4.1.14

Marabo Heft 8/1981
Leute erfinden kann ich nicht
Mit Frank Göhre sprach Reinhard Jahn


"Leute erfinden kann ich nicht!"

Mit dem Bochumer Schriftsteller Frank Göhre, dessen Roman 'Schnelles Geld' zur Zeit verfilmt wird, sprach Reinhard Jahn

Groß ist er, schwarzhaarig.
Ein offenes, kontaktfreudiges Gesicht.
Eine legere Art, die Dinge zu betrachten.
Das Hemd bis zum vierten Knopf überm Bauchnabel aufgeknöpft.
Wie alt ist dieser Frank Göhre eigentlich? Ich erinnere mich, in den biographischen Unterlagen etwas von einem Geburtsdatum 1943 gelesen zu haben. Demnach steuert er schon gefährlich hart auf die Vierzig zu, und das in einer Zeit, •in der man schon jedem über  Dreißig, nicht mehr trauen soll.

Bücher über Jugendliche schreibt er, über die persönlichen Probleme einer Bochumer Clique, über Arbeitslosigkeit und die Resignation angesichts einer farblosen ,Zukunft. Ich habe so meine, Bedenken, diesen 37-jährigen Jugendschriftsteller einfach zu duzen, als wir uns auf dem Weg zur Redaktion begegnen wo wir uns zum Gespräch verabredet haben. Weil die 37 Lebensjahre, die er auf dem Buckel hat im Widerspruch zu dem unmittelbaren Ton seiner Bücher stehen.
Trotzdem: das 'Sie' passt wohl noch weniger zu Frank Göhre, dem geborenen Bochumer, der zur Zeit "wieder mal als freier Schriftsteller arbeitet" und dazu viel zwischen Hamburg, München und Soltau unterwegs ist. Er präsentiert sich als lockerer, zugänglicher und gesprächiger Mensch, der aus seinem Umgang mit Jugendlichen und Heranwachsenden viel angenommen hat.
Jugendliche sind, wie gesagt, das Thema der drei Bücher und der diversen Hörspiele, die er geschrieben hat. Und sie sind auch Mit-Autoren, denn diese Arbeiten hat er im Freundes- und Bekanntenkreis besprochen, zusammengestellt, überarbeitet.

Dass er mehr das gewöhnliche in den Lebensläufen seiner Protagonisten beschreibt und weniger die dramatische Zuspitzung, mag an der eigenen Biographie liegen, die trotz leichter Abweichungen vom Durchschnitt keine krassen Sprünge aufweist: mit 15 das Gymnasium verlassen, eine Lehre als Großhandelskaufmann gemacht, daran anschließend eine Buchhändlerlehre. Erfahrungen und Erlebnisse aus dieser Zeit finden sich sehr deutlich in seinem ersten Roman wieder. "Gekündigt' erschien 1974 und brachte ihm neben dem Anerkennungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen auch eine Menge Ärger mit einem bekannten Bochumer Buchhändler ein, der sich allzu genau und dementsprechend unsympathisch porträtiert fühlte.

Buchhändler, das sagt Frank Göhre heute, ist er eigentlich nur geworden, weil er ganz naive Ideen im Kopf hatte: "Ich dachte, ich lese gern, und als Buchhändler hat man ja viel mit Büchern zu tun!"
Mit Büchern hatte er auch während seines nächsten Jobs in, der Stadtbücherei Wattenscheid zu tun. In der reichlich vorhandenen freien Zeit begann er intensiver zu schreiben: Hörspiele und andere Rundfunkbeiträge, immer orientiert am Thema 'Jugendliche'. Höhepunkt seiner Karriere rund ums Buch war schließlich sein Engagement im Münchener Weissmann Verlag, der bereits Göhres ersten Roman veröffentlicht hatte.
Es folgt sein zweiter Roman: "Schnelles Geld", die Geschichte einer Clique, die bereits in "Gekündigt" vorgestellt wurde, und deren Probleme auch in seinem dritten Buch "So läuft das nicht" weiter behandelt werden. Diese Leute, über deren Angst und Hoffnung, deren Angst und Ohnmacht Göhre schreibt, sind bereits in seinem Hörspiel 'Berufsbild' (1971) aufgetaucht, und sie haben reale Vorbilder.
"Ich habe diese Leute nicht erfunden!" sagt Frank Göhre und umreißt damit einen wichtigen Punkt, seiner schriftstellerischen Arbeit:
Nicht das Erfinden, das Entwerfen von Menschen und Situationen ist es, was ihn reizt. ("Das kann ich gar nicht!") Viel mehr fasziniert ihn das Erfassen, Beschreiben und Vermitteln von realen Personen.
Dabei geht er radikal und" akribisch zugleich zu Werke, er zeichnet Gespräche mit dem Recorder auf (Also deshalb wird er nicht ein bisschen nervös, als ich das Tonbandgerät anwerfe!), er schreibt die Aufzeichnungen ab, verdichtet erzählte Situationen, montiert sie schließlich mit Statements zusammen und errichtet so eine facettenartige Romanstruktur die die Wirklichkeit mit vielen ihrer Widersprüche darstellt.
Nach dieser Methode arbeitet er im Augenblick in Soltau und Umgebung gemeinsam mit zwei Lokaljournalisten an einem Buch, das die persönliche Geschichte eines Fürsorgezöglings mit der Stadtgeschichte verbinden soll.
Angelo heißt der 21 jährige, dessen Leben Göhre für das Buch mit dem Arbeitstitel 'Außen vor' porträtieren möchte.
Er hat mit Angelo schon viel gemeinsame Zeit verbracht um sich in sein Wesen und seine Eigenarten einzufühlen, ihn zu beobachten. Das ist keine literarische' Variante des Wallraff-Stils sondern Göhres persönliche Arbeitstechnik, denn er horcht seine Partner nicht aus, sondern konfrontiert sie mit seiner eigenen Person.
Über Angelo, den Fürsorgezögling, der so ganz anders lebt als er, der Schriftsteller, sagt er: "Ich bin irgendwie fasziniert von ihm . weil er in manchen Dingen eine Klarheit in der Vorstellung hat, die man nicht begreifen kann. Aber andererseits hat er auch keine Vorstellung von seinen Perspektiven, seiner Zukunft. Er lebt einfach im Hier und Jetzt!"

Die Beschäftigung mit Angelo und der Stadt Soltau geht auf eine dreimonatige Berufung zum Stadtschreiber zurück, die ihm vor geraumer Zeit zuteil wurde.
Während dieser Zeit als öffentlich ausgehaltener Dichter lernte er die beiden Journalisten kennen, mit denen er nun das Projekt realisiert.
Dieses Buch bestimmt zur Zeit seine Gedanken wesentlich mehr als die Verfilmung seines Romans "Schnelles Geld", die in diesen Tagen in Bochum und Essen stattfindet. Göhre: "Das sind Münchener, und die wollen einen Ruhrgebietsfilm machen!"
Bei seinen Ausführungen über Soltau,  das Buch und Angelo wird Frank Göhre lebhaft, er erzählt von kleinen Erlebnissen, flicht Hintergründe ein, versucht ein möglichst umfassendes Bild von Situationen und Zusammenhängen zu geben.

Überhaupt redet er sehr viel, ohne sich dabei ein einziges Mal zu wiederholen. Ständig erklärt er etwas , stellt etwas dar, erläutert, führt aus - er hat einfach etwas mitzuteilen, und zwar etwas, was über den gewöhnlichen Smalltalk hinausgeht. Oder ist es nur die Furcht vor Gesprächspausen die ihn weitersprechen lässt?
Denn so bald man sich zu Wort meldet, schweigt er, hört zu, beschäftigt sich mit dem Gesagten, geht darauf ein und antwortet ehrlich und spontan.
Im Augenblick möchte er wieder als freier Schriftsteller arbeiten, erklärt er, deshalb hat er seine langjährige Redaktionstätigkeit beim Weissmann- Verlag aufgegeben und sich in der Nähe von Hamburg niedergelassen. Was für andere Autoren ein Sprung ins kalte Wasser wäre, ist für ihn nur eine Sache der Entscheidung und der finanziellen Absicherung. Von den Rundfunkhonoraren aus seiner Verlagszeit hat er sich etwas zurückgelegt, damit er fürs erste über die Runden kommt. Ansonsten ist der Schriftstellerberuf nichts weiter als gewöhnliche Arbeit: Morgens an die Schreibmaschine setzen und etwas tun, egal was. Denn zu den intuitiven Schreibern, erklärt Göhre, gehört er nicht. "Ich muss einfach etwas tun, da steckt noch irgendwo der Bürokrat in mir!". Also beschäftigt er sich mit einen Rechercheunterlagen, wenn ihm nichts einfällt, schriebt Tonbandprotokolle ab, ordnet und sortiert sein Archivmaterial, das er über jugendliche zusammengetragen hat.

Wie macht er es aber, dass er genau den Ton trifft, den die 18 und 19 jährigen sprechen, genau die Gefühle kennt, die sie bewegen? Das Problem ist für Frank Göhre keines, denn er hat sich von Anfang an mit Jugendlichen beschäftigt. In der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung ist er Anfang der 70er -Jahre aktiv gewesen, seitdem ist der Kontakt nicht mehr abgerissen.
Nur mit denen, die heute 15 oder 16 Jahre alt sind, und vielleicht sein gerade in der Rowohlt-Panther-Reihe neu aufgelegtes Buch 'So läuft das nicht' kaufen, mit denen kommt er - wie er ein wenig erstaunt und verwundert zugibt, nicht ganz so gut zurecht, weil er ihre Lebenshaltung nicht versteht. Aber tragisch ist das nicht, denn Frank Göhre schreibt zwar Bücher über Jugendliche, aber nicht nur für Jugendliche: "Die haben doch die gleichen Probleme •wie die Dreißigjährigen! "

Frank Göhre: Gekündigt (1974) Weissmann-Verlag,
Schnelles Geld, Weissmann-Verlag,
So läuft das nicht, rororo-panther 4639. .

Reinhard Jahn" Leute erfinden kann ich nicht" - Portrait Frank Göhre
Veröffentlicht in:
Marabo-Magazin, Bochum
Heft 8 (August) / 1981
S. 31-32