19.11.13

Martin Krist
Drecksspiel


Das geht schon ordentlich zur Sache: ein korrupter koksender Bulle, ein runtergerockter halbkaputter Schnüffler, ein entführter Teenager und irgendwo dazwischen verschwundene zwei Millionen und ein gesuchter brutaler Serienkiller. Irgendwas vergessen? Ja genau: eine Mutter mit Baby in der Gewalt eines Killers und ihr Ehemann auf der schiefen Bahn. Das alles spielt in Berlin, in einem Berlin, durch dessen Topographie und Soziologie Martin Krist mit den Perspektiven seiner Figuren einen Querschnitt legt: die schicken Viertel, der Stadtrand, die heruntergekommene Ecken, die Bronx. Wer Berlin kennt, wird Berlin im »Drecksspiel« sofort wiederereknnen. Und wer Berlin nicht kennt, wird sich nach dem »Drecksspiel« hüten, hinzufahren.
Die drei Geschichten, die Martin Krist im Achterbahntempo runterreißt, zusammenschneidet wie in einen von diesen neuen dreckigen Action-Thrillern, sind, jede für sich genommen, schon mal einen eigenen Roman wert: Toni Risse, der koksende Bulle, der auf einmal das kalte Grausen kriegt, als seine – ja was? Freundin? – die Hure Leyla ihm sagt, dass sie schwanger ist. Und dann kurz darauf schrecklich brutal umgebracht wird. Was Tonis Handlungshorizont erstmal konsequent verengt: erstens muss er seine Polizeikollegen daran hindern, die Spuren zu verfolgen, die von Leyla zu ihm führen. Und zweitens will er den finden, der Leyla auf dem Gewissen hat.
Dann David Gross, Musikfreak, tätowiert, Ex-Polizist, knallhart. Derzeit ein – sagen wir: Problemlöser. Für Probleme wie sie der Nobelarchitekt und seine Gattin haben, deren Teenie-Tochter Shirin entführt wurde, für die sie schon zwei Millionen bezahlt haben und die trotzdem noch immer nicht zurückgekommen ist. Was tun? David Gross weiß, wen er fragen muss, wo er dranbleiben muss: er schnüffelt sich auf Shirins Spur durch die halbseidene Welt der Clubs und Discos, der schleimigen Fotografen und schmierigen DJs, nur um am Ende herauszufinden, dass das gekidnappte Mädel… aber lassen wir das.
Dieser David Gross ist von allen, die das »Drecksspiel« bevölkern, noch die positivste Figur – einer, der weiß, wofür er lebt, mit Frau und Kind. Natürlich auch da nicht harmonisch, aber in immerhin halbwegs geklärten Verhältnissen.
Die dritte Geschichte im »Dreckspiel« ist der Weg, den die zwei Millionen Lösegeld nehmen, und letztlich hält diese Geschichte die beiden anderen zusammen, wie einem nach knapp der Hälfte des furiosen Spektakels klar wird, das Martin Krist bis dahin mit Tempo und einem bemerkenswerten Gespür für Spannungseffekte aufgezogen hat. Und man verfolgt gespannt weiter, was noch alles passiert in diesem wilden, temporeichen Thriller voller Musik, schlimmer Wörter und böser Menschen.

Martin Krist zeichnet sein Berlin noir mit einer guten Portion Tarantino, seine Dialoge sind rasiermesserscharfe Studien und Soziolekt und Kiez-Weisheiten und über allem steht Scott Fitzgeralds Ratschlag für Schriftsteller: "Action is Character." Beziehungsweise wie Chandler meinte. "Wenn es langweilig wird, schick einen Kerl mit einer Maschinenpistole rein."

Das »Drecksspiel« ist ein must-read für den Berlin-Fan, den Noir-Fan, den Tarantino-Fan, also für jeden, der Krimis und Thriller mag.
Reinhard Jahn (WDR5 Mordsberatung)

Martin Krist
Drecksspiel
Ullstein