Alles ganz einfach
Abseits von Bestsellerrummel und Literaturbetrieb
hat sich einer seinen ganz persönlichen Bestseller geschaffen.
Rene Zey wird porträtiert von
Reinhard Jahn
Foto : Andreas Böttcher
Es ist alles ganz einfach.
Den Eindruck hat man jedenfalls, wenn
man Rene Zey erzählen hört. Da hat er also in seiner Studentenzeit damit
begonnen, einen Roman zu schreiben und ist nicht über die neunzigste Seite
hinausgekommen. Um nun doch noch etwas aus dem Manuskript zu machen, nimmt er
einige Passagen, die sich mit dem Leben und Über-Leben an der Hochschule
beschäftigen, heraus, rhythmisiert sie, bringt sie in Gedichtform. Schreibt
noch einige Gedichte hinzu, bis rund 60 Texte beisammen sind und geht mit der
Sammlung bei renommierten Verlagen Klinken putzen.
"Ohne Kenntnis der Lage habe ich
damals einfach das Manuskript herumgeschickt, sagt er heute dazu. "An Verlage,
die entweder gar keine Lyrik herausbrachten oder überhaupt keine
Originalausgaben machten." Jedenfalls macht sich der junge Dichter nach
der dreißigsten Rücksendung Gedanken über andere Möglichkeiten, seine Texte an
die Öffentlichkeit zu bringen.
Von Bekannten bekommt er den Hinweis,
sich an Kleinverlage zu wenden, vielleicht habe er dort mehr Chancen.
Doch mittlerweile ist schon ein
Freund auf die Texte aufmerksam geworden und organisiert eine Veröffentlichung
über den finanzstarken RCDS, den Ring Christlich Demokratischer Studenten, der Hochschulorganisation
der CDU.
"Politisch hat das gar nichts zu
bedeuten", sagt Rene Zey wiederum heute dazu. "Es war einfach die
Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu kommen. Und als ich dann gesehen habe, dass
das Buch ein Erfolg war, dass sich die Leute dafür interessierten, habe ich die
zweite Auflage selbst veröffentlicht."
Es ist alles ganz einfach den
Eindruck hat man, wenn man Rene Zey davon erzählen hört, wie er sich für zehn Mark
den grünen Gewerbeschein vom Ordnungsamt der Stadt Essen holte und somit zum
Verleger wurde.
Ganz einfach auch die Zuteilung einer
Internationalen Standard Buchnummer (ISBN), durch die er in die offiziellen
Verzeichnisse des Buchhandels und Verlagswesens aufgenommen wird. Und zwar
nicht als Autor, sondern als Unternehmer: Rene Zey, Inhaber des rz- Verlages.
Auch weiter ist alles ganz einfach: Er lässt sein Manuskript setzen, besorgt
die Gestaltung des Umschlages, gibt das Buch in Druck und zieht mit der ersten
selbstverlegten Auflage seiner Gedichtsammlung 'Sommersemester-Wintersemester'
über die Dörfer - sprich: über die Mensavorplätze der Universitäten, wo Tag für
Tag zur Mittagszeit allerlei politisches und alternatives Buchwerk feilgeboten
wird.
Es ist wirklich alles scheinbar so
einfach, wenn man Rene Zey zuhört, wie er mit ruhiger, leiser Stimme von diesen
so selbstverständlichen ,Dingen erzählt. Dass er zum Beispiel nebenbei noch
studiert hat, an den Hochschulen Essen, Bonn und Münster und zwar die Fächer
Germanistik und Philosophie, um jetzt nach dem Ersten Staatsexamen auf seine
Einstellung in den Staatsdienst (sprich: Lehrer) zu warten.
Ein halbes Jahr wird er
voraussichtlich - arbeitslos sein, bis man ihm ein Referendariat zuteilt, und
in dieser Zeit zieht er mit der mittlerweile fünften Auflage seines Büchleins
durchs Land, baut seinen Stand 'an den Universitäten auf, klebt und verteilt
Flugzettel und verkauft für 4,80 Mark - die "Aufzeichnungen eines
Studiums", so der Untertitel des Werkes.
13-UHR NACHRICHTEN
Zwei Semester warten
hätten sie sollen
dachte der Examenskandidat
bis ich fertig bin
Nicht jetzt
Ohne zu stocken
hatte der Rundfunksprecher gemeldet:
NRW stellt
als einziges Bundesland
voraussichtlich
zum letzten Mal
alle Junglehrer ein.
Das ist, sagt er, eines von den guten
Gedichten.
Schlechte· oder nennen wir sie 'nicht
so gute' gibt es auch in dem Buch, das gesteht er sogar ungefragt ein. Wie er
überhaupt allen kritischen Bemerkungen über seinen Gedichtband mit einer
zustimmend-gelassenen Haltung begegnet.
Sicher, einige der Gedichte sind ihm
nicht besonders gelungen, sagt er, doch er hat sie dennoch veröffentlicht, weil
Freunde und Käufer ihm dazu geraten haben. Gewiss, auch das gibt er zu: das
Thema des Bandes - die Isolation, die Frustration und die menschliche Kälte des
Universitätsbetriebes - auch· dieses Thema ist trivial. Er steht zu dieser
Trivialität, genau wie' er unverblümt erklärt, dass er mittlerweile vom Verkauf
des Buches fast leben könnte.
"Was soll ich mir ein
alternatives Mäntelchen umhängen und erklären, dass ich damit nicht
verdiene!" fragt er.
LEISTUNGSABFALL
Die Vorlesungen im
ersten Semester
waren säuberlich
mit Schreibmaschine
abgetippt.
Die im zweiten unmittelbar per Hand
kaum leserlich
mitgeschrieben
Im dritten Semester
hatte er sich.
auf Stichworte beschränkt
Ab dem fünften waren
Aufzeichnungen jeder Art
nicht mehr vorhanden.
Das, sagt er, wäre eins von den
weniger gelungenen Gedichten. Bei etwa der Hälfte der sechzig Verse des Buches
sei ihm das gelungen, was er bei seinem Vorbild Peter Handke bewundert: Die
Versprachlichung von Gefühlen, die Beschreibung von Empfindungen. Das ist nicht
sein Erfolgsrezept sondern sein Bemühen seitdem er als fünfzehnjähriger vor
zehn Jahren mit dem Schreiben begann.
Dass es ihm heute leicht als Masche
ausgelegt werden kann, stört ihn nicht. Im Gegenteil. Ein oft gehörtes Urteil
über 'Sommersemester- Wintersemester' lautet: "Hier hat einer genau das einmal aufgeschrieben, was jeder Student im
Laufe seines Studiums irgendwann mal empfindet."
Und dieses Urteil das sowohl die
Trivialität des Themas als auch die mit unter simple Darstellung einschließt,
wird von Rene Zey mit einem zustimmenden· Nicken begrüßt: "Ja, so war es
gemeint!"
Es ist alles ganz einfach, wenn man
sich mit Rene Zey unterhält. Es ist alles ganz einfach, weil er klare Antworten
auf klare Fragen gibt kurze Selbstbeschreibungen, offene und klare Vorstellungen
seines Seins. Bewundernswert an ihm seine Ruhe, mit der er die Realitäten des Lebens
nicht nur beschreibt sondern auch zu meistern scheint.
Die Ruhe, mit der er den Kulturbetrieb
an sich vorbeiziehen lässt, der sich allerorten sofort entfaltet, wenn sich
zwei oder drei Schriftsteller und Filmemacher treffen. Höchstens als Beobachter
ist er an diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten beteiligt, wo man sich mit Küsschen
links und Küsschen rechts und dem gehauchten 'Wie geht es dir?' begrüßt.
Bewundernswert einfach und klar ist
das Leben dieses Rene Zey, so einfach und klar, dass 'man es im ersten
Augenblick gar nicht glauben möchte. Auf Samtpfoten scheint er sich den Dingen
zu nähern wenn er mit leiser Stimme über die verschiedenen Probleme spricht,
die Worte dabei deutlich und aussagekräftig setzt.
Probleme hat er augenblicklich wohl
nicht: In einem halben Jahr, so hofft er, wird eine Stelle an einer Schule frei
sein. In der Zwischenzeit wird er weiter seine Bücher zwischen Dort mund und
Duisburg, zwischen Giessen und Bonn verkaufen und auch an seinem nächsten Werk
weiterarbeiten.
Etwas in Richtung eines Essays,
erklärt er dazu. Arbeitstitel "Kreisbrüche". Thema ist die Wiederholung
im Leben der Verlust von Lebenszeit durch Wiederholung.
Natürlich, wenn sich ein renommierter
Verlag findet, möchte er es ihm gern überlassen. Und wenn nicht - Erfahrungen
als Selbstverleger hat er ja, da sieht er keine Probleme.
WAS BIN ICH
Seine Arbeit besteht darin
durch die Worte zu tauchen
bis das Neonlicht
auf dem vergilbten Papier
zu schwach wird
Wenn er dann
Kopfschmerzen hat
öffnet er seine Teedosen
und versucht mit
geschlossenen Augen
das Aroma zu erraten
Hinterher schafft er meist·
noch zehn oder zwanzig Seiten
Eins von den guten Gedichten? Oder
von den weniger guten? Gar nicht so einfach, oder?
Rene Zey:
Sommersemester-Wintersemester, Aufzeichnungen eines Studiums. 63 Seiten
rz-Verlag zu beziehen von: Rene Zey, Sxxxxxxstr. 64, 4300 Essen
Alles ganz einfach / Portrait Renè Zey