15.7.85

Medienreport - Die Zeitung als Erwerbsunternehmen

NORDDEUTSCHER RUNDFUNK              
NDR 3 Medienredaktion     

Prod-Nr. 043-321                      
Sendung 21. November 1984
15.05 Uhr NDR 3



MEDIENREPORT


Die Zeitung als Erwerbsunternehmen

Medien- und Theorieverständnis von Karl Bücher (1847 - 1950),
Gründer des ersten Institutes für Zeitungskunde -1916 in Leipzig.

Eine Sendung von Reinhard Jahn

Sendelänge 23 Min

Redaktion: Michael Wolf Thomas  


©  beim Autor/NDR




Zur Verfügung gestellt vom NDR.
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

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Sprecher 1
Am 1. November des Kriegsjahres 1916 gab es in den, wie ein Chronist später zu berichten wusste, "schönen lichten Räumen des Eckhauses der Universitätsstraße und der Schillerstraße” in Leipzig einen Grund zum feiern. Aus der 'Abteilung für Zeitungskunde' an den 'vereinigten Staatswissenschaftlichen Seminaren' der Universität Leipzig wurde eine eigenständige Lehr- und Forschungseinrichtung - das Institut für Zeitungskunde. Ausgestattet mit einem Jahresetat vom 4000 Mark und den Zinsen aus der Stiftung eines Leipziger Zeitungsverlegers nahm die erste zeitungskundliche Forschungs- und Bildungseinrichtung an einer deutschen Hochschule zum Beginn des Wintersemesters 1916 ihre Tätigkeit auf.
Die personelle Ausstattung des neuen Institutes, das diesen Namen in seinen ersten Tagen wohl kaum verdiente, war ebenso gering wie die finanzielle. Lediglich ein wissenschaftlicher Assistent war dem lnstitutsleiter, dem unmittelbar zuvor emeritierten Nationalökonomen und Statistikprofessor Karl Bücher zugeteilt worden.
Die Ziele des neuen Institutsleiters wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht nur in Leipzig sondern auch an den anderen Hochschulen Deutschlands mit Skepsis und mäßigem Interesse beobachtet.
Das Institut sollte, wie der Chronist des Verlegerfachblattes 'Zeitungsverlag' notierte, ”einem doppelten Zweck dienen”:

Zitat
"Seine Bestrebungen sind ebenso auf die Erforschung des Zeitungswesens nach allen Richtungen hin, wie auf die Vorbereitung eines akademisch gebildeten journalistischen Nachwuchses für den praktischen Beruf im Dienste der Presse gerichtet. Infolgedessen werden, abgesehen von den allgemeinen einführenden Vorlesungen des Direktors des Instituts, Professor Doktor Bücher, von diesem selbst, sowie von mehreren anderen Herren  der Wissenschaft und der journalistischen Praxis seminaristische Übungen in allen einschlägigen Sparten abgehalten,”

Sprecher 2
Die Presse und  das Zeitungswesen als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung zu betrachten und durch eine Verbindung von Wissenschaft und Praxis einen sozusagen 'dualen' Ausbildungsgang für angehende Journalisten schaffen zu wollen, erscheint auch im Lichte der heutigen Publizistik, die sich an verschiedenen deutschen Hochschulen gern 'Kommunikationswissenschaft' nennt, als durchaus zeitgemäßer Ansatz.
Auch die Konzepte der privaten Journalistenschulen in Hamburg und München, und besonders des vor einigen Jahren ins Leben gerufene Modellstudiengang 'Journalistik' an der Dortmunder Universität zeigen nur wenige, in ihrer jeweiligen Organisationsstruktur begründete Abweichungen von dem Konzept, das Karl Bücher zur Grundlage seines Institutes für Zeitungskunde machte.

Sprecher 1
Über die Tatsache hinaus, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Kreisen eher mit einem abfälligen Lächeln bedachte 'Zeitungskunde' zur akademischen Weihe eines eigenen Institutes mit eigener Promotionsordnung geführt zu haben, wurde von den späteren Repräsentanten der Publizistik und Kommunikationswissenschaft auch Büchers Verdienst um ein stringentes Medien- und Theorieverständnis hervorgehoben.

Zitat:
"Mit dem Nationalökonomen Karl Bücher beginnt die zeitungsgeschichtliche Forschung im engeren Sinn…"

… formulierte es der langjährige Direktor des Institutes für Publizistik an der Universität Münster.
Der Wilhelmshavener Kommunikationswissenschaftler Wilmont Haacke beschrieb Büchers Bedeutung für die zeitgenössische Forschung mit den Worten:

Zitat
"An der Spitze der schöpferischen Persönlichkeiten hat durch Idee, Organisation, Werk und Schülerkreis bahnbrechend Karl Bücher gestanden."


Sprecher 2
Mit seinem durch seine Ausbildung und seinen beruflichen Werdegang in wesentlichen Teilen staats- und volkswirtschaftliche geprägten Medienverständnis verband sich bei Karl Bücher ein deutlicher pressereformerischer Ansatz, der aus seiner Einschätzung hervorging, die Zeitung sei die historisch entstandene Verbindung von öffentlicher - sprich staatlicher und gesellschaftlicher - und privater Publizität.
In der 'privaten Publizität', dem Anzeigen- und Annoncenwesen lag nach Büchers Auffassung die Ursache für ein irreversibles Ungleichgewicht im Zeitungswesen, denn die 'unnatürliche Verbindung von Text und Anzeigen' mache auf der Zeitung ein öffentliches Mittel zum privatwirtschaftlichen Zweck, der in Büchers polemischer Zeitungsdefinition deutlich wird:

Zitat
"Nach wie er ist die Zeitung eine Erwerbsunternehmen, welche periodisch Anzeigenraum verkauft, der nur durch Beifügung redaktionellen Texte absetzbar wird.“


Sprecher 1
Der Ansatz, der wie eine frühe Vorwegnahme einer der Hauptthesen der sogenannten 'kritischen Publizistik' der beginnenden 70er Jahre klingt, basierte freilich bei Karl Bücher nicht auf einer gesellschafts- und ideologiekritischen Analyse der bestehenden Produktionsverhältnisse, sondern vielmehr auf einer mit persönlicher Journalistenerfahrung angereicherten wirtschaftswissenschaftlichen und nationalökonomisch-historischen Beschreibung der 'Grundlagen des Zeitungswesens' - wie er auch einen seiner zahlreichen Aufsätze zum Thema überschrieb.

Sprecher 2
Bücher, 1847 im hessischen Kirberg als Sohn eines Handwerkers geboren, hatte nach seinem Studium der alten Sprachen und der Geschichte in Bonn und Göttingen zunächst zwischen 1872 und 1875 sechs Jahre lang als Gymnasiallehrer in Dortmund  und Frankfurt gearbeitet, bevor er zunächst freier Mitarbeiter, dann volkswirtschaftlicher Redakteur bei der ”Frankfurter Zeitung" wurde, einem Oppositionsblatt, das die Interessen der Volkspartei vertrat.
In den zwei Jahren seiner Tätigkeit als Leite des sozialpolitischen Ressorts avancierte Bücher vom Berichterstatter über Aufsätze und Feuilletons zum sachkundigen Leitartikler in  Wirtschaftsfragen.

Sprecher 1
1880 verließ Bücher dann die Redaktion, um sich in München an der staatswissenschaftlichen Fakultät in den Fächern Nationalökonomie und Statistik zu habilitieren.
Nach Professuren an der deutsch-russischen Universität von Dorpat im Baltikum, in Basel und an der Technischen Hochschule von Karlsruhe erhielt Karl Bücher schließlich 1892 eine Berufung als ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Statistik an die Universität Leipzig.
Nachdem er bereits zehn Jahre zuvor, 1882, in Dorpat, mit ersten zeitungswissenschaftlichen Studien begonnen hatte, setzte er während seiner Zeit an der Universität Basel seine überwiegend statistischen Forschungen auf dem Gebiet der Zeitungskunde fort und bot dort seit dem Sommersemester 1884 regelmäßig eine einstündige Vorlesung über die 'Geschichte, Organisation und Statistik des Zeitungswesens' an, denn es schien ihm, wie ein Chronist notierte …

Zitat
"....die Pflicht der Jochschule zu sein, dass bei der gewaltigen Fresse für den heutigen Staat: und das öffentliche Leben alle diejenigen, die später im Dienstes des Staates ständen, übt die Presse eine mehr als oberflächliche Vorstellung bekämen."


Sprecher 2
Zur gleichen Zeit arbeitete Karl Bücher auch an seinem später zum Standardwerk der zeitgenössischen Nationalökonomie avancierten Buch 'Die Entstehung der Volkswirtschaft', in dem er seine Theorie über die Entwicklung der modernen Volkswirtschaft aus der tauschlosen Hauswirtschaft und der Stadtwirtschaft entwickelte, die die Basis für seine zeitungshistorischen Betrachtungen bildete, die er später in seinen Arbeiten "Die Anfänge des Zeitungswesens" und "Die Grundlagen des Zeitungswesens" ausarbeitete.

Sprecher 1
Denn genau wie in der ersten Wirtschaftsstufe, der geschlossenen Hauswirtschaft die Güter in derselben Wirtschaft verbraucht werden, in der sie hergestellt wurden, ist nach Büchern Auffassung die erste Stufe des Zeitungswesens in der Zeit des römischen Reiches anzusiedeln, in der Nachrichten quasi als Eigenproduktion erzeugt und verbraucht wurden:

Zitat:
"Die römische Zeitung ist ein Glied in der autonomen Güterversorgung des reichen aristokratischen Adels. Man hält sich einen Zeitungsschreiber (...) der in den meisten Fällen das Eigentum des Zeitungslesers ist, sein Sklave, der nach der Anweisung seines Herrn arbeitet."


Sprecher 2
Diese Phase der geschlossenen Hauswirtschaft wird abgelöst von der sogenannten Stadtwirtschaft, in der an Stelle der Eigenproduktion die Kundenproduktion tritt und sowohl die Wirtschaft als auch das Zeitungswesen durch den direkten Austausch von Gütern und Nachrichten charakterisiert sind. Denn , so Bücher ....

Zitat:
"In der geschriebenen Zeitung des 14. Jahrhunderts waltet der handwerksmäßige Betrieb. (…) Der Avisenschreiber  liefert auf Bestellung die von ihm gesammelten Nachrichten unmittelbar gegen besonderen Entgelt an einen Kreis von Kunden und richtet sich auch gewiss im Ausmaß des Stoffes nach den Bedürfnissen desselben. Er ist Reporter, Redakteur und Verleger in einer Person."


Sprecher 2
Als Nachfolger und Weiterentwicklung der  privaten Kaufmannsbriefe des 15. Jahrhunderts über die Avisenschreiber und den Briefverkehr des Handels und der städtischen Obrigkeiten im 14, und 1§. Jahrhundert zieht sich so die Entwicklungslinie der periodischen Presse, die durch die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg um 1450 einen wesentlichen Impuls erhielt.
In den ersten gedruckten, regelmäßig erscheinenden Zeitungen des beginnenden 17. Jahrhunderts sieht Bücher schon...

Zitat
”… ein Netz regelmäßiger Nachrichtenzusammenstellung. Es geht durch sie sozusagen ein moderner Zug, der Zug der Zusammenfassung der Einzelkräfte in geteilter Arbeit, aber in vereinten Wirken.”

Sprecher 1
Annoncen und Wirtschaftswerbung existierten in diesen 'Relationen' oder 'Newen Zeitungen' genannten Blättern noch nicht. Der sogenannte 'Intelligenzzwang' wies privaten Handelsnachrichten und Kauf- und Tausch-Anzeigen ihren Platz in den von den 'Intelligenz-Comptoirs' oder 'Intelligenz-Büros' herausgegebenen 'Intelligenz-Blättern' zu, einer Zeitungsgattung, die gegenwärtig in Gestalt von lokalen und kommunalen Anzeigenblättern oder Kleinanzeigenzeitungen wieder auf der publizistischen Szene erschienen ist.
Erst mit der Aufhebung des Intelligenzzwanges im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde es den Nachrichten-Zeitungen möglich, private Einschaltungen – also "Annoncen" und "Reklamen" - zusätzlich zum redaktionellen Teil gegen Entgelt aufzunehmen.
Damit war allerdings war, folgt man Karl Büchers Betrachtungsweise, der Sündenfall der Zeitung besiegelt, da die Zeitung von nun an nicht mehr nur Nachrichten und Ansichten von allgemeinem Interesse zu Veröffentlichung bringt, sondern....

Zitat:
"...sie dient auch dem Privatverkehr und dem Privatinteresse durch Anzeigen jeder Art, die ihr speziell vergolten werden. Sie verkauft neue Nachrichten an ihre Leser, und sie verkauft ihren Leserkreis an jedes zahlungskräftige Privatinteresse."


Sprecher 2
Damit ist auch im Zeitungsgewerbe die Stufe der Volkswirtschaft erreicht, die Stufe der Volkswirtschaft erreicht, die Stufe der Warenproduktion und des Güterumlaufes. Die Zeitungen sind nicht mehr länger das 'vermittelnde Verkehrsinstitut', die sie nach Büchers von ethischen Wertvorstellungen geprägten Zeitungsdefinition sein sollten. Die völkerverbindende und gemeinschaftsbildende Funktion, die er der Zeitung zuschreibt, tritt hinter den Zwängen der Ökonomie zurück. Zeitung also nicht mehr nur als …

Zitat:
"… Leitorgan, durch das die geistigen Strömungen zwischen Volk und Regierung vermittelt werden, durch das aber auch die Parteien der Volksvertretung mit den Massen in Verkehr treten, Anregungen unter ihnen verbreiten, wie sie andererseits solche von ihnen empfangen..."


sondern auch eine kapitalistische Unternehmung, eine Neuigkeitenfabrik sozusagen...

Zitat
"...in welcher in mannigfach geteilter Arbeit eine große Zahl von Personen (…) unter einheitlicher Leitung gegen Lohn beschäftigt werden und die für einer unbekannten Leserkreis, von dem sie oft noch durch Zwischenglieder (...) getrennt ist, Ware erzeugt. Nicht mehr das einfach Bedürfnis des Lesers oder des Kundenkreises ist für die Qualität der Ware maßgebend, sondern die sehr komplizierten Konkurrenzverhältnisse des Publizitätenmarktes."


Sprecher 1
Zwar gesteht Karl Bücher den Zeitungsunternehmungen durchaus zu, dass sie durch den Verkauf von Anzeigenraum ihre ökonomische Basis verbreitern können, doch hebt er im Rahmen seiner eingehenderen Beschäftigung mit der  Verbindung von öffentlichen und privater Publizität die Risiken dieses Zusammenschusses immer deutlicher hervor.
Die Quintessenz seiner theoretischen Erkenntnisse legt Karl Bücher schließlich 1919 auf Anfrage der bayerischen Regierung unter Kurt Eisner in Form eines Gesetzentwurfes vor, der den Dualismus von öffentlicher und privater Publizität im Messewesen aufheben sollte.

Sprecher 2
In Anlehnung an die Forderung von Ferdinand Lassalle, der schon 1863 verlangt hatte, dass in einem sozialdemokratischen Staat Annoncen und Anzeigen lediglich in lizenzierten Amtsblättern und nicht in den Nachrichten-Zeitungen veröffentlicht werden dürften, entwickelte Karl Bücher nach einer brieflichen Aufforderung durch den bayerischen Finanzminister Professor Doktor Jaffé einen Gesetzesentwurf, dessen erster Paragraph vorschreibt:

Zitat
“In jeder Gemeinde von 2500 Einwohnern ist von der Gemeindebehörde ein Gemeindeblatt herauszugeben, das amtlichen Haushaltungen sofort nach Erscheinen jeder Nummer kostenfrei zugestellt wird."


Ausgehend von der Auffassung, dass die deutsche Presse hauptsächlich in Richtung einer Lokalpresse entwickelt ist, sieht Büchers Gesetzentwurf also durch die Schaffung der Gemeindeblätter ein Inseratenmonopol auf Gemeindebasis vor, wie es  in Paragraph drei formuliert ist:

Zitat:
”Dem Gemeindeblatt steht ausschließlich die Veröffentlichung von staatlichen und kommunalen Bekanntmachungen sowie der sämtlichen Privatanzeigen von örtlichen Bedeutung zu. Zeitungen, welche im Privatverlag erscheinen, ist der Abdruck jeder Art von  Anzeigen untersagt."


Um die Abgrenzung zur Nachrichten- und Meinungs- Zeitung zu gewährleisten, sollte es den Gemeindeblättern lediglich gestattet sein, "neueste Nachrichten, sowie belehrende und unterhaltende Artikel" sozusagen als 'redaktionelles Umfeld' zu publizieren. Die Erlöse aus dem Anzeigenverkauf sollten der jeweiligen Gemeindekasse zufließen.
Büchers Gesetzentwurf geriet allerdings aufgrund der politischen Wirren in Vergessenheit und wurde nicht realisiert.

Sprecher 1
Deutlicherer Erfolg war den 'preßreformerischen' Bemühungen Karl Büchers auf dem Gebiet einer akademischen Journalistenausbildung beschieden, zu der er an dem auf seine Initiative geschaffenen Leipziger  Institut für Zeitungskunde  den Grundstein legte. Angeregt durch die Arbeit einiger weniger privater Journalistenschulen und die Journalistik-Veranstaltungen an amerikanischen und schweizerischen Hochschulen, sah er die Aufgabe des neu zu gründenden Institutes in einer fachübergreifenden und interdisziplinären Arbeit, die den zukünftigen Journalisten das notwendige Rüstzeug für eine verantwortungsvolle Zeitungsarbeit auf dem Weg geben sollte.
Der damals wie heute verbreiteten Auffassung Journalismus als 'Eignungs- und Neigungsberuf' zu dessen Ausübung es nichts weiter bedürfe als einer klaren Auffassungsgabe und eine guten Allgemeinbildung setzte Karl Bücher mit dem Lehrangebot des Neuen Institutes eine Ausbildung zum fachlich qualifizierten Journalisten entgegen.

Zitat:
"Der Plan geht von der Grundauffassung aus, dass die zur wissenschaftlichen Ausbildung von Journalisten gehörigen Fächer an den deutschen Universitäten bereits vertreten sind und dass es im Einzelfalle nur auf eine zweckmäßige Verbindung dieser Fächer ankommt, die je nach der einzuschlagenden Studienrichtung verschieden sein kann. Es ist deshalb ein besonderer Studienplan zur berufsmäßigen Ausbildung in der Zeitungskunde entworfen worden, der für die drei in Betracht kommen Richtungen (...) die Fächer angibt, denen die wissenschaftliche Beschäftigung sich besonders zuzuwenden hat.”

Büchers Konzept strebte eine Dreiteilung der  journalistischen Spezialisierung an - und zwar in die
-politische Journalistik
-die Handelsjournalistik
und
-die Feuilletonistik.
So soll der künftige politische Redakteur sich besonders den staatswissenschaftlichen Fächern zuwenden - der Staatswissenschaft, der allgemeinen Handelslehre, der Geschichte und der politischen Geographie.
Der Handelsjournalist als verantwortlicher Redakteur für den Wirtschaftsteil sollte sich mit der Volkswirtschaft, dem Handelsrecht und den Börsengesetzen vertraut machen und der zukünftige Feuilletonist hatte sich nach Büchers Studienplänen mit Philosophie, Ästhetik, Kunst- und Literaturgeschichte  zu beschäftigen.

Sprecher 2
Neben dem Ausbildungszweig des praktischen Journalismus gehörte aber auch die wissenschaftliche Untersuchung des modernen Zeitungswesens, seiner Gesetze und Funktion zum festen Bestandteil des Leipziger Lehrplanes, womit auch die Grundlage aller kommunikationswissenschaftlicher Institute an den Hochschulen der  Gegenwart in Büchers Institut für Zeitungskunde  zu finden ist.


Sprecher 1
Übungen in Quellenkunde - heute würden wir den Vorgang 'recherchieren' nennen - sollten die derart  ausgebildeten Journalisten dazu befähigen, die hinter den von Agenturen und Depeschendiensten angelieferten Nachrichten stehenden Interessen und Interessensgruppen zu erkennen und sie entsprechend einzuordnen.
Um auch dem Zeitungsleser die Möglichkeit zu geben, die Quelle einer Nachricht zu lokalisieren, plädierte Karl Bücher in einer Reihe von Aufsätzen für eine Aufhebung der Anonymität in den Zeitungen.

Sprecher 2
Die Anonymität - das heißt die Veröffentlichung von Nachrichten ohne Nennung des Depeschenbüros, das sie übermittelte oder auch von Feuilletons und Kommentaren ohne Angabe des Verfassers, wurde von den deutschen Zeitungen als ein Relikt aus den Zeiten der staatlichen Repression gegen Journalisten und Berichterstatter weitergeführt. Aber auch der Anspruch eines manchen Verlegers oder einer Partei nach einem 'einheitlichen' , das heißt kollektiven, nicht von Individuen sondern einer Gesinnungsgemeinschaft gestalteten Blattes sorgte  dafür, dass  sämtliche  Zeitungsbeiträge  ohne Verfassernamen  oder  Agenturkürzel  erschienen.

Sprecher 1
Besonders die von Propaganda gekennzeichneten Veröffentlichung des beginnenden Ersten Weltkrieges führten Bücher zu der Auffassung, dass der Leser ein Recht haben alle, sich anhand einer namentlichen Kennzeichnung eines Beitrages über dessen Herkunft zu informieren, denn ...

Zitat:
"...die Zeitungsblätter, die seit dem Kriegsbeginn in unsere Hände kommen, wissen täglich von neuen Gräueltaten zu berichten, die man den Unseren andichtet; ausgestunkene Lügen, die durch Anwendung der einfachsten kritischen Hilfsmittel als solche erkannt werden könnten."


Sprecher 1
Um besonders den seinerzeit der staatlichen Zensur unterworfenen Nachrichtenausstoß der Agenturen Reuter und Havas zu kennzeichnen und die dahinter verborgene offiziöse Kriegspropaganda zu verdeutlichen, erweiterte Bücher seine Forderung nach einer Aufhebung der Anonymität auch auf die Quellen derartiger Nachrichtenbüros:

Zitat:
"Soweit die Leitung Nachrichten enthält, welche von Telegraphenagenturen geliefert werden, müssten die Bureaux, von denen sie stammen, genannt, und das Publikum von Zeit zu Zeit aufmerksam gemacht werden, von welchen Regierungen sie abhängig sind, und welches Maß an Glaubwürdigkeit ihnen zukommt."

Sprecher 1
Und um generell "dem System der offiziösen Nachrichtenagenturen überhaupt" ein Ende zu machen, entwarf Karl Bücher den Plan einer von der Presse selbst organisierten und finanzierten Nachrichtenagentur nach dem Vorbild der nordamerikanischen Associated Press - eine Forderung, die durch die Gründung der Deutschen Presse-Agentur im Nachkriegsdeutschland zwar in Büchers Sinn, jedoch ohne unmittelbare Bezugnahme auf sein Modell verwirklicht wurde.

Sprecher 2
Karl Bücher starb 84-jährig am 12. November 1930 in Leipzig. Und auch wenn man ihm einen "gewissen Doktrinarismus" und auch die "Höheperspektive eines akademischen Lehrstuhles" zuschrieb, aus der die tatsächlichen Verhältnisse des zeitgenössischen Journalismus nicht mehr zu erkennen gewesen seien, wird er nicht nur als Historiker und akademischer Vorkämpfer der Zeitungskunde, sondern auch als Pressepolitiker oder, wie es Büchers Zeitgenosse, der Publizist Otto Groth formulierte, "als der von einer hohen Mission der Zeitung überzeugte Reformer der Zeitungspraxis in der Geschichte des Zeitungswesens" anerkannt.

-STOP-


Weitere Information:

Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft
Karl Bücher 16. Februar 1847 bis 12. November 1930
Lexikoneintrag von Michael Meyen am 21. Juni 2013
http://blexkom.halemverlag.de/karl-bucher/

Karl Bücher - Eintrag bei Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_B%C3%Bccher




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