29.9.09

Was ist ein Regionalkrimi?

Eine Autopsie
vorgenommen von Reinhard Jahn

Lange bevor die Region ein europäisches Schlagwort geworden ist, war schon vom Regionalkrimi die Rede. Regionalkrimis kamen Mitte der achtziger Jahre zunächst aus dem Ruhrgebiet - um genauer zu sein aus Dortmund - und aus dem Rheinland, - und auch im hier genauer zu sein: aus Köln.
Regionalkrimis waren von der ersten Stunde an das Hätschelkind der lokalen und regionalen Presse - schließlich spielten die Mord- und Totschlagsgeschichten doch immer dort, wo sie herkamen - also im Ruhrgebiet, das sich seinerzeit gerade entschlossen hatte, sich dem Strukturwandel zu unterziehen, und im Rheinland, in dem man im Gegensatz zum Ruhrgebiet keinesfalls daran dachte, die eingefahrenen Strukturen zu wandeln.

Mit den Regionalkrimis, die von ihren Verlegern stolz mit Aufklebern wie "Revier-Krimi" oder "Köln-Krimi" versehen wurden, tauchten auf einmal ganz andere Schauplätze für Mord- und Totschlagsgeschichten auf, als die, die der Leser deutscher Krimis bisher gewohnt war. Die heimlichen Krimi-Hauptstädte München und Berlin waren entmachtet, jetzt hieß der Schauplatz Datteln oder Dortmund, Köln oder Chorweiler.
Mit den neuen Schauplätzen gab es auch neue Autoren - die Garde der deutschen Krimischreiber, deren Namen man bis dahin an den Fingern beider Hände abzählen konnte, bekam Nachwuchs. Außer -ky gab es nun auch Jürgen Kehrer, neben Hansjörg Martin, dem 1999 verstorbenen großen alten Mann des deutschen Krimis, tauchten Jungspunde wie Reinhard Junge und ein Pseudonym namens Leo P. Ard auf. Außer dem Kriminal- und Polizeireporter Friedhelm Werremeier schrieben jetzt auch die Reporter Werner Schmitz und Michael Preute alias Jacques Berndorf.

Als der Dortmunder "Grafit"-Verleger Rutger Booß im Juni 1994 zur Fünf-Jahres-Feier seines Verlages stilecht in die alte Waschkaue der Zeche "Minister Stein" einlud, machte sich Familienfest-Stimmung breit. Fast 200 Leser, Autoren, Fans und Sympathisanten drängten sich in bester Stehparty-Manier in der toten Industriearchitektur und an dem Büchertisch mit den über fünfzig Titeln, die das rührige Team aus dem Vorort Hörde inzwischen auf den Markt gebracht hatte.

Eine Familienfeier zu einem runden Jubiläum hatte es 1994 kurz zuvor auch in Köln gegeben, wo Hejo Emons das Zehnjährige seiner "Köln Krimis" hatte begehen können
Der "Kölsche Klüngel" von Christoph Gottwald aus dem Jahr 1984 war der erste in einer Reihe von inzwischen fast einem Dutzend "Köln-Krimis" die bis dahin erschienen waren.
Der Vorstoß ins fremde Terrain, den die Kölner 1988 mit einem "Revier"-Krimi gewagt hatten, hatte offensichtlich nicht die Erwartungen erfüllt, denn er war nicht fortge-setzt worden.
Die Bilanz, die beide Verlage dann schließlich zum Abschluß des Millenniums im vergangenen Jahr zogen, machte klar, wie selbstbewußt man sich inzwischen in der Branche bewegt: Zur Feier des Zehnjährigen Betriebsjubiläums hatte Grafit 1999 ein ganzes Parkhaus gemietet - womit natürlich kein normales Parkhaus, sondern in Haus an einem Park gemeint war.

Die Gäste paßten kaum in den Saal und die versammelten Autoren kaum alle zusammen auf die Bühne, auf der als Pausenprogramm die kleine Besetzung des Musikkorps der Dortmunder Polizei spielte. Grafit-Verleger Rutger Booß gab im Interview mit WDR-Moderator Tom Hegermann, den ich hier heute vertreten darf, als Parole für das nächste Jahrtausend aus, dass man auf dem Weg zum führenden deutschen Krimi-Verlag sei.

In Köln konnte Verleger Hejo Emons 1999 nicht nur auf eine stattliche Zahl aktueller Köln-Krimis blicken - darunter der nahezu bestsellernde historische Thriller "Tod und Teufel" von Franks Schätzing; Emons konnte auch die Erschließung einiger weiterer Krimiregionen vermelden: es gab jetzt Krimis aus dem Bergischen Land, Düsseldorf-Krimis, Niederrhein-Krimis und Eifel-Krimis - wobei in den beiden letztgenannten Regionen der Dortmunder Mitbewerber mit Recht für sich reklamieren konnte, der erste gewesen zu sein, der die Gegenden mit eigenen Krimi-Geschichten versorgt hatte.

Was sind also nun Regionalkrimis? Was hat eine Region - und hier meinen wir nicht nur die ländlichen Regionen wie den Niederrhein oder die Eifel - sondern auch städtische Regionen wie den Großraum Köln und das Ruhrgebiet - was hat eine Region im Krimi zu suchen - spielt doch der Krimi nicht bekanntermaßen in Metropolen wie New York oder Los Angeles, London, Berlin oder München?

Oder andersherum gefragt: Was kann eine Region einem Krimi schon groß geben, um ihn lesenswerter, interessanter und spannender zu machen als einen New York-Krimi oder einen Los Angeles-Krimi?
Und überhaupt: Wer liest eigentlich Regionalkrimis, kauft und verschenkt die Bücher und hat damit den Erfolg dieser Romane begründet?
Um bei der letzten Frage zu beginnen: Regionalkrimis werden - seltsamerweise oder vielleicht gerade deshalb - überwiegend in den Regionen gekauft und gelesen, in denen ihre Geschichten spielen.
Warum?

Etwa weil diese Krimis das Verbrechen aus New York und Los Angeles direkt zu den Menschen vor die Haustür bringen? Weil man jetzt auch endlich etwas vom Serienmörder in Castrop-Rauxel lesen kann und nicht nur von Hannibal Lecter aus den USA?
Liefern denn nicht schon gesendeten und gedruckten Boulevard-Magazine genug reale Verbrechensgeschichten, die sich vor der eigenen Haustür ereignet haben?
Eine Antwort könnte sein: Der Regionalkrimi erzählt etwas von der Heimat der Menschen.
Böse Zungen nennen den Regionalkrimi deshalb eine Fortsetzung der Heimatliteratur mit anderen Mitteln, und es soll deshalb auch an dieser Stelle nicht verschwiegen wer-den, daß es in der Tat ein paar herz-erweichend schlechte Regionalkrimis gibt. Einige von ihnen haben sich sogar zu mittleren Verkaufsrennern entwickelt, weil die Leser in ihrer Begeisterung am Schlüsselloch- und Schlüsselroman-Effekt gern einmal über die logischen oder literarischen Schwächen einer Story hinwegsehen.

So kann man den Regionalkrimi natürlich auch sehen - da sind die Lokaljournalisten, die ihre Enthül-lungen über den lokalen Filz neuerdings nicht mehr als Text fürs örtliche Kabarett, sondern gleich als Krimi anlegen, weil das Genre so populär und scheinbar so einfach ist.
Da sind die Lehrer, die ihren Pegasus im 18. Jahrhundert vielleicht mit histori-schen Erzählungen und Naturlyrik geritten hätten, und die sich heute mit dem Krimi befassen, weil sie dem Irrglauben nachhängen, alles sei so leicht zu schreiben, wie es sich liest.
Aber natürlich gibt es in der Masse der Regionalkrimis auch ein paar wahre Kleinode. Regionalkrimis sind eben im Guten wie im Schlechten immer "down to earth".

Der Regional-Krimi als Heimatliteratur also, und als solcher ein Teil der deutschen Gegenwartsliteratur.
Erhard Schütz und Jochen Vogt haben unter Bezug auf Heinrich Bölls Rheinland und Martin Walsers Bodensee darauf hingewiesen, dass die "westdeutsche Nachkriegsliteratur insgesamt einen stark regionalistischen Grundzug hat" und dann daran mit Blick auf den Ruhrgebietskrimi die These geknüpft: "Da könnte der Ruhrgebietskriminalroman also an eine breite und respektable Tradition anschließen."
Und später: "Das Ruhrgebiet dieser neuen Regionalliteratur ist Kreuzberg oder der Bronx ähnlicher als der Räterepublik oder der Idylle des Industrie-Patriachats. Kurzum: das Ruhrgebiet als gegenwärtige Großstadtregion mit provinziellem Durchschuß ist krimifähig geworden."
Quelle: Erhard Schütz/Jochen Vogt: Krimi-Kulisse Kohlenpott, in: Schütz/Vogt (hrsg.) Schimanski & Co - Krimiszene Ruhrgebiet, Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen, 1996 , S. 44-47

Wie sieht nun die Heimat im Regionalkrimi aus? Der Krimi-Leser verlangt nach genauer Information - immerhin spielt die Mord- und Totschlagsgeschichte, an der er sich im Regionalkrimi erfreut, direkt vor seiner Haustür. Da erwacht auch schon einmal der Detektiv im Leser und er fährt hinaus, um eine Straßenecke zu überprüfen oder sich beim Autor zu beschweren, dass eine beschriebene Straße gar nicht in der beschriebenen Richtung befahren werden kann, weil es eine Einbahnstraße ist.
Um so mehr freut sich der Leser aber auch über jedes Detail im Lokalkolorit, das er im alltäglichen Leben verifizieren kann - angefangen von den für ihre Schlaglöcher bekannten Bochumer Straßen bis hin zum obligatorischen 16-Uhr Stau auf der A-40. So kann man Regionalkrimis also durchaus auch wie Reiseführer oder die Straßenkarte lesen - zum Beispiel so:

Der Regionalkrimi als Fremdenführer - ein Beispiel aus einer Geschichte, die am Niederrhein angesiedelt ist:

Er ließ das Motorrad an der verfallenen Vorburg auslaufen und schob es zwischen eine Gruppe aus dem Schnitt gewachsener Eiben. Der würzige Duft von Thuja mischte sich mit geheimnisvollen Modergeruch, der aus dem überwucherten Wassergraben stieg. Heimelige Nachtgeräusche. Sie gingen schweigend Hand in Hand. Der Vollmond hing wie ein gelber Lampion über dem alten Gemäuer. Sechshundert Jahre in Stein geronnene Zeit. Die freundliche Beleuchtung überspielte, dass an dem lieblichen Wasserschlößchen der Zahn der Zeit arg genagt hatte. Sie überquerten die Brücke. Ein paar aufgeschreckte Frösche meldeten sich. Dann standen sie vor dem "dicken Turm" im Schloßhof. Überall Kraut und Gehölz. Märchenhaft. Zur Zeit wohnte hier niemand.
"1641 hat Ritter Johann van den Loe der Familie von der Straeten das alles hier abgekauft. Als Mitgift für seinen Sohn Wessel." Sie wirbelte mit ausgebreiteten Armen herum. Die dicken Zöpfe flogen. "Ist das nicht romantisch? Vielleicht hat Jung-Wessel seiner Angebeten Lyssbeth van Beerenbroek ja gleich da drüben das Eheversprechen gegeben." Gertrud wies in Richtung Schloßkapelle. "Neugotik. Im vorigen Jahrhundert im Nazarener-Stil von Vinzenz van Statz umgebaut. Dem Statz, dem wir auch die Basilika von Kevelaer verdanken.
Anton war von Gertruds historischer Beschlagenheit schwer beeindruckt.
Quelle: Hesse / Niermann: Der Rabe, Emons: Niederrhein-Krimi 2, 1998 S 10-11

... und der Leser ist es hoffentlich ebenso.

Die Heimat also als Handlungsraum für eine Kriminalgeschichte, in der es gemäß der Gattungsgesetze um die Aufklärung eines Verbrechens geht, so daß die bestehende Ordnung wieder hergestellt wird.
Damit scheinen sich also die Regeln zweier Gattungen zu treffen, zu ergänzen und zu befruchten oder auch gefährlich nahezukommen - je nachdem, wie man es betrachtet.
Kriminalliteratur wird gelegentlich als ein Kind der Aufklärung bezeichnet, als Gattung, in der beschrieben wird, wie der menschliche Geist aufgrund von Deduktion und Analyse in der Lage ist, die Welt zu durchschauen und in ihren Zusammenhängen zu erkennen. Als Beispiele werden hier in der Regel die klassichen Detektivgeschichten von Edgar Allen Poe bis Agatha Christe angeführt. Der Detektiv - angefangen von Poes Monsieur Dupin bis zu Christies Hercule Poirot stellt die Ordnung in einer durch ein Verbrechen in Unordnung geratenen Welt wieder her.
Und ist es nicht genau diese Ordnung, die heimelig-heimatliche, die so charakteristisch ist für eine bestimmte Art von Heimatliteratur? Die Idealisierung einer in sich geschlossenen, ruhigen, ordentlichen Welt?

Erzählt also der Regionalkrimi davon, wie die in Unordnung geratene Heimat wieder in Ordnung gebracht wird - und das von den klassischen Helden der Detektivliteratur - nämlich den beamteten oder freischaffenden Detektiven?
Denn eins ist auffallend: Die Ermittlerfiguren in Regionalkrimis fallen nahezu zu hundert Prozent in die Kategorie des klassischen Detektivs: sie sind Polizisten oder sogenannte "begabte Amateure", so, wie es die Regeln des klassischen Detektivromans vorschreiben.
Negative Helden finden sich im Regionalkrimi nicht, ebensowenig sind aber auch charismatische Super- oder Überhelden zu finden. Der Held des Regionalkrimis ist - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - kaum als ausdifferenzierte Figur angelegt - die Suche nach einem Lew Archer oder einem Philip Marlowe bleibt weitgehend ohne Ergebnis: es gibt kaum dramatische Hauptfiguren, mit denen sich der Leser auseinandersetzen kann. Eine Tatsache, die um so mehr verwundert, wenn man sieht, dass viele Regionalkrimis als Romanserien mit ständig wiederkehrenden Hauptfiguren angelegt sind.
Normalität ist also angesagt beim Helden des Regionalkrimis, und das zeigt sich nicht nur, aber am deutlichsten in den immer wiederkehrendenn Szenen, in denen wir unsere Hauptfiguren beim morgendlichen Aufstehen oder beim Kaffeekochen erleben dürfen.
Der klassische Detektiv bewegt sich also im Regionalkrimi in seiner Heimat, und er läßt seinen Leser daran teilhaben, zum Beispiel so:
Der Regionalkrimi als Autoatlas:

Ich fuhr mit Sigi nach Coesfeld. Wir nahmen die Autobahn bis Nuttoln, dann die B 67. Coesfeld war Verwaltungssitz des gleichnamigen Landkreises, der zusammen mit drei anderen Landkreisen aus Münster die europäische Mini-Region Münsterland bildete.
Die B 67 durchschnitt eine grüne Landschaft. Hier, im westlichen Münsterland kannte man keine Industrie. Zumindest schufteten in den langgestreckten Hallen, die abseits der Straße standen, keine Menschen. Daß Hühner im Akkord Eier legen mußten und Mastschweine sich, ohne je die Sonne gesehen zu haben, so schnell wie möglich in Schnitzel und Würste verwandelten, fiel volkswirtschaftlich unter die Rubrik Landwirtschaft.
"Ich hoffe, du bist nicht sauer auf mich", brach Sigi das Schweigen.
Quelle: Jürgen Kehrer: Das Schapdetten-Virus, Grafit 205, 1997, S. 45

Natürlich kann auch die Stadt die Heimat sein, und dann liest es sich so:
Der Regionalkrimi als Stadtbild: Karlsruhe

Die Douglasstraße lag mitten in der Stadt, in der Nähe der Hauptpost und des Europaplatzes. Der war bis vor kurzem - bis die Polizei auf Drängen geplagter Geschäftsinhaber endlich durchgegriffen hatte - der Hauptumschlagplatz für Drogen aller Art gewesen. Inzwischen war es dort friedlich geworden, und die Szene hatte sich etwa 100 Meter nach Süden verlagert. Jetzt hatten die dortigen Anwohner die Probleme am Hals und wurden langsam rebellisch.
Petzold trat aufs Gas und fragte: "Weißt du, warum Frauen so schlanke Hände haben?"
"Kennst du auch noch andere Witze?", antwortete Schilling müde.
Quelle: Wolfgang Burger: Mordsverkehr, Zebulon 1998, S 23

Für Köln klingt das Stadtbild dann so:

Markesch fuhr am Volksgarten vorbei, der sich als schwarze, formlose Masse im dunklen Grau der Nacht abzeichnete, und parkte den Ford am Martin-Luther-Platz, unter den Baumkronen, die wie triefend nasse Haarschöpfe vom Herbstwind zerzaust wurden. Vom Chlodwigplatz am anderen Ende der Merowingerstraße grüßten die Lichter der Südstadt: wäßrige Flecken Helligkeit hinter dichten Regenschleiern.
Es war kurz vor zehn, und die Südstadt erwachte allmählich zum Leben.
Tagsüber glich Köln einer braven Hausfrau, für die es nur Kinder, Küche und Kirche gab, aber in der Nacht trug sie dicke, grelle Schminke auf und schlüpfte in ihr engstes Kleid mit dem tiefsten Ausschnitt, um die Freier anzulocken - eine Hure, aber eine, deren einladendes Lächeln von Herzen kam und die nur soviel versprach, wie sie halten konnte. Und wenn sie auf den Strich ging, dann in der Südstadt.
Die Altstadt mit ihren Kneipenzeilen und Bierkatakomben war für die Touristen da; das Vergnügungsviertel rings um den Zülpicher Platz für die Studenten; aber die Insider und die Underdogs zogen ihre Kreise in der Südstadt, wie Eisenspäne unter dem Einfluß eines Magneten, und hatten immer noch nicht gemerkt, daß die Szene längst zu ihrem eigenen Mythos geworden war
Quelle: Thomas Ziegler: Überdosis, Bastei Lübbe 19524, 1988 S 80-81

Oder Düsseldorf:

In der kleinen Siedlung nördlich des Hauptzubringers zur Autobahn nach Wuppertal residiert hauptsächlich altes Geld. Obwohl die Stadt in den letzten Jahren daran gearbeitet hat, der prächtigen Wohnlage im Grünen durch die Ansiedlung neuer Bürogebäude in der benachbarten Brinkmannstraße etwas von ihrer Standortqualität zu nehmen, hat sich die Siedlung einen gewissen morbiden Charme, nicht zuletzt begünstigt durch die Lage zwischen Uni-Klinik und Stoffeler Friedhof, weitgehend erhalten.
Stamm fand, daß selbst die Studentenwohnheime an der Strümpellstraße nicht wirklich störten. Sie wirkten nicht so, als tobe dort das pralle Leben, was allerdings auch auf die Uhrzeit zurückzuführen sein mochte. Sein Peugot 205 fühlte sich in der Gesellschaft der anderen nicht mehr ganz taufrischen Kleinwagen auf dem Parkplatz sauwohl.
Quelle: Niklas Frost: Extratour, Emons Verlag Düsseldorf Krimi, 1998, S. 49

Weil der Regionalkrimi natürlich auch - oder soll man sagen: hauptsächlich? - ein Krimi ist, befasst sich der Detektiv der Geschichte - per definitionem - mit der Aufklärung eines Verbrechens.
"Dieser Prozeß der Ermittlung", hat Jochen Vogt von der Universität Essen dazu in einem Rundfunkbeitrag erklärt, "ist im Grunde sehr gut geeignet, um das gesamte Umfeld, etwa ein regionales und soziales Umfeld mit all seinen Problemen in den Blick zu rücken. So daß dann in einer gewissen Umkehrung der ursprünglichen Ziele und Intentionen die Klärung des bestimmten Kriminalfalles nur ein Vehikel wäre, um eine sehr viel komplexere historische, soziale, psychologische, zwischenmenschliche Situation darzustellen und aufzuklären."
Quelle: Jochen Vogt zitiert nach: Bernd Frye: Krimi-Wissenschaften, Feature, Deutschlandradio Köln, Studiozeit, 4.12.1997, Manuskript

Es liegt natürlich auf der Hand, dass die Qualität dieser Darstellung des Handlungsumfeldes stets von den Fähigkeiten des Autors abhängt. Die Beispiele haben hoffentlich schon ausführlich einige unterschiedliche Methoden der Annährung eines Erzählers an sein Handlungsumfeld gezeigt. Neben der Beschreibung des bekannten und alltäglichen, das dem Leser sein heimatliches Gefühl vermittelt, kann der Regionalkrimi allerdings auch das kaum oder wenig bekannte hinter den Fassaden beleuchten und damit eine neue Perspektive in den Blick des Leser bringen:

Dazu ein Beispiel:

Am Montag morgen gegen fünf betrat Cengiz Kaya die Lohnhalle des Bergwerkes EISERNER KANZLER. Er war etwas enttäuscht. Auf vielen Bergwerken sind Lohnhallen architektonisch beeindruckend gestaltete Räume, teilweise Hunderte vom Quadratmetern groß und manchmal zehn, fünfzehn Meter hoch, in einigen Fällen mit lichtdurchfluteten Fenstern oder Kuppeln, manchmal auch Lichthalle genannt. Diese Räume haben an ihren Seitenwänden zahlreiche Büros, die mit Glasfenstern, die teilweise wie Schalter geöffnet werden können, von der eigentlichen Halle getrennt sind. Durch diese Schalter wurde früher den Bergleuten ihr Wochenlohn in bar ausgezahlt. An diesen Zahltagen warteten dann die Ehefrauen der Bergleute vor den Toren des Pütts, um zu verhindern, daß ihre Männer sofort einen Teil des schwer erarbeiteten Geldes in die nächste Kneipe trugen.
Die Lohnhalle von Kayas neuem Pütt war eher funktional. Hier hatte sich kein Baumeister vergangener Tage ein Denkmal gesetzt.
Der Türke ging zum ersten Schalterfenster und klopfte. "Glück auf. Ich suche den Reviersteiger vom Revier 32."
"Auf. Da hinten. Der mit der Zigarette." Der Mann schloß den Schalter, ohne einen Dank abzuwarten.
Cengiz steuerte die angegebene Richtung an und klopfte erneut an die Glasscheibe. "Glück auf! Sind Sie der Reviersteiger vom Revier 32? Mein Name ist Cengiz Kaya. Ich bin hierhin verlegt worden."
Quelle: Jan Zweyer: Glück auf, Glück ab, grafit 212, 1998, S. 55-56

Oder der Regionalkrimi versucht sich, in der Tradition des sogenannten "neuen deutschen Krimis" der ausgehenden Sechziger Jahre, dessen Autoren sich beharrlich weigern, sich unter dem Etikett SOZIO-Krimi rubrizieren zu lassen, in der politischen Bildung und Aufklärung von gesellschaftlichen Zusammenhängen:

Ich betrachtete das große Gebäude, um das sich heute alles drehen sollte. Es lag wie ein gestrandetes Schiff auf Grund, leergezogen, ausgekratzt, aufgegeben. Mehrere Wasserwerfer besprühten die Steine. Knapp vierzig Jahre war hier die städtische Bibliothek untergebracht gewesen. Sie lag im Herzen der Stadt auf einem Gelände, das das Interesse millionenschwerer Investoren geweckt hatte. Zunächst hatte das Gebäude erhalten werden sollen - immerhin war es unter Denkmalschutz gestellt worden - doch der Druck der Geldsäcke auf die ihnen hörigen Politiker war so stark gewesen, daß der Rat einen Abrißbeschluß faßte. Inzwischen waren zwar alle Investoren wieder abgesprungen - doch die Merheitsfraktion hielt den eigenen Gesichtsverlust für schädlicher als das Verschleudern von Steuergeldern.
Quelle: Gabriella Wollenhaupt: Grappa und die Fantastischen Fünf, Grafit 76, 1997., S 9

Nach der behutsamen Einkreisung des Begriffes Regionalkrimi von außen könnte es vielleicht an dieser Stelle aufschlußreich sein, einmal einen Blick ins Innere des Konstruktes "Regionalkrimi" zu werfen, sich mit der Position der Autoren zu befassen und auch einmal die rein wirtschaftlichen Bedingungen zu eruieren, unter denen diese kleine, seltsame Gattung überhaupt entstanden ist und entsteht.

Die beiden Wiegen des Regionalkrimis stehen, das wurde bereits zu Beginn erwähnt, im Ruhrgebiet und in Rheinland, genauer gesagt in Dortmund und Köln bei den Verlagen Grafit und Emons. Sie traten in den achtziger Jahren mit neuen, jungen Autoren an, Autoren, die aus der jeweiligen Region stammten, in der sie ihre Kriminalromane ansiedelten. War also damit die Entstehung des Regionalkrimis reiner Zufall?
Die Autoren siedelten - wie Autoren es nun einmal tun - ihre Kriminalgeschichten in der ihnen vertrauten Heimat an und sahen sich schon nach kurzer Zeit als "Regionalkrimi-Autoren" rubriziert, einer Einordnung, der sie je nach Temerament mehr oder weniger vehement entgegentraten.
Warum eigentlich?

Da erklärt beispielsweise Conny Lens, in einem Interview zu seiner Romanserie "Steeler Straße", die schon im Titel deutlich auf Essen bezug nimmt, nichts liege ihm ferner als der Regionalkrimi. Er wurde in einem Zeitschrifteninterview gefragt:

FRAGE "Es gibt den Vorwurf gegen den Regionalkrimi er sei nur eine oberflächliche Mode, er biete nur "Stadtnamen als Ersatz für Atmosphäre, Geographie statt psychologischer Differenzierung, Sprüche statt Sprache. Fühlen Sie sich da getroffen?
LENS: Ich mache ja keine Regionalkrimis. Genau so ist das aber, ganz genau so. Manche machen da präzise Ortsbeschreibungen als würden sie von der Stadtverwaltung Geld dafür bekommen. Das ist alles in allem eine aufgesetzte Mode.
FRAGE: Aber Sie nehmen sich da aus. Sie machen keine Regionalkrimis?
LENS: Ich mache keine Regionalkrimis.
FRAGE: Warum nicht?
LENS: Irgendwo müssen die Geschichten ja spielen. Meine Steeler Straße gibt es nun mal in Essen. Ich werde alle meine Romane wahrscheinlich in Essen spielen lassen, weil ich Essen kenne. Was ist denn überhaupt ein Regionalkrimi? Warum kann ein Roman nicht in Datteln spielen? In Datteln gibt es auch Verbrechen. Der kann auch in Kirspe im Sauerland spielen, ohne gleich ein Regionalkrimi zu sein. Der Begriff stammt sich eigentlich aus der Geschäftswelt, aus den Marketingabteilungen der Verlage.
Quelle: Karl Heinz Diessmann/Ralf Wesselowski: Morde sind die langweiligsten Fälle - Ein Gespräch mit Conny Lens, in: Schütz/ Vogt: Schimanski und Co, a.a.O.75-79 Erstveröffentlichung der Zeitschrift Jederart, Essen

Nun konnte sich Conny Lens noch leichter von der Unterstellung distanzieren, er schriebe Regionalkrimis, weil seine Romanserie um den Detektiv Wolli Schröder eher eine Genre-Parodie ist und sie zudem auch im Züricher Haffmans-Verlag erschien, der bis dahin und auch bis heute nicht in den Verdacht gekommen ist, Regionalkrimis zu produzieren. Nichtsdestotrotz hatte Conny Lens aber auch seine Erfahrungen mit dem Regionalkrimi, wie er in dem zitierten Interview an anderer Stelle einräumt. Um seine ersten Büchern, die er im Eigenverlag veröffentlichte, einen entscheidenden Zunsatznutzen für seine potentiellen Käufer zu geben tat er folgendes:

"Zum Beispiel mit detaillierten Straßenbezeichnungen, damit die Leute in dem Stadtteil das Buch kaufen. Habe ich ja auch gemacht. "Roter Fingerhut" war ganz bewußt für (Essen-) Kettwig geschrieben. Wir hatten so viele Exemplare gedruckt, die hätten wir sonst nie absetzen können. Der Roman ist in Kettwig gekauft worden wie blöd, weil der in Kettwig spielte. Das war eine ganz fiese Masche, das würde ich nie mehr machen."
Quelle: Quelle: Karl Heinz Diessmann/Ralf Wesselowski: Morde... a.a.O.

Wo aber sonst als in den ihm vertrauten Lokalitäten und Regionen soll ein Schriftsteller sonst seine Geschichten ansiedeln - und gerade auch beim Krimi unter dem Aspekt, dass der Leser eine einigermaßen präzise Schilderung der Handlungsumgebung erwartet. Wenn es nicht zur "fiesen Masche" im Sinne von Conny Lens gerät, ist ein ganz normales Vorgehen.
Jürgen Lodemann, der mit - oder wegen - seines Romanes "Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr" oft und gern - und meiner Meinung ebenso falsch - als "Meilenstein des Regionalkrimis" angeführt wird, erklärte dazu in einem Rundfunkbeitrag:
"Ein Schriftsteller, der im Ernst arbeiten will, will mit Material umgehen, das er kennt, und Grass hat mit seinem Danzig operiert, Böll mit seinem Köln, Siegfried Lenz mit seinem Ostpreußen, ja also, wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist - was soll er denn im Ernst anderes tun?"
Das Ruhrgebiet ist für Lodemann eine Art komprimierte Bundesrepublik: "Geradezu das Modell für Deutschland, wo also know-how und Weiterkommen und Kampf gegen irgendwelche Krisen immer im Mittelpunkt gestanden haben."
Quelle: Jürgen Lodemann zitiert nach: Bernd Frye: Krimi-Wissenschaften... a.a.O.

Für andere war das, was Conny Lens eine "fiese Masche" nannte, durchaus DAS Erfolgsrezept. Die ersten Romane des Autorenteams Leo P. Ard und Reinhard Junge nutzten hemmungslos dieses Konzept, indem sie kaum eine Straße in Dortmund, Bochum und Umgebung unerwähnt ließen und als Zusatznutzen in ihrer Romanreihe um das "Ekel von Datteln" auch nicht mit satirischen Spitzen gegen die damaligen Machtverhältnisse sparten. Mit dem Titelhelden war der Bürgermeister von Datteln gemeint - ein für das Revier archetypischer SPD/Gewerkschafts-Multifunktionär. Entsprechend erklärte dann auch Reinhard Junge in einer Umfrage zu dem Thema: "Was macht einen guten Ruhrgebietskrimi aus?"

"Zuerst einmal sollte er Krimi sein und auf spannende Weise die Entlarvung eines Verbrechens beschreiben. Außerdem sollte er versuchen, die spezielle Atmosphäre des Ruhrgebietes wiederzugeben: die scheußliche Schönheit des Ambientes, das Nebeneinander von Arm und reich, das flair des Melting pot of people, die Sprache der Eingeborenen.
Quelle: Erhard Schütz/Jochen Vogt(Hrsg.): Schimanski & Co, a.a.O.

Das führt uns wieder in die Richtung "Der Regionalkrimi als Fortsetzung des Soziokrimis mit anderen Mitteln". Wenn etwa im ersten Roman von Leo P. Ard und Reinhard Junge über das titelgebende "Ekel von Datteln" auch noch ausgeführt wird:

"Neben dem Dattelner Stadtparlament kommandierte er in Recklinghausen die Kreistagsfraktion und den Unterbezirk seiner Partei. In Münster bereitete er die wichtigsten Entscheidungen im Landschaftsverband Ruhr-Lippe vor, und im Düsseldorfer Landtag galt er als gewitzter Redner, dem man besser keine Blöße bot. Außerdem kämpfte er im Deutschen Städtetag und in zwei Aufsichtsräten. Sein Draht zur Welt war eine auf Lebenszeit zugesicherte Kolumne in einer Gewerkschaftszeitung, deren hundert Zeilen er regelmäßig um mindestens die Hälfte überzog.
Diese geballte Ladung an politischer Verantwortung zwang Roggenkemper, seine Basisarbeit auf das Allernotwendigste zu beschränken. Er war nur noch Vorsitzender des Turnvereins TEUTONIA, Präsident der GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES DATTELN-HAMM-KANALS, Ehrenbrandmeister der Freiwilligen Feuerwehr, Ehrenoberst der Horneburger Prinzengarde, Tamburmajor im Fanfarenzug der Berginvaliden und Reservehauptmann der Deutschen Bundeswehr. Wie er es bei diesem Stress noch zu zwei Kindern, Dackel und Ehefrau gebracht hatte, war Mager einfach schleierhaft."
Quelle: Ard/Junge: Das Ekel von Datteln, Köln, Pahl-Rugenstein, 1989, S. 19f (später: Grafit Krimi)

Als sich der reale Dattelner Bürgermeister nach Erscheinen des Romanes falsch und verzerrt dargestellt sah und nach rechtlichen Mitteln Ausschau hielt, um gegen das Buch vorzugehen - so jedenfalls die Darstellung des Verlages - verschaffte das dem Roman sicherlich erst die Popularität, von der er heute noch zehrt. Es ist weder dem Verlag noch den Autoren zu verdenken, dass sie den Erfolg des "Ekel von Datteln" ganz nach amerikanischem Muster mit einem Nachfolgeroman zu verdoppeln und einem weiteren Sequel schließlich noch zu verdreifachen versuchten.

Dass der Erfolg dieser und weiterer Titel, mit denen sich der ehemalige Pahl-Rugenstein- und Weltkreis-Lektor Rutger Booß seinerzeit gerade auf dem Sprung zu einer Selbstständigkeit namens GRAFIT-Verlag befand, nur regional begrenzt war, erwies sich dabei als glückliche Fügung. Als neuer und kleiner Verlag mit nur regional begrenztem Bekanntheitsgrad und entsprechend begrenztem Vertrieb hatte GRAFIT in seiner Entstehungphase mit seinen "Regionalkrimis" ein nahezu konkurrenzloses Nischenprodukt.
Womit wir beim wahrscheinlich wirklichen Erfolgsgeheimnis der Regionalkrimis gerade hier in Nordrhein-Westfalen wären - nämlich, daß man es hier im Lande vielleicht bes-ser als anderswo versteht, aus der Not eine Tugend zu ma-chen.

Dazu gehört auch, daß die Verlage Grafit und Emons ihre Programme zu nahezu hundert Prozent mit deutschsprachigen Autoren bestreiten. Das ist an sich schon Leistung genug, noch bemer-kenswerter ist aber, daß beide Verlage offenbar über-haupt keine Scheu vor dem schriftstelleri-schen Nachwuchs haben.
Mit schöner Regelmäßigkeit brin-gen sie übers Jahr zwei oder sogar drei Erstlings-Romane von Au-toren, die - und auch dies ist sicher kein Zufall - aus der Region stammen, die der Verlag mit seinen Büchern bedient. Sich auf Neulinge einzu-lassen ist stets ein Risiko, weshalb sich die Konzernverlage eben auch lieber auf die sicheren amerikanischen Bestseller und etablierten deutschen Stan-dardautoren beschränken.
Für die Entwicklung des Krimi-Nachwuchses im eigenen Sprachraum fehlt es ihnen an Zeit, Mut und Geduld, und deshalb hat man das Terrain schon vor Jahren kampflos den kleineren Verlagen überlassen. So ein Manuskript, das viel-leicht viel ver-spricht aber noch nicht alles hun-dertprozentig hält, aus der Flut der unverlangten Einsendungen herauszufischen ist die eine Sache, die andere ist es, das Buch dann verlegerisch so zu kalkulieren, daß es am Ende des Ge-schäftsjahres vielleicht sogar ein paar kleine schwarze Zah-len schreibt.

Auf diese Art und Weise sind Autoren wie Jürgen Kehrer aus Münster, Gabriella Wollenhaupt aus Dortmund, Peter Meisenberg, Christoph Gottwald aus Köln, das Krimi-Trio Leenders/Bay/Leenders vom Niederrhein und noch etwa drei Dutzend andere neue, junge Autoren in die deutsche Krimi-Szene vorgestoßen, und haben sich kontinuierlich entwickelt.
Von mindestens ebenso vielen anderen, die nach dem ersten, zweiten oder spätestens nach dem dritten Roman verschwanden, weil sie vielleicht doch noch einen ordentlichen - oder vielleicht auch nur einen besser bezahlten Job als den des Krimi-Autors gefunden haben, wollen wir an dieser Stelle nicht zu reden. In der Musik-Branche nennt man solche Sternschnuppen "One-Hit-Wonder", im Krimi-Geschäft wäre vielleicht "One-Kill-Only" der passende Begriff...

Was ist - um zum Ende zu kommen und natürlich nicht auf die bei solchen Anlässen übliche Entwicklung einer Perspektive zu verzichten - was ist also aus dem Nischenprodukt Regionalkrimi geworden und was wird aus ihm werden? Längst haben andere regionale Verlage in anderen Regionen versucht, das Erfolgsrezept zu duplizieren - es gibt in Köln einen weiteren Verlag mit regional orientiertem Krimi-Programm, es gibt sogenannte "Grenzlandkrimis" aus dem Raum Aachen und einige weitere Versuche, die eigene Region mit Kriminalromanen zu überziehen - bis hin zu rührigen Nachwuchs-Autoren, die mangels eines zum Engagement bereiten Verlages vor Ort ihren eigenen Regionalkrimi-Erfolg in eigenen Verlag publizieren.

Als Zielgruppenkrimi sieht sich der Regionalkrimi im Augenblick einer Vielzahl von anderen Zielgruppen-Krimis gegenüber - von denen sich einige als Regionalkrimi-kompatibel erwiesen haben, andere wiederum nicht.
Bestens fügen sich die regionalen Eigenheiten des Regionalkrimis beispielsweise mit dem Historienkrimi zusammen, wie hier ganz besonders die neue Produktion des Kölner Emons-Verlages beweist, der im aktuellen Programm mit "Mord im Biedermeier" von Barbara Becker-Jakli, mit "Der Fall Hildegard von Bingen" von Edgar Noske und mit der Wuppertal-Geschichte "Türkischrot" von Christiane Gibiec den Erfolg von Frank Schätzings "Tod und Teufel" zu klonen, zu erweitern, zu unterstützen und zu untermauern versucht.

Als weitgehend resistent gegen Kreuzungsversuche hat sich der Regionalkrimi beim Polit- oder Agententhriller erwiesen, einem Genre, das ohnehin nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung fast an Bedeutung verloren hat. Lediglich Michael Preute alias Jacques Berndorf führt seinen Helden Siggi Baumeister in seinen Eifel-Krimis immer wieder (oder soll man sagen: immer häufiger?) in zweifelhafte Agentengeschichten.

Eine Verbindung des Regionalkrimis mit dem zuletzt recht erfolgreichen Frauenkrimi scheint es ebenfalls nicht zu geben, obwohl auf den ersten Blick eine solche Alliance eigentlich naheliegen könnte. Doch Sabine Deitmer aus Dortmund weigert sich beharrlich, in ihren Beate-Stein-Romanen die Stadt beim Namen zu nennen und wiedererkennbar zu beschreiben, und die Autorinnen, die in die Gruppe der Regionalkrimi-Schreiber einsortiert werden, lassen in ihren Romanen meist deutlich die für den Frauenkrimi kennzeichnende feministische Grundeinstellung vermissen. So liegt Gabriella Wollenhaupts Journalistin Maria Grappa beispielsweise - wenn ich die Romane nicht völlig falsch verstanden habe - eher etwas an einer heißen Story als an einer ausgeprägten Weltanschauung.

Also: Quo vadis Regionalkrimi? Bei den Recherchen zu diesem Vortrag, beim Sammeln der Zitate, schienen sich plötzlich einige Indizien aufzudrängen, die auf ein bald bevorstehendes Ende des Regionalkrimis hindeuten könnten - weil einige Autoren nun auf einmal - aus welchen Gründen auch immer - die für den Regionalkrimi doch stets als so prägend erachtete Detailtreue und Genauigkeit in der Beschreibung von Land und Leuten zugunsten einer gewissen dichterischen Freiheit aufgeben.
In einem Krimi, der im friesischen Jever angesiedelt ist, führt die Autorin beispielsweise in einer Vorbemerkung aus:

Für dieses Buch war ein schmerzlicher Eingriff in das Stadtbild von Jever unerläßlich: ich mußte auf das Mariengymnasium verzichten. Da diese altehrwürdige, renommierte Lehranstalt, die in diesem Buch geschilderten Probleme meines Wissens nicht hat, blieb mir nichts anderes übrig, als sie verschwinden zu lassen. An ihre Stelle habe ich das vollkommen fiktive Karl-Jaspers-Gymnasium gesetzt.
Quelle: Maeve Carels: hot line, Bastei Lübbe 13920, 1996

Vielleicht ist es deshalb auch nur folgerichtig gewesen, dass der Verlag den Roman im Untertitel als "Internet-Krimi" bezeichnet, obwohl die Geschichte mit dem Internet noch weniger zu tun hat als mit der Stadt Jever.

Als zweites und letztes Indiz schließlich für das langsame Verschwinden des Regionalkrimis eine ähnliche Vorbemekrung aus dem jüngsten Krimi von Reinhard Junge, einem der erfolgreichsten Regionalkrimischreiber - dessen ehemaliger Co-Autor Leo P. Ard im übrigen den Ruhrgebietskrimi als Erfinder und Drehbuchautor der RTL-Serie "BALKO" massenkompatibel gemacht hat. Reinhard Junge also teilt seinen Lesern in einer Autorennotiz mit:

Den Anwohnerinnen der Konsumstraße vielen Dank für manche Inspiration. Sollte aber jemand glauben, Menschen aus der Nachbarschaft oder sich selbst wieder zu erkennen, muss ich ihn (oder sie) enttäuschen: Eventuelle (und keineswegs beabsichtigte) Ähnlichkeiten wären rein äußerlich. Für die schlimmen Gedanken und bösen Taten der Romanfiguren gibt es nur eine Verantwortliche: Die Phantasie des Autors.
Quelle: Reinhard Junge: Strassenfest, grafit 213, 1998

Vielleicht, und damit komme ich zum Schluß, ist das endlich der Befreiungsschlag, den der Regionalkrimi braucht, um sich aus seinem regionalen Gefängnis zu befreien: Die Phantasie der Autoren.
Vielen Dank.


Verwendete Quellen:
Primärliteratur:
Ard/Junge: Das Ekel von Datteln, Köln: Pahl-Rugenstein, 1989,(später: Grafi Krimi)
Ard/Junge: Das Ekel schlägt zurück, Dortmund: Grafit, 1990,
Wolfgang Burger: Mordsverkehr, Köln: Zebulon 1998
Maeve Carels: hot line, Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe 13920, 1996
Niklas Frost: Extratour, Köln: Emons Verlag. Düsseldorf Krimi, 1998,
Hesse / Niermann: Der Rabe, Köln: Emons-Verlag, Niederrhein-Krimi 2, 1998
Reinhard Junge: Strassenfest, Dortmund: Grafit 213, 1998
Jürgen Kehrer: Das Schapdetten-Virus, Dortmund: Grafit 205, 1997,
Gabriella Wollenhaupt: Grappa und die Fantastischen Fünf, Dortmund: grafit 76, 1997
Thomas Ziegler: Überdosis, Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe 19524, 1988
Jan Zweyer: Glück auf, Glück ab, Dortmund: grafit 212, 1998,

Sekundärlitertur:
*Karl Heinz Diessmann/Ralf Wesselowski: Morde sind die langweiligsten Fälle - Ein Gespräch mit Conny Lens, in: Erhard Schütz / Jochen Vogt (Hrsg.) Schimanski & Co - Krimiszene Ruhrgebiet, Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen, 1996 , S. 44-47 Erstveröffentlichung der Zeitschrift Jederart, Essen

*Bernd Frye: Krimi-Wissenschaften, Feature, Deutschlandradio Köln, Studiozeit, 4.12.1997 (Manuskript)

*Erhard Schütz/Jochen Vogt: Krimi-Kulisse Kohlenpott, in: Schütz/Vogt (hrsg.) Schimanski & Co - Krimiszene Ruhrgebiet, Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen, 1996 , S. 44-47

*Erhard Schütz/Jochen Vogt (hrsg): Shimanski & Co - Krimiszene Ruhrgebiet, Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen, 1996

Quellen im Internet:
LEXIKON DER DEUTSCHEN KRIMI-AUTOREN
http://ourworld.compuserve.com/homepages/karr_wehner/lexikon.htm
DAS SYNDIKAT - Autorengruppe deutsche Kriminalliteratur
Krimi-Forum
http://www.krimi-forum.de

credits:
Reinhard Jahn - Was ist ein Regionalkrimi?
Vortrag, gehalten am 8.1.2000, Thomas Morus-Akademie Bergisch-Gladbach Bensberg
Erstveröffentlichung: Criminale 2000, Veranstaltungsbrochüre, Essen 2000

Veröffentlichung mit Genehmigung des Autors/Reinhard Jahn
Weiterverbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors

Keine Kommentare: