9.2.14

Marabo 07/1981
Alles ganz einfach
Portrait René Zey

Alles ganz einfach

Abseits von Bestsellerrummel und Literaturbetrieb hat sich einer seinen ganz persönlichen Bestseller geschaffen.
Rene Zey wird porträtiert von Reinhard Jahn
Foto : Andreas Böttcher

Es ist alles ganz einfach.
Den Eindruck hat man jedenfalls, wenn man Rene Zey erzählen hört. Da hat er also in seiner Studentenzeit damit begonnen, einen Roman zu schreiben und ist nicht über die neunzigste Seite hinausgekommen. Um nun doch noch etwas aus dem Manuskript zu machen, nimmt er einige Passagen, die sich mit dem Leben und Über-Leben an der Hochschule beschäftigen, heraus, rhythmisiert sie, bringt sie in Gedichtform. Schreibt noch einige Gedichte hinzu, bis rund 60 Texte beisammen sind und geht mit der Sammlung bei renommierten Verlagen Klinken putzen.

"Ohne Kenntnis der Lage habe ich damals einfach das Manuskript herumgeschickt, sagt er heute dazu. "An Verlage, die entweder gar keine Lyrik herausbrachten oder überhaupt keine Originalausgaben machten." Jedenfalls macht sich der junge Dichter nach der dreißigsten Rücksendung Gedanken über andere Möglichkeiten, seine Texte an die Öffentlichkeit zu bringen.
Von Bekannten bekommt er den Hinweis, sich an Kleinverlage zu wenden, vielleicht habe er dort mehr Chancen.

Doch mittlerweile ist schon ein Freund auf die Texte aufmerksam geworden und organisiert eine Veröffentlichung über den finanzstarken RCDS, den Ring Christlich Demokratischer Studenten, der Hochschulorganisation der CDU.
"Politisch hat das gar nichts zu bedeuten", sagt Rene Zey wiederum heute dazu. "Es war einfach die Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu kommen. Und als ich dann gesehen habe, dass das Buch ein Erfolg war, dass sich die Leute dafür interessierten, habe ich die zweite Auflage selbst veröffentlicht."
Es ist alles ganz einfach den Eindruck hat man, wenn man Rene Zey davon erzählen hört, wie er sich für zehn Mark den grünen Gewerbeschein vom Ordnungsamt der Stadt Essen holte und somit zum Verleger wurde.
Ganz einfach auch die Zuteilung einer Internationalen Standard Buchnummer (ISBN), durch die er in die offiziellen Verzeichnisse des Buchhandels und Verlagswesens aufgenommen wird. Und zwar nicht als Autor, sondern als Unternehmer: Rene Zey, Inhaber des rz- Verlages. Auch weiter ist alles ganz einfach: Er lässt sein Manuskript setzen, besorgt die Gestaltung des Umschlages, gibt das Buch in Druck und zieht mit der ersten selbstverlegten Auflage seiner Gedichtsammlung 'Sommersemester-Wintersemester' über die Dörfer - sprich: über die Mensavorplätze der Universitäten, wo Tag für Tag zur Mittagszeit allerlei politisches und alternatives Buchwerk feilgeboten wird.
Es ist wirklich alles scheinbar so einfach, wenn man Rene Zey zuhört, wie er mit ruhiger, leiser Stimme von diesen so selbstverständlichen ,Dingen erzählt. Dass er zum Beispiel nebenbei noch studiert hat, an den Hochschulen Essen, Bonn und Münster und zwar die Fächer Germanistik und Philosophie, um jetzt nach dem Ersten Staatsexamen auf seine Einstellung in den Staatsdienst (sprich: Lehrer) zu warten.
Ein halbes Jahr wird er voraussichtlich - arbeitslos sein, bis man ihm ein Referendariat zuteilt, und in dieser Zeit zieht er mit der mittlerweile fünften Auflage seines Büchleins durchs Land, baut seinen Stand 'an den Universitäten auf, klebt und verteilt Flugzettel und verkauft für 4,80 Mark - die "Aufzeichnungen eines Studiums", so der Untertitel des Werkes.

13-UHR NACHRICHTEN
Zwei Semester warten
hätten sie sollen
dachte der Examenskandidat
bis ich fertig bin
Nicht jetzt
Ohne zu stocken
hatte der Rundfunksprecher gemeldet:
NRW stellt
als einziges Bundesland
voraussichtlich
zum letzten Mal
alle Junglehrer ein.

Das ist, sagt er, eines von den guten Gedichten.
Schlechte· oder nennen wir sie 'nicht so gute' gibt es auch in dem Buch, das gesteht er sogar ungefragt ein. Wie er überhaupt allen kritischen Bemerkungen über seinen Gedichtband mit einer zustimmend-gelassenen Haltung begegnet.
Sicher, einige der Gedichte sind ihm nicht besonders gelungen, sagt er, doch er hat sie dennoch veröffentlicht, weil Freunde und Käufer ihm dazu geraten haben. Gewiss, auch das gibt er zu: das Thema des Bandes - die Isolation, die Frustration und die menschliche Kälte des Universitätsbetriebes - auch· dieses Thema ist trivial. Er steht zu dieser Trivialität, genau wie' er unverblümt erklärt, dass er mittlerweile vom Verkauf des Buches fast leben könnte.
"Was soll ich mir ein alternatives Mäntelchen umhängen und erklären, dass ich damit nicht verdiene!" fragt er.

LEISTUNGSABFALL
Die Vorlesungen im
ersten Semester
waren säuberlich
mit Schreibmaschine
abgetippt.
Die im zweiten unmittelbar per Hand
kaum leserlich
mitgeschrieben
Im dritten Semester
hatte er sich.
auf Stichworte beschränkt
Ab dem fünften waren
Aufzeichnungen jeder Art
nicht mehr vorhanden.

Das, sagt er, wäre eins von den weniger gelungenen Gedichten. Bei etwa der Hälfte der sechzig Verse des Buches sei ihm das gelungen, was er bei seinem Vorbild Peter Handke bewundert: Die Versprachlichung von Gefühlen, die Beschreibung von Empfindungen. Das ist nicht sein Erfolgsrezept sondern sein Bemühen seitdem er als fünfzehnjähriger vor zehn Jahren mit dem Schreiben begann.
Dass es ihm heute leicht als Masche ausgelegt werden kann, stört ihn nicht. Im Gegenteil. Ein oft gehörtes Urteil über 'Sommersemester- Wintersemester' lautet: "Hier hat einer genau das  einmal aufgeschrieben, was jeder Student im Laufe seines Studiums irgendwann mal empfindet."
Und dieses Urteil das sowohl die Trivialität des Themas als auch die mit unter simple Darstellung einschließt, wird von Rene Zey mit einem zustimmenden· Nicken begrüßt: "Ja, so war es gemeint!"
Es ist alles ganz einfach, wenn man sich mit Rene Zey unterhält. Es ist alles ganz einfach, weil er klare Antworten auf klare Fragen gibt kurze Selbstbeschreibungen, offene und klare Vorstellungen seines Seins. Bewundernswert an ihm seine Ruhe, mit der er die Realitäten des Lebens nicht nur beschreibt sondern auch zu meistern scheint.
Die Ruhe, mit der er den Kulturbetrieb an sich vorbeiziehen lässt, der sich allerorten sofort entfaltet, wenn sich zwei oder drei Schriftsteller und Filmemacher treffen. Höchstens als Beobachter ist er an diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten beteiligt, wo man sich mit Küsschen links und Küsschen rechts und dem gehauchten 'Wie geht es dir?' begrüßt.
Bewundernswert einfach und klar ist das Leben dieses Rene Zey, so einfach und klar, dass 'man es im ersten Augenblick gar nicht glauben möchte. Auf Samtpfoten scheint er sich den Dingen zu nähern wenn er mit leiser Stimme über die verschiedenen Probleme spricht, die Worte dabei deutlich und aussagekräftig setzt.

Probleme hat er augenblicklich wohl nicht: In einem halben Jahr, so hofft er, wird eine Stelle an einer Schule frei sein. In der Zwischenzeit wird er weiter seine Bücher zwischen Dort mund und Duisburg, zwischen Giessen und Bonn verkaufen und auch an seinem nächsten Werk weiterarbeiten.
Etwas in Richtung eines Essays, erklärt er dazu. Arbeitstitel "Kreisbrüche". Thema ist die Wiederholung im Leben der Verlust von Lebenszeit durch Wiederholung.
Natürlich, wenn sich ein renommierter Verlag findet, möchte er es ihm gern überlassen. Und wenn nicht - Erfahrungen als Selbstverleger hat er ja, da sieht er keine Probleme.

WAS BIN ICH
Seine Arbeit besteht darin
durch die Worte zu tauchen
bis das Neonlicht
auf dem vergilbten Papier
zu schwach wird
Wenn er dann
Kopfschmerzen hat
öffnet er seine Teedosen
und versucht mit
geschlossenen Augen
das Aroma zu erraten
Hinterher schafft er meist·
noch zehn oder zwanzig Seiten

Eins von den guten Gedichten? Oder von den weniger guten? Gar nicht so einfach, oder?

Rene Zey: Sommersemester-Wintersemester, Aufzeichnungen eines Studiums. 63 Seiten rz-Verlag zu beziehen von: Rene Zey, Sxxxxxxstr. 64, 4300 Essen


Reinhard Jahn:
Alles ganz einfach / Portrait Renè Zey
in: MARBAO, Bochum, Heft 7(Juli)/ 1981
S.36.37