Die zweite Karriere des Peter Schmidt - Der Gelsenkirchener Peter Schmidt
wollte einfach einmal ein Jahr lang nur das tun, was ihn interessierte. Er ließ
einen gutbezahlten und sicheren Job in der Werbebranche zurück und begann zu
schreiben: Spionageromane.
Dreiunddreißig Jahre war er alt, als er seinen Job in der Möbelwerbung an den Nagel hängte. um sich endlich mit den
Dingen zu beschäftigen, die ihn von jeher interessierten: Literatur,
Philosophie und Schreiben. Aber trotzdem ist das gängige Klischee vom
Aussteiger aus den Leistungszwängen der Gesellschaft nicht so einfach auf Peter
Schmidt anzuwenden. Denn was den mittlerweile 37jährigen Gelsenkirchener ,in
Deutschland zum Exoten macht, ist in Amerika gang und gäbe: daß gestandene Männer in der Mitte
ihres Lebens etwas Neues anfangen.
Er ist überhaupt eine normale
Erscheinung, ebenso unaufdringlich unauffällig wie sein Name: ein
Durchschnittsbürger, der die Lederjacke nicht angezogen hat, um jünger zu
wirken,' sondern einfach weil sie zu ihm paßt.
"Irgendwann ist mir das tägliche
Einerlei in der Werbung auf die Nerven gegangen!" sagt er zu seinem
Ausstieg. Nachdem man den Arbeitsplatz seines Kollegen wegrationalisiert hatte,
und er dieWerbeabteilung der Möbelfirma, bei der er beschäftigt war, ganz
allein betreute, schien der Höhepunkt der Karriereleiter erreicht: "In dem
Job hätte ich 80 Jahre alt werden können," sagt er.
Trotzdem, - oder vielleicht deshalb
:- machte er einen'neuen Anfang. "Ich habe mir gesagt: jetzt tust du'
einfach einmal ein Jahr lang das, was dich interessiert!" formuliert er
heute, vier Jahre später, das Motto, unter dem er sich von seinem Arbeitgeber
trennte, die Sicherheit des festen Einkommens hinter sich ließ und seinen Lebensstandard
herunterschraubte.
"Von dem Geld, das mich das
Autofahren gekostet hat, hätte ich ein Jahr lang auf den Bahamas leben
können!" .
Mit einer wissenschaftlichen Arbeit
über den "Wahrheits begriff in . der Dichtung" wurde. er zu einer
Sonderprüfung des zweiten Bildungsweges zugelassen. erlangte seine
Hochschulreife und begann im vergangenen Jahr an der Bochumer Ruhr-Universität
mit seinem Studium in den Fächern Literaturwissenschaft und Philosophie.
Bei einer solchen Fächer- und
Interessenkombination liegt der Schritt zum Erzähler ganz am Wege. Doch es war
nicht die 'schöngeistige' Literatur, der sich Peter Schmidt zuwandte, sondern
jener Grenzbereich, der gern als "Spannungs- und Unterhaltungsschreiberei"
abgetan wird. Sein erster Roman, eine Kriminalgroteske, schlummert nach etliche
Irrfahrten durch die Verlagslektorate wieder in der Schublade. Dafür war
bereits dem zweiten Projekt Erfolg beschieden: "Mehnerts Fall" heißt
der Polit-. Thriller im Geiste der englisch-unter'kühlten Spionagegeschichten
John le Carres oder Graham Greenes, der im Frühjahr in der Krimi-Reihe des
Frankfurter Ullstein-Verlages erschien.
Peter Schmidt erzählt darin die
Geschichte des DDR-Agenten Iven, der als Führungsoffizier der transsexuellen
Agentin Hanne darauf angesetzt wird, den Vorsitzenden der bundesdeutschen
Regierungspartei durch eine schlüpfrige Affäre zu kompromittieren und zu
stürzen. damit der Ostblock bei den bevorstehenden AbrÜstungsverhandlungen
Vorteile gewinnt.
Trotz aller Anklänge an spektakuläre
Spionagefälle wie Eugen Runge oder Günther Guillaume besteht Peter Schmidt
darauf. daß es sich bei der Geschichte "nicht um einen Schlüsselroman
handelt." Auch wenn die Kritik zu Recht dem Erstling bescheinigte; er sei
an manchen Stellen ein wenig "überkonstruiert", hat "Mehnerts
Fall" seinem. Autor den Einstieg in ein Genre verschafft, das bislang von
englischen Namen beherrscht wurde.
Der erste Erfolg hat Peter Schmidt
augenscheinlich motiviert. Als Junggeselle hat er genügend Zeit, auch neben
seinem Studium seine schriftstellerische Arbeit intensiv weiterzuführen: Ein
zweiter Thriller - Arbeitstitel "Die Trophäe" - liegt bereits zur Veröffentlichung
beim Verlag und auch das dritte Manuskript "Augenschein" geht seiner
Vollendung entgegen...
Seine zweite Karriere hat Peter
Schmidt mit jenem stillen Pragmatismus vorangetrieben, der kennzeichnend für
ihn ist. Es scheint nur natürlich für den Werbefachmann, dessen dunkte Augen
hinter der dünnrandigen Brille stets ein wenig distanziert wirken. daß er mit
einem Spionageroman debütiert hat, während Hunderte von jungen Autoren sich
darum bemÜhen. mit einem Lyrikband oder Erzählungen Fuß zu fassen. Illusionen
macht er sich deshalb noch lang nicht: "Ich glaube kaum, daß ich von
meiner Schriftstellerei einmal werde leben können!" sagt er.
Deshalb möchte er gern im Bereich
Literaturkritik arbeiten, auch "so etwas in Richtung Essay" schwebt
ihm vor. "Aber erstmal". sagt er, "Wird das Studium fertiggemacht."
Reinhard Jahn
Zur Person:
Peter Schmidt, geboren 1944 in
Gescher, Kreis Coesfeld, Hauptschule und anschließend Berufsausbildung zum
Dekorateur. Bis 1977 ist er in verschiedenen Firmen in der Möbelwerbung tätig, dann
beschließt er, das zu tun, was ihn von jeher interessiert.
Er beginnt neben seiner Beschäftigung
mit der Literaturtheorie zu schreiben, veröffentlicht Erzählungen in Zeitungen
und AnthoIlogien, wird Mitglied in den Literaturwerkstätten Gelsenkirchen und
Essen. Seit 1981 studiert er Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte
an der Ruhr-Universität Bochum.
1979: Förderpreis der Stadt
Gelsenkirchen, 1981 Arbeitsstipendium des Landes NRW für den Roman "Die
Trophäe" literarische Arbeitsgebiete sind: Erzählungen, Romane (Thriller,
Satire), Literaturtheorie.
Bücher: Mehnerts Fall, Ullstein Krimi
10121.
Foto: Andreas Böttcher
Quelle: Ruhr-Nachrichten/Essener Tageblatt 12.12.1981