der aber trotzdem ständig an Präzisierungen und Optimierungen arbeitet. Genau das macht die Lektüre seiner Geschichten insbesondere für Genre-Leser zu einem solchen Vergnügen. Lee Child zu lesen, das ist für Spannungsleser immer wieder ein Fest, denn wie intelligent der in den USA lebende Brite die immer gleichen, im Prinzip puristischen, Grundkoordinaten seiner Geschichten variiert und daraus exzellente Ermittlerthriller zaubert; das hat wirklich größte Klasse.
Ulrich Noller WDR 5 Mordsberatung (Februar 2014)

© by Ulrich Noller / Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung

11.11.14

Orkun Ertener
LEBT


Can Evinmann ist als Ghostwriter für Anna Roth engagiert, die berühmte Schauspielerin, Gattin des Industriellen Martin Eissler. Da bittet ihn eines Tages Ellen Reichert, eine der Assistentinnen von Anna Roth, sich doch einmal mit ihrem Großvater zu treffen – Anton Mahler, hochbetagt, habe angeblich auch eine Lebensgeschichte zu erzählen.
Anton Mahler entpuppt sich als ehemaliger SS-Mann, der während der Besetzung Thessalonikis 1942 auch für Gräueltaten verantwortlich war. Als seinerzeit seine Frau von Widerstandskämpfern entführt wurde – hat ein gewisser Chaim Evinmann dafür gesorgt, dass sie – und Anton – überlebten. War dieser Evinmann ein Vorfahr von Can – der zwar türkische Wurzeln hat, aber ansonsten zu hundert Prozent zum deutschen Showbiz-, Medien- und Intellektuellenmileu gehört. Doch die vielen mysteriösen Vorfälle nach seiner Begegnung von Anton Mahler drängen ihm bald den Verdacht auf, dass seine Familie, die Familie um Anton Mahler, und besonders  die Familie des Industriellen Eissler und auch die seiner Frau vor mehr als 70 Jahren im besetzten Thessaloniki auf schicksalhafte Art und Weise in tragische Ereignisse verwickelt wurden, die bis heute Auswirkungen haben.
Ein opulenter, großer Kriminal- und Familienroman.
Reinhard Jahn WDR Mordsberatung


Orkun Ertener
LEBT
Fischer/Scherz (21. August 2014)

10.11.14

Michael Bresser und Martin Springenberg
Kein Schwein bringt mich um


Dieter Nannen ist Detektiv im westfälischen Buldern bei Dülmen – und nebenbei Kleinbauer mit einem kleinen Hof und einem Schwein und ein paar Kaninhen. Das hat er – die geborene Ruhrgebietspflanze - alles einmal geerbt und um das alles muss er sich kümmern – wie es im Testament verlangt wird. Mit seinem Kumpel Otto Baumeiste rhat er schon diverse Kriminalfälle in Dülmen und um Dülmen herum gelöst. Jetzt bittet  sein Kumpel ihn um Hilfe – er ist rettungslos der abgetakelten Schlager-Diseuse Luna Mancini verfallen, die im heruntergekommenen Metropol auftritt.
Luna wird offenbar von einem bösartigen Stalker verfolgt – den soll Dieter Nannen stellen.
Und kaum hat er den Auftrag überbommen, entgeht die Diseuse auch schon nur knapp einem heruntersausenden Kronleuchter. Der Verdächtigen gibt es iele – und auch der privaten Probleme von Dieter Nannen: er wird heiraten, und die ganze Verwandtschaft seiner Zukünftigen rückt an. Vom stumpfen Teenager bis zum extremen Öko-Pärchen ist sozusagen alles vertreten, was man nicht kennenlernen möchte.
Flotter Dorf- und Landlust-Krimi: das muss man nicht ernst nehmen, sondern das darf man lustig finden. Ziemlich lustig sogar.
Reinhard Jahn WDR Mordsberatung

Michael Bresser und Martin Springenberg
Kein Schwein bringt mich um
Emons

Cornelia Kuhnert und Christiane Franke
Krabbenbrot und Seemannstod


Schauplatz Neuharlingersiel an der Nordseeküste. Das Interessanteste an dem Ort ist die Autobahn nach Wittmund und die Fähre nach Spiekeroog. Im Hafen jedenfalls wird ein Toter holländischer Investor gefunden, der gefunden in den Ort kam und eine Krabbenschälfabrik aufbaute. Fördermittel wurden kassiert, Maschinen gekauft, Personal eingestellt, aber inzwischen ist allen klar, dass das Unternehmen hier nicht funktionieren konnte, weil Krabben immer noch in Marokko billiger geschält werden können als in Deutschland.
Vor Ort ermitteln der örtliche Briefträger und der Ortspolizist – und sind dabei der Kripo aus Wittmund immer um eine Krabbenlänge voraus – weil sie sich in ihrem Heimatort auskennen, um die Affären und Beziehungen zwischen den Nachbarn wissen und deshalb auch die richtigen Fragen stellen können. Morden im Norden: spannend und witzig und vor allem mir viel Herz erzählt.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung (Oktober 2014)



Cornelia Kuhnert und Christiane Franke
Krabbenbrot und Seemannstod
rororo

8.11.14

Zoran Drvenkar
Still


Der Meister des suggestiven Stakkatostils ist zurück. Zoran Drvenkar packt den Leser sofort mit seiner Geschichte, die er in die Ebenen DU, ICH und Sie aufteilt. ICH – das ist die Hauptgeschichte  - ist ein Mann, der seine Tochter sucht, die vor Jahren verschwunden ist. Er hat die Suche nie aufgegeben –  und seine einzige Hilfe ist ein traumatisiertes Entführungsopfer der Täter, dem vor Jahren einmal die Flucht gelang, und das seitdem nicht mehr mit der Umwelt kommuniziert. Bis es schließlich doch zu sprechen beginnt und wichtige Hinweise gibt, nach denen sich der Vater unter falscher Identität an eine Gruppe annährt – SIE – die offenbar ein großes, schlimmes Geheimnis, eine perverse Leidenschaft haben. Und der Mann muss einer von ihnen werden, wenn er erfahren will, was mit seiner Tochter geschehen ist.
Zoran Drvenkar schenkt dem Leser nicht – er hält die Balance zwischen expliziter Schilderung perverser Gewalt und der Andeutung all dessen, was wir uns dann darunter vorstellen.
Sehr stilsicher sehr straff erzählter Horror-Thriller zu einem beklemmenden Thema.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

Zoran Drvenkar
Still
Eder & Bach

7.11.14

Peter Huth
Berlin Requiem

Ein Zombie-Thriller von  ziemlicher Aktualität. Es ist ein Virus oder etwas ähnliches, was in Berlin grassiert. In einigen Stadteilen besonders: Neukölln und Kreuzberg. Die Opfer des Virus  existeiren anch ihrem "Tod" als lebende, stumpfe, blutgierige Zombies weiter. Um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern, hat man eine Mauer um die betroffenen Stadteile erreichtet…

Ebenso brisant wie die Bedrohung durch den Zimbie-Virus ist die innenplitsiche Lage in der Stadt: ein Ex-Senator hat sich mit seinen rechtpolulistischen Thesen zwar einmal ins Abseits geschossen, sieht nun aber seine Chance für ein politisches Comeback gekommen. Seine Behauptung, nur Migranten seien Opfer des Zombie-Virus, verschärft die ohnehin vorhandenen Spannung zwischen den Bewohnern der Stadt.
Mittendrin in dem Chaos ein Journalist: Polit-Thriller und Zombie-Roman, knallhart und temporeich geschriebene Action-Geschichte.
Reinhard Jahn

Peter Huth
Berlin Requiem:
Heyne

5.11.14

Henriette Clara Herborn
Schmerz - Malmingers letzter Fall

Am 15. Januar 1947 wurde im Süden von Los Angeles die Leiche einer Frau gefunden – Elizabeth Short, 22 Jahre, Möchtegern-Schauspielerin, von ihrem Mörder bestialisch verstümmelt. Der Fall wurde nie aufgeklärt und ist genau wie Ripper-Morde in London ein Mythos der modernen Kriminalgeschichte. Er fasziniert unter anderem auch – und hier beginnt der Roman SCHMERZ von Henriette Clara Herborn –  Kommissar Malminger von der Mainzer Kripo. Er ist der führende deutsche Experte in Fall Schwarze Dahlie – und deshalb zutiefst schockiert, als er jetzt auf das Gelände einer Ziegelei in Mainz-Bretzenheim zur Leiche einer schrecklich zugerichteten jungen Frau gerufen wird, die genau die gleichen Verstümmelunge aufweist wie die Schwarze Dahlie in Los Angeles.
Ein verstörender Einstieg für eine verstörende Story – was im folgenden erzählt wird, sind nicht nur die kaum nennenswerten Ermittlungsbemühungen des heruntergekommenen, von seinem Kollegen gemobbten Kommissars Malminger, sondern ganz besonders die Psychogramme einer Halbweltclique aus der Drogen- und SM-Szene, aus der die Tote stammt: Mira, die mit ihrer Freundin Trix an den verschlagenen Dealer Lou geraten ist, der sie an den dubiosen Sex-Club von Fat Freddy weitervermittelt hat. Aus den souverän miteinander verschränkten, schonungslosen Portraits dieser Figuren, sowie der untereinander zerstrittenen Ermittler und des im Hintergrund operierenden Mörders fügt die Autorin ein faszinierendes, düsteres Sittenbild einer Halb- und Unterwelt  zusammen, das von Seite zu Seite mehr fesselt.
Stilbewusste, tiefschwarze Seelen- und Unterweltstudie.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung



Henriette Clara Herborn
Schmerz. Malmingers letzter Fall
Leinpfad Verlag (2014)

3.11.14

Thomas Schweres
Die Abtaucher

Ein toter Einbrecher in einem Zechenhaus in Dortmund-Hombruch. Soweit so gut – das ist soweit erst mal kein großer Fall für Kommissar Schüppe von der Dortmunder Kripo. Und auch nicht für den Boulevard- und Blaulicht-Reporter Tom Balzack, der sich mit seiner kleinen Firma broadcast.tv als Zulieferer für die Sensations-Magazine der Fernsehsender durchbringen muss.
Interesant wird die Sache erst, als weitere Morde begangen werden - bei denen die DNS und Fingerspuren des toten Einbrecher auftauchen – so, als wolle man dem Toten die Taten in die Schuhe schieben. Mir viel Gespür und einer Portion Glück kommt Reportrer Balzack den Zusmamenhängen auf die Spur – und auch Kommissar Schüppe muss erkennen, dass er eine ganz persönliche Beziehung zu dem Fall hat.
Knapp, prägnant und präzise – Thomas Schweres, selbst gelernter Polizei- und Boulevardreporter, weiß wie man eine Story aufziehen muss, damit sie von der ersten Zeile an fesselt. Hier kann er in das gradlinige Plot seines Erstlings Die Abtaucher noch seine Insider-Kenntnisse aus dem Nachrichtengeschäft und der Polzeiarbeit einfließen lassen: das ist faktenreich, aufschlussreich und immer ziemlich spannend.  Ein Krimi-Debüt, das viel verspricht.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung



Thomas Schweres
Die Abtaucher
grafit (Juli 2014)

2.11.14

Mike Steinhausen
Schlagwetter

Robert Kettner, Ex-Bulle und Privatdetektiv in Essen erlebt einen dieser Tage: erst haut es vor ihm einen Motorradfahrer von der Maschine, dann springt der Biker zu ihm in den Wagen und schon  jagen Verfolger hinter ihnen her. Und kaum hat sich der mysteriöse Beifahrer wieder abgesetzt, wird Robert unter der heimischen Dusche von einem Killer erwartet – aber das ist noch lange nicht das letzte Problem, mit dem er zu kämpfen hat. Die Geschichte, in die der smarte Schnüffler da hineingeraten ist, ist undurchsichtig, steuert aber auf einn Anschlag auf das Weltkulturerbe Zollverein zu.
Mike Steinhausen dreht in seinem Thriller Schlagwetter voll auf. Der gebürtige Essener war als Polizist in der Drogenfahndung unterwegs, er kennt nicht nur seine Stadt, sondern auch die Mentalität von Polizisten und Gangstern. Und so kommt ein ordentlicher, aus der Hüfte geschossener Ruhrgebiets-Thriller heraus - Bruce Willis trifft Schimanski. rja

Revier-Action (drei Sterne)

Mike Steinhausen
Schlagwetter
Gmeiner Verlag

1.11.14

Andreas Karosser
Dirndl-Porno


Mord in Bad Feilnbach, nahe Rosenheim, am Rande der Alpen. Sarah Lubner ist tot, erstochen mit einem Hirschfänger. Die beiden Kommissare Lorenz Hölzl und Franzi Graßmann von der Polizei ermitteln. Was den Fall so pikant macht, ist, dass Sarah als Modell für die – sagen wir erotischen Kalenderfotos von Aktfotografen Cornelius, posiert hat, und eben auch für einen – sagen wir : erotischen Film zusammen mit ihrer Freundin und ihrem Freund.
Man kann sich die Wellen der Aufregung vortsellen, die es in dem kleinen Ort geben würde, wenn der "Dirndl-Porno" erst einmal veröffentlicht würde. Doch soweit ist es glücklicherweeise nicht gekommen – aber es existieren diverse Kopien des Films, von denen der Polizei eine zugespielt wird. Damit ist für die beiden Kommissar klar, dass sie den Täter unter dne Leuten zu suchen haben, die an der Herstellung des Streifens beteiligt waren.
Dirndl-Porno erzählt keine besonders neue Geschichte, bringt aber quasi die aktuelle Variante der ewigen Geschichte von der Bigotterie der Sittenwächter in der Provinz. Und er spielt auch die Erotik-Szenen die sein Stoff hergibt, voll aus.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Andreas Karosser
Dirndl-Porno
Emons


16.9.14

Krimis aus Finnland.

Finnland – in 2014 Gastland der Frankurter Buchmesse.

Was ist Finnland?
-Finnland grenzt an Schweden, Norwegen, Russland und die Ostsee.
-Mit 5,4 Millionen Einwohnern auf einer Fläche nur wenig kleiner als Deutschland gehört Finnland zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas.
-statistisch sind das 16,04 Einwohner pro km²
-Ein großer Teil der Bevölkerung konzentriert sich dabei auf den Süden des Landes mit der Hauptstadt Helsinki.
-Die beiden offiziellen Landessprachen sind Finnisch und Schwedisch. 92 % der Bevölkerung sind finnisch-, 6 % schwedischsprachig.
-Finnland gehörte zunächst zu Schweden, wurde dann 1809 an Russland abgetreten.
-1917 erlangte Finnland seine Unabhängigkeit.
Quelle WIKIPEDIA

Was kennen wir aus Finnland?

Komische Filme von Akis Kaurismäki
Kaurismäkis Filme thematisieren häufig Schicksale von gesellschaftlichen Außenseitern in städtischen Zentren wie Helsinki. Sie sind nicht nur für ihre sparsamen Dialoge, sondern auch für einen skurril-lakonischen Humor bekannt.
Unter anderem:  Leningrad Cowboys Go America

Architektur von Alvar Aalto (1898-1976)
Alvar Aalto wurde bekannt für seine besonderen Konzeptionen im Bereich des organischen Bauens. Ein bekanntes Designerstück von Aalto ist die Aalto-Vase.
Nach seinen Plänen wurde unter anderem das Essener Aalto-Theater erbaut

Der Finnland-Krimi
Die Geschichte der finnischen Krimiliteratur ist vergleichsweise jung. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen die ersten Kriminalgeschichten in finnischer Sprache. Ihre Vorläufer waren Moritaten, die in Form von Flugblättern über brutale Morde, Täter und ihre Opfer berichteten. Daneben herrschte eine rege Übersetzungstätigkeit. So wurde beispielsweise Kriminalliteratur aus Großbritannien und Frankreich ins Finnische übertragen, was einen großen Einfluss auf die noch in den literarischen Kinderschuhen steckenden finnischen Autoren ausübte. Bis heute dominieren deshalb immer noch die an der Realität orientierten Polizei- und Detektivgeschichten die finnische Kriminalliteratur.
Quelle und weiterlesen:
Buchmesse Blog 04.09.2014“Der finnische Krimi ist im Grunde sehr demokratisch.”

Finnische Kriminalliteratur:
Ilkka Remes
ist für den Action-Thriller was Mika Häkkinen für die Formel 1 ist: Der Star.
Eigentlich heißt er Petri Pykälä, wurde 1962 geboren und studierte Wirtschaftskommunikation in Turku und dann Visuelle Kommunikation in London.
Remes schreibt schnell, anschaulich, packend.  Seine Bücher sind entweder aktuelle oder zeitgeschichtlich grundierte schnörkellose Action-Romane: schnörkellos.

Bisher auf deutsch: 11 Romane

Aktuelles Buch: Die Schockwelle (Oktober 2013)
Die russische Journalistin Vera Dobrina wird in Helsinki ermordet. Elina Aro, die an einer Untersuchung über KGB und Stasi-Aktivitäten in Finnland arbeitet, war mit Vera befreundet und wurde durch Zufall Zeugin der Tat. Ist sie das nächste Opfer? Auf der Jagd nach dem Mörder kommt Riku Tanner vom Dezernat für Gewalt und Drogen einem Verbrechen von entsetzlichem Ausmaß auf die Spur. Ein noch im Bau befindliches Kernkraftwerk spielt dabei eine ebenso zentrale Rolle wie Geheimoperationen der DDR während des Kalten Krieges…

Taavi Soininvaara
geb 1966, ist der Polit-Thriller-Spezialist des finnischen Krimis.
Taavi Soininvaara, Jahrgang 1966, arbeitete als Chefanwalt für bedeutende finnische Unternehmen und schrieb zunächst nebenberuflich. Nachdem Erfolg seines ersten Krimis (2000) ließ er sich 2001 von allen beruflichen Verpflichtungen befreien, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sein serieneheld ist Kommissar Arto Ratamo. "Finnisches Requiem" wurde als bester finnischer Kriminalroman ausgezeichnet.

Bisher erschienen: Etwa 8 bis 10 Arto Ratamo-Romane

Aktueller Titel
Das andere Tier (2014)
Kommissar Ratamo kehrt nach einem schwreen Unfall, an dessen Folgen er noch zu leiden hat,zur  SUPO − der "Sicherheitspolizei" – zurück. Er hat jetzt eine Hüfte aus Titan und ist psychisch labil. Als er mit Schmerzmitteln und eisernem Willen seinen Dienst antritt, wird er sofort degradiert. Trotzdem steckt er bald mitten in einem brisanten Fall: eine Leiche, kriminelle Geschäfte mit illegalen Einwanderern und atomares Wettrüsten im explosiven Nahen Osten.


Leena Lehtolainen
geboren 1964, ist die Star des unterhaltsamen Frauenkrimis. Mit ihrer Serienheldin Maria Kallio schuf sie die erste weibliche Kultfigur des finnischen Krimis. In ihren Krimis verfolgt die die Karriere ihrer Heldin Maria Kallio von der einfache Polizistin über ihr Jurastudium bis hin zur Anwältin und dann wieder zur Kriminalpolizei. Maria Kallios Fälle spielen in Espoo, einer Stadt in der Nachbarschaft von Helsinki.

Bisherige Romane:

etwa 17 auf deutsch, davon 11 Bände Maria Kallio

Aktuell:

Sag mir wo die Mädchen sind (2010)
In Espoo verschwinden kurz nacheinander drei muslimische Mädchen. Alle sind noch Teenager und haben oft einen Jugendclub besucht, in dem auch Maria Kallios Tochter Iida gern ihre Freizeit verbringt. Maria hat vor kurzem die Leitung einer Sondereinheit der Kripo übernommen und befasst sich mit Fällen wie diesem, die aus dem üblichen Ermittlungsraster fallen. Kaum hat Marias Team begonnen, Menschen aus dem Umfeld der Mädchen zu befragen, wird eine vierte junge Frau mit ihrem eigenen Kopftuch erdrosselt aufgefunden, die 16-jährige Iranerin Noor. Schnell stellt sich heraus, dass das Mädchen einen finnischen Freund hatte. Alle Spuren deuten auf einen Ehrenmord.

Und außer Konkurrenz:
Der "deutsche Finne"

Jan Costin Wagner
geboren 1972 in Hessen, ist mit einer Finnin verheiratet. Er begann 2001 mit "Eismond" seine Romanserie um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa. In den folgenden vier Romanen verfolgt er weiter das Leben des zur Depression neigende, tief nachdenklichen Polizisten, der unter dem Krebstod seiner Frau (in "Eismond") leidet.,
Wagners Romane sind sprachstarke  und zugleich extrem reduzierte Studien über menschliches Leid und Leiden, Schuld und Vergeltung.

Bisherige Romane: 5
Zuletzt: Tage des letzten Schnees (2014)
Anfang Mai, im finnischen Turku fällt der letzte Schnee. Kimmo Joentaa wird gleich zwei Mal gerufen: an einen Unfallort, an dem eine Elfjährige durch einen Unbekannten ums Leben gekommen ist, und an einen Tatort, an dem zwei unbekannte Tote auf einer Parkbank liegen, als würden sie schlafen. Für den Vater des bei dem Unfall verstorbenen Mädchens wird Kimmo Joentaa zum Begleiter in der Trauer, während er gleichzeitig daran arbeitet, die Unfallflucht und den Doppelmord aufzuklären.
Die Ermittlung führt Joentaa in ein fatales Beziehungsgeflecht, das Menschen, die ursprünglich nichts verband, schicksalhaft zusammengeführt hat: einen Architekten, der den festen Glauben an die Symmetrie des Lebens verliert, einen Schüler, der unaufhaltsam auf einen Amoklauf zusteuert, eine junge Frau, die versucht, der Armut zu entkommen, und einen Investmentbanker, der sich im Dickicht seines Doppellebens verliert.


25.8.14

Die telefonische Mord(s)beratung:
Factsheet Neo Noir

Die telefonische Mord(s)beratung :
"Neo Noir" die dunkelste Seite des Krimis
Samstag, 30. August 2014,
21.05 - 23.00 Uhr
auf WDR5


Ihr Krimi-Kompetenzteam der Mordsberatung:
Reinhard Jahn, "Chief-Inspector" Thomas Hackenberg, Ingrid Müller-Münch und Ulrich Noller.
Foto: WDR, mit freundlicher Genehmigung

Es sind tiefschwarze Geschichten aus den dunkelsten Abgründen des Lebens, die der Noir-Krimi erzählt. Stories über Verbrechen, Mord, Verzweiflung und Ausweglosigkeit.

James Sallis, Daniel Woodrell oder Joe R. Lansdale sind die führenden Vertreter des neuen "noir" Das WDR 5-Krimi-Kompentenz-Team Ulrich Noller (KrimiZeit-Bestenliste), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv) und Ingrid Müller-Münch (Journalistin) hat sich diese und andere Autoren genau angesehen und spürt der Frage nach, was das faszinierende an diesem neuen, dunklen Trend ist. Und selbstverständlich haben die Drei auch die anderen Neuerscheinungen des heißen Krimisommers 2014 im Blick.

Die Hörerinnen und Hörer können sich per Mail an der Sendung beteiligen.
mordsberatung@wdr.de
Redaktion: Petra Brandl-Kirsch
Moderation: Thomas Hackenberg


Schwarz. Schwärzer. Noir


Was ist eigentlich noir?

Erstmal ein bisschen THEORIE:

"Noir" ist zunächst einmal ein französischer Begriff, der sich vom "film noir" ableitet.
Damit wurde eine Gattung von zynisch-pessimistischen amerikanischen Kriminalfilmen aus den 40er- und 50er-Jahren bezeichnet. Der deutsche Begriff "Schwarze Serie" fasst ebenfalls diesen Bereich.
Wikipedia nennt "Die Spur des Falken" (1941, die Verfilmung von Hammetts "Malteser Falken") als ersten und "Im Zeichen des Bösen" (1958) als letzten Film dieser Gattung

Der legendäre Opening Shot von "The sign of Evil": Dreieinhalb Miniten in einer Einstellung


Ein "roman noir" kann zuächst einmal eine hardboiled detective novel sein, also ein harter US-Krimi aus den 50er-Jahren im Stile von Raymond Chandler und Dashiell Hammett, Mickey Spillane und James M. Cain.
Zitat:  -"In ihren Geschichten stehen gesellschaftskritische Gesichtspunkte im Vordergrund, wobei die Hauptfiguren oft „Outsider“ sind und der Fokus auf dem Verbrecher oder dem Detektiv liegen kann."
http://de.wikipedia.org/wiki/Roman_noir

Frankreich, bzw die französischen Intellektuellen waren große Liebhaber des "noir" und "hardboiled" – ihre Lieblingsautoren waren Cornell Woolrich, Jim Thompson und andere. Französische Autoren wie Jean-Patrick Manchette ordnen sich in diese Tradition ein.

"Noir" ist: gesellschaftkritisch, sozial bewusst, in Maßen nihilistisch.
Verbrechen ist in der Regel Ergebnis politischer, gesellschaftlicher Verhältnisse, also struktureller Natur.
Reiner "noir" verzichtet auf einen positiven "Detektiv"-Helden

Zitat: -Der Noir-Krimi ist mehr als nur Krimi. Die Anti-Helden durchleiden nicht nur die Verbrechen, von denen der Noir-Roman erzählt, sondern steigen tief hinab in ihre dunklen Seelen.
-Sie sind keine genialen Denker, oder schlagkräftig und moralisch überzeugende Typen, sondern in sich zerissene, von den (verbotenen) Genüssen des Lebens verführbare Anti-Helden, die unaufhaltsam ihrem düsteren Schicksal entgegen stolpern.
Quelle: http://www.kriminalliteratur.krimischule.de/noirkrimi.html


Beziehungsweise – Zitat Wikipedia:
Der Detektiv ist kein Amateur oder Polizist, sondern ein privater Ermittler, der gegen Bezahlung einen Auftrag übernimmt. Bei seinen Ermittlungen verlässt er sich nicht ausschließlich auf rationale Überlegungen, sondern wendet auch einmal Gewalt an, um Informationen zu bekommen. Es gibt keine radikale Trennung zwischen dem Milieu des Verbrechens und dem des Detektivs: Der Ermittler handelt selbst oft am Rande der Legalität, hat eine zweifelhafte Vergangenheit oder lebt im gleichen Milieu wie die Verbrecher.

Also:

Zusammenfassend könnte man sagen, dass der roman noir sich dadurch auszeichnet, dass er keine scherenschnittartigen Trennungen zwischen Gut und Böse vorstellt, sondern die Grauzone zwischen Gut und Böse, zwischen Schuld und Unschuld, zwischen individueller und kollektiver Verantwortung erforscht.

Doch lieber ein paar Beispiele?


James M. Cain: Wenn der Postmann zweimal klingelt 

(Double indemnity, 1934)
USA, 30er Jahre. Der Herumtreiber Frank Chambers findet einen Job bei der Takstelle des "Griechen", verällt dessen sinnlicher Frau Cora. Beide bringen den Griechen um. Statt glücklich zu werden, stirbt Cora bei einem Unfall – der von der Polizei für einen Mord gehalten wird – für den man Frank Chambers verurteilt.
Diverse Male verfilmt


Cornell Woolrich: Die Braut trug schwarz 

(The bride wore black, 1940)
Julie Killeen bringt die Männer um, die den Tod ihres Bräutigams verschuldet haben.
Verfilmt von Franclis Truffaut

Und was ist jetzt "neo noir" und "Country noir"?

"Neo noir" nennt man aktuelle Kriminalromane, die Gestaltungselemente des klassischen "noir" für ihre aktuelle Geschichte aufnehmen. Also etwa den zynischen, nihilistischen Grundton, die Schilderung von Verbrechen als Folge gesellschaftlicher oder politischer oder sozialer Verhältnisse. Abkehr von einer definierten positiven Heldenfigur.

Iain Levinson: Hoffnung ist Gift

Schauplatz Dallas. Jeff Sutton, Taxifahrer, gerät in Verdacht, die Tochter seiens letzten Fahrgastes gekidnappt zu hane. Alles spricht gegen ihn, er wird verurteilt, sitzt ein, nur sein Zellengenosse glaubt an seine Unschuld. Und als Jeff dann wirklich entlassen wird, nimmt die Geschichte eine weitere Wendung.

Dave Zeltserman: Paria

Schauplatz Boston. Kyle Nevin, ein "Soziopath mit Charme" kommt aus dem Knast und zieht seinen Bruder Danny, der halbwegs herlich gewordne ist, sofort wieder ins einer verbrecherischen Geschäfte hinein, mit denen er seine früherer Position in der Unterwelt wiedererlangen will. Doch damit nicht genug – das alles, sein "Leben" verkauft Kyle als "Wahre Geschichte" an einen Buchverlag, um damit noch mehr Kohle zu machen.

"Country Noir" 

erzählt all dies in einer ländlichen Umgebung, bisher ausschließlich in den USA. Country Noir kann sich auch, wie bei Joe R. Lansdale, als Jugend- oder Coming of Age-Geschichte tarnen, die meist von einem sehr alten Ich-Erzähler als Erinnerung erzählt wird.


Joe R. Lansdale: Ein feiner dunkler Riss

Dewmont, East Texas, 1958. Stanley, 13, und seine Schwester Callie wachsen im Autokino ihres Vaters auf und erkunden die Umgebung. Sie stoßen dabei auf die Überreste der Villa der Familie Stilwind und auf die düsteren Geschichten und Gerüchte, die sich um ein lange zurückliegendes Familiendrama in diesem Haus ranken.


Joe R. Lansdale: Die Wälder am Fluss

Marvel Creek, Osttexas, in den 30ern. Harry Crane, 11, Sohn des örtlichen Friseurs Constablers, endteckt die misshandelte Leiche einer Farbigen. Erst als ein Unschuldiger gelyncht wird, machts ich Harry mit seiner Schwetser daran, den Mordfall zu "untersuchen". Rassenhass, Ku-Klux-Klan, dumpfe Ignoranz, Aberglaube und Engstirnigkeit zeichnen die Umgebung des Jungen in dem kleinen Ort aus.






5.8.14

Gillian Flynn: Dark Places - Finstere Orte


 Wozu Serienkiller, wenn das Böse doch auch in jedem von uns lebt? Und die Familie die Keimzelle des Verbrechens ist. Gillian Flynn geht mit ihrem neuen Roman dahin, wo der Mord wirklich wehtut.
 Von FOCUS-Online-Autor Reinhard Jahn

Libby Day ist im Mordgeschäft. Libby ist um die 30 und lebt davon, dass sie vor 25 Jahren einem grausamen Familienmassaker entkommen ist. Damals war sie sieben und wurde Ohrenzeugin, wie ein brutaler Killer in das einsam gelegene Farmhaus in Kansas eindrang, ihre beiden Schwestern bestialisch erstach und ihre Mutter erschoß. Und später ihr Bruder Ben als Mörder verhaftet und verurteilt wurde.

Geld für Mord-Souvenirs
 Aber ist Ben wirklich der Täter gewesen? Zweifel sind erlaubt, aber Libby ist das eigentlich egal, solange sie von dem Treuhandfonds leben kann, den mitfühlende Spender seinerzeit mit ihren Spenden für sie, die einzige Überlebende dieses schrecklichen Verbrechens, eingerichtet haben. Bloß: inzwischen sind auch andere schreckliche Morde geschehen, gab es andere bemitleidenswerte Opfer und Hinterbliebene, für die die Menschen jetzt lieber spenden.
Deshalb muss der Treuhandverwalter Libby auch mitteilen, dass das Mitleidsgeld verbraucht ist, das ihr bisher ein passables Leben garantiert hat. Und sie sich am besten ab sofort eine ordentliche Arbeit suchen sollte, wenn sie kein Fall fürs Sozialsystem werden will.
Richtige Arbeit? Das ist nun wirklich nichts für Libby, dafür kokettiert sie viel zu sehr mit ihren verschiedenen Defekten. Antriebslos, kleptoman, egozentrisch - nicht gerade die besten Qualifikationen für einen Job. Aber da gibt es eine Einladung von einer Gruppe von - sagen wir mal - Vebrechensenthusiasten aus dem Fandom für Mord und Totschlag. Sie nennen sich "The Kill Group", sammeln Memorabilien von Serienkillern und tüfteln gern an alten, ungelösten Mordfällen herum. Und möchten deshalb Libby gern als Stargast zu einem ihrer Treffen einladen. Für 500 Dollar. Besser als nichts, sagt sich Libby, und rechnet sich schon mal aus, für wie viel sie den Freaks dann noch ein paar alte Briefe und Fotos ihrer ermordeten Geschwister verkaufen kann
Was Libby dann aus der Bahn wirft: Bei der Kill Group trifft sie gar nicht wenige, die ihren verurteilten Bruder Ben für unschuldig halten. Die sich so in den alten Fall verbissen haben, dass ihre alternativen Mordtheorien durchaus plausibel wirken. Was also, wenn ihr Bruder wirklich nur ein Bauernopfer gewesen ist, der erstbeste und passendste Verdächtige, den die Polizei in Kansas damals auf dem Schirm hatte.
Der Gedanke reißt Libby aus ihrer Lethargie und sie beginnt nachzufragen, nachzuforschen: Was ist damals wirklich gewesen?

Reise in die Vergangenheit
Damit beginnt für Libby eine Reise in die Vergangenheit, zurück an den Tag der Gewalttat, auf die uns Gillian Flynn in ihrem Roman "Finstere Orte" auf eindrucksvolle Weise mitnimmt.
Was geschah damals wirklich auf der Farm in Kansas, auf der sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern mehr schlecht als recht lebte? Sitzt ihr Bruder tatsächlich unschuldig im Gefängnis - und wenn ja: wieso scheint er sich damit abgefunden zu haben?
Gillian Flynn zeichnet ihre Charaktere wie mit dem Rasiermesser - scharf und präzise. Und sie fesselt mit ihrer Geschichte von der ersten bis zur letzten Seite, indem sie Stück für Stück in einer souveränen Schnitt/Gegenschnitt-Dramaturgie enthüllt, was damals war und was heute daraus geworden ist.
Damals - in Kansas - das war ein Familiendrama erster Güte, die Geschichte einer obsessiven Liebe, in die Libbys Bruder sich verstrickt hatte, eine Familiengeschichte der düsteren Sorte. Weil niemand den Mut zur Wahrheit hatte und die Kleinstadt-Spießer damals in Kansas schneller handelten als dachten.
Heute - das ist die Geschichte von Libby, sie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ihres verpfuschten Lebens herauszieht, indem sie den Blick endlich darauf richtet, wovor sie bislang immer die Augen verschlossen hat: wie sich ihre Familie damals selbst in etwas verstrickt hat, aus dem es nur noch einen Ausweg gab: Mord.
Mit "Cry Baby" hat Gillian Flynn schon einmal bewiesen, wie scharfsichtig sie die mörderischen Irrungen und Wirrungen von Teenagern analysieren kann. Mit "Finstere Orte" zeigt sie, dass die unbestrittene Meisterin des mörderischen Familiendramas ist.

Gillian Flynn
Finstere Orte (Dark Places)
Deutsch von Christine Strüh
Scherz
527 Seiten
16,95 Euro

Tags: Gillian Flynn, Krimi, Familiendrama, Thriller, Farm, Kill group,

12.7.14

Edney Silvestre:
Der letzte Tag der Unschuld


Brillante brasilianische Kriminalgeschichte, stimmungsvoll, dicht und spannend.
Es ist das Jahr 1961, das Jahr, als Juri Gagarin der erste Mann im Weltall ist. Paolo – der "Schwarze" – und Eduardo, sind Freunde. Beide um die 13, beide aus unterscheidlichen verhältnissen. Paolo lebt bei seinem alkoholkranken Vater und seinem dumpfen Bruder, Eduardo hat ein richtiges Zuhause mit Eltern, die sich sogar Dienstboten leisten können.
Bei ihren Streifzügen am Fluss finden sie eine tote Frau – und als sie das der Polizei melden, werden sie erst einmal verdächtigt, die Frau selbst getötet zu haben. Es ist Anita, die Frau des Zahnarztes, eine "Hure", wie sie erfahren und damit gleich ein neues Wort aus der Erwachsenenwelt lernen, in die sie gerade hineinwachsen. 

Als ihr Mann, der Zahnarzt dann als Täter verhaftet wird, geraten Paolo und Eduardo ins Zweifeln und machen sich selbst an Ermittlungen, bei denen sie von einem mysteriösen Alten unterstützt werden, der immer nachts aus dem Altenheim ausbricht, um durch die Stadt zu streifen.
Eine Geschichte, die hervorragend erzählt wird, mit einem Stilgefühl, das für einen Kriminalroman absolut ungewöhnlich ist. Die beiden Jungen mit ihren Sorgen und Träumen sind dem Leser sofort unheimlich nahe, die Geschichte ihrer "Ermittlungen" fesselt durch die dichte Atmospähre, die präzisen Dialoge und die faszinierende Schilderungen der Milieus.

Brillante brasilianische Kriminalgeschichte, stimmungsvoll, dicht und spannend.
Reinhard Jahn 


Edney Silvestre:
Der letzte Tag der Unschuld
Limes


Lucie Flebbe:
Tödlicher Kick


Ein neues Abenteuer mit Lila Ziegler und ihrem Lebensgefährten Ben Danner. Die beiden haben ein Privatdetektivbüro in Bochum.  Diesmal geht es um Fußball. Der VFL Bochum steht dem Aufstieg in die erste Liga, als die Nachwuchshoffnung Oran Mongabadhi im Spiel gegen Schalke einen Elfmeter versemmelt.
Tags darauf taucht  Mongabadhis Freundin "Curly" Mo bei Denner und Lila auf – weil man Mongabadhi umgebracht hat – und sie wissen möchte, wer es getan hat. Dock kaum haben Lila und Danner begonnen, sich mit dem Fall zu befassen, taucht Curly wieder im Rotlichtmilieu ab, aus dem sie gekommen ist.
Wo ist also der Mörder des Starfussballers zu suchen – bei enttäuschten VFL-Fans, die dem entgangenen Aufstieg nachtrauern – oder bei den Milieukontakten des Spielers.

Lila Ziegler ist zurück, die smarte Jung-Detektivin, die sich in den vergangenen Jahren mit ihren schnodderigen Bochum-Krimis in die Herzen ihrer Leser geschrieben hat. Und auch diesmal erfüllt sie alle Erwartung: smart, lässig, und mit unvergleichlichem Witz präsentiert sie ihr neues Abenteuer.
Reinhard Jahn

Lucie Flebbe:
Tödlicher Kick
Dortmudn: Grafit, 2014

2.7.14

Krimitag 2014 im Kunsthaus Essen

Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus:
Die Benefizlesung des Krimistammtisches Ruhr beim KRIMITAG 2014 am 8. 12. 2014 findet wieder im Kunsthaus Essen statt. Vorbesprechung vor Ort mit Arnd Federspiel , Mischa Bach und Christoph Kammer vom Kunsthaus Essen.
Auf der Bühne werden lesen: Horst Eckert, Ilka Stitz, Ursula Sternberg et al

29.6.14

Carl Hiaasen
Affentheater

Das Florida von Carl Hiaasen ist eine Ansammlung von Durchgeknallten, Hysterikern, Betrügern und Paranoikern – also von Menschen wie du und ich.

Andrew Yancy ist ein cooler Cop in Florida. Deshalb macht es ihm auch wenig bis nichts aus, sich um den abgetrennten Arm (männlich, weiß), den ein Fischer aus den Florida Keys geangelt hat, zu kümmern. Von seinem Boss als Polizist kaltgestellt, muss sich Yancy als Gesundheitsinspektor (auf "Schabenpatrouille") durchschlagen, was es ihm schnell unmöglich macht, in einem Restaurant auch nur irgendetwas zu bestellen, geschweige denn zu essen. Wie gut, dass der Arm, aktuell in Yancys Gefrierfach zwischengelagert, bald eine Geschichte bekommt: Er soll Nicky Stripling gehört haben, der von seiner Frau Eve als vermisst gemeldet worden war. Doch Yancy kommt die Sache weiter komisch vor; auch nachdem er den Arm der Witwe übergeben hat. Da ist zunächst einmal deren Stieftochter Caitlin, die behauptet, ihre Mutter habe Stripling umgebracht, um an dessen Geld zu kommen. So kommt eins zum anderen und Yancy kommt bei seinen Ermittlungen ziemlich weit herum, aber auch nicht so richtig weiter – aber das ist eigentlich auch egal.

Carl Hiaasen ist einer der schärfsten und auch scharfzüngigsten Kritiker der amerikanischen Gesellschaft – das spürt man bei jeder der vielen kleinen Geschichten, die er hier zum "Affentheater" zusammenwebt, in dem es nur am Anfang um den tiefgekühlten Arm geht. Das "Affentheater" ist voll ätzender Ironie und sarkastischen Witzen, aber auch gut angereichert mit wunderschönem Slapstick, der das Lesen zu einer reinen Freude macht. Wunderbare schräge Typen in einer brillanten Krimikomödie. Das Florida von Carl Hiaasen ist eine Ansammlung von Durchgeknallten, Hysterikern, Betrügern und Paranoikern – also von Menschen wie du und ich.

(Reinhard Jahn WDR 5 Mordsberatung)


Carl Hiaasen:
Affentheater
Manhattan

17.6.14

William Shaw
Abbey Road Murder Song




Tolle Unterhaltung mit herrlich schräg-sympathischen Figuren.
London 1968. Ein Teenager wird in der Nähe der Abbey Road in London ermordet aufgefunden. Ein Fall für Detective Paddy Breen, der auf seinem Revier nicht gerade wohlgelitten ist. Zu allem Überfluss wird ihm für den Fall des toten Mädchen, das zu den Beatles-Fans gehörte, die in der Nähe des Abbey Road Studios auf ihre Idole warten, noch ein neuer Partner zugeteilt: eine Frau. Detective Helen Tozer, ein Landei aus Cornwall, aber willig und bereit, alles zu geben, um Breen bei der Lösung des Falles zu helfen.
London in den Swinging Sixties ist die brillant erzählte Kulisse in diesem anfangs recht humorvollen, später dann aber doch noch durchaus ernsthaften Ermittlerkrimis. Britannien anno 1968 – das sind: verklemmte Bürger, brutale Polizisten und natürlich überall enthusiasmierte Beatles-Fans.
Tolle Unterhaltung mit herrlich schräg-sympathischen Figuren.
Reinhard Jahn WDR5 Mordberatung

William Shaw
Abbey Road Murder Song
Suhrkamp nova




Harald Gilbers
Germania


Ein ungewöhnlicher Schauplatz, eine gewagte Konstruktion, ein anspruchsvolles Anliegen. Harald Gilbers macht es sich bei seinem Krimi-Debüt nicht leicht – doch es gelingt ihm auch viel.

Berlin 1944 – eine Stadt im Bombenkrieg, das Dritte Reich vor dem Zusammenbruch. Und mitten  darin scheint ein Serienmörder sein Unwesen zu treiben. Drei Frauen hat er bisher schon getötet, ehe SS und die Gestapo  die Zusammenhänge ahnen: alle Frauen wurde ein Nagel getötet in den Kopf getrieben hat – und sie wurden stets in der Nähe von Kriegsdenkmalen abgelegt.
Als letzte Maßnahme wird der aus dem Dienst abgeschobene Kommissar Richard Oppenheimer zu den Ermittlungen hinzugezogen. Eine ungewöhnliche, absurde Situation: als Jude ist Oppenheimer mit seiner Frau gezwungen worden, in einem der Judenhäuser zu wohnen, sie müssen ständig fürchten, deportiert zu werden und sind den zahllosen Schikanen der Nazis ausgesetzt.
Auf der anderen Seite wollen die Machthaber sich Oppenheimers kriminalistische Fähigkeiten zu Nutze machen – er war maßgeblich an der Fahndung nach dem Serienmörder Carl Großmann beteiligt, der in den zwanziger Jahren in Berlin rund 20 Frauen umgebracht hatte.
Jetzt muss er für einen SS-Hauptsturmführer ermitteln, was hinter den brutalen Frauenmorden steckt – für die offensichtlich ein glühender Verfechter des Nationalsozialismus verantwortlich ist. Denn nach und nach tauchen Briefe und Bekenntnisse des Täters auf, in denen er deutlich macht, dass er seiner Meinung nach zum Wohle des Systems mordet.
Die Recherchen führen Richard Oppenheimer durch das zunehmend zerstörte Berlin bis zum Finale, bei dem er dem Mörder schließlich gegenübersteht.

Ein ungewöhnlicher Schauplatz, eine gewagte Konstruktion, ein anspruchsvolles Anliegen. Harald Gilbers macht es sich bei seinem Krimi-Debüt nicht leicht – doch es gelingt ihm auch viel. Eine spannende Geschichte, ein bedrückend genau geschildertes Lokal- und Zeitkolorit.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

Harald Gilbers
Germania
Knaur

1.5.14

Die telefonische Mordsberatung auf WDR5 Juni 2014
Aufzeichnung der Sendung am 12.6.2014 in Düsseldorf

Die Mordsberatung vorab produziert beim Bücherbummel in Düsseldorf. Tatort: Landgericht

Die WDR 5 Kultsendung mit den Krimi-Experten Ulrich Noller (KrimiZEIT Bestenliste), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv) und die Journalistin Ingrid Müller-Münch  kommen zum Bücherbummel nach Düsseldorf und stellen die spannendsten Krimis jenseits des grünen Rasens vor.
Ihr Krimi-Kompetenzteam: Reinhard Jahn, Thomas Hackenberg, Ingrid Müller-Münch, Ulrich Noller
Foto: WDR, mit freundlicher Genehmigung

Live-Aufzeichnung der Radiosendung
In Zusammenarbeit mit WDR 5 und dem Landgericht und dem Amtsgericht Düsseldorf
Traumhafte Strände und wuchernde Elendsviertel, die Lebensfreude des Karnevals in Rio und die Brutalität der Drogenkönige. Zum Start der Fußball WM richtet die Krimiberatung von WDR 5 ihre Aufmerksamkeit nach Brasilien – einem aufregenden, exotischen, brandaktuellen Krimischauplatz. Patricia Melos "Leichendieb" wurde gerade mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, Autoren wie Rubem Fonseca und Edney Silvestre beschreiben in ihren Krimis die Chronik des alltäglichen Verbrechens auf der dunklen Seite der Copacabana.

Moderation: Thomas Hackenberg


Datum  12. Juni 2014
Zeit: 20:00,
Einlass ab 19.00 Uhr, 
Eintritt: Eintritt frei
Veranstaltungsort
Land- und Amtsgericht Düsseldorf
Werdener Straße 1, Düsseldorf, 40227

Wichtig:
Einlass ab 19.00 Uhr, die Plätze müssen bis 19.45 Uhr eingenommen werden.
Anmeldung notwendig: mordsberatung@wdr.de



FACTSHEET:
Krimi brasilianisch und die schwarzen Romane aus Lateinamerika

Krimi aus Lateiamerika heißt "novela negra" – und er hat eine lange Tradition, die sich natürlich auf die Grundsäulen des Genres bezieht: den britischen Krimi des "goldenen Zeitalters" (Agatha Christie etc) und den amerikanischen Krimi der "hardboiled school (Chandler, Hammett).

Schon 1930 gab es in Argentinien das wöchentliche Magazin "Colecion Misterio"
1945 gründete Jorge Louis Borges "El Septimo Circulo", eine Krimi-Reihe, benannt nach dem "Siebten Kreis" aus Dantes Inferno. Dort erschienen überwiegend importierte Krimis
JL Borges schrieb gemeinsam mit Adolfo Bioy Casares unter anderem "Sechs Probleme für Don Isidro Parodi", eine Reihe von parodistischen Kriminalgeschichten um einen Meisterdetektiv.
Zitat: Don Isidro, dessen Nachname Parodi poetologisches Programm ist, sitzt zu Unrecht wegen Mordes verurteilt im Gefängnis. Er löst seine Fälle allein durch brillante Analyse der ihm vorgetragenen Geschichten, ohne Zelle Nr. 273 jemals zu verlassen. Im praktischen Leben hat ihm die Überlegenheit seines Intellekts nicht genützt. Gegen die real Mächtigen und die Falschaussagen von Gangstern und Angehörigen des Polizeiapparats kam er nicht an. »Das ist« – so kommentiert H. Bustos Domecq – »eine langweilige Geschichte und so wirklich wie das Leben selbst.«
Tobias Gohlis: Abend der Detektive – Anbruch der Wirklichkeit? Der argentinische Kriminalroman hat einen langen Weg durchschritten – im Schatten von Dummheit, Willkür und Diktatur, in: DIE ZEIT 40/2010
http://www.zeit.de/2010/40/Argentinien-Kriminalroman


Ganz klar bekennt sich der Mexikaner Paco Ignacio Taobo II zu seinen us-amerikanischen Vorbildern und literarischen Paten: Sein Detektiv heißt Héctor Belascoarán Shayne  als Reminisenz an den amerikanischen Autor und Serienhelden "Mike Shayne", einem Nachfolger der hartgekochten Schnüffler vom Schlage eines Mike Hammer (von Mickey Spillane).
Taibo (kurz P.I.T. genannt) schreibt ganz spezielle "surreale" Kriminalromane mit seinem Helden, in denen die Zerissenheit und die Krisen seiner Heimat Mexiko thematisiert werden.

Lateinamerikanische Krimis sind oft politisch, das heißt konkret politisch links und begleiten, bzw begleiteten oft den Wechsel Diktaturen zu demokratsichen Staatsformen – wie etwa in Chile (Pinochet). Getreu dem Motto, dass der (echte) Kriminalroman eine demokratische Literatur ist und in Diktaturen (außer Entertainment-Krimis) keine Kriminalromane geschrieben werden.
Quelle:
http://www.krimi-couch.de/krimis/krimis-aus-lateinamerika.html

Ulrich Noller zum Thema

Krimis aus Lateinamerika: politisch und packend

Spannungsliteratur aus Lateinamerika zu lesen, das ist eine Reise durch die Zeit, in die Geschichte Argentiniens, Mexikos oder Chiles – wie auch in die Europas.
Sie sind politisch, sie sind historisch und sie sind nahe dran an der Gesellschaft: Kriminalromane aus Südamerika sind häufig politische Romane, ihre Schöpfer arbeiten die Polit-Geschichte ihrer Länder auf. So zum Beispiel die Zeit der Diktatur in Argentinien, die für viele Romane aus dem Gastland der Buchmesse ein Dreh- und Angelpunkt ist. Darüber hinaus beweisen Autoren wie Pablo de Santis oder Paco Ignacio Taibo II aber auch ästhetisch international konkurrenzfähige Klasse: Im Rahmen einer Literatur, die sich als globale Literatur versteht, agieren sie virtuos auf der Klaviatur aller nur denkbaren erzählerischen Mittel.
Weiterlesen ….
http://www.dw.de/krimis-aus-lateinamerika-politisch-und-packend/a-5850809-1

Thesen zum lateinamerikanischen Kriminalroman

-- Diktaturen in Lateinamerika -- Polizei in Lateinamerika keine glaubwürdige Instanz, im Gegenteil! Korruption!
--Abhängige Kulturen, Einfluss von Nordamerika (hard-boiled school).
---Fundamentale Inkompatibilität lateinamerikanischer Realität mit Form des klassischen Detektivromans, in dem immer Recht und Ordnung siegen
--3 Grundtypen der Unterwanderung des Kriminalgenres (oft selbstreflexiv):
1.    Satire
2.    Krimi ohne Lösung
3.    Verschmelzen von Dokumentarliteratur und Krimi: Leser wird mehr involviert, wenn historische Stoffe in die Formel der Kriminalliteratur gebracht werden

Quelle:
Handout Uni Graz zur Geschichte des Lateinamerikanischen Krimis (WORD-Dok)
http://goo.gl/TS8i5k

Bekannte Brasilianische Krimiautoren sind

- Rubem Fosneca (*1925) Autor von Romanen und Drehbüchern
Zitat: "Seine Werke behandeln die Ausschweifungen und die Gewalt in den Städten. Er erzählt in einem nüchternen und direkten Stil von einer Welt, in der Außenseiter, Mörder, Prostituierte etc. sich vermischen."
http://de.wikipedia.org/wiki/Rubem_Fonseca

- Patricia Melo (*1962) Schriftstellerin
Zitat: Es gehört zum ästhetischen Programm der Brasilianerin, die Gesellschaft, in der sie lebt, in möglichst vielen Facetten zu erfassen, und so gleicht keiner ihrer Romane dem anderen. Wiedererkennbar sind sie dennoch, da sie ein ganz besonderer „Melo-Stil“ verbindet. Ihr schneller Rhythmus steigert sich an manchen Stellen in ein Stakkato aus kürzesten Sätzen. Ihr Ton verstört, da er Grausamkeiten banal und häufig erschreckend lakonisch darstellt."
Doris Wiesner: Portrait Patricia Melo
http://culturmag.de/crimemag/patrica-melo-im-portrait/874