24.4.13

Mordsberatung Factsheet: Alpenkrimis









Die telefonische Mord(s)beratung
Jenseits der Grenze: Alpenkrimis auf dem Prüfstand

Das Krimi-Kompetenzteam der telefonischen Mordsberatung richtet seinen Blick diesmal über die Grenzen und ermittelt in der Krimiszene des deutschsprachigen Auslands.
Wer mordet literarisch jenseits der Alpen in Österreich und wer schreibt in der Nachfolge von Friedrich Glauser in der Schweiz?
Außerdem haben die WDR5-Spannungs-Experten Ulrich Noller (KrimiZEIT Bestenliste), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv) und die Journalistin Ingrid Müller-Münch natürlich auch den Überblick über die aktuellen Neuerscheinungen hierzulande und kennen die kommenden Bestseller. Und wie immer beraten sie die Anrufer und die Livegäste in allen kniffeligen Krimi-Fragen.
Hörerinnen und Hörer können sich unter der kostenfreien Telefonnummer 0800- 5678 555 an der Sendung beteiligen.
E-Mail an: mordsberatung@wdr.de

Live aus der Mediothek Krefeld,
Theaterplatz 2
Der Eintritt ist frei
Moderation: Thomas Hackenberg
Redaktion: Petra Brandl-Kirsch

Alpenkrimis -

Krimis aus Bayern, Österreich und der Schweiz.


These 1:
Der Tod, das muss ein Wiener sein
oder: Alles Kottan oder was?


Natürlich gibt es in allen Alpenländern eine Vielzahl von "normalen", also Mainstream-Kriminalromanen, in denen Detektiv.- oder Polizeigeschichten ezrählt werden.

Hier sollen die Besonderheiten der einzelnen Länder herausgehoben werden.

Österreichische Krimi tendieren zur Absurdität und zum Blödsinn höheren Art. Sie parodieren gern nicht nur das Genre, sondern pflegen dabei auch einen teilweise hoch entwickelten Sprachwitz.

Wolf Haas (*1960), erfand "den Brenner", den ehemaligen Kriminalpolizisten und späteren Verlegenheitsdetektiv. Der Zyklus der Brenner-Romane, bzw der Kriminalromane von Haas scheint inzwischen abgeschlossen, Haas schreibt seit einigen Jahren nur noch "normale" Belletristik wie etwa "Das Wetter vor 15 Jahren" (2006) oder "Verteidigung der Missionarsstellung" (2012).



"Der Knochenmann", nach dem Roman von Wolf Haas

Thomas Raab (*1970), eigentlich Musiker und Songwriter,  erfand den "Metzger" alias Willibald Adrian Metzger, eine ebenfalls skurril angehauchte Romanfigur. Der Metzger ist eigentlich Restaurator und wird mit seiner Freundin Danjela stets in skurrile Kriminalfälle verwickelt.
Nominiert für den Glauser 2013 war Raabs aktueller, siebter Metzger-Roman "Der Metzger kommt ins Paradies"




Aber eigentlich sind die wahren Wiener Krimis die Filme und Romane um den Major Adolf Kottan vom Kriminalbüro.
Helmut Zenker (1949 - 2003) erfand den Chaos-Polizisten und seine nicht minder chaotischen Kollegen, die nicht nur Mordfälle lösen, sondern auch in "Kottans Kapelle" gemeinsam Rock'n Roll-Klassiker spielen.
Alles Kottan oder was?



Kottan's Kapelle - Mr. Bass Man

Andere Österreich-Krimis und österreichische Krimi-Autoren:
Bad Fucking - von Kurt Palm ist eine ins absurde gedrehte Dorf- und Kleinstadtposse aus Österreich

Die Simon Polt-Romane von Alfred Komarek (*1947).
Die Romane um den Dorfpolizisten Simon Polt sind Landschafts- und Dorfkrimis im allerbesten Sinne aus dem  Weinviertel.
1998 erhielt er den Glauser für "Polt muss weinen" und 2002 für "Romy" für eines seiner Polt-Drehbücher.




Edith Kneifl (*1954) Psychiaterin in Wien, erhielt 1992 einen der ersten Friedrich Glauser-Preise für "Zwischen zwie Nächten". Kneifl ist die psychologischste Krimi-Autorin Österreichs, mit verwinkelten Polts um die Schicksale außergewöhnlicher Menschen.




These 2:
Die Schweizer schreiben die besseren deutschen Krimis


Krimiautor Sunil Mann
Für das vergleichsweise kleine Land mit seinen vergleichsweise wenigen Kriminalschriftstellern sind die Namen der Erfolgsautoren recht zahlreich.
Aktuelle schweizer Krimi-Autoren sind etwa Paul Ott, Sabina Altermatt, Suzy Schmid oder auch Sunil Mann (der Erfinder des ersten indisch-schweizerischen Privatdetektivs) und Michel Herzig, der eine Polizistin zur Heldin seine realitätsstarken Romane machte.
Auch Michel Theurillat, ein ausgestiegener Banker, soll hier genannt werden, Autor von vier Krimis mit seinem Serienhelden Kommissar Eschenbach.

Diese Autoren treten gerade aus dem Schatten der großen schweizer Krimiautoren heraus, die das Genre in dem Alpenland lange Jahr prägten: Friedrich Dürrenmatt und Friedrich Glauser. Damit ist die Schweiz die derzeit heißeste Krimiregion im deutschen Sprachraum - weil hier auf der Basis einer literarisch geprägten Tradition ein neuer Krimi entsteht, der sich der Realität und der Gesellschaft animmt, sie sehr präzise untersucht und beschreibt.

Friedrich Glauser (1886 - 1938) wurde von der Dada-Bewegung ignoiriert und schrieb neun Kriminalromen, die zu den Klassikern des deutschsprachigen Krimis zählen.
Sein Held: Wachtmeister Studer, ein Zürcher Kriminalwachtmeister, der mit seinem Motorrad ("Töff") unterwegs ist, Brissago-Zigarren raucht und niemals dem ersten Eindruck glaubt.
Anlässlich seines 75. Todestages in diesem Jahr (8. Dezember), lasen auf der CRIMINALE in Bern mehr als zwei Dutzend Autoren Glausers Roman "Der Chinese" für eine Hörbuch-Produktion ein.



Wachtmeister Studer - Szene: Befragung von Sonja Witschi
1939 Wachtmeister Studer, Schweiz, Regie: Leopold Lindtberg; mit Heinrich Gretler als Studer

Friedrich Dürrenmatt (1921-1999), Dramatiker und Literat, schrieb mit "Der Richter und sein Henker", "Der Verdacht" und "Das Versprechen" Kriminalromane, mit denen Generationen von Oberstufenschülern lernen sollten, was ein Kriminalroman sein soll und was nicht. Dürrenmatts erste Krimis - als Fortsetzungsromane für die Zeitung entstanden - galten als "literarisch", weil sie sich sehr bewusst und teilweise kritisch mit dem Genre und seinen Regeln auseinandersetzten.
Sein Held: Kommissar Bärlach


Dürrenmatt 1: Das Versprechen / Es geschah am hellichten Tag
1958 Deutschland/Schweiz, Regie Ladislao Vajda, Mit Heinz Rühmann


Dürrenmatt 2: "The Pledge" - Das Versprechen / The Pledge
2001, USA,  Regie: Sean Penn, Mit Jack Nicholson

Peter Zeindler (*1934) schrieb Spionageromane, die zuletzt den Zerfall des Ostblocks und das Verschwinden der DDR sozusagen als zeitkritische Langzeitbeobachtung.
Sein Held: Der (später ehemalige) BND-Agent und Antiquar Konrad Sembritzki



These 3

Deutsche Alpenkrimis: Auf der Alm, da gibt's koa Sünd

Der deutsche Alpenkrimi, wozu wir hier auch großzügig auch den Allgäu-Krimi zählen, steht  in der Tradition des Vollkstheaters und des Komödienstadels. Meist angesiedelt in einem  touristisch erschlossenen ländlichen bis dörflichen Setting pflegen die Geschichten landsmannschaftliche Stereotypen.
Im Fernsehen war der "Bulle von Tölz" die Initialzündung für den komödiantischen Dorf- und Kleinstadtkrimi bayerischer Provinienz.



Der Bulle von Tölz

Im Kriminalroman machte dann ab 2003 das Autorenduo Volker Klüpfel und Michel Kobr den Alpenkrimi in Form des Allgäu-Krimis salonfähig. Zentrale Figur der bisher sieben erschienen Romane ist der Vornamens-lose Kommissar Kluftinger, der sich durch Unsensibilität und seine Vorurteile auszeichnet.
Die "Kluftingers" entern regelmäßig bei Erscheinen die Beststellerlisten, es wurden zwei Fernsehfilme  mit der Figur (dargestellt von Herbert Kaupp) gedreht und dem Vernehmen nach soll Kluftinger bald auch einen Platz in der TATORT-Reihe der ARD bekommen.




Ähnlich grob geschnitzt wie Kluftinger ist "der Eberhofer Franz", Held und Ich-Erzähler der Romane von Rita Falk. Franz Eberhofer ist Polizist in dem fiktiven Niederkaltenkirchen und erzählt seine "Fälle" in einem ans bayerische angelehnten umgangssprachlichen Idiom. Auch "der Eberhofer" wurde verfilmt.



Die Romane der ehemaligen Reisejournalistin Nicola Förg (*1962) gliedern sich in verschiedene Reihen - "Allgäu-Krimis", Oberland-Krimis und "Alpen-Krimis". Obwohl in allen Romanen stets die landsmannschaftlichen Momente stark betont werden und ganz besonders jeweils auch der touristische Aspekt der Handlungsregion in den Vordergrund gestellt wird, behandelt Nicola Förg in ihren Büchern auch stets sogenannte "relevante" Themen - wie etwa in "Mordsviecher" (2011) die Probleme "animal hoarding" und Tierschutz in der Nutztierproduktion.


Sonderfall: München-Krimis
München-Krimis wie etwa die Bücher von Max Bronski spielen auf das Image der "Großstadt mit Herz" an und stellen in der Regel gemäßigte bajuwarische Lebensart aus.
München-Krimis sind eigentlich Metropolen-Krimis und keine Alpen-Krimis.

"Max Bronski" ist das Pseudonym eines Autors, der bei Lesungen von dem Schauspieler Michael Fitz dargestellt wird. Er schrieb bisher vier Romane um den Privatermittler Wilhelm Gossec.

Und last but not least ist auch der Solitär der deutschen Krimi-Szene hier einzuordnen: Friedrich Ani, der mit seiner Serie um den Münchener (inzwischen Ex-)Kommissar Tabor Süden und seinen anderen Romanen dem München-Krimi auf ein internationales Niveau gehoben hat.

ENDE

10.4.13

Selbstbild der Krimiautoren
Lohnschreiber oder autonomer Urheber?

Rundfrage bei deutschsprachigen Krimi-Autoren
Durchgeführt von Reinhard Jahn  (Das Syndikat / Bochumer Krimiarchiv)

Zur Teilnahme an der Rundfrage wurden die etwa 250 Bezieher der mailingliste des SYNDIKATS, der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur eingeladen. Alle diese Autoren haben - dies ist Aufnahmekriterium für das SYNDIKAT - mindestens einen Kriminalroman (oder ein gleichwertiges Werk) veröffentlicht.

Die Rundfrage fand in der ersten Aprilwoche 2013 statt
Den Online-Fragebogen beantwortet haben 56 Autoren und Autorinnen.
Diese Rundfrage ist *keine* repräsentative, wissenschaftliche Kriterien erfüllende Umfrage.
Das Ergebnis ist lediglich ein Schlaglicht, ein Stimmungsbild aus Kreisen der Krimiautoren.

Die Frage nach dem Selbstbild:
1. Wenn ich Krimis schreibe, fühle ich mich als Lohnschreiber
2. Wenn ich Krimis schreibe, fühle ich mich als autonomer Urheber
Die Autoren  sehen sich
1. eher nicht als Lohnschreiber
und
2. eher als autonomer Urheber

















Bei der folgenden offenen Frage konnten die Autoren Statements abgeben:
- ob sie sich von Verlags-Wünschen oder - Vorgaben abhängig fühlen,
-ob sie auf Trendmeldungen oder Tips von Seiten des Verlags /der Verwerter warten
-ob sie  und nur sie allein entscheiden, was sie schreiben
-ob sie ihre Entscheidung, was sie schreiben wollen mit deinem Agenten/Lektor besprechen

Die Mehrzahl der Autoren fühlt sich nicht oder kaum von Verlagswünschen oder Vorgaben abhängig oder gegängelt.
Zitat: "Lohnschreiber hieße für mich wie in einem Angestelltenverhältnis und auf Anweisung schreiben."
Eine Differenzierung wurde allerdings gemacht:
ZITAT: "Im Bereich Erwachsenenkriminalroman habe ich immer autonom und nach eigenen Vorschlägen gearbeitet. Bei Jugendkrimi und Drehbuch für TV-Krimi ist die Vorgehensweise mehr von Vorschlägen und verbindlichen Vorgaben geprägt."

Sie nehmen jedoch gern Anregungen, Tips oder Trendmeldungen von der Verwerter entgegen.
Zitat: "Natürlich interessieren mich Trendmeldungen oder Tipps, mich interessiert auch sehr, was meine Lektorin sagt. Denn das ist ein Echo auf die eigene Arbeit, und ohne dieses Echo kann und will ich mir das Schreiben nicht vorstellen. Umgekehrt kann die Lektorin auch nur gut arbeiten, wenn es zwischen ihr und mir ein gutes, funktionierendes Einvernehmen gibt."



Bei der Arbeit schließen sie sich gern, bzw häufig mit einem Vertreter der Verwerterseite zur Überprüfung kurz.
Zitat: "Rücksprache mit Lektor und Verleger kann nicht schaden, ob und was ich schreibe, ist meine Sache."

Und ein abschließendes Statement, das die Position gut zusammenfasst:
Zitat: "Ein Auftrag kann gar nicht so einschränkend sein, dass er mir als Autorin nicht trotzdem erlaubt, mich ganz und gar authentisch und unabhängig in meiner Literatur zu entfalten. Auch im scheinbar kleinsten Universum - "Gartenkrimi", "Hamburgkrimi" – muss ich mich nicht verbiegen um das Größte heraus zu holen. Wer sich selbst als Lohnschreiber reduziert, hat seine Grenzen nur noch nie überschritten. Und auch wenn es eine Vorgabe gibt, ob Trend oder Wunsch oder Marktlage: Mit irgendetwas, irgendeinem Aulsöer der von außen kommt, beginnt jede Literatur und jede Geschichte. Was der/die Autorin daraus macht, das ist entscheidend und immer autonom. Immer."

Und zum Schluss: 
Einen „autonomen Autor" in der Radikalität, wie ihn die provokative Fragestellung der Veranstaltung als vermeintlichen Idealfall postuliert, sollte es besser nicht geben. Ein Autor, wie jeder Künstler, der nicht auf sein Umfeld reflektiert, der sich nichts sagen lässt, keine Ratschläge annimmt und den kritischen Diskurs seiner eigenen Arbeit nicht als Bereicherung versteht, der sollte die Finger von der Tatstatur lassen."

Ende