2.1.21

Die Blütezeit des Kriminalromans

Die Blütezeit des Kriminalromans

Von Reinhard Jahn

Geschichten von Mördern und Dektektiven. Kriminalromane bringen in immer neuen Variationen Entspannung durch Spannung.

Zwischen 1930 und 1940 erlebte das Krimi-Genre in England und Amerika seine Blütezeit. Detektive wie Hercule Poirot, Philip Marlowe und Kommissar Maigret hatten ihre ersten Auftritte und der Kriminalroman wurde vom intellektuellen Rätselspiel zwischen Autor und Leser zu einer der beständigsten Formen realistischer Literatur.

Am Anfang war der Mord 

Die Spannung, die der Leser an einem Kriminalroman schätzt und genießt, entsteht in immer neuen Variationen aus zwei Fragen: Wer war der Mörder? und: Wie kann er überführt werden? Das Modell für diese Konstruktion einer Erzählung lieferte 1841 der amerikanische Dichter Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) mit seiner Kurzgeschichte »The murders in the Rue Morgue« («Die Morde in der Rue Morgue«). Zum ersten Mal wurden hier Elemente der romantischen Schauerliteratur und der traditionellen Gerichts- und Polizeiberichte zusammengeführt und unter dem Einfluß des Gedankengutes der Aufklärung in eine literarische Form gebracht, die bis heute Millionen von Lesern in ihren zieht. Thema des Genres ist nahezu immer der Mord - das Verbrechen, das von der biblischen Überlieferung über Shakespeares Königsdramen bis zu den großen Romanen der Weltliteratur stets Anlass für die Frage nach dem Wesen des Menschen, seiner Eigenverantwortlichkeit und seiner sozialen Verpflichtung war.

Zugleich schuf Edgar Allen Poe in seiner Geschichte mit dem eleganten Monsieur C. Auguste Dupin, dem es gelingt, den mysteriösen Doppelmord in einem Pariser Haus allein durch das Zusammentragen von scheinbar unbedeutenden Informationen und deren logischer Verknüpfung zu klären, den Archetypus des Detektives, von dessen Arbeit im klassischen Kriminalroman stets erzählt wird. Ihre Perfektion fand diese literarische Entwurf in der Figur des »Sherlock Holmes« in den Kriminalgeschichten des englischen Arztes Arthur Conan Doyle (1959 bis 1930). »Elementary, my dear Watson!« belehrt Holmes stets seinen Begleiter und Chronisten Dr. Watson, wenn er es ihm wieder einmal gelungen ist, allein durch Detektion, also durch das logisches Verknüpfen von Informationen, einen Mordfall aufzuklären. Der Detektiv wurde damit zum Sinnbild das modernen Menschen, der in der Lage ist, die Welt ohne religiöse oder ideologische Einbindung ganz allein mit den ihm angeborenen Mitteln der Rationalität zu verstehen.

Der Detektiv steht im Mittelpunkt 

Bei allen Wandlungen, die der Kriminalroman im Lauf seiner Entwicklung genommen hat, waren ging es in diesem Genre immer um Detektive, die Morde und mysteriöse Verbrechen aufklärten. Seine erste Blüte erlebte der Detektivroman mit den mittlerweile klassischen englischen Krimis von Agatha Christie (1890 bis 1976) und ihrer Zeitgenossen. Der kleine, schrullige belgische Detektiv »Hercule Poirot« trat 1920 zum ersten Mal in einem Roman der später wegen ihres literarischen Schaffens geadelten Archäologengattin auf. Später schuf Agatha Christie noch die Hobbydetektivin »Miss Jane Marple«. In den Kreisen der besseren Gesellschaft Englands bewegte sich zur gleichen Zeit der adelige Amateur-Detektiv »Lord Peter Wimsey«, geschaffen von der Pfarrers-Tochter und Oxford-Absolventin Dorothy L. Sayers (1893 bis 1957). Die Faszination der Kriminalgeschichten aus diesem »goldenen Zeitalter« besteht auch heute noch in ihrer strengen Regelhaftigkeit, nach der dem Leser stets die gleichen Informationen zur Klärung des Mordfalles geboten werden wie dem Detektiv. Dieses intellektuelle Ratespiel im Morde in verschlossenen Räumen, scheinbar perfekt konstruierte Alibis und komplizierte Mordmethoden wurde allerdings von den überwiegend britischen Autoren bei weitem nicht so ernst genommen wie von ihren Lesern. Besonders Agatha Christie verstand es immer wieder, dem auf Dauer wenig originellen Muster stets neue, faszinierende Aspekte abzugewinnen.

Harte Helden aus Amerika

Im bewußten Gegensatz zu gebildeten Detektiven der britischen »mysteries« entwickelten in den vierziger Jahren amerikanische Autoren ihre harten («hardboiled«) Helden. Geprägt von der durch die Weltwirtschaftskrise (1929) erzeugten pessimistischen Grundhaltung der amerikanischen Gesellschaft schufen der gescheiterte PR-Manager Raymond Chandler (1888 bis 1959) und der selbst einmal als Detektiv tätig gewesene Dashiell Hammett (1894 bis 1961) ihre einzelgängerischen Privatdetektivfiguren »Philip Marlowe« und »Sam Spade«, die sich bei ihren Ermittlungen mit schmutzigen Morden, Gangsterkriegen, staatlicher Korruption und dem organisierten Verbrechen auseinanderzusetzen hatten. Seine beste Darstellung fand die Gestalt des loyalen »private eye«, der als scheinbar einzig moralischer Mensch in einer unmoralischen Welt zur Durchsetzung seiner Vorstellung von Gerechtigkeit mitunter auch zu illegalen Mitteln greift in den Filmen von Hollywoods »Schwarzer Serie«, in denen Humphrey Bogart sowohl Chandlers »Marlowe« («The Big Sleep«) als auch Hammetts »Spade«  («The Maltese Falcon«) verkörperte. Bis heute hat sich der harte Privatdetektivroman, wie er in der Nachfolge seiner beiden Schöpfer später von Ross MacDonald (1915 bis 1983, »Lew Archer«) und Robert B. Parker (* 1932, »Spenser«) geschrieben wurde, seinen Platz innerhalb des Genres erhalten - auch wenn die Vorstellung des auf sich allein gestellten, privaten Ermittlers angesichts der immer komplexeren gesellschaftlichen Verhältnisse mitunter anachronistisch wirkte. Die endgültige Abkehr vom einzelnen Helden wurde im Krimi spätestens durch die Romane von Ed McBain (1926 bis 2005) um die Mannschaft des »87. Polizeireviers« vollzogen, die ab 1956 erschienen. Seine Detektive »Steve Carella«, »Meyer Meyer« und »Bert Kling« sind eingebunden in die Teamarbeit der Polizeiorganisation, die exakte Schilderung der Ermittlungsarbeit und Beschreibung der sozialen Ursachen von Verbrechen machen die Romanserie, die Ed McBain mit über drei Dutzend Büchern bis in die 90er Jahre fortsetzte zu einer Chronik der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft.

Psychologische Porträts aus Europa

Ganz im Gegensatz zu den britischen Rätselspielen und den harten amerikanischen Heldengeschichten entstanden zur Blütezeit des Krimi-Genres in Frankreich die psychologisch orientierten Romane des aus dem belgischen Liege (Lüttich) stammenden Georges Simenon (1903 bis 1989). Der ungeheuer produktive Autor schuf 1929 seinen »Kommissar Jules Maigret« und schrieb die ersten neunzehn Romane um den unauffälligen, feinfühligen Pariser Kriminalbeamten in nur 19 Monaten. Anders als die anderen Autoren des Genres interessierte sich Simenon bei seinen Maigret-Geschichten wenig für kriminalistische Details, sondern konzentrierte sich auf die Darstellung der emotionalen, gesellschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen den Personen seiner Handlung. In seinen mehr als 80 Maigret-Romanen, in deren zahlreichen Verfilmungen besonders Jean Gabin eine der eindrucksvollsten Interpretationen des Kommissars lieferte,  erwies sich Simenon so als meisterhafter Beobachter und scharfäugiger Kritiker des französischen Bürgertums. Žhnliches gelang ungefähr zur gleichen Zeit dem schweizer Friedrich Glauser (1896 bis 1938) für sein Heimatland mit seinen Romanen um die Ermittlungen seines »Wachtmeister Studer« (1936) im kleinbürgerlichen und bäuerlichen Milieu.

Krimi-Spannung in zahlreichen Variationen

Bei allen Wandlungen, die das Genre seit seiner Blütezeit in den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts erlebte, steht nach wie vor die Frage nach den Motiven eines Verbrechens und die Schilderung seiner Aufklärung im Mittelpunkt. Das von Edgar Allen Poe geschaffene und von seinen Nachfolgern perfektionierte Modell der Kriminalgeschichte hat sich als flexible literarische Form etabliert, die in ihren zahlreichen Varianten stets ein Portrait der Zeit und der Gesellschaft entwirft, in der sie entsteht.

Thriller-Spannung durch düstere Psycho-Krimis

Parallel zur Blüte der Detektivgeschichten entwickelte sich in den USA in den 30er Jahren das Genre des Thrillers. Statt eines Detektivs stellten Autoren wie Cornell Woolrich und James M. Cain gewöhnliche Menschen in den Mittelpunkt ihrer Romane und schilderten von den existentiellen Verstrickungen ihrer Charaktere in ein Verbrechen. In einer klaren und direkten Sprache, mit schnellen Szenenwechseln und knappen Dialogen machten sich die Autoren die Spannungsdramaturgie des Tonfilms zu eigen. Sie schrieben ihre Geschichten häufig für ein Honorar von 10 Cents pro Wort für billig hergestellte Pulp-Magazine, die ihre Leser Woche für Woche mit neuen, sensationell aufgemachten Kriminalstories versorgten. Zum Klassiker dieser Spielart des »schwarzen thrillers« wurde der mehrfach verfilmte Roman »The Postman always rings twice« (1934), (dt. »Die Rechnung ohne den Wirt«, 1951, »Wenn der Postmann zweimal klingelt«, 1960) von James M. Cain, der in seiner lakonischen Schilderung einer Eifersuchts- und Gattenmord-Geschichte zugleich auch den Grundstein für die psychologischen Kriminalromane lieferte, wie sie von Patricia Highsmith oder Margaret Millar geschrieben wurden. Von düsterer, mitunter durch den Schauerroman beeinflußten Stimmung erzählte dagegen der auch unter dem Pseudonym »William Irish« schreibende Cornell Woolrich von den schicksalhaften Verstrickungen seiner männlichen Protagonisten in verhängnisvolle Liebesaffären.
Im Gegensatz zu den klassischen Detektivgeschichten beziehen die Thriller ihre Spannung nicht aus den Rätselfragen der Story und der Suche nach dme Täter, sondern aus ihrer Beschreibung der Ursprünge eines Verbrechens, seiner Planung und Durchführung. Dem Leser wird als Indentifikationsfigur zumeist der Täter angeboten. Mit diesem Modell reagierte das Krimigenre auf die psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freund und C.G. Jung -- statt der Suche nach einem Täter stand nun die Frage nach den in jedem Menschen vorhandenen destruktiven Elementen im Mittelpunkt.

© by author / Reinhard Jahn
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Reinhard Jahn, Jahrgang 1955, ist Mitbegründer des Bochumer Krimi Archivs und des Deutschen Krimi-Preises. Unter seinem Autorennamen H.P. Karr schrieb  er zahlreiche Thriller und Stories.




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