SPRECHER: "Ein fairer Tausch ist kein Raub", sagte Billy the Kid ganz realistisch, als sein Freund Doc Holliday entdeckt, dass sein junger Mitstreiter ein Verhältnis mit der überaus hübschen Tänzerin Rio angefangen hat, die er in Billys Obhut zurückgelassen hat. Rio - dargestellt von Jane Russell - sorgt in dem Film "The Outlaw" von Howard Hawks für Verwirrung. Warum?
SPRECHERIN: Weil Billy the Kid mit dem "fairen Tausch", von dem er spricht, einfach meint, dass Doc Holliday ja anstelle seiner hübschen Tänzerin Billys Pferd bekommen habe.
SPRECHER: Eine Frau für ein Pferd? Howard Hughes, dem Produzenten von "The Outlaw" gefiel die Idee so gut, dass er Billy the Kids Dialogsatz eigenhändig änderte, und zwar in: "You borrowed from me, I borrowed from you." Was soviel heißt wie: Du hast dir was von mir geliehen und ich mir was von dir."
SPRECHERIN: Die Zensurinstanzen, die seinerzeit - immerhin schrieb man erst 1940 - über die Einhaltung des Production Code wachten, jenes Verbotskataloges, den sich Hollywood unter dem Druck von Frauenverbänden und Hundezüchtern selbst auferlegt hatte, gefiel die ganze Geschichte mit dem geschenkten Gaul und der getauschten Frau überhaupt nicht. "The Outlaw" wurde verboten und kam erst Jahre nach seiner Fertigstellung in die Kinos - und auch das nur in einer sogenannten "entschärften" Fassung.
SPRECHER: Diese, als "Outlaw-Incident" in die Geschichte Hollywoods eingegangene Episode illustriert überdeutlich das gebrochene Verhältnis der Kinomacher zu einer Gruppe von Darstellern, die mehr als manche anderen zum Erfolg der Illusionsindustrie beigetragen haben: den Pferden.
SPRECHERIN: Vor allem im amerikanischsten aller Filmgenres, dem Western, haben Pferde Unvergleichbares geleistet. Angefangen von kleinen Nebenrollen, beispielsweise 1903 in "The Great Train Robbery" von Edwin S. Porter bis hin zu den großartigen Auftritten in den nach ihnen benannten horse-operas, den Pferdeopern, hat das Pferd Hollywood geprägt. Tapfere Stuten. Hengste und Wallache haben in einer Vielzahl von Filmen wahrhaft tragende Rollen gespielt, ohne damit aber jemals ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu dringen und die Aufmerksamkeit zu erringen, die sie verdienten.
SPRECHER: Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - wie beispielsweise der Produktion "Blinde Pferde" von Sidney Lumet mit Richard Burton in der Titelrolle, blieben die Rappen, Schimmel, Schecken und Füchse stets im Dunkel der Anonymität.
SPRECHERIN: Produzenten und Regisseure verweigerten ihnen das Recht einer "eigenen Identität" und missachteten damit die ungeheueren Verdienste, die sich das Pferd um den Film und das Kino erworben haben.
SPRECHERIN: Mangelnde gewerkschaftliche Organisation hat es bis heute möglich gemacht, dass Pferde ohne Anspruchs auf Namensnennung und Versicherungsschutz in Filmen mitwirken müssen. Zynischer Nebenaspekt der Ausbeutung: Hollywood schreckte nicht einmal davor zurück, das Leiden der geschundenen Kreatur zum Thema eines Films zu erheben: Jane Fonda spielte unter der Regie von Sidney Pollack die Hauptrolle in "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss".
SPRECHER: Wie unverzichtbar Pferde in der Traumfabrik sind, verdeutlicht der lächerliche Torso des König-Artus-Dramas "Die Ritter von der Kokosnuss", das der Brite Terry Gilliam 1974 inszenierte. Als bei der Produktion sämtliche Pferde wegen der unerträglichen hygienischen Verhältnisse am Drehort - es gab weder überdachte Ställe noch einen Swimmingpool - und fortgesetzter sexueller Belästigung durch den Regisseur in einem Akt seltener Solidarität ihre Mitarbeit verweigerten, mußten ihre Rollen von Menschen übernommen werden. Das Ergebnis ist ein Film, der sich selbst der Lächerlichkeit preisgibt und heute nur noch als Kuriosum in Kreisen cinephiler Sammler gehandelt wird.
SPRECHERIN: Neben seiner Rolle als supporting actor erfüllte das Pferd im Film auch eine wichtige dramaturgische Funktion als Hinweisträger für die Beziehungen zwischen dem Menschen und der Natur,, dem Mann und der Frau und Gott und der Welt. Das italienische Regisseur und Reitlehrer Umberto Equo hat dafür den Begriff des Meta-pherds eingeführt, der sich allerdings nur in Fachkreisen durchsetzen konnte.
SPRECHER: Pferde im Film und in der Literatur sind aber auch zugleich Projektionshintergrund psychologischer Entwicklungen und Konflikte. Rih, das schwarze Wunderpferd das Apachenhäuptlings Winnetou verkörperte in zahlreichen Karl-May-Verfilmungen die Einsamkeit des Helden und führt in langen Galoppsequenzen außerdem mit überdeutlicher Präzision vor, dass vier Füße immer noch weiter tragen als zwei.
SPRECHERIN: Große, unschuldige Pferdeaugen starren den Kinobesucher aus den brodelnden Sümpfen der Traurigkeit entgegen, wenn das Wunderpferd Artax in der deutschen Produktion "Die unendliche Geschichte" im Schlamm versinkt - das ist ein Symbol der verlorenen Unschuld seines Besitzers Atreju, des Indianerprinzen. Mit dem Eindringen in die feuchte Weichheit des Sumpfes findet die symbolische Defloration kindlicher Allmachtsphantasien ihren kongenialen Ausdruck, ohne dass jemals bekannt geworden wäre, wie intensiv sich der Darsteller des Artax auf diese Rolle vorbeireitet hat.
SPRECHER: Ebenso wenig wurde zur Kenntnis genommen, wie sich in den Anfängen der Tonfilmzeit viele Pferde aus dem Filmgeschäft zurückzogen, weil die sprechenden Bilder den Menschen auf der Leinwand immer mehr Platz einräumten. Lediglich einige wenige schafften den Sprung auch auf die tönende Leinwand - wie beispielsweise "Champion", das Wunderpferd des singenden Cowboys Gene Autry, oder "Trigger", der treue Genosse von Roy Rogers.
SPRECHERIN: Bezeichnend ist allerdings, dass beide Pferde trotz herausragender schauspielerischer Leistungen nur im Schatten eines Menschen auftreten konnten, dass sie stets der sogenannten männlichen Hauptrolle, dem sogenannten "leading man" untergeordnet wurden. Nur eine Ausnahme bestätigt die Regel: in der gleichnamigen Fernsehserie kam zum ersten und einzigen Mal "Mister Ed, das sprechende Pferd" zum ungeschmälerten Ruhm einer sprechenden Haupt- und Titelrolle.
SPRECHER: Mit dem Fortschritt menschlicher Entwicklung und zunehmender Technisierung sahen sich die Pferde im Filmgeschäft zu Beginn der siebziger Jahre einem neuen Gegner gegenüber. Kaum dass der Tonfilmschock überwunden war, begann das Automobil in zahlreichen Produktionen jene Rollen zu übernehmen, die einstmals den Pferden vorbehalten gewesen waren.
SPRECHERIN: In Filmen wie "Easy Rider", "Convoy" oder "Auf dem Highway ist die Hölle los" spielten Motorräder, Personenautos und Lastwagen Rollen, die ohne weiteres mit Pferden besetzt hätten werden können, aber aufgrund einer blinden Fortschrittsgläubigkeit den technischen Fortbewegungsmitteln eingeräumt wurden, und das, obwohl nicht nur in Hollywood von Anfang eine Störanfälligkeit von Automobilen bekannt war.
SPRECHER: Den Pferden allerdings blieb außer dem selbstgewählten Exil - wie es beispielsweise in "Der schwarze Hengst" 1979 von Carroll Ballard dargestellt wurde - nur noch der Weg in die tiefsten Tiefen der Selbsterniedrigung. In dem pornographischen Film "Die Stute" gibt Joan Collins 1975 ein beredtes Beispiel dafür, wie ein Pferd auf den Hund kommen kann.
SPRECHERIN: Ruhe und Trauer ist eingezogen in den einstmals vor Leben überquellenden Ställen Hollywoods, nur hier und da kann man einen Veteranen der alten, glücklichen Tage sein Gnadenbrot fressen sehen und manches ehemals berühmtes Filmpferd endete schon in den Abdeckereien billiger Studios bei der Produktion von Werbefilmen und Fernsehserien.
SPRECHER: Während "The Duke", in vielen Produktion treuer Begleiter und Dialogpferd von John Wayne sich nach dem Tod seines Partners aus dem aktiven Filmgeschäft zurückzog, wählte einige Jahre früher ein italienisches Pferd den ungewöhnlichen Weg einer Geschlechtsumwandlung, um weiterhin im Geschäft zu bleiben: Nach einer Operation in Casablanca konnte es unter dem Künstlernamen "Pfernandel" zu Beginn der sechziger Jahre im italienischen und französischen Film noch einige bescheidene Erfolge erzielen.
SPRECHERIN: Der Weg des Pferdes im Kino scheint gegangen, Autos, Hubschrauber, Flugzeuge, Schnellboote und lichtschnelle Sternenkreuzer haben heute die Rollen übernommen, die das Pferd einstmals gespielt hat, und abgesehen von einigen Statisterie- und Double-Einsätzen gibt es kaum noch Arbeitsmöglichkeiten für Pferde. Was bleibt, sind einige wehmütige Erinnerungen an die glücklichen Stunden, die sie ins im Kino bescherten und am Ende der letzte Gang zum O.K. Corral.
ENDE
Pferde im Film
Autor: H.P. Karr
Produktion: Süddeutscher Rundfunk
Studio Heidelberg Mannheim 1984
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