19.8.13

MARABO, Bochum, Heft 11/1980
Report: Linke Buchläden im Revier
...UND DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT
oder: DIE WÜSTE LEBT




Nach der Bilanz des Börsenvereins des deutschen Buchhandels haben die 2267 Buchverlage hierzulande im vergangenen Jahr 62 082 neue Titel auf den Markt gebracht und damit ihre Produktion gegenüber dem Vorjahr um 16.8 % gesteigert. Die Anzahl der lieferbaren Buchtitel schwankt zwischen 237 000 und 245 000, das sind runde zwölf Regalkilometer, wenn man pro Buch nur eine Rückenbreite von fünf Zentimetern rechnet.

Umgeschlagen wird ein Großteil davon auf dem jährlichen Literaturtrubel der Buchmesse in Frankfurt, kanalisiert wird die Titelflut in den mehr als sechseinhalbtausend Buchhandlungen zwischen Flensburg und Freilassing.

Neben den Bestseller-Bunkern der KaufhausKonzerne gibt es die renommierten und alteingesessenen Sortimentsbuchhandlungen und seit einigen Jahren auch 'alternative' oder 'politische' Buchläden, die mittlerweile aus den Dunstkreisen der Universitäten heraus in die Innenstädte vorgedrungen sind.

Gibt es hier außer einem anderen Buch-Verständnis auch ein anderes Lese- und Literaturverständnis?

MARABO-Mitarbeiter Reinhard Jahn ging dieser Frage nach.

Aus den Lautsprechern plätschert James Last, nach dem Vorbild amerikanischer Gücksspielpaläste gibt es hier keine Fenster, durch die tristes Tageslicht hereinfallen könnte, und keine Uhren.
Vom Eingang her klingt das dezente Rattern der elektronischen Registrierkassen herüber, und hin und wieder das schrille Läuten der Alarmglocke, wenn jemand beim Hinausgehen wieder mal die magnetische Verriegmmg an den Kassen gelöst hat, anstatt die fotozellengesteuerte Sperrschranke zu benutzen.
Bücher werden hier verkauft, in dem 'Hören und Lesen'-Spezialhaus eines Kaufhauskonzerns. Offene Displays, das sind brusthohe Verkaufsständer, in denen Taschenbücher ausgelegt sind, und daneben die sogenannte Frontpräsentation der Neuerscheinungen und der gutgehenden Reihen. Genau wie in meinen Supermarkt findet sich aus verkaufspsychologischen Gründen alles, was mich in teressiert im hin teren Ladenbereich: Neuerscheinungen, aktuelle Bücher und natürlich neben den beiden Ramschtischen mit den preisreduzierten Remmittenden auch die obligatorische Bestseller-Palette.

Hinten deshalb, weil man auf dem Weg dorthin erst einen Slalom durch die anderen Präsentationen des Hauses absolvieren muß: billige Schallplatten, Sonderangebote in Ständern plaziert oder zu Stapeln aufgetürmt brechen und steuern den Käuferstrom, laden zum Stöbern und Anschauen ein. Buchhandel 1980.

Fünfhundert Meter weiter ist die größte Sortimentsbuchhandlung der Stadt, die fünftgrößte der Bundesrepublik. Fachliteratur, nach Gebieten geordnet an den Regalwänden links vom Eingang, rechts die Belletristik und die Kinderbücher, dazwischen Auslagen mit thematisch zusammengestellter Literatur.
Und, monumental wie der Bug eines Schlachtschiffs, schräg gegenüber dem Eingang die Drehständer mit den Taschenbuchreihen.

Der kleine Tisch mit den Spiegel-Bestsellern ist zur Seite geräumt, ein paar hektische Hausfrauen stehen bei den Sonderausgaben und Kalendern, die sie gar nicht interessieren und lassen ihre Blikke unauffällig hinüberwandern zu dem Tisch, wo ein kleiner, frischfrisierter Herr im Maßanzug hinter einem Blumengesteck und einem Stapel eigener Werke sitzt, den Kugelschreiber signierbereit gezückt.
"Ist er das?" Natürlich, das ist er. Draußen steht es ja auf dem Plakat. Hans Rosenthal signiert eigene Werke. Zwei oder drei Buchhändler verkürzen dem Rätselspieler mit einem etwas nervös aufgekratzten small-talk die lange Weile, bis sich wieder jemand mit einem frisch erstandenen Exemplar von 'Zwei Leben in Deutschland' in die vorderste Reihe wagt.
Letzte Woche war Sepp Maier hier, Graf Lambsdorff soll demnächst auch mit einem Buch vorbeikommen. Mit Speck fängt man Mäuse.
Tausend Meter weiter, an der Peripherie der Essener City, fünf Minuten von der Universität entfernt: Eine Buchhandlung wie jede andere auch, etwas kleiner vielleicht, aber auch hier die nach Sachgruppen geordneten Bücher in den Wandregalen. Kein lautes Publikumsgedränge, sondern eine ruhige Atmosphäre, in der man blättern und stöbern kann, ohne gleich von einem auf Umsatz getrimmten Verkäufer angemacht zu werden.

"Wir möchten vor allen Dingen junge Menschen, junge Arbeiter zum Lesen anregen!" sagt Inge van Suntum, Leiterin der Karl-Liebknecht -Buchhandlung, mit der ich mich in der Ikea-Plauderecke unterhalte. "Und zumeist sind es junge, ansprechbare Leute, die zum Beispiel über eine Gewerkschaftsschulung an das Buch herangeführt worden sind." Daß der Arbeiterführer nicht umsonst Namenspatron des Geschäftes ist, kommt auch immer wieder zum Ausdruck, wenn von den Veranstaltungen die Rede ist, die von und mit der Buchhandlung durchgeführt werden. Lesungen sind es zumeist, mit anschließenden Diskussionen, Namen wie Max von der Grün, Herbert Somplatzki und Wifried Bienek fallen in diesem Zusammenhang. "Für uns ist eine Lesung erfolgreich", sagt Inge van Suntum, "wenn wir unter den Besuchern neue Gesichter sehen. Und wenn wir die Lesungen konzipieren, achten wir darauf, daß wir jedesmal eine andere Zielgruppe ansprechen." Zwölf Veranstaltungen sind es, die in der Regel im Jahr durchgeführt werden.
Zielgruppen sollen auch durch die Schwerpunktbildung im Sortiment des Buchladens angesprochen werden. Man konzentriert sich hier, genau wie bei 'Buch international' in Dortmund auf Bereiche wie Friedens- und Abrüstungspolitik, auf die Gewerkschaftsbewegung und auf antifaschistische Literatur.
"Wir arbeiten", sagt Herman Daldrup von 'Buch international', "oft mit Autoren aus dem Schriftstellerverband in der IG Druck und Papier zusammen, wenn wir Veranstaltungen machen. Außerdem haben wir eine Ecke mit Arbeiten Dortmunder Autoren eingerichtet." Als Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer und demokratischer Buchhändler und Verleger stehen beide Buchhandlungen in enger Verbindung mit dem Essener Brückenverlag, einem Grossisten in Sachen DDR-Literatur. Dementsprechend gut ist man in beiden Läden auch in Titeln aus dem anderen Deutschland sortiert.

Gut sortiert ist man auch einen Katzensprung entfernt, wo der Bundschuh, das Zeichen aufständischer Bauernbünde im 16. Jahrhundert den Namen für einen Buchladen abgibt. Der Laden wird von ein paar Leuten geführt, die sich selbst als 'undogmatisch links' einordnen.
Bei einer Tasse Kaffee. mit spielenden Kindern im Rücken, spreche ich mit Jale Özyurt und Reiner Schiefler. Der 'Bundschuh' beruft sich, geDaU wie ich es später auch von Klaus Elsner vom 'Politischen Buchladen' in Bochum zu hören bekommen werde, auf die Studentenbewegung in deren Verlauf auch viele kleine linke Verlage gegründet wurden.

"Im linken Buchhandel fehlen also grundsätzlich die Bestseller! " sagt Jale Özyurt. "Dafür haben wir auch im Gegensatz zum bürgerlichen Buchhandel das Sortiment in Bereiche gegliedert, zum Beispiel in den Internationalismusbereich, den Ökologiebereich, Frauenbewegung, Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung und so weiter." Insgesamt hat man sich sowohl in Essen als auch in Bochum auf Texte konzentriert, die für die gegenwärtige politische Diskussion wichtig sind, denn von ihrer Konzeption her verstehen sich beide Buchläden als ein Forum für die Kommunikation der unterschiedlichsten politischen Gruppen, zu denen in der Regel auch personelle Verflechtungen bestehen. Willi Lemmert vom Buchladen 'Trotz alledem ' in Gelsenkirchen-Schalke fasst das Selbstverständnis solcher politischer Buchhandlungen in drei Punkten zusammen: Hier steht man erstens hinter allen Texten, die verkauft werden, zum Zweiten sollen in der Führung der Läden andere Arbeitsformen als die bisher übliche Aufgabenverteilung praktiziert werden und zum Dritten schließlich möchte man über den Verkauf von Büchern hinaus ins Gespräch oder in die politische Diskussion kommen.
Veranstaltungen, Lesungen, erklärt Reiner Schiefler vom 'Bundschuh', können von allen Mitarbeitern vorgeschlagen werden, die Diskussion im Plenum entscheidet, ob zu dem betreffenden Autor Kontakt aufgenommen wird. In besonderen Fällen, wie beispielsweise der P.P. Zahl-Lesung im September, schließt man sich dann auch mit anderen Veranstaltern zusammen, um die Kosten decken zu können. Wunschgast von Reiner Schiefler: Ex-Kommunarde Fritz Teufel.

Der Buchhändler, heißt es in den "Blättern zur Berufskunde" vom Arbeitsamt, "ist bemüht, dem Bedarf seiner Kunden an Lektüre gerecht zu werden, indem er Bücher anbietet, die in ihr Interessengebiet fallen." Und neben dem jeweiligen Inhalt eines Buches ist bei den vielen Schülern und Studenten unter den Kunden auch der Preis interessant, der sich im vergangenen Jahr bei einem Durchschnitt von 23,62 DM pro Buch eingependelt hat.
Demnach kosten die drei Bücher, die sich der statistische Bundesbürger pro Jahr kauft, runde 70 Mark. Da wundert es niemanden, wenn lieber zum. Taschenbuch für 3,80 DM anstatt zum 38-Marks-Hardcover greift. Aber was den Leser freut, schlägt sich in der Kalkulation des Buchhändlers nicht immer positiv nieder: Taschenbücher bringen - eben wegen ihres geringen Preises - kaum Gewinn, so daß das Geschäft mit den Paperbacks nur dann wirklich lohnenswert wird, wenn man es wie die Kaufhaus-Spezialhäuser im großen Stil betreibt. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn man in kleinen Buchläden neben einem breiten Titelspektrum aus Klein- und Kleinstverlagen und den üblichen Hardcovers aus den etablierten Verlagshäusern nur ein rigoros beschnittenes Taschenbuchprogramm findet. Dieser Mangel ist aber letztlich kein Nachteil, denn Titel, die nicht vorrätig sind, können jederzeit mit einer Lieferfrist von einem Tag vom Barsortimenter beschafft werden.
Der Service verursacht zwar auch einige Kosten, aber der gute Name einer Buchhandlung kommt nicht zuletzt auch durch die Leistungen zustande, die man auf diesem Gebiet erbringt.
"Da muß man eben auch manchmal bei einem Vokabelheftchen für 2,80 DM in Kauf nehmen, daß unterm Strich nichts mehr für uns übrig bleibt." Das sagt Friedhelm Eggers, mit dem ich im Büro der Heinrich-Heine Buchhandlung in Essen spreche, weil vorn in dem kleinen gemütlichen und in warmen Farben eingerichteten Laden eine Menge Kundschaft ist.
Neben dem normalen Buchgeschäft -Sortimentsschwerpunkte sind progressive und aktuelle Belletristik und Bücher zur Frauenbewegung - betreiben die drei Mitarbeiter hier ein gutes Stückehen Literatur- und Kulturpolitik, wenn sie mit zwei oder drei Lesungen oder Veranstaltungen pro Monat das Gespräch über literarische und politische Probleme in Essen am Leben erhalten. Peter Bichsel, Ingeborg Drewitz, Erich Fried, Ulrich Plenzdorf und andere haben hier gelesen und diskutiert, für diesen Monat ist Peter Brückner angekündigt.

Solche Veranstaltungen, bei denen sich Leser und Autor nicht nur über den hingekritzelten Namenszug auf dem Titelblatt kennenlernen, müssen von jeder Buchhandlung selbst organisiert werden, weil sich die Kultursachbearbeiter in der fünftgrößten Stadt dieses Landes in dieser Beziehung vornehm zurückhalten, oder sich darauf beschränken, als Geste des guten Willens in einigen Fällen einen Raum zur Verfügung zu stellen. Auch in Mülheim möchte man derartige Veranstaltungen in Angriff nehmen, wie mir Erich Hahn vom kaum ein Jahr alten, 'Büchergarten' am Telefon sagt. Kontakte sind schon geknüpft, spruchreif ist allerdings noch nichts.
Entgegen allen Unkenrufen lebt die literarisch-kulturelle Wüste im Ruhrgebiet also doch ein bißehen. Daß so wenig davon bemerkt wird, liegt wohl daran, daß umsatz trächtige Signierstunden und pblicitymäßiges Herumzeigen von Starautoren nicht zum Stil der 'anderen' Buchläden gehören.
Hier steht noch das Gespräch im Vordergrund, der Kontakt mit dem Autor. Literatur live und zum Anfassen sozusagen, ein Vorhaben, das eine ganze Menge Initiative erfordert, die sich in der Regel kaum beim Buchverkauf nach der Lesung in der Ladenkasse niederschlägt.

Aber daß es solche Veranstaltungen gibt, und daß sie besucht werden, beweist schließlich, daß es noch Leute gibt, die unter Büchern und Buchhandlungen noch ein bißchen mehr verstehen als diebstahlsgesicherte Frontpräsentationen, garniert mit verkaufsfördender Musikuntermalung.

Alle Adressen sind auf dem Stand 1980!
Bundschuh, Stoppenberger Str. 13-15,43 Essen 1,
Heinrich Heine Buchhandlung Viehhofer Platz 8, 43 Essen 1
Trotz alle dem, Grillostr. 41 46 Gelsenkirchen.
Karl Liebknecht Buchhandlung, Viehofer Platz 43 Essen 1,
Politischer Buchladen, Im Westenfeld 22, 463 Bochum,
Buch International, Königswall 22, 46 Dortmund,
Büchergarten, Hagdorn 3, 433 Mülheim,

 

Quelle:
MARABO, Bochum, Heft 11/1980
Reinhard Jahn: Report: Linke Buchläden im Revier ...UND DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT oder: DIE WÜSTE LEBT