16.6.13

Selbstversuch
Simon Beckett: Verwesung 2/4


Simon Beckett: Verwesung 2/4
Kap 1 bis 7
Kap 8 bis 15
Kap 16 - 23
Kap 24 bis Ende

Nach so einem Prolog könnte es ja losgehen. Mit einer Geschichte. Geht es aber nicht. Stattdessen klappert Mister Beckett nochmal das ganze Personal aus dem überlangen Einleitungsteil ab. Okay, inzwischen ist viel Zeit vergangen - acht Jahre. David Hunter hat seine Frau und sein Kind verloren und lebt jetzt allein und meist tief unten in seinem Pathologenkeller. Was jetzt als Impuls in die Story eingebracht wird ist - Überraschung! - dass der böse Monk aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Und schlagartig taucht Sophie Keller wieder aus der Vergangenheit auf - mit einem dieser Anrufe, die man in Krimis unbedingt verbieten sollte: "Nicht am Telefon. Wir müssen uns treffen!" Nicht: "Komm her, ich will, dass du was für mich erledigst!" Oder "Komm her, ich hab Angst, alleine zu sein!" Nein - "Wir müssen uns treffen!"
Und ich sag noch: Geh da nicht hin, du Depp - da ist Hunter schon unterwegs - 300 Kilometer nach Dartmoor (wohin sonst - Engführung des geographischen Motivs! Bzw: wieso ein neues setting erfinden, wo wir das alte nochmal verwenden können?) und findet - Überraschung! - Sophie niedergeschlagen und so weiter. Um noch die anderen Personen aus dem Prolog abzuklappern, sucht Hunter dann Professor Wainwright auf - oder besser das, was die Demenz von ihm übrig gelassen hat. Von ihm bekommt er offenbar das erste Rätsel gestellt, das Romanhelden lösen müssen - dieses "Fallwild", das der alte Mann brabbelt - und es sollte mich nicht wundern, so überflüssig, wie der Besuch bei ihm ansonsten ist - dass der guten alten Prof bald das Zeitliche segnet, wenn wir ganz dringend eine spannungsfördernde weitere Leiche brauchen. Dann wird's noch ein bisschen mysteriös-gruslig, als die gerettete Sophie Hunter beschwatzt, ihr bei der Suche nach den Gräbern von Monks verschwundenen Opfern zu suchen und die beiden ihm dabei im nebligen Dartmoor fast gegenüberstehen - grusel-grusel. Irgendein Rezensent hat geschrieben, Beckett schiebe seine Figuren irgendwie ohne Sinn und Verstand hin und her - jetzt weiß ich, was er damit gemeint hat. Fast 8 Kapitel, in denen fast *gar nichts* passiert (außer: "Möchten Sie Tee?"), außer dass Sophie und Hunter sich jetzt duzen und die spannendste Frage bisher ist, wann die beiden endlich in der Kiste landen.

Lieblingssatz: "Offenbar war Sophie der Typ Frau, dem das Alter nicht viel anhaben konnte." Das macht 5 Euro für die Chauvikasse.

Damit wir uns nicht missverstehen: "Verwesung" ist sauber, aber eben unambitioniert erzählt, genau wie "GZSZ" saubere, aber unambitionierte Unterhaltung ist. Das meine ich mit den "Standardsituationen" und dem Herumgeschiebe von Figuren. Es ist im Grund egal, ob das hier ein David Hunter-Roman ist oder ein Roman irgendeines anderen Autors. Die Erzählung kann man "unaufgeregt" oder "angenehm entschleunigt" nennen, wenn man das Wort "langweilig" vermeiden möchte: Da wird jede Tür auch geschlossen, wenn sie geöffnet wurde, da wird jedes Wagen auch erst angelassen, ehe man losfährt: dieses ewige und-dann-und-dann wirkt entweder entspannend oder ermüdend. Auf jeden Fall ist es ausgezeichnet für die Leser, die im Zug oder der Straßenbahn lesen, weil man immer genau weiß, wie und wo die Szene gerade ist.

Was mir noch an diesem Hunter aufgefallen ist: er ist irgendwie weibisch, pardon: frauenaffin, weil er uns Lesern immer erklärt wie er sich gerade fühlt (bzw er behauptet, das seien seine Gefühle: Schrecken, Angst, Müdigkeit etc) und er auch immer erklärt, was er für seine aktuellen Gesprächspartner fühlt: Sympathie oder Antipathie. Das ist die typische Masche von chick-lit. PS: Ich hab jetzt weitergelesen und siehe da - offenbar wird unser dementer Prof Wainwright eine schöne zweite Leiche.


Simon Beckett:
Verwesung (The calling of the grave)
Deutsch von Andre Hesse
Reinbek: Wunderlich, 2011

Selbstversuch:
Kap 1 bis 7
Kap 8 bis 15
Kap 16 - 23
Kap 24 bis Ende