12.11.20

Story der Woche: Stehenbleiben

H.P. Karr

Stehenbleiben

Nicht bewegen. Ganz ruhig liegenbleiben. Man weiß ja nie, nicht wahr? Da kann einiges kaputtsein, ohne dass man es merkt, wenn man so liegt. Aber dann - eine Bewegung - und zack! Schädelbasisbruch. Schrecklich, sowas.

Sei'n Sie froh, dass ich Sie hier gefunden hab. Ist ja kaum einer unterwegs, um diese Zeit. Was machen Sie da eigentlich noch draußen? Sein Sie bloß froh. Ich bin stehengeblieben. Andere wären weitergegangen. Aber ich bleib immer stehen. Ich bin einer von denen, die immer stehenbleiben.

Egal, was da ist, ich bleib immer stehen. Man muß ja wissen, was so passiert ist, nicht wahr? Erstmal gucken. Ob da Blut ist oder nur ein Blechschaden, oder wieviele da auf der Straße liegen. So wie Sie, ja. Ganz ruhig, nicht bewegen. Immer dran denken - Schädelbasisbruch und so weiter, ja? Das kann ganz schnell gehen - nur eine Bewegung... und zack.

Wie Sie da liegen, in dem ganzen Blut! Wo kommt das her? Alles aus dem Hinterkopf? Sieht ja böse aus. Geht das bis auf den Knochen?

Die Nummer von dem Wagen haben Sie nicht gesehen, oder? Der hat Sie ja voll mitgenommen. Und einfach weitergerast. Aber so, wie Sie da an der Ecke gestanden haben - der musste Sie einfach mitnehmen. Sie müssen da besser aufpassen! Die Lewute nehmen ja heutzutage überhaupt keine Rücksicht mehr.

Nicht bewegen. Das kann ganz schnell gehen.... Nur ein e Bewegung - und: zack!

Ein Krankenwagen wär jetzt ganz gut, oder? Irgend jemand müsste mal anrufen. Aber so sind die Leute - da macht keiner einen Finger krumm.
He? Was ist? Sind Sie tot? Ich weiß nicht, wie das ist… Ich hab noch keinen richtigen Toten gesehn. He… am besten Sie bleiben liegen. Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin ja bei Ihnen.

ENDE

Das Krimi-Überfallkommando
(Foto: Stephan von Knobloch)
H.P. Karr: Stehenbleiben
Aus dem Programm des Krimi-Überfallkommandos, 2019
© by author / Reinhard Jahn
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