25.1.14

MARABO 9/1982
Ein paar Widerhaken fürs Gehirn
Portrait Jo Pestum

Seine Krimis und Romane stiften Jugendliche zu einer regelrechten Lesewut an. Denn Jo Pestum weiß, wie er seinem Publikum zu begegnen hat: mal realistisch, mal romantisch - aber immer spannend.
Ein Portrait von Reinhard Jahn

Er hat es weit gebracht, der Arbeitersohn aus Essen. Auflagenmillionär soll er sein, munkelt man. Kein Wunder, bei mehr als 60 Büchern. Innerhalb von knapp elf Jahren läppert sich schon einiges zusammen.
Jo Pestum redet nicht gern von seinem Erfolg, und über den wirtschaftlichen schon gar nicht. "Auf alle Fälle habe ich soviel Erfolg, dass ich davon leben kann!" Soviel zu diesem Thema. Und es ist ja auch beim besten Willen nicht einzusehen, dass man immer nur von den 'armen' Schriftstellern sprechen muss. Die wirtschaftliche Sicherheit macht ihn sogar kreativ, sagt er später dann noch, er möchte nicht wie manche anderen Autoren einen Brotberuf haben und nur nebenbei schreiben. Erfolg ist keine Schande, besonders dann nicht, wenn man ihn hat.

Braungebrannt, im sandfarbenen Sommeranzug, mit schwarzem Hemd, getönter Brille, kurzem, schwarzgekraustem Haar, dazu ein kesser Schnauzer: Pestum ist in seine Geburtsstadt Essen zurückgekommen, um in einer Schule vorzulesen.
"Ich brauche diese Lesungen und Diskussionen!", sagt er. "Deshalb mache ich auch mehr, als ich mir eigentlich leisten kann, so um die hundert im Jahr."
Lesungen und Diskussionen in Buchhandlungen, öffentlichen Veranstaltungen, in Schulen und Gefängnissen.
Um den Kontakt zu seiner Zielgruppe, den Jugendlichen (er sagt lieber 'junge Erwachsene') zu behalten. "Nicht, dass ich da jetzt die Ohren langmache und mir die Redensarten der Leute ,aufschreibe", erklärt er. "Es geht einfach darum, zu erfahren, ob ich mit meinen Sachen das erreiche, was ich wollte. Ob man das versteht, was ich sagen will." Angefangen hat er mit dem Schreiben schon, als er noch in Essen auf das Goethe-Gymnasium ging und als Arbeiterkind so etwas wie ein Exote unter Bankdirektorsöhnen und Bierbrauertöchtern war. Nach dem Malereistudium wurde er später Grafiker, Layouter, Redakteur einer Zeitschrift ("So mit der Richtung linkskatholisch"), Verlagslektor, freier Mitarbeiter beim alten 'Twen'.
Jo Pestum hieß er damals auch noch nicht, sondern Johannes Stumpe, das anglophile Anagramm, das er sich für die Veröffentlichung seiner Jugendgeschichten zulegte, ist allerdings mittlerweile bekannter als sein richtiger Name, so dass er es sich der Einfachheit halber auch in seinen Pass eintragen ließ.

Seit 1971 ist er also freier Schriftsteller, und' dementsprechend groß ist auch sein Ausstoß: ein oder zwei Jugendromane pro Jahr sind die Regel, dazu noch hin und wieder Fernseharbeiten und Hörspiele. Er betreibt, um mit Tucholsky zu sprechen, eine "kleine, aber gut gehende Schriftstellerei" .
Wobei er allerdings nicht in die Kategorie der Vielschreiber einzuordnen ist wie die selige Enid Blyton ("Blyton?  Ich habe noch nie eine Blyton-Geschichte gelesen!"), denn er strapaziert seine Serienfiguren nicht so lange, bis sie ausgebrannt sind. Hin und wieder lässt, er sich schon etwas neues einfallen, Romane, die nichts mit seine Serien zu tun haben.
Angefangen hat alles mit dem 'Kater', dem Düsseldorfer Kriminalkommissar Katzbach, der im Mittelpunkt von Pestums ersten Jugendkrimis steht. Die Kater-Geschichten gehören trotz ihrer reißerischen Titel (Der Kater und der Tag des Tigers, Der Kater und die kalten Herzen) zum Besten, was Pestum bisher geschrieben hat. Dementsprechend häufig wurden sie auch vom Verlag nachgedruckt. Sie sind Jugendliteratur im besten Sinn: realistische Kriminalromane mit einem gehörigen Schuss, action, frei von flacher Anbiederung an den Leser, dafür aber voller Hinweise auf mögliche Ursachen von Kriminalität und abweichendem Verhalten.
"Ich will", sagt er, und das gilt auch für seine anderen Arbeiten, "ich will, so pathetisch das vielleicht klingen mag - Lebenshilfe geben. Lebenshilfe allerdings nicht im Sinn von Rezepten, sondern vielmehr im Sinne von Fragen, So ein paar Widerhaken fürs Gehirn."

Solche Widerhaken sind allerdings bei manchen seiner Bücher nur sehr schwer aus.
zumachen: in seiner Serie um den aus dem Dienst ausgeschiedenen Kommissar Luc .
Lucas beispielsweise schlingert Pestum gerade noch am Rande des Friede-Freude-Pferdehof-Klischees vorbei, das im Jugendbuch nur allzu gern gepflegt wird, um den Lesern Problemchen vorzugaukeln, die sie gar nicht haben.
Sicher, gibt er zu, die Figur orientiere sich natürlich an gängigen Klischees, aber sie  sei natürlich gebrochen und  kritisch beleuchtet. Und zugegebenermaßen tun auch die  markigen Illustrationen ein übriges, um das Niveau der Geschichten zu senken.

Etwas anspruchsvoller ist da schon die seit dem vergangenen Jahr im Münchener  Schneider-Verlag erscheinende EDITION PESTUM, in der Pestum niveauvolle, kritische Bücher für Heranwachsende herausgibt. Namen wie Rudolf  Herfurtner und Michael  Krausnick sind unter den  Autoren zu finden, die hier  verlegt werden, Sie lassen den einen oder anderen Fehltritt in  dieser, an das Konzept der  Rowohlt-PANTHER-Bücher angelehnten Reihe schnell  vergessen.
Neben der Herausgebertätigkeit arbeitet Jo Pestum natürlich fleißig weiter an eigenen Werken.
"Ich werde bei den Jugendbüchern• wohl ein wenig kürzer treten", sagt er  selbstkritisch. "Allein schon,  um mir da nicht selbst auf den Füßen zu stehen." Und was schreibt ein Jugendkrimi-Autor, wenn er keine Jugendbücher schreibt? Natürlich  Krimis für Erwachsene: "Ich  kann mir vorstellen, dass• ich einmal einen sehr, sehr stark politischen Krimi machen würde", sagt er. "Der würde in der Provinz spielen und würde eigentlich relativ im Dreck  wühlen. Das ist ein Plan, den ich schon lange habe, und ich werde ihn wahrscheinlich  auch realisieren.

Kasten:
Jo Pestum, geboren 1936 in Essen. Nach dem Abitur Studium der Malerei, anschließend Beschäftigung als Layouter, Redakteur und Verlagslektor.
Seit 1971 freiberuflicher Autor. Pestum ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Billerbeck in Westfalen. Bisher über 60 Buchveröffentlichungen, zahlreiche Beiträge in Anthologien und Schulbüchern. Herausgeber der Edition Pestum.
Mitglied des PEN und des Bundesvorstandes im Verband deutscher Schriftsteller. Sprecher der Ausschusses für Kinder- und Jugendbuchautoren.
Einige seiner Arbeiten wurden preisgekrönt, zweimal standen sie auf der Bestenliste zum Deutschen Jugendbuchpreis.


Reinhard Jahn: Ein paar Widerhaken für's Gehirn
Portrait Jo Pestum
In: Marabo Heft 9/(Juli)/1982
S.51-52





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