6.1.18

Totalverriss – Chance oder Todesurteil?
Wie geht man mit Kritiken um?


Reinhard Jahn:

Totalverriss – Chance oder Todesurteil?

Wie geht man mit Kritiken um?

Panel bei der CRIMINALE Büsum 16.4.2015

Die ersten Exemplare des eigenen Romans sind verschickt – entweder hat die Presseabteilung des Verlags sich dahintergeklemmt und die üblichen Verdächtigen (Rezensenten) beliefert, oder man hat sich als Autor selbst gekümmert. Und dann erscheinen die ersten Kritiken. Zunächst wahrscheinlich online bei Amazon, später dann in Bücherblogs und schließlich die Besprechungen in Zeitungen und Magazinen, im Radio oder als Fernsehbeitrag.
Zu den Fragen, was Kritik will, soll und kann und wie man mit Kritik, Kritikern und Kritikern umgeht, waren zur Podiumsdiskussion eingeladen:
Dr. Thomas Wörtche – Kritiker und Herausgeber, 

  












Dr. Herbert Knorr – Autor und Festivalverantwortlicher, 
Lars Schafft – Chefredakteur von krimi-couch.de 

 
und last but not least
Zoe Beck – Autorin, Kritikerin, E-Book-Verlegerin.

 

Die schlimmste Form der Kritik ist natürlich der Totalverriss: die Rezension, die nichts Gutes an dem Werk lässt. Was muss man eigentlich tun, um Kandidat für einen Totalverriss zu werden?
Thomas Wörtche, Kritiker für den Deutschlandfunk und mit seinen »Leichenberg«-Rezensionen legendär geworden, meint: »Man muss einfach alles falsch machen. Oder man muss Pech haben, dass man auf einem Trend schreibt, den der Kritiker nicht gut findet.« Wie etwa im Fall Don Winslow, der sich mit seinen Romanen um den Drogenkrieg der USA einen Platz im Olymp der deutschen Krimi-Kritik erschrieben hatte, ehe er sich für seinen Vigilanten-Thriller »Vergeltung« einen Totalverriss – nicht nur von Thomas Wörtche – einhandelte. Aber auch Krimis, »die erkennbar auf einen Trend hingeschrieben sind«, hält Wörtche für gute Kandidaten um verrissen zu werden.
Bei der krimi-couch, einer der großen deutschsprachigen Krimi-Communities, gehört der Verriss natürlich auch zu den möglichen Formen der Kritik. »Wenn einer unserer Rezensenten einen Titel verreißen möchte, legen wir ihm keine Hindernisse in den Weg«, sagt Lars Schafft, als Erfinder der krimi-couch.de, der als »Ein-Mann-Internet-Agentur« mit seiner Dachfirma Literatur-Couch Medien GmbH & Co. KG noch eine Handvoll anderer Genre-Plattformen am Start hat. Der Verriss, meint er, »sorgt für die nötige Trennschärfe« bei der Unterscheidung zwischen gut und – nun ja: »weniger gut«. Dennoch bleibt auch bei der krimi-couch der Totalverriss die Ausnahme. Denn, wie Thomas Wörtche es formuliert: »So etwas zu schreiben ist harte Arbeit und kein Spaß. Man wacht nicht morgens auf, kichert und überlegt, wen man heute niedermacht.«

Dass sich ein Verriss wahrscheinlich desaströs auf das Selbstbewusstsein des Autors auswirkt, liegt nahe. Aber gibt es vielleicht dennoch etwas Gutes an der scharfen Kritik? Erzeugt sie vielleicht Aufmerksamkeit – die Währung, mit der in der Buchbranche gezahlt wird? 
»Nicht unbedingt«, meint Herbert Knorr, einer der beiden Festivalleiter von Europas größtem Krimifestival, dem »Mord am Hellweg«. Bei der Frage, welche Autoren er an den Hellweg einlädt, spielen – gute wie auch schlechte – Kritiken kaum eine Rolle, auch weil Auswahl und Einladungen oft bereits im Vorfeld einer Buchveröffentlichung abgesprochen werden.

Für den Autor eines kritisierten Buchs ist nicht nur der Totalverriss, sondern schon der normale Verriss oder überhaupt nur die kritische Besprechung eine Attacke aufs Selbstverständnis und Selbstbewusstsein. »Ja, ein Verriss tut weh«, sagt Zoe Beck, Autorin von einem Dutzend Romanen, zuletzt »Schwarzblende«. Schließlich habe man sich lange mit dem Buch beschäftigt, hart daran gearbeitet. Diese Anstrengung erscheine dann durch eine Kritik leicht(fertig) entwertet. Dennoch findet Beck, dass es sinnvoll und nützlich sein kann, sich die Kritiken anzusehen und daraus Schlüsse für die weitere Arbeit zu ziehen.

Dabei ist natürlich nicht jede Kurzkritik oder Besprechung genauso relevant wie die andere. Eine Ein-Stern-Wertung und Fünf-Worte-»Rezi« bei Amazon ist eher ein simpler Stimmungsreflex oder im besten Fall eine »Verbraucherwertung«, die das Buch als Ware sieht (»Sendung kam pünktlich«), und nichts, was man wirklich als ästhetische Auseinandersetzung mit dem Werk bezeichnen kann.
Die ernsthafte Befassung mit einem Text beginnt wohl erst bei der Besprechung in einem Rezensions- oder Bücherblog – wenn sie über die bloße Wiedergabe des Klappentextes hinausgeht. Freilich kann auch hier noch die reine Geschmackswertung (»fand ich gaanz toll«) auftauchen.
Seriöse Literatur- und Krimikritik dagegen fragt sich (und den Leser) zunächst einmal: »Wo steht das Buch insgesamt?« (Wörtche). Behandelt es ein neues Thema oder ein altes Thema neu? Welche ästhetischen Mittel werden eingesetzt oder auch nicht? Wo und wie ist das Buch einzuordnen – ohne dass man dabei den plakativen Subgenre-Einordnungen folgen sollte, wie sie von den Marketingabteilung der Verlage vergeben werden. Formulierungen wie »flüssig lesbar« oder »nettes Buch für einen verregneten Nachmittag«, wie man sie bei Leserrezensionen oder in Blogs findet, sind reine geschmäcklerische Meinungsäußerungen, die in einer professionellen Kritik nichts zu suchen haben.
Denn »der« Kritiker, also der ernsthafte Kritik-Schreiber, ist ein, wie Thomas Wörtche es pars pro toto formuliert, »informierter, nachdenklicher Leser«, der oft aus Fandom eines Genres stammt und dessen Wissen und Ansprüche mit der Zeit gewachsen sind. Er schreibt seine Kritiken – und natürlich auch Totalverrisse –, weil er die eigenen Lektüreerfahrungen aufbereiten und vermitteln möchte. Idealerweise, so Thomas Wörtche, setzt er mit seiner Arbeit das besprochene Buch in (s)einen Kontext, ins Verhältnis zu anderen Büchern des Autors, in Beziehung zur Literatur insgesamt und schlussendlich zum Lauf der Welt (dem »großen Narrativ«). Dabei sollte er sich selbstverständlich auch mit der Offenlegung seiner Kriterien zu seinem persönlichen Geschmack und seiner Subjektivität bekennen. Insgesamt also: eine große Aufgabe für eine mitunter nur kleine Kritik.

Und was kann man dem Autor, der Autorin raten, die kritisiert werden, egal ob mit Amazon-Sternen, in einem geschmäcklerischen Blog oder mit einer ausgefeilten Rezension? Es gilt offenbar die goldene Regel des erfolgreichen Selfpublishers Matthias Matting: »Üben Sie sich in buddhagleicher Ignoranz … Kommentieren Sie nicht. Wenn der Verriss ungerechtfertigt ist, werden Ihre anderen Leser das merken. Wenn Wahrheit darin steckt, korrigieren Sie die Fehler. Aber bleiben Sie ruhig, zetteln Sie keine Diskussion an und trösten Sie sich damit, dass eine Ein-Stern-Rezension Ihr Buch glaubwürdiger macht.«
Denn Kritiken, da waren sich Culturbooks-Verlegerin Zoe Beck und Festivalmacher Herbert Knorr einig, machen in der Regel keinen Bestseller. Und der Umkehrschluss lautet dann natürlich, dass ein Totalverriss auch kein Buch vernichten kann.
Protokoll: Almuth Heuner




Erstveröffentlichung in:
Syndikat (Hg) / Buranaseda, Nadine (Red.):
TAT-Zeuge. Das Syndikats-Dossier 2015.
2015, Messkirch: Gmeiner-Verlag,
ISBN 9783839218662

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