26.11.08

Henning Mankell: Der Held des gehobenen Dienstes

Das Erfolgsgeheimnis von Henning Mankell:
Kommissar Wallander als Meister des Scheiterns

"Später sollte Wallander sich an den Fall als einen der schwersten und kompliziertesten seines Berufslebens erinnern" - diese Art von mysteriösem Gemurmel des Erzählers lieben Mankell-Fans - und der Autor weiß das ganz genau, denn er gibt seinen Lesern, was sie verlangen. Oder sind es nur geschickt gelegte falsche Spuren, mit denen er uns suggerieren möchte, dass das, was wir gerade lesen, bedeutungsvoller ist, als wir im ersten Moment denken?

Später, wenn der Bestseller-Hype um Super-Wallander verflogen ist, werden wir uns fragen, warum Millionen vom "Mörder ohne Gesicht" bis zu "Brandmauer" jede Zeile verschlungen haben. Was an diesem deprimierten Helden der Mittelmäßigkeit so interessant war, der sich bei eingehender Betrachtung eigentlich doch nur ein zeitgemäßer Widergänger des Stockholmer Kommissars Martin Beck erweist, dessen Fälle Maj Sjöwall und Per Wahlöö zwischen 1965 und 1977 in zehn Romanen geschildert haben. Der deutsche Martin Beck-Hype jener Zeit zeugte nicht nur den deutschen Soziokrimi, in dem Täter immer nur Opfer der Verhältnisse waren, sondern glich in seiner Heldenverehrung auch der aktuellen Mankell-Mania.

Henning Mankells depressiver Kommissar also als neuer Held der alten 68er: Kurt Wallander und Co liefern die perfekten Identifikationsmuster für die altgewordenen Rebellen. Mit Wallander haben sie vor den Umständen und der Bürokratie resigniert: Helden des gehobenen Dienstes, altgewordene Hausbesetzer, die entsetzt feststellen, dass ihr Bausparvertrag zuteilungsreif ist. Wallander zeigt ihnen, dass sie nicht allein sind: Die Ehe kaputt, die Beziehung zur Tochter problematisch, das Verhältnis zum Vater zwiespältig - da bleibt eigentlich nur noch die Flucht in den Job.

Der Held als workoholic - da liegt Mankells Wallander auf einer Linie mit anderen Krimi-Erfolgen: von den skandinavischen Superweibern Hanne Wilhelmsen (von Anne Holt) und Annika Bengtzon (von Liza Marklund) bis zu Tempe Brennan, der forensischen Anthropologin von Kathy Reichs. Wie sie ist Wallander höchst organisiert in seinem Büro-Alltag als Polizist in Ystad: er füttert die Verwaltung zuverlässig mit dem Papierkram, den sie von ihm erwartet - Pressemitteilungen,. Berichte und Protokolle - und findet sich damit ab, dass ihm andere den gleichen Papierkram auf seinen Schreibtisch schaufeln. Der Marsch durch die Institutionen ist festgefahren im Stellungskampf des Papierkrieges.

Aber wo andere Krimi-Autoren das schüttere Privatleben ihrer Helden allerdings nur als gegeben setzen, gräbt sich Mankell tiefer in Wallender ein und stößt auf die Relikte des ewigen Klassenkampfes: die entsetzte Hilflosigkeit über der Ungerechtigkeit der Gesellschaft, die Idee, dass alles irgendwie zusammenhängt und dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.
Tief in seinem Inneren ist Wallander wahrscheinlich ein Zwangsneurotiker, genau wie sein Vater, der seit Jahrzehnten das gleiche Bild malt, und in dessen geistigen und körperlichen Verfall er immer wieder den eigenen Niedergang vorausahnt.

Aber genau so wird er geliebt: ein zweiflerischer schwedischer Bulle, der sich mit einer penetrant sozialpädagogischen Attitüde ins Leben seiner Familie und seiner Kollegen drängt, obwohl eigentlich er selbst am therapiebedürftigsten ist. Als Fallstudie in Sachen Helfersyndrom kaschiert er seine Versagensängste in endlosen Telefonaten: Gesagtes wird wieder und wieder gesagt und dann noch einmal wiederholt - genau wie der Erzähler Mankell sich nicht darauf verlässt, dass das einmal Erzählte genügt und es deshalb zur Sicherheit im nächsten Kapitel noch einmal wiederholt. Das retardierende Moment Lebensmotto und Stilprinzip und Wallander als Archetyp des sich "irgendwie" diffus unwohl fühlenden Sozialromantikers, der sein schlechtes Gewissen über die Designer-Möbel in seiner Eigentumswohnung mit Dritte-Welt-Seminaren und einem Dauerauftrag für amnesty international beruhigt.

Die Kritik und die Fans nennen das realistisch - und es ist zu befürchten, dass das leider richtig ist.

Reinhard Jahn
(Reinhard Jahn, Krimi-Kritiker und (unter H.P. Karr) Krimi-Autor. )

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