15.7.85

Medienreport - Die Zeitung als Erwerbsunternehmen

NORDDEUTSCHER RUNDFUNK              
NDR 3 Medienredaktion     

Prod-Nr. 043-321                      
Sendung 21. November 1984
15.05 Uhr NDR 3



MEDIENREPORT


Die Zeitung als Erwerbsunternehmen

Medien- und Theorieverständnis von Karl Bücher (1847 - 1950),
Gründer des ersten Institutes für Zeitungskunde -1916 in Leipzig.

Eine Sendung von Reinhard Jahn

Sendelänge 23 Min

Redaktion: Michael Wolf Thomas  


©  beim Autor/NDR




Zur Verfügung gestellt vom NDR.
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

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Sprecher 1
Am 1. November des Kriegsjahres 1916 gab es in den, wie ein Chronist später zu berichten wusste, "schönen lichten Räumen des Eckhauses der Universitätsstraße und der Schillerstraße” in Leipzig einen Grund zum feiern. Aus der 'Abteilung für Zeitungskunde' an den 'vereinigten Staatswissenschaftlichen Seminaren' der Universität Leipzig wurde eine eigenständige Lehr- und Forschungseinrichtung - das Institut für Zeitungskunde. Ausgestattet mit einem Jahresetat vom 4000 Mark und den Zinsen aus der Stiftung eines Leipziger Zeitungsverlegers nahm die erste zeitungskundliche Forschungs- und Bildungseinrichtung an einer deutschen Hochschule zum Beginn des Wintersemesters 1916 ihre Tätigkeit auf.
Die personelle Ausstattung des neuen Institutes, das diesen Namen in seinen ersten Tagen wohl kaum verdiente, war ebenso gering wie die finanzielle. Lediglich ein wissenschaftlicher Assistent war dem lnstitutsleiter, dem unmittelbar zuvor emeritierten Nationalökonomen und Statistikprofessor Karl Bücher zugeteilt worden.
Die Ziele des neuen Institutsleiters wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht nur in Leipzig sondern auch an den anderen Hochschulen Deutschlands mit Skepsis und mäßigem Interesse beobachtet.
Das Institut sollte, wie der Chronist des Verlegerfachblattes 'Zeitungsverlag' notierte, ”einem doppelten Zweck dienen”:

Zitat
"Seine Bestrebungen sind ebenso auf die Erforschung des Zeitungswesens nach allen Richtungen hin, wie auf die Vorbereitung eines akademisch gebildeten journalistischen Nachwuchses für den praktischen Beruf im Dienste der Presse gerichtet. Infolgedessen werden, abgesehen von den allgemeinen einführenden Vorlesungen des Direktors des Instituts, Professor Doktor Bücher, von diesem selbst, sowie von mehreren anderen Herren  der Wissenschaft und der journalistischen Praxis seminaristische Übungen in allen einschlägigen Sparten abgehalten,”

Sprecher 2
Die Presse und  das Zeitungswesen als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung zu betrachten und durch eine Verbindung von Wissenschaft und Praxis einen sozusagen 'dualen' Ausbildungsgang für angehende Journalisten schaffen zu wollen, erscheint auch im Lichte der heutigen Publizistik, die sich an verschiedenen deutschen Hochschulen gern 'Kommunikationswissenschaft' nennt, als durchaus zeitgemäßer Ansatz.
Auch die Konzepte der privaten Journalistenschulen in Hamburg und München, und besonders des vor einigen Jahren ins Leben gerufene Modellstudiengang 'Journalistik' an der Dortmunder Universität zeigen nur wenige, in ihrer jeweiligen Organisationsstruktur begründete Abweichungen von dem Konzept, das Karl Bücher zur Grundlage seines Institutes für Zeitungskunde machte.

Sprecher 1
Über die Tatsache hinaus, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Kreisen eher mit einem abfälligen Lächeln bedachte 'Zeitungskunde' zur akademischen Weihe eines eigenen Institutes mit eigener Promotionsordnung geführt zu haben, wurde von den späteren Repräsentanten der Publizistik und Kommunikationswissenschaft auch Büchers Verdienst um ein stringentes Medien- und Theorieverständnis hervorgehoben.

Zitat:
"Mit dem Nationalökonomen Karl Bücher beginnt die zeitungsgeschichtliche Forschung im engeren Sinn…"

… formulierte es der langjährige Direktor des Institutes für Publizistik an der Universität Münster.
Der Wilhelmshavener Kommunikationswissenschaftler Wilmont Haacke beschrieb Büchers Bedeutung für die zeitgenössische Forschung mit den Worten:

Zitat
"An der Spitze der schöpferischen Persönlichkeiten hat durch Idee, Organisation, Werk und Schülerkreis bahnbrechend Karl Bücher gestanden."


Sprecher 2
Mit seinem durch seine Ausbildung und seinen beruflichen Werdegang in wesentlichen Teilen staats- und volkswirtschaftliche geprägten Medienverständnis verband sich bei Karl Bücher ein deutlicher pressereformerischer Ansatz, der aus seiner Einschätzung hervorging, die Zeitung sei die historisch entstandene Verbindung von öffentlicher - sprich staatlicher und gesellschaftlicher - und privater Publizität.
In der 'privaten Publizität', dem Anzeigen- und Annoncenwesen lag nach Büchers Auffassung die Ursache für ein irreversibles Ungleichgewicht im Zeitungswesen, denn die 'unnatürliche Verbindung von Text und Anzeigen' mache auf der Zeitung ein öffentliches Mittel zum privatwirtschaftlichen Zweck, der in Büchers polemischer Zeitungsdefinition deutlich wird:

Zitat
"Nach wie er ist die Zeitung eine Erwerbsunternehmen, welche periodisch Anzeigenraum verkauft, der nur durch Beifügung redaktionellen Texte absetzbar wird.“


Sprecher 1
Der Ansatz, der wie eine frühe Vorwegnahme einer der Hauptthesen der sogenannten 'kritischen Publizistik' der beginnenden 70er Jahre klingt, basierte freilich bei Karl Bücher nicht auf einer gesellschafts- und ideologiekritischen Analyse der bestehenden Produktionsverhältnisse, sondern vielmehr auf einer mit persönlicher Journalistenerfahrung angereicherten wirtschaftswissenschaftlichen und nationalökonomisch-historischen Beschreibung der 'Grundlagen des Zeitungswesens' - wie er auch einen seiner zahlreichen Aufsätze zum Thema überschrieb.

Sprecher 2
Bücher, 1847 im hessischen Kirberg als Sohn eines Handwerkers geboren, hatte nach seinem Studium der alten Sprachen und der Geschichte in Bonn und Göttingen zunächst zwischen 1872 und 1875 sechs Jahre lang als Gymnasiallehrer in Dortmund  und Frankfurt gearbeitet, bevor er zunächst freier Mitarbeiter, dann volkswirtschaftlicher Redakteur bei der ”Frankfurter Zeitung" wurde, einem Oppositionsblatt, das die Interessen der Volkspartei vertrat.
In den zwei Jahren seiner Tätigkeit als Leite des sozialpolitischen Ressorts avancierte Bücher vom Berichterstatter über Aufsätze und Feuilletons zum sachkundigen Leitartikler in  Wirtschaftsfragen.

Sprecher 1
1880 verließ Bücher dann die Redaktion, um sich in München an der staatswissenschaftlichen Fakultät in den Fächern Nationalökonomie und Statistik zu habilitieren.
Nach Professuren an der deutsch-russischen Universität von Dorpat im Baltikum, in Basel und an der Technischen Hochschule von Karlsruhe erhielt Karl Bücher schließlich 1892 eine Berufung als ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Statistik an die Universität Leipzig.
Nachdem er bereits zehn Jahre zuvor, 1882, in Dorpat, mit ersten zeitungswissenschaftlichen Studien begonnen hatte, setzte er während seiner Zeit an der Universität Basel seine überwiegend statistischen Forschungen auf dem Gebiet der Zeitungskunde fort und bot dort seit dem Sommersemester 1884 regelmäßig eine einstündige Vorlesung über die 'Geschichte, Organisation und Statistik des Zeitungswesens' an, denn es schien ihm, wie ein Chronist notierte …

Zitat
"....die Pflicht der Jochschule zu sein, dass bei der gewaltigen Fresse für den heutigen Staat: und das öffentliche Leben alle diejenigen, die später im Dienstes des Staates ständen, übt die Presse eine mehr als oberflächliche Vorstellung bekämen."


Sprecher 2
Zur gleichen Zeit arbeitete Karl Bücher auch an seinem später zum Standardwerk der zeitgenössischen Nationalökonomie avancierten Buch 'Die Entstehung der Volkswirtschaft', in dem er seine Theorie über die Entwicklung der modernen Volkswirtschaft aus der tauschlosen Hauswirtschaft und der Stadtwirtschaft entwickelte, die die Basis für seine zeitungshistorischen Betrachtungen bildete, die er später in seinen Arbeiten "Die Anfänge des Zeitungswesens" und "Die Grundlagen des Zeitungswesens" ausarbeitete.

Sprecher 1
Denn genau wie in der ersten Wirtschaftsstufe, der geschlossenen Hauswirtschaft die Güter in derselben Wirtschaft verbraucht werden, in der sie hergestellt wurden, ist nach Büchern Auffassung die erste Stufe des Zeitungswesens in der Zeit des römischen Reiches anzusiedeln, in der Nachrichten quasi als Eigenproduktion erzeugt und verbraucht wurden:

Zitat:
"Die römische Zeitung ist ein Glied in der autonomen Güterversorgung des reichen aristokratischen Adels. Man hält sich einen Zeitungsschreiber (...) der in den meisten Fällen das Eigentum des Zeitungslesers ist, sein Sklave, der nach der Anweisung seines Herrn arbeitet."


Sprecher 2
Diese Phase der geschlossenen Hauswirtschaft wird abgelöst von der sogenannten Stadtwirtschaft, in der an Stelle der Eigenproduktion die Kundenproduktion tritt und sowohl die Wirtschaft als auch das Zeitungswesen durch den direkten Austausch von Gütern und Nachrichten charakterisiert sind. Denn , so Bücher ....

Zitat:
"In der geschriebenen Zeitung des 14. Jahrhunderts waltet der handwerksmäßige Betrieb. (…) Der Avisenschreiber  liefert auf Bestellung die von ihm gesammelten Nachrichten unmittelbar gegen besonderen Entgelt an einen Kreis von Kunden und richtet sich auch gewiss im Ausmaß des Stoffes nach den Bedürfnissen desselben. Er ist Reporter, Redakteur und Verleger in einer Person."


Sprecher 2
Als Nachfolger und Weiterentwicklung der  privaten Kaufmannsbriefe des 15. Jahrhunderts über die Avisenschreiber und den Briefverkehr des Handels und der städtischen Obrigkeiten im 14, und 1§. Jahrhundert zieht sich so die Entwicklungslinie der periodischen Presse, die durch die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg um 1450 einen wesentlichen Impuls erhielt.
In den ersten gedruckten, regelmäßig erscheinenden Zeitungen des beginnenden 17. Jahrhunderts sieht Bücher schon...

Zitat
”… ein Netz regelmäßiger Nachrichtenzusammenstellung. Es geht durch sie sozusagen ein moderner Zug, der Zug der Zusammenfassung der Einzelkräfte in geteilter Arbeit, aber in vereinten Wirken.”

Sprecher 1
Annoncen und Wirtschaftswerbung existierten in diesen 'Relationen' oder 'Newen Zeitungen' genannten Blättern noch nicht. Der sogenannte 'Intelligenzzwang' wies privaten Handelsnachrichten und Kauf- und Tausch-Anzeigen ihren Platz in den von den 'Intelligenz-Comptoirs' oder 'Intelligenz-Büros' herausgegebenen 'Intelligenz-Blättern' zu, einer Zeitungsgattung, die gegenwärtig in Gestalt von lokalen und kommunalen Anzeigenblättern oder Kleinanzeigenzeitungen wieder auf der publizistischen Szene erschienen ist.
Erst mit der Aufhebung des Intelligenzzwanges im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde es den Nachrichten-Zeitungen möglich, private Einschaltungen – also "Annoncen" und "Reklamen" - zusätzlich zum redaktionellen Teil gegen Entgelt aufzunehmen.
Damit war allerdings war, folgt man Karl Büchers Betrachtungsweise, der Sündenfall der Zeitung besiegelt, da die Zeitung von nun an nicht mehr nur Nachrichten und Ansichten von allgemeinem Interesse zu Veröffentlichung bringt, sondern....

Zitat:
"...sie dient auch dem Privatverkehr und dem Privatinteresse durch Anzeigen jeder Art, die ihr speziell vergolten werden. Sie verkauft neue Nachrichten an ihre Leser, und sie verkauft ihren Leserkreis an jedes zahlungskräftige Privatinteresse."


Sprecher 2
Damit ist auch im Zeitungsgewerbe die Stufe der Volkswirtschaft erreicht, die Stufe der Volkswirtschaft erreicht, die Stufe der Warenproduktion und des Güterumlaufes. Die Zeitungen sind nicht mehr länger das 'vermittelnde Verkehrsinstitut', die sie nach Büchers von ethischen Wertvorstellungen geprägten Zeitungsdefinition sein sollten. Die völkerverbindende und gemeinschaftsbildende Funktion, die er der Zeitung zuschreibt, tritt hinter den Zwängen der Ökonomie zurück. Zeitung also nicht mehr nur als …

Zitat:
"… Leitorgan, durch das die geistigen Strömungen zwischen Volk und Regierung vermittelt werden, durch das aber auch die Parteien der Volksvertretung mit den Massen in Verkehr treten, Anregungen unter ihnen verbreiten, wie sie andererseits solche von ihnen empfangen..."


sondern auch eine kapitalistische Unternehmung, eine Neuigkeitenfabrik sozusagen...

Zitat
"...in welcher in mannigfach geteilter Arbeit eine große Zahl von Personen (…) unter einheitlicher Leitung gegen Lohn beschäftigt werden und die für einer unbekannten Leserkreis, von dem sie oft noch durch Zwischenglieder (...) getrennt ist, Ware erzeugt. Nicht mehr das einfach Bedürfnis des Lesers oder des Kundenkreises ist für die Qualität der Ware maßgebend, sondern die sehr komplizierten Konkurrenzverhältnisse des Publizitätenmarktes."


Sprecher 1
Zwar gesteht Karl Bücher den Zeitungsunternehmungen durchaus zu, dass sie durch den Verkauf von Anzeigenraum ihre ökonomische Basis verbreitern können, doch hebt er im Rahmen seiner eingehenderen Beschäftigung mit der  Verbindung von öffentlichen und privater Publizität die Risiken dieses Zusammenschusses immer deutlicher hervor.
Die Quintessenz seiner theoretischen Erkenntnisse legt Karl Bücher schließlich 1919 auf Anfrage der bayerischen Regierung unter Kurt Eisner in Form eines Gesetzentwurfes vor, der den Dualismus von öffentlicher und privater Publizität im Messewesen aufheben sollte.

Sprecher 2
In Anlehnung an die Forderung von Ferdinand Lassalle, der schon 1863 verlangt hatte, dass in einem sozialdemokratischen Staat Annoncen und Anzeigen lediglich in lizenzierten Amtsblättern und nicht in den Nachrichten-Zeitungen veröffentlicht werden dürften, entwickelte Karl Bücher nach einer brieflichen Aufforderung durch den bayerischen Finanzminister Professor Doktor Jaffé einen Gesetzesentwurf, dessen erster Paragraph vorschreibt:

Zitat
“In jeder Gemeinde von 2500 Einwohnern ist von der Gemeindebehörde ein Gemeindeblatt herauszugeben, das amtlichen Haushaltungen sofort nach Erscheinen jeder Nummer kostenfrei zugestellt wird."


Ausgehend von der Auffassung, dass die deutsche Presse hauptsächlich in Richtung einer Lokalpresse entwickelt ist, sieht Büchers Gesetzentwurf also durch die Schaffung der Gemeindeblätter ein Inseratenmonopol auf Gemeindebasis vor, wie es  in Paragraph drei formuliert ist:

Zitat:
”Dem Gemeindeblatt steht ausschließlich die Veröffentlichung von staatlichen und kommunalen Bekanntmachungen sowie der sämtlichen Privatanzeigen von örtlichen Bedeutung zu. Zeitungen, welche im Privatverlag erscheinen, ist der Abdruck jeder Art von  Anzeigen untersagt."


Um die Abgrenzung zur Nachrichten- und Meinungs- Zeitung zu gewährleisten, sollte es den Gemeindeblättern lediglich gestattet sein, "neueste Nachrichten, sowie belehrende und unterhaltende Artikel" sozusagen als 'redaktionelles Umfeld' zu publizieren. Die Erlöse aus dem Anzeigenverkauf sollten der jeweiligen Gemeindekasse zufließen.
Büchers Gesetzentwurf geriet allerdings aufgrund der politischen Wirren in Vergessenheit und wurde nicht realisiert.

Sprecher 1
Deutlicherer Erfolg war den 'preßreformerischen' Bemühungen Karl Büchers auf dem Gebiet einer akademischen Journalistenausbildung beschieden, zu der er an dem auf seine Initiative geschaffenen Leipziger  Institut für Zeitungskunde  den Grundstein legte. Angeregt durch die Arbeit einiger weniger privater Journalistenschulen und die Journalistik-Veranstaltungen an amerikanischen und schweizerischen Hochschulen, sah er die Aufgabe des neu zu gründenden Institutes in einer fachübergreifenden und interdisziplinären Arbeit, die den zukünftigen Journalisten das notwendige Rüstzeug für eine verantwortungsvolle Zeitungsarbeit auf dem Weg geben sollte.
Der damals wie heute verbreiteten Auffassung Journalismus als 'Eignungs- und Neigungsberuf' zu dessen Ausübung es nichts weiter bedürfe als einer klaren Auffassungsgabe und eine guten Allgemeinbildung setzte Karl Bücher mit dem Lehrangebot des Neuen Institutes eine Ausbildung zum fachlich qualifizierten Journalisten entgegen.

Zitat:
"Der Plan geht von der Grundauffassung aus, dass die zur wissenschaftlichen Ausbildung von Journalisten gehörigen Fächer an den deutschen Universitäten bereits vertreten sind und dass es im Einzelfalle nur auf eine zweckmäßige Verbindung dieser Fächer ankommt, die je nach der einzuschlagenden Studienrichtung verschieden sein kann. Es ist deshalb ein besonderer Studienplan zur berufsmäßigen Ausbildung in der Zeitungskunde entworfen worden, der für die drei in Betracht kommen Richtungen (...) die Fächer angibt, denen die wissenschaftliche Beschäftigung sich besonders zuzuwenden hat.”

Büchers Konzept strebte eine Dreiteilung der  journalistischen Spezialisierung an - und zwar in die
-politische Journalistik
-die Handelsjournalistik
und
-die Feuilletonistik.
So soll der künftige politische Redakteur sich besonders den staatswissenschaftlichen Fächern zuwenden - der Staatswissenschaft, der allgemeinen Handelslehre, der Geschichte und der politischen Geographie.
Der Handelsjournalist als verantwortlicher Redakteur für den Wirtschaftsteil sollte sich mit der Volkswirtschaft, dem Handelsrecht und den Börsengesetzen vertraut machen und der zukünftige Feuilletonist hatte sich nach Büchers Studienplänen mit Philosophie, Ästhetik, Kunst- und Literaturgeschichte  zu beschäftigen.

Sprecher 2
Neben dem Ausbildungszweig des praktischen Journalismus gehörte aber auch die wissenschaftliche Untersuchung des modernen Zeitungswesens, seiner Gesetze und Funktion zum festen Bestandteil des Leipziger Lehrplanes, womit auch die Grundlage aller kommunikationswissenschaftlicher Institute an den Hochschulen der  Gegenwart in Büchers Institut für Zeitungskunde  zu finden ist.


Sprecher 1
Übungen in Quellenkunde - heute würden wir den Vorgang 'recherchieren' nennen - sollten die derart  ausgebildeten Journalisten dazu befähigen, die hinter den von Agenturen und Depeschendiensten angelieferten Nachrichten stehenden Interessen und Interessensgruppen zu erkennen und sie entsprechend einzuordnen.
Um auch dem Zeitungsleser die Möglichkeit zu geben, die Quelle einer Nachricht zu lokalisieren, plädierte Karl Bücher in einer Reihe von Aufsätzen für eine Aufhebung der Anonymität in den Zeitungen.

Sprecher 2
Die Anonymität - das heißt die Veröffentlichung von Nachrichten ohne Nennung des Depeschenbüros, das sie übermittelte oder auch von Feuilletons und Kommentaren ohne Angabe des Verfassers, wurde von den deutschen Zeitungen als ein Relikt aus den Zeiten der staatlichen Repression gegen Journalisten und Berichterstatter weitergeführt. Aber auch der Anspruch eines manchen Verlegers oder einer Partei nach einem 'einheitlichen' , das heißt kollektiven, nicht von Individuen sondern einer Gesinnungsgemeinschaft gestalteten Blattes sorgte  dafür, dass  sämtliche  Zeitungsbeiträge  ohne Verfassernamen  oder  Agenturkürzel  erschienen.

Sprecher 1
Besonders die von Propaganda gekennzeichneten Veröffentlichung des beginnenden Ersten Weltkrieges führten Bücher zu der Auffassung, dass der Leser ein Recht haben alle, sich anhand einer namentlichen Kennzeichnung eines Beitrages über dessen Herkunft zu informieren, denn ...

Zitat:
"...die Zeitungsblätter, die seit dem Kriegsbeginn in unsere Hände kommen, wissen täglich von neuen Gräueltaten zu berichten, die man den Unseren andichtet; ausgestunkene Lügen, die durch Anwendung der einfachsten kritischen Hilfsmittel als solche erkannt werden könnten."


Sprecher 1
Um besonders den seinerzeit der staatlichen Zensur unterworfenen Nachrichtenausstoß der Agenturen Reuter und Havas zu kennzeichnen und die dahinter verborgene offiziöse Kriegspropaganda zu verdeutlichen, erweiterte Bücher seine Forderung nach einer Aufhebung der Anonymität auch auf die Quellen derartiger Nachrichtenbüros:

Zitat:
"Soweit die Leitung Nachrichten enthält, welche von Telegraphenagenturen geliefert werden, müssten die Bureaux, von denen sie stammen, genannt, und das Publikum von Zeit zu Zeit aufmerksam gemacht werden, von welchen Regierungen sie abhängig sind, und welches Maß an Glaubwürdigkeit ihnen zukommt."

Sprecher 1
Und um generell "dem System der offiziösen Nachrichtenagenturen überhaupt" ein Ende zu machen, entwarf Karl Bücher den Plan einer von der Presse selbst organisierten und finanzierten Nachrichtenagentur nach dem Vorbild der nordamerikanischen Associated Press - eine Forderung, die durch die Gründung der Deutschen Presse-Agentur im Nachkriegsdeutschland zwar in Büchers Sinn, jedoch ohne unmittelbare Bezugnahme auf sein Modell verwirklicht wurde.

Sprecher 2
Karl Bücher starb 84-jährig am 12. November 1930 in Leipzig. Und auch wenn man ihm einen "gewissen Doktrinarismus" und auch die "Höheperspektive eines akademischen Lehrstuhles" zuschrieb, aus der die tatsächlichen Verhältnisse des zeitgenössischen Journalismus nicht mehr zu erkennen gewesen seien, wird er nicht nur als Historiker und akademischer Vorkämpfer der Zeitungskunde, sondern auch als Pressepolitiker oder, wie es Büchers Zeitgenosse, der Publizist Otto Groth formulierte, "als der von einer hohen Mission der Zeitung überzeugte Reformer der Zeitungspraxis in der Geschichte des Zeitungswesens" anerkannt.

-STOP-


Weitere Information:

Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft
Karl Bücher 16. Februar 1847 bis 12. November 1930
Lexikoneintrag von Michael Meyen am 21. Juni 2013
http://blexkom.halemverlag.de/karl-bucher/

Karl Bücher - Eintrag bei Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_B%C3%Bccher




Medienreport - Die Zeitung als Erwerbsunternehmen

test

18.2.85

Medienreport - Der arme Poet

 

 

 

Sach-und Faktenstand 1985

NORDDEUTSCHER RUNDFUNK   
Medienredaktion         
Sdg.: So., 17. Februar 1985
15.05 - 15.30 Uhr

 NDR3

 

MEDIENREPORT

Aktuelle Informationen

"Der arme Poet"

Ein Überblick über die Arbeitsmöglichkeiten von Schriftstellern in der Bundesrepublik

Eine Sendung von Reinhard Jahn

Redaktion: Michael Wolf Thomas 
Produktion: Carlo Schultheis

Prod.=-Nr.: 043 321

Zur Verfügung gestellt vom NDR.
Dieses Manuskript ist urheberrschtlich geschützt

 

Sach-und Faktenstand 1985

Vorspann
"Der arme Poet" - Ein Überblick über die Arbeitsmöglichkeiten von Schriftstellern in der Bundesrepublik.
Eine Sendung von Reinhard Jahn.

Sprecher 1
Versuchen Sie einmal, meine Damen und Herren, sich einen Schriftsteller an seinem Arbeitsplatz vorzustellen. Beinahe automatisch wird sich zuerst einmal das Bild des 'armen Poeten' einsteilen, wie es Carl Spitzweg Ende des 19. Jahrhunderts malte: der Dichter in seiner Dachstube, hingekauert auf seinem Bett unter einem Regenschirm, Gänsefeder und Manuskriptblatt in der Hand. Überlagert wird die Vorstellung vom Dichter und Schriftsteller vielleicht von aktuelleren Bildern: Erfolgsautoren, die sich für Fernsehfeatures vor prallen Bücherwänden in der eindrucksvollen Wohnlandschaft des Eigenheimes präsentieren, hin und wieder ein Zwischenschnitt auf den Autor an seinem Schreibtisch, auf dem mittlerweile auch die neue Technik Einzug gehalten hat. Statt mit Gänsekiel und Stahlfeder schreibt der Autor anno 1985 mit der mechanischen oder elektrischen Maschine, bei technologiefreundlichen Vertretern der Branche hat sich schon der Personal-Computer mit Textverarbeitungsprogramm durchgesetzt.

Sprecher 2
Natürlich sind auch alle Schriftsteller, die wir kennen, sogenannte 'freie', das heißt sie und ihre Familie, so sie eine haben, leben von den Honoraren, die Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten für die Wortprodukte zahlen. Der Autor - immer weniger bezeichnen sich als 'Schriftsteller' - ist Zulieferer einer Medienindustrie, die nicht nach künstlerisch-ästhetischen, sondern nach ökonomischen Prinzipien arbeitet, Der Autor betreibt, um einen Ausspruch Kurt Tucholskys abzuwandeln, eine 'kleine, mehr oder minder gut gehende Schriftstellerei’, er ist, wie es ein Zyniker einmal ausdrückte, nichts weiter als der "Wurmfortsatz der holzverarbeitenden Industrie”, die das Papier herstellt, auf dem seine Bücher gedruckt werden.
Cirka 30.000 Wortproduzenten gibt es schätzungsweise in der Bundesrepublik, eine Gruppe, die bei genauerer Betrachtung in viele, kaum voneinander abzugrenzende Teilbereiche zerfällt. Der gefeierte Lyriker gehört ebenso dazu wie der Gelegenheitsjournalist und Heimatdichter, unter den 30.000 sind mehrere hundert Schriftsteller,. die ‘Kriminal-, Liebes- und Science-Fiction-Romanhefte schreiben, andere verfassen Moderationen, Unterhaltungsszenen und Hörspiele für den Rundfunk, schreiben Film- und Fernsehdrehbücher, arbeiten auf dem sogenannten "grauen Markt" als Geisterschreiber, Gebrauchs- und Werbetexter.
Nicht zu vergessen sind auch die rund 15.000 Journalisten, die Tag für Tag Aktuelles, Informatives, Unterhaltendes und Kommentierendes bei Presse und Rundfunk vermitteln.
Damit sinkt die Zahl der künstlerisch-kreativen Autoren, also jener 'Schriftsteller' im engeren Sinn des Wortes auf neun- bis zehntausend Männer und Frauen, von denen wiederum ein großer Teil einen sogenannten 'Brotberuf'
hat. Das heißt: sie sind nicht darauf angewiesen, sich ihren gesamten Lebensunterhalt durch Schreiben zu verdienen.

Sprecher 1
"Schriftsteller" sind, wie Adorno es formulierte, "anachronistische Heimarbeiter", die einem hochindustrialisierten Medienapparat aus Verlagen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehanstalten, Filmproduktionen und anderen Kommunikationskanälen gegenübertreten, und spätestens hier, beim Verkauf der Ware Wort und dem Produkt 'Idee' endet die Vorstellung vom "freien Schriftsteller’ als finanziell und ökonomisch unabhängigen Geistesarbeiter.

(Schon 1971 stellten die Soziologin Karla, Fohrbeck und der Kommunikationswissenschaftler Andreas Wiesand in ihrem vom Spiegel in Auftrag gegebenen "Autorenreport' fest, dass die Mehrzahl der Autoren in wirtschaftlicher, finanzieller, beruflicher, inhaltlicher oder vertraglicher Abhängigkeit von den Verwertern ihrer Arbeiten stehen: wer einmal die Möglichkeit hat, eins der vergleichsweise hohen Fernseh- oder Rundfunkhonorare zu kassieren, wird sich überlegen, ob er seinen geplanten Stoff zuvor auf den weniger ergiebigen Buchmarkt wirft. Wer für die Regenbogenpresse stereotype Liebes- und Kriminalgeschichten schreibt oder wer Romanhefte produziert, hat sich nach festen inhaltlichen Vorgaben und präzisen Seitenangaben zu richten. )

Sprecher 2
Natürlich gibt es noch den Schriftsteller, der ein Jahr oder länger an einem großen Roman arbeitet oder in einem Gedichtband die Essenz eines halben Lebens zusammenstellt - nur kann er in der Regel ökonomisch davon nicht existieren, ist auf die regelmäßigen Lohn- oder Gehaltszahlungen seines Brotberufes angewiesen.
Will ein Autor vom Schreiben leben, muß er seinen ganz persönlichen Kompromiss mit der Medienindustrie schließen - nämlich inwieweit er sich in seinen Tätigkeiten diversifiziert, wieweit ‘er sich persönlich auf die unterschiedlichen Verwertungs- und Marktmechanismen mit ihren Abhängigkeiten einlassen will.

Sprecher 2
Als Manager seiner selbst sieht er sich vor dem Problem, seinen selbstgesetzten Qualitätsanspruch auf die finanziell erfolgreichste Art zu verwirklichen. Er muß sich mit dem Lektor oder Redakteur über einzelne Formulierungen streiten und mit dem Vertragsjuristen um Honorarprozente und Nebenrechtsbeteiligungen feilschen - eine Aufgabe, die Autoren in jüngster Zeit nur allzu gerne an Agenten und Vermittler abtreten, die ihrerseits wieder, ihre Provision vom Honorar abziehen.

Sprecher 1
Welche Arbeitsmöglichkeiten also gibt es für einen idealtypischen Schriftsteller, in welchen Marktbereichen kann er sich und seine Produkte anbieten?
Der klassische Arbeitsbereich für den Autor fiktionaler und schöngeistiger Texte sind die Printmedien, angefangen von Buchverlagen über Zeitungen und Zeitschriften bis hin zu den Heftromanfabriken mit ihren genormten Abenteuern und Romanzen. Daneben bieten auch die elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen zahlreiche Möglichkeiten zur Veröffentlichung. Teile seiner Arbeiten kann der Autor darüber hinaus auch noch in Öffentlichen Lesungen vortragen.
Die Arbeitsfelder Film und Fernsehen sind zwar wegen ihrer komplizierten Produktionsmechanismen nur schwer zugänglich, sind aber grundsätzlich auch ein Absatzmarkt für schriftstellerische Produkte. Im letzten Bereich, dem "grauen Markt', verkauft der Autor nur seine schreiberische oder schöpferische Kompetenz an einen Auftraggeber, ohne dabei als Urheber an die Öffentlichkeit zu treten. Wissenschaftlich oder journalistisch orientierten Textproduzenten stehen die gleichen Möglichkeiten offen - als Buchautor, Mitarbeiter bei Presse, Rundfunk und Fernsehen und als Zulieferer für den grauen Markt.

Sprecher  1
Um einen Stoff, eine Idee oder ein Konzept in Relation zur zu investierenden Ausarbeitungszeit möglichst gewinnbringend zu verwerten, sieht sich der Autor - überspitzt formuliert - zunächst einmal nicht so sehr mit inhaltlichen Problemen konfrontiert, sondern mit der Frage nach dem passenden Marketingkonzept. Seine handwerklichen Fähigkeiten als Schriftsteller, der Bekanntheitsgrad seines Namens, der künstlerische Anspruch seines Projektes und die formalen und inhaltlichen Zwänge der einzelnen Medien müssen mit den erwarteten und angebotenen Honoraren in eine vernünftige Relation gebracht werden,


Sprecher  2
Spätestens wenn der literarische Debütant seinen ersten Verlagsvertrag in der Hand hält, wird er erkennen müssen, dass er allein durch das Bücherschreiben nur schwer zum Auflagen- und Geldmillionär werden kann.
Mit einem gewöhnlichen Vertrag räumt der Autor zunächst einmal dem Verlag zeitlich und räumlich unbegrenzt alle Verbreitungs- und Nutzungsrechte an seinem Werk ein, - das heißt neben dem Recht, eine Buchausgabe zu veranstalten, erwirbt der Verlag auch die Rechte, Übersetzungen in andere Sprachen anfertigen zu lassen, den Titel an einen Taschenbuchverlag oder einen Buchklub weiterzuverkaufen, den Stoff für Rundfunk, Fernsehen oder Film bearbeiten zu lassen.
Dementsprechend stehen die Einkünfte aus solchen Nebenrechtsverwertungen nicht allein dem Autor zu, sondern werden zwischen Autor und Verlag nach einem festgelegten Prozentsatz geteilt.
Von der Buchausgabe werden in der Regel nur die verkauften Exemplare honoriert, die Berechnungsgrundlage für die Autorenprozente ist dabei der Warenwert des Buches, das heißt der Ladenverkaufspreis abzüglich der Mehrwertsteuer von derzeit sieben Prozent. Bei einer Hardcover-Ausgabe bekommt der Autor, je nach Größe des Verlages, der Höhe der Erstauflage und der Bekanntheit seines Namens zwischen zehn und fünfzehn Prozent pro verkauftem Exemplar.
Ist das Werk als Taschenbuch erschienen, muß er sich mit fünf his sieben Prozent zufriedengeben. Einige Verlage zahlen auch für jede Auflage ein zuvor vereinbartes Pauschalhonorar.

Sprecher 1
Einige, natürlich nicht repräsentative Beispiele machen die Relation zwischen dem Arbeitsaufwand und dem Erlös deutlich: ein Jugendroman, an dem ein Autor zwei Monate gearbeitet hat - Manuskriptumfang 180 Seiten - wurde mit acht Prozent des Warenwertes honoriert. Bei einem Verkaufspreis von 16,80 DM sind das rund 1,20 DM pro Exemplar. Aufgelegt wurden 5.000 Exemplare, was im Idealfall für den Autor 6.000 DM bedeutet. Davon hat er bereits 4.000 DM Vorschuss vom Verlag erhalten, in den nächsten beiden Jahren, in denen das Buch im Handel ist, kann er also allerhöchstens mit 2.000 DM rechnen. Ähnlich sieht es bei dem Autor einen Taschenbuch-Krimis aus: zwei bis drei Monate Arbeitszeit für ein 200-Seiten-Manuskript, sieben Prozent Honoraranteil bei einem Ladenpreis von 6,80 DM und einer Erstauflage von 10.000 Exemplaren bedeutet summa summarum 6.300 Mark Honorar. Günstiger wird die Rechnung erst bei einem sogenannten Bestseller, der mehrere Jahre hintereinander aufgelegt wurde und eine verkaufte Auflage von 50.000 Exemplaren erreichte. Bei einer Arbeitszeit von sechs bis sieben Monaten für ein 400-Seiten-Manuskript, einem Verkaufspreis von 39,80 DM und einem Honoraranteil von rund 10 Prozent erhält der Autor cirka 3,70 DM pro Buch, das sind runde 185.000 Mark, die dieser Titel für ihn einspielt - natürlich brutto und über mehrere Jahre verteilt.

Sprecher 1
Am unteren Ende der Skala stehen dagegen die Autoren von Romanheften: hier werden von den Verlagen für ein Manuskript mit dem genormten Umfang von cirka 120 Seiten zumeist nur pauschal und unabhängig von der Auflagenhöhe zwischen 1.000 und 1.500 Mark bezahlt, ohne dass der Verlagsvertrag dem Autor eine weitere Auswertung des Stoffes gestattet.

Sprecher 2
Im Arbeitsfeld Presse kann der Autor neben journalistischen Arbeiten wie Reportagen oder Berichten überwiegend nur Unterhaltendes in verschiedenen Niveaustufen unterbringen: Kurzgeschichten, Erzählungen, Satiren, Glossen und so weiter. Nachdem in den letzten Jahren immer mehr Tageszeitungen ihre für diese Formen reservierten Wochenendbeilagen zugunsten von Tiefdruck-Supplements mit einem anderen redaktionellen Konzept eingestellt haben und das Feuilleton in den meisten Blättern nur noch in Form von Kulturnachrichten stattfindet, ist die Tagespresse für einen Schriftsteller ein relativ uninteressanter Markt geworden. Die Honorare bewegen sich laut Tarifvertrag je nach Auflagenhöhe der Zeitung zwischen fünfzig Pfennigen und einer Mark pro Druckzeile. Betrachtet man dagegen den Zeitschriftenmarkt, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Honorarsätze im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Niveau der Texte stehen. Neben Klatsch und Tratsch aus den Fürstenhäusern bringt die Regenbogenpresse Woche für Woche Krimis, Liebesgeschichten, Service-Reportagen aus den Bereichen Mode, Medizin und Reisen, Reportagen über Frauenschicksale und Verbrechen. Formate und Inhalte dieser Texte sind größtenteils standardisiert, im Idealfall werden sie von einem Autor nur noch nach den Richtlinien der Redaktion formuliert. Das gilt auch für die vorgeblich 'wahren' Frauenbekenntnisse, die sich in vielen Frauenzeitschriften und speziellen Bekenntnis-Magazinen finden.

Sprecher 1
Wiederum einige Beispiele: ein Bericht für eine große deutsche Tageszeitung - Arbeitszeit samt Recherche drei Tage - erscheint mit 150 Druckzeilen. Nach der bei der Tagespresse üblichen langen Wartezeit erhält der Autor ein Honorar von 170 DM. Eine Glosse in einer katholischen Wochenzeitung, 60 Druckzeilen lang, wird pauschal mit 100 Mark honoriert; eine Buchkritik in einem Gewerkschaftsblatt, von 60 Manuskriptzeilen auf 40 Druckzeilen heruntergekürzt, bringt 40 Mark.
Dagegen zahlt eines der klassischen Regenbogenblätter für eine Kriminalgeschichte von 6 Manuskriptseiten runde 1,000 Mark, eine Fernsehprogrammzeitschrift wirft für die gleichen Stories das doppelte aus.
Service-Texte, wahre Frauenbekenntnisse und ähnliche Beiträge bringen bei einem Manuskriptumfang von sechs bis zehn Seiten zwischen achthundert und eintausendfünfhundert Mark.
(Für einen Fortsetzungsroman von acht Folgen mit jeweils zehn bis zwölf Manuskriptseiten kann der Autor bei einem der größeren Blätter zwischen zehn und fünfzehntausend Mark einstreichen.)

Sprecher 2
Für Autoren, die sich nicht auf diese Art von Lohn- oder Auftragsschreiberei einlassen möchten, bieten die elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen mit ihren vergleichsweise hohen Honorarsätzen für journalistische, literarische und unterhaltende Beiträge eine Reihe von interessanten Arbeitsmöglichkeiten. Hörspiele, Fernsehspiele, Unterhaltungsszenen, Moderationen, kurze und lange Features zu kulturellen oder gesellschaftlichen Themen sind Formen, die in der Regel mit Texten freier Mitarbeiter bestritten werden.
Sie gehören zu den Programmsparten ‘kulturelles' oder 'unterhaltendes Wort’ und werden - je nach Größe und Finanzkraft der produzierenden Rundfunkanstalt - mit fünfzig bis einhundert Mark pro Minute honoriert, wobei die Gesamtsumme in der Regel zur Hälfte aus einem Ausarbeitungs- oder Manuskript-Honorar und einem Sendehonorar besteht. Das Ausarbeitungshonorar wird im allgemeinen bei Vertragsabschluß oder Manuskriptablieferung fällig, das Sendehonorar bei jeder Ausstrahlung, also auch bei Wiederholungen des Beitrages oder seiner Übernahme durch: eine : andere Rundfunkanstalt. Durch den in manchen Sparten hervorragend funktionierenden Programmaustausch zwischen den einzelnen Hörfunkanstalten der ARD kann ein Hörspiel- oder Unterhaltungsautor oft über mehrere Jahre hinweg Tantiemen für einen Beitrag kassieren.

Sprecher 1
Fernsehproduktionen sind der beliebteste, aber auch am schwierigsten zu erreichende Markt für Autoren. Zugänglich ist er nur durch das Nadelöhr der Fernsehspiel-Dramaturgien und Unterhaltungsabteilungen von ARD und ZDF und über die Produktionsabteilungen jener Film- und Fernsehfirmen, die als ständige Auftragsproduzenten für das Fernsehen Filme herstellen. Aufgrund der engen Verflechtung zwischen Kino- und Fernsehfilm durch das "Film- und Fernsehabkommen", das eine Finanzbeteiligung der Rundfunkanstalten an vielen deutschen Kinofilmen regelt, verwischen sich die Grenzen beider Bereiche in der Bundesrepublik immer mehr: zahlreiche Produktionsgesellschaften stellen [aufgrund des Film- und Fernsehabkommens] Spielfilme her, die nach ihrer Erstauswertung in den Kinos wegen der Beteiligung einer Rundfunkanstalt im Fernsehen als Fernsehspiel ausgestrahlt werden. ‘

Sprecher 2
Die für eine Realisierung eines Film- oder Fernsehprojektes notwendige Arbeitsteilung fordert vom Autor ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft und Zuverlässigkeit. In der Regel werden Stoffe hier schon vor der Ausarbeitung zum endgültigen Drehbuch aufgrund von Exposés und Treatments in Zusammenarbeit mit einem Dramaturgen und einem Regisseur konzipiert, gibt es bei Fernsehserien, an. denen mehrere Autoren mitarbeiten, feste formale und inhaltliche Rahmen und sind bei der endgültigen Realisierung auch noch spezielle künstlerische Vorstellungen des Regisseurs zu berücksichtigen.
Ähnliche Strukturen tauchen bei Unterhaltungsproduktionen für den Hörfunk auf, während hingegen die Arbeit im Bereich Hörspiel wegen ihres primär literarischen Charakters dem Autor eine größere Möglichkeit gibt, seine Vorstellungen zu realisieren.

Sprecher 1
Einige Honorarbeispiele: Ein literarisches Hörspiel - Manuskriptumfang 45 Seiten, was einer Sendelänge von cirka 50 Minuten entspricht, wird von einer großen ARD-Anstalt mit 5.000 Mark honoriert. Wird die Produktion wiederholt oder von einer anderen Anstalt übernommen, erhält der Autor jeweils ein Sendehonorar von 2.500 Mark. Ein kurzes Hörspiel von cirka 13 Minuten Länge bringt bei der Unterhaltungsabteilung eines anderen, kleineren Senders achthundert Mark, ein Feature wie das, das Sie gerade hören, wird mit eintausend bis eintausendzweihundert Mark bezahlt.
Ein Drehbuch für einen Film der TATORT-Serie im Deutschen Fernsehen - Arbeitszeit drei Monate, Manuskriptumfang 120 Seiten - wird mit vierzehn- bis achtzehntausend Mark bezahlt; eine TV-Vorabendserie mit zwölf Folgen mit 25 bis 30.000 Mark abgegolten. Drehbücher für Kinofilme werden entweder pauschal mit 15 bis 20.000 Mark honoriert oder eine prozentuale Beteiligung, von sieben bis zwölf Prozent am Netto-Einspiel und Rechteverkauf bezahlt.

Sprecher 2
Durch das Zusammenrücken der einzelnen Medien und ihrem Interesse an einer kalkulierbaren und ökonomisch befriedigenden Verwertung von Stoffen erschließen sich auch für den Autor eine Reihe von Möglichkeiten zur mehrfachen Verwertung seiner Arbeit Je nach Art seines abgeschlossenen Vertrages partizipiert er in der Regel zwischen 50 und 70 Prozent an den Einnahmen, die durch den Verkauf der sogenannten Nebenrechte seines Buches anfallen, ähnliche Regelungen gelten auch für den Fall, dass nach einem erfolgreichen Film oder einer Fernsehserie ein Buch veröffentlicht werden soll. Für eine konsequente und effektive Verwertung dieser Nebenrechte, die im Widerspruch zu ihrem Namen oft höhere Einnahmen garantieren als die klassischen Buch- und Verlagsrechte, braucht ein Autor neben einigem Verhandlungsgeschick auch fundierte juristische und kaufmännische Kenntnisse. In diesem Bereich der multimedialen Verwertung und Rechtesicherung treten in jüngster Zeit verstärkt Agenten und Urheberrechtsagenturen nach amerikanischem Vorbild als Makler zwischen Autoren und Medien auf. Für eine zehn bis fünfundzwanzigprozentige Beteiligung an allen Honoraren makeln derartige Agenten, deren Namen in kaum einem Buchimpressum oder Filmabspann auftauchen, einzelne Verwertungs- und Verbreitungsrechte, ganze Stoff- und Ideen-Pakete und übernehmen mitunter auch die Produktion von Buchtiteln im Auftrag eines Verlages.
(Der Autor als künstlerisch-kreativer Geistesarbeiter wird so im günstigsten Fall zum Markenartikel in einer Produktpalette, beziehungsweise auf der anderen Seite zum No-NameSchreiber, dessen einziges Kapital seine handwerkliche Verlässlichkeit und seine Terminsicherheit sind. )|


Sprecher  1
Lesungen und öffentliche Vorträge bieten besonders Autoren schöngeistiger Literatur mitunter eine solide Einnahmequelle. In Lesungen kann die Distanz zwischen dem Schriftsteller und seinem Publikum abgebaut werden, Vorträge in Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung tragen zur Förderung der Lese- und Bildungskultur bei. Entsprechend der Forderung des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Druck und Papier hat sich ein Lesungshonorar von 300 Mark für 60 oder 90 Minuten durchgesetzt. Organisiert ein Verlag zu Promotionszwecken die Lesereise eines Autors, werden möglicherweise auch schon einmal ein paar hundert Mark mehr pro Abend und Signierstunde gezahlt.


Sprecher  2
Im völligen Gegensatz zu den öffentlichen Auftritten ihrer schöngeistigen Kollegen legen die Zulieferer für den weitgefächerten 'grauen Markt' größten Wert darauf, dass ihre Namen nicht im Zusammenhang mit einem Text bekannt werden. Sei es, dass ein Journalist die Lebenserinnerungen eines Film- oder Bühnenstars als sogenannte "Autobiographie" zu Papier bringt oder ein promovierter Geisteswissenschaftler für drei bis fünftausend Mark eine Magister- oder Diplomarbeit verfasst - auf dem grauen Markt wird lediglich schreiberische und handwerkliche Kompetenz gehandelt. Werbeagenturen beschäftigen nebenbei Schriftsteller, die Texte für Festschriften, Vorträge und ähnliches liefern, Journalisten schreiben für Industrieunternehmen  PR-Artikel, immer mehr Landes- und Stadtpolitiker greifen bei ihren Festreden auf die Formulierungsfähigkeit ihrer Geisterschreiber zurück. Gültige Honorarsätze lassen sich wegen der Vielfalt der Möglichkeiten hier- natürlich - nicht nennen, außerdem spielen bei den finanziellen Vereinbarungen auch das Verhandlungsgeschick des Autors und die Zahlungsfähigkeit des Auftraggebers eine Rolle.

Sprecher 1
In allen diesen Arbeitsbereichen wird der angebliche 'freie' Schriftsteller mit Zwängen, Abhängigkeiten, formalen und inhaltlichen Bedingungen konfrontiert, 'Frei'
im Sinn des Wortes ist er also nicht, will er seinen Lebensunterhalt durch die Wortproduktion verdienen. Nur die Finanzämter behandeln ihn als 'Frei' - nämlich als freien Unternehmer, bei dem davon auszugehen ist, dass bei ihm außer einer Schreibmaschine, Papier und einigem Büromaterial keine weiteren Betriebskosten entstehen. Auch die wegen der Arbeitsmethode eines Autors auf- und abschnellende Einkommensentwicklung wird nicht berücksichtigt: Konnten nach einer längeren Durststrecke mehrere Arbeiten erfolgreich verkauft werden, kann es passieren, dass das Einkommen in die Progressionszone gerät und zur Hälfte weggesteuert wird. Bis zum Inkrafttreten des Künstlersozialversicherungsgesetzes am 1.1.1983 haben freie Schriftsteller darüber hinaus auch ohne soziale Absicherung gearbeitet: ohne Rentenversicherung, ohne Anspruch auf Arbeitslosen- oder Krankengeld. Obwohl die Beitragspflicht der Verwerter an der Pflichtversicherung im Moment noch von einigen Verlagen und Kunsthandelsunternehmen vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird, ist die Künstlersozialversicherung ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine soziale Absicherung der freien künstlerischen Berufe.


Sprecher  2
Der Autor anno 1985 hat sich also in einer Vielzahl von Rollen auf dem Markt zu behaupten: als Künstler, als Jurist, als Kaufmann, als Selbstdarsteller, Steuerfachmann, Organisator und Manager seiner selbst. Zwei Extrempositionen deuten sich nach dem Überblick über die Arbeitsfelder, ihren Verdienstchancen und Verwertungsmechanismen an.

Sprecher 1
Er entwickelt seine Fähigkeiten in die Richtungen, in denen die höchsten Honorare winken und gibt deshalb möglicherweise einen großen Teil seiner künstlerischen Identität auf. Er strebt nach einer multimedialen Verwertung eines Stoffes, fügt sich den inhaltlichen Prämissen der entsprechenden Medien oder stellt in seiner Produktion Quantität vor Qualität. Er wird zum Textproduzenten, Gagschreiber, oder, wenn er Erfolg hat - zum Meer an:

Sprecher 2
Der idealtypische Gegenpart ist der Autor, der kaum Zugeständnisse an den Markt macht, der sich nur sich selbst und seiner Aussage verpflichtet fühlt. Er wird nicht umhinkommen, seinen Lebensstandard auf das absolute Minimum zu reduzieren und sich gegebenenfalls einen Brotberuf zu suchen, um weiter schreiben zu können. Mit einem geringen oder überhaupt keinem finanziellen Polster im Rücken stellt er neue Arbeiten fertig, die möglicherweise gut besprochen aber weniger gut verkauft werden. Es fällt leicht, ihn sich an Anlehnung an Carl Spitzwegs Bild vorzustellen:
in einer Dachkammer, an einem alten Schreibtisch vor einer klapperigen Schreibmaschine - der arme Poet anno 1985.

-Ende-

Sach-und Faktenstand 1985