8.4.08

Minck & Minck: totgepflegt

Gewöhnlich geht es hier im Bochumer Krimi-Archiv ruhig zu. Doch dann kam Maggie Abendroth, Ende 30, hochambitioniert, hyperaktiv - und ausgestattet mit einer Überdosis jenes sentimentalen Sarkasmus’, der nur einer Gattung Mensch vorbehalten ist: den Drehbuchautoren von Fernsehserien. Ex-Drehbuchautorin im Fall von Maggie Abendroth. Denn sie hat ihr jüngstes Skript für einen großen Sender in Köln total in den Sand gesetzt.

"Ich hatte es wirklich komplett und final vermasselt. Würde mir jetzt BITTE ein mitfühlender Freund mit einem Samurai-Schwert aus zwölffach gefälteltem Damaszenerstahl den Kopf abschlagen, damit ich nicht so lange leiden muss?

Nein, keine Sorge, so schlimm kommt es nicht. Denn Maggie weiß, wo sie nach dem Fiasko steht: nicht nur knietief im Dispo und vor den Trümmern ihrer beruflichen Karriere, sondern auch vor einem neuen Anfang. Ausgerechnet in Bochum, in einer Souterrainwohnung, mit einem Fernseher mit 28er Bildschirm, einem leeren Kühlschrank, einer zugelaufenen Katze und einem Brief ihres freundlichen Betreuers vom Arbeitsamt:

"Ich sollte mich bei einer Firma namens Pietät Sommer vorstellen, als Bürokraft. Pietät bedeutete doch Bestattungsinstitut, oder täusche ich mich? Ich, Margret - genannt Maggie - Abendroth, 37 Jahre alt, sollt acht Stunden am Tag in einem Bestattungsinstitut verbringen?

Ja, das Leben springt hart um mit Maggie Abendroth, so hart wie das Leben eben spielt in einer Komödie. Im Büro der "Pietät Sommer" arbeitet sie quasi Auge in Auge mit Gevatter Tod...

"Pietät Sommer, Sie sprechen mit Margret Abendroth, was kann ich für Sie tun?"

...und lernt in Rekordzeit nicht nur alles über Feuer- und Erdbestattungen, sondern auch, dass ein Thanatopraktiker ein Einbalsamierer ist, ein Leichenwagen Thanatomobil heißt und vor allem, dass bei einer Trauerfeier jeder Handschlag - pardon: jeder Handschuh eines Sargträgers - extra kostet. Apropos Thanatopraktiker: Das ist bei der "Pietät Sommer" der schweigsame Finne Matti mit dem unausprechlichen Nachnamen, der schon bald eine seltsame Zuneigung zu Maggie entwickelt. Eine Zuneigung, die so weit geht, dass er angesichts einer aktuell eingelieferten Verstorbenen zum vertraulichen Gespräch in den Leichenkeller bittet:

"Herr Matti, ich sehe nichts. Was ist denn?"
"Da."
"Flusen, ein gelber Flusen."
"Warum?"
"Und?"
"Immer gelbe Flusen. Ganz oft."
"Na schön. Gelbe Flusen. Woher kommen die? Trägt der Sensenmann doch nicht Schwarz?"
"Frau Abendroth!"

In ihrem früheren Leben als Fernsehspaßvogel hätte Maggie Abendroth aus der Situation ein brüllend komisches Drehbuch geschneidert. Aber das wirkliche Leben ist eben kein "Marienhof", deshalb drängt sich ihr hier, unten im Leichenkeller der Pietät Sommer, eine ganz andere Frage auf: Was versuchte der Finne mir zu sagen?

Wobei die Antwort so klar auf der Hand liegt wie die gelben Flusen auf den Lippen und den Augenlidern der Verblichenen...

"Es geht um die Flusen. Die gelben Flusen."
"Ja und weiter, Herr Matti."
"Ich habe das schon oft gesehen. Etwas stimmt nicht."
"Was soll womit nicht stimmen? Wie viele Leichen mit gelben Flusen haben Sie denn gesehen?"
"Ganz genau weiß ich das jetzt nicht mehr. 20 oder 25."
"So viele? In welchem Zeitraum denn?"
"Anderthalb Jahre."
"Sehen Sie denn einen Zusammenhang, Herr Matti?"
"Die Flusen."
"Ja, abgesehen davon."
"Alle sind sehr alt gewesen. Alleine."

Damit wird die Komödie zum Krimi. Dem Autorenteam Minck und Minck gelingt der Spagat zwischen den beiden Genres ganz ausgezeichnet. Was Maggie Abendroth und ihr wortkarger finnischer Vertrauter nach und nach über die dubiosen Geschäfte der "Pietät Sommer" und des mit ihr verbandelten Pflegedienstes herausfinden, das ist, bei allen Slapstick-Einlagen, eine wirklich gute - weil realistisch aufgezogene Kriminalgeschichte. In der findet Maggie Abendroth schließlich ihre wirkliche Rolle - als Schnüfflerin auf Miss Marples Spuren, mit Mutterwitz und Bodenhaftung. Eine wie wir sie hier lieben, im Ruhrgebiet, in Bochum. Auch wenn sie mitunter ziemliche Unruhe ins Krimi-Archiv bringen.
Autor: Reinhard Jahn

Minck & Minck
totgepflegt
Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab
Droste-Verlag

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