28.7.00

Alan Furst im Gespräch


Alan Furst

vorgestellt von Reinhard Jahn

Erstveröffentlichung: 1985

Seine Helden sind Pragmatiker. Sie tun ihre Jobs, an die sie durch die Unberechenbarkeiten des Schicksals geraten sind, und sie versuchen, sie so gut wie möglich zu erledigen. "Ich habe mein Berufsleben als mittelgroßer Marihuana-Dealer begonnen", sagt Privatdetektiv Roger Levin. "Nachdem man mich hopsgenommen hatte, zog mein wundervoller Rechtsanwalt Thomas Lieberman die Karre wieder aus dem Dreck."
Das chinesische Restaurant, das er sich vom Ertrag seines letzten Deals kaufen konnte, hat Levin verspielt - und wieder wird der Anwalt zum Retter in der Not: "Lieberman wurde danach so eine Art perverser Geschäftsvermittler. Die Geschäfte waren pervers, nicht der Vermittler. Geldübergaben, Observierungen. Zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle sein. Solche Dinge. Erfordert ein gewisses Fingerspitzengefühl, beträchtliche Diskretion und einige Gewitztheit. Keine gewalttätigen Sachen, nichts krass Ungesetzliches."
So etwas sagt sich leicht, aber wenn dann ein scheinbar harmloser Auftrag in DIE PARIS-FALLE führt oder die Suche nach der in einer Sekte untergetauchten Millionenerbin zum Trip in die TÖDLICHE KARIBIK wird, reichen Diskretion und Fingerspitzengefühl nicht mehr aus. Und wenn dann erst einmal Gewalt ins Spiel kommt, bleibt wenig Zeit, über die Ungesetzlichkeit nachzudenken.

Einen ähnlichen Karriereknick wie Roger Levins Leben weist auch die Biographie des Privatagenten Guyer auf: er gehörte zu den 820 CIA-Spionen, die 1977 auf einen Schlag von der Carter-Administration entlassen wurden. Gemeinsam mit seinem Vietnam-Kameraden Roger List macht Guyer aus dem Informationsnotstand der amerikanischen Großindustrie eine Tugend und gründet einen hinter einem Netz aus Tarnfirmen versteckten privaten Sicherheits- und Geheimdienst. Seine Spezialitäten: er vermittelt Doppelgängern für gefährdete Personen.
Guyer und Levin sind die Techniker und Handlanger der Geschäfte, die zwischen den Zentren der wirtschaftlichen und politischen Macht in New York und Washington, den feinen Anwaltsbüros und den zahllosen Klein- und Großkriminellen aus der Underworld USA abgewickelt werden. Sie sind die Verbindung zwischen den Führungsetagen des Wirtschafts- und Polit-Managements und der Straße.

Mit seinen beiden Roger-Levin-Romanen DIE PARIS FALLE und TÖDLICHE KARIBIK sowie dem Polit-Thriller GESCHÄFTE IM SCHATTEN hat sich der Amerikaner Alan Furst (*1941) als ein Autor profiliert, der dem klassischen Thriller der harten Schule einen neuen, aktuellen und realistischen Rahmen gibt. Seine Romane sind ebenso der Tradition eines Raymond Chandler und Dashiell Hammett verpflichtet, wie sie für sich in Anspruch nehmen, als kritische Chronik den Verfall des tradierten Ehrenkodexes des amerikanischen Lebens nachzuzeichnen. Furst gibt, um das bekannte Chandler-Zitat abzuwandeln, das Verbrechen an diejenigen zurück, die es sich leisten können, gegen das Gesetz zu verstoßen. So werden seine Thriller zur spannend-bissigen Geschichtsschreibung über die Konfrontation des einzelnen mit einer hochtechnisierten, als rivalisierenden Interessensgruppen zusammengesetzen Gesellschaft; in seinen Hauptfiguren entwickelt Furst konsequent die Ansätze von Ross Thomas, Gregory MacDonald und Robert B. Parker weiter, indem er behutsam, aber zielstrebig das Bild des einsamen, nur seinem Gewissen verpflichteten Ermittlers weiter demontiert und ihn immer mehr zum ratlosen und manchmal verbitterten Einzelgänger macht.

Alan Furst, geboren in New York und aufgewachsen an der West Side von Manhattan, lebt heute (1985) auf einer Insel im Staat Washington. Nach seiner Collegezeit tat er das, was - wie er es formuliert - "alle Schriftsteller machen": Er jobbte als Taxifahrer und Farmarbeiter, trampte durch Amerika und verbrachte einige Zeit in Frankreich und Spanien, Marokko und der Bundesrepublik. Außerdem besuchte er Osteuropa und die Sowjetunion.
Seinen ersten Roman schrieb er 1973, seitdem entstanden außer den erwähnten Thrillern noch einige Drehbücher und zahlreiche Beiträge für die amerikanische Ausgabe des Esquire-Magazins. In einem Interview erklärt Alan Furst, wie seine Romane entstehen.

FRAGE:
Ihr Detektiv Roger Levin ist eine ehemaliger Haschischdealer, der sich in seinem neuen Job um etwas Gerechtigkeit bemüht, aber am Ende immer ums eigene Überleben kämpft - wo beginnen und wo enden die Parallelen zwischen diesem Roger Levin und den Helden von Raymond Chandler und Dashiell Hammett?

Alan Furst:
Ich glaube, dass sich jeder amerikanische Autor, der im Spannungsgenre arbeitet, diesen beiden Namen verpflichtet fühlt. Chandler und Hammett haben die Form und den Stil entwickelt und außerdem bewiesen, dass ein Kriminalroman unter der Ebene der Geschichte auch gewisse moralische Werte transportieren kann - in diesem Zusammenhang möchte ich besonders John D. MacDonald und seine Travis-McGee-Romane erwähnen. Mit Roger Levin habe ich einfach einen Straßenjungen aus den sechziger Jahren in die Regeln dieses Spiels hineingesetzt und ihn danach handeln lassen. Im Grund genommen wollte ich etwas über diese Jahre schrieben, und für so eine Geschichte bot sich ein Privatdetektivroman als die beste bestehende Form an.

FRAGE:
GESCHÄFTE IM SCHATTEN - im Original THE SHADOW TRADE - handelt von dem gefeuerten Geheimagenten Guyer, der mit seinem Partner List einen privaten Nachrichtendienst aufbaut und Doppelgänger für gefährdete Personen vermittelt. Ist das ein Bild für die Austauschbarkeit des Menschen, die Auflösung seiner Individualität in einer Gesellschaft, die von den Interessen der Macht und des Geldes diktiert wird?

Alan Furst:
Die Grundidee von THE SHADOW TRADE liegt im Wortspiel des Titels. Spionage ist ein "Handeln im Schatten". "Handeln" heißt aber auch "tauschen / austauschen" - einen Schatten gegen einen anderen austauschen. GESCHÄFTE IM SCHATTEN ist also eine Geschichte über Doppelspiel und Verrat. Der Roman erzählt von Menschen, die durch Computer ausgetauscht werden - jene 820 CIA-Agenten, die Jimmy Carter 1977 feuerte. Und diese Menschen - fiktive Menschen jetzt - benutzen in meinem Roman Computer. um Ersatzleute für andere Menschen zu finden. Wenn der Roman einen Kerngedanken hat, dann diesen: Wenn das Doppelspiel erst einmal angefangen hat, hört es nie auf. Ich will damit nicht sagen, dass das schlecht ist. Ich versuche es nur so zu sagen, wie es ist.
Außerdem handelt der Roman davon, dass in jedem Geschäft oder in jedem Geheimdienst wie dem CIA gute und schlechte Menschen arbeiten. Ich erzähle von der Auseinandersetzung, die zwei von ihnen miteinander haben: Guyer und sein Konkurrent. Die Auseinandersetzung fängt bei ihrer Tätigkeit im Geheimdienst an und endet schließlich im privaten Bereich, aber es ist ein und derselbe Kampf. Wenn Sie behaupten, dass der Roman von der Manipulierbarkeit des Menschen handelt, ist das richtig: Eins der Hauptgebiete nicht-technischer Spionage in diesem Jahrzehnt ist die menschliche Persönlichkeit.

FRAGE:
Ihre Romane zeichnen sich durch eine große Sachkenntnis des New Yorker Geschäftslebens und seiner legalen und illegalen Praktiken aus. Haben Sie diese Details recherchiert, oder fließen dabei persönliche Erfahrungen ein?

Alan Furst:
Von den meisten Dingen habe ich gehört oder gelesen - solche Informationen aus zweiter Hand sind in der Regel die Quellen für Romane und Erzählungen. Vieles davon mischt sich dann mit wirklichen Ereignissen. Außerdem kommen viele Leute mit ihren Geschichten zu einem, wenn sie erfahren, dass man ein Schriftsteller ist. Und ein paar von diesen Geschichten sind wirklich gut.

FRAGE:
Ihre Helden haben meist eine starke emotionale Beziehung zu Frauen, dadurch werden sie aber auch verletzbar. Ist das ein Bruch mit dem traditionellen tough guy, der bekanntlich lieber mit Männern als mit Frauen zusammen war?

Alan Furst:
Das mag stimmen, ich habe es selbst nicht bemerkt. Ich glaube, dass das Gefühlsleben der Hauptfigur zu einem guten Kriminalroman oder Thriller dazugehört. Die Erfüllung einer emotionalen Zuneigung ist der Lohn für die Lösung des zentralen Konflikts: Der erfolgreiche Ritter auf dem Turnierplatz bekommt letzten Endes die schöne Frau. Oder etwa nicht? Ich glaube, dass es heute auch noch so ist, trotz dieser etwas komplizierten Art, in der sich die emotionalen Angelegenheiten in den Achtzigern darstellen.

FRAGE:
Wie entwickeln Sie eine Roman-Idee und wie arbeiten Sie sie aus?

Alan Furst:
Ein Roman entsteht aus einer ganz zufälligen Sammlung von Bildern und Eindrücken. Einige sind nur einen Satz oder Abschnitt lang, andere ein ganzes Kapitel. Aber das sind die Momente, die man erkennen muss. Aus diesen Bildern entstehen dann die Figuren, die Menschen, über die ich schreiben möchte. Die Figuren beginnen zu sprechen, ihre Dialoge sagen etwas darüber, wie sie die Bilder aufnehmen. Dann nehme ich das ganze Durcheinander und versuche, eine Geschichte daraus zu entwickeln, ein plot. Ich hasse plots, weil sie normalerweise so geistlos und konstruiert sind, so weit vom Zufall und dem Schicksal eines richtigen Lebens.

FRAGE:
Wollen Sie nach DIE PARIS-FALLE und TÖDLICHE KARIBIK weitere Bücher mit Roger Levin schreiben. Oder wird vielleicht später einmal der Agent Guyer aus GESCHÄFTE IM SCHATTEN noch einmal auftauchen?

Alan Furst:
Es ist zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich, dass ich Roger Levin oder Guyer noch einmal benutze. Es macht mir Spaß, eine neue Figur zu erfinden, aber das kann man nur in einem Buch. Eine Serie zu schreiben ist zwar kommerziell recht interessant, aber man muss dabei auch immer viele Dinge, die bereits einmal erwähnt wurden, in jede neue Geschichte übernehmen, und darunter leidet die Unmittelbarkeit stark.

Die alligatorpapiere über Alan Furst
Blog krimileser über Alan Furst
Alan Furst bei Wikipedia
Verlagshomepage von  Alan Furst

Reinhard Jahn: Interview Alan Furst: Erstveröffentlichung in: Alfred Hitchcocks Kriminalmagazin, Band 176 (Ullstein 10324, 1985)
Vom Autor durchgesehene und redigierte Fassung
Weiterverbreitung nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung das Autors