17.12.03

Jan Costin Wagner:
"Ohne Umwege zum Kern..."

INTERVIEW JAN COSTIN WAGNER
Erstveröffentlichung: 2003 bei krimi-forum.de

Jan Costin Wagner: "Ohne Umwege zum Kern..."

Er gilt als das Wunderkind der deutschen Krimiszene: Für sein Debut NACHTFAHRT erhielt er den Marlowe-Preis der Raymond-Chandler Gesellschaft, sein zweiter Roman EISMOND wurde fast einhellig und hochklassig gelobt - entweder als wunderbar konstruierter Thriller oder als das Abschiedssignal an die Zeitgeistliteratur der Spaßgeneration. EISMOND ist die Geschichte eines finnischen Kommissars, der unter dem Eindruck des Krebs-Todes seiner Frau einen Serienkiller jagt - und zugleich (oder eigentlich?) eine Studie Tod und Trauer, über das Leben und die Hoffnung. Jan Costin Wagner aus einem kleinen Ort in Hessen hat es aus dem Stand in die Spitzengruppe geschafft...
Frage: Wie fühlt man sich als Totengräber der Fun-Literatur?

JCW: Bestens (lacht). Aber das bin ich ja nicht und wollte es auch nie sein. Ich wollte mit EISMOND einfach einen Roman schreiben, der sich ohne ironische Brechungen mit Trauerarbeit, mit der Bewältigung des Todes auseinandersetzt und der seine Spannung aus der Stille herausbezieht.
Frage: Kennen Sie überhaupt etwas von dem, was man Popliteratur genannt hat - etwa von Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht? Florian Illies? Von Ildiko von Kürthy gar nicht zu reden... 

WAGNER: Nur wenig, aber nicht, weil ich glaube, dass es grundsätzlich nicht gut ist. Man wählt ja immer aus einem riesigen Angebot an Büchern, und die Bücher, die unter "Pop-Literatur" kategorisiert waren, haben mich als Leser einfach nicht so angesprochen. Weil ich selbst aber immer betone, dass ich Gattungsbezeichnungen für sekundär halte, kann es gut sein, dass ich in diesem Fall den Büchern Unrecht getan habe.

Frage:  Können Sie als Newcomer auch die Geschichte von der Ochsentour erzählen, die ein Autor mit seinem ersten Manuskript absolvieren muss? Von unzähligen Ablehnungen, dubiosen Verlags-Angeboten und endloser Frustration?

WAGNER: Als ich begann, mit "Nachtfahrt" auf Verlagssuche zu gehen, hatte ich wenig Ahnung, wie ich das am klügsten machen sollte. Weil ich dachte, dass ich es als unaufgefordert Einsendender schwer haben würde, war ich zunächst zurückhaltend mit dem Verschicken des Manuskripts. Ich begann gerade, etwas ratlos zu werden, als ich das Glück hatte, das vermutlich jeder braucht - in meinem Fall in Person meines Agenten, dem NACHTFAHRT gefiel und der mich bis heute toll vertritt.

Frage:  Ihre Geschichten haben Krimiplots - in NACHTFAHRT ist es die Geschichte eines verhängnisvollen Dreierbeziehung, im EISMOND das Modell des Serienkiller-Romans, der derzeit inflationiert. Sie scheinen aber zugleich die Formeln des Krimis solange zu reduzieren, bis die wirkliche, die wagnersche Geschichte sichtbar wird: wie Menschen ihr Leben leben... oder wie sie gelebt werden.

WAGNER: Die Triebfeder dafür, dass ich schreibe, ist eigentlich an kein Genre gebunden. Was mich vor allem fesselt, ist die Frage, wie sich Menschen in extremen Situationen verhalten, wie sie diese Situationen bewältigen. Von diesem Grundgedanken ausgehend, möchte ich die Psyche, die Gefühle, die Handlungen von Menschen greifbar, erlebbar machen.

Frage: NACHTFAHRT wirkt trotz des heißen südfranzösischen Ambientes wie mit der Kaltnadel radiert und über EISMOND liegt düstere, kalte, finnische Nacht - Sie fragmentieren die Welt und die Gefühle ihrer Figuren und setzen aus den Teilen das Mosaik ihrer Geschichte zusammen. Das ist ganz und gar nicht das "süffige" Schreiben, das ansonsten von Krimi-Fans so geschätzt wird. Form follows function?

WAGNER:  Ja, das ist in meinem Schreiben sicher prägend, und es hängt mit dem Wunsch zusammen, Spannung zu erzeugen, die eben nicht in erster Linie auf von außen gesetzten Effekten basiert, sondern auf der Innenwelt der im Zentrum stehenden Menschen. Auch auf die Gefahr hin, dass das blöd klingt: Ich möchte möglichst ohne Umwege zum Kern vorstoßen und deshalb am liebsten kein einziges Wort schreiben, das nicht wirklich notwendig ist.

WAGNER: Ehe Sie mit Ihren Büchern jetzt in die Zwischenwelt von "mehr als ein Kriminalroman" rutschen und man Ihnen noch unterstellt, Sie spielten nur mit den Konventionen und Mustern des Kriminalroman, sollten und können Sie eigentlichlich jetzt ruhig zugeben, dass Sie eigentlich gar keine Kriminalromane schreiben.

WAGNER: Ich schreibe sicher Kriminalromane, aber ich möchte mich gleichzeitig mit Fragen auseinandersetzen, die vom Genre unabhängig sind. Das ist in "Eismond" die Ebene, auf der Menschen auf verschiedene Weise mit dem Tod konfrontiert werden und versuchen, das Erlebte zu bewältigen, in "Nachtfahrt" die Grundidee, in den Kopf eines Menschen einzudringen, der - unfähig, sich selbst auf den Grund zu gehen - eine extrem aggressive Gedankenwelt auslebt. Grundsätzlich finde ich, dass Gattungsbezeichnungen eine Orientierungshilfe sein sollten, das wichtigere Kriterium für jeden Roman ist für mich letztlich, ob er im Leser etwas auslöst, ob er sich an der Oberfläche bewegt oder unter die Haut geht, ob etwas von ihm bleibt.

Frage: Wo liegen dann als Leser Ihre Interessen und Schwerpunkte bei Kriminalromanen

WAGNER: Ich lese gerne Kriminalromane, die ihre Figuren ernst nehmen, auf guten Ideen basieren und einfach stark geschrieben sind. Dürrenmatts Roman "Das Versprechen" zum Beispiel.

Frage:  Sie schreiben bereits am dritten Roman, der vierte ist wahrscheinlich bereits geplant.Und man hat Sie sicher gefragt, wie Sie über eine Serie über Kommissar Kimmo Joentaa aus dem EISMOND denken. Wird es eine Serie geben? Oder wenigstens eine Fortsetzung?

WAGNER: EISMOND ist ein in sich geschlossener Roman, und Kimmo Joentaa war nicht als Serienfigur geplant. Ich kann mir eine Fortsetzung aber dennoch gut vorstellen, weil ich Kimmo einfach sehr mag, ich würde ihn gerne wiedersehen. Ich hoffe, in einigen Jahren einen zweiten Kimmo-Joentaa-Roman zu schreiben, wobei die Grundvoraussetzung das Gefühl sein wird, dass das Projekt auf einer tragfähigen Idee basiert.

Frage: Als Internet-Plattform interessiert uns natürlich noch, wie Sie das Netz nutzen und ob Sie eine Lieblings-Hompage haben....

WAGNER: Das ist schwierig, weil es wechselt. Im Moment gucke ich häufig auf der Seite www.litmanen.com, ob mein Lieblingsfußballer Jari Litmanen endlich mal wieder spielen kann, er ist nämlich leider häufig verletzt.

Das Gespräch führte krimi-forum.de Mitarbeiter Reinhard Jahn. (November 2003)

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