5.12.17

Der Mord nach Rezept-Adventskalender
5. Dezember

Dein Krimi für den 5. Dezember

Galgenvögel

Von Manfred Mainau

Gerhard Marten schien als einziger die Hilferufe der Schwimmerin zu hören. Er warf sich ins Wasser und schaffte es, die junge Frau im Rettungsgriff an den Strand der Cote d'Azur zurückzubringen.
    Er verschwendete keinen Blick auf ihre attraktiven Körperformen, sondern begann sofort mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung. Nach einigen Minuten kehrte das Leben langsam in ihren Luxuskörper zurückkehrte. Ein dankbarer Blick als hellen, blauen Augen traf Marten. »Sie haben mir das Leben gerettet, Herr...«, hauchte sie.
    »König«, stellte er sich vor. »Gerhard König.« 
    »Mein Name ist Jennifer de Blanco!«, lächelte sie. »Wie kann ich Ihnen nur danken?«   
    »Gehen Sie heute Abend mit mir essen!«
    Marten half ihr galant beim Aufstehen. Ein großer, blondgelockter Bursche war plötzlich neben sie getreten. Er sah Marten geringschätzig an.
    »Ist dir etwas passiert, Jennifer?«   fragte er. Dann sah er Marten an. »Herr... Marten?« 
    »Tut mir leid, aber mein Name ist König«, sagte Marten. »Von den Marten-Stahlwerken in Düsseldorf.« 
    »Wenn wir uns nicht kennen«, sagte der Blondgelockte mit einem süffisanten Lächeln, »dann muss ich mich Ihnen wohl vorstellen. Mein Name ist Lamarche, Philippe Lamarche.« 
    * * *
Der Abend mit Jennifer begann nach Martens Geschmack recht vielversprechend. Beim Aperitif erfuhr er, dass sie aus Madrid stammte und ihr Vater ein großes Juweliergeschäft besaß. »Ich bin Papas liebstes Vorführmodell«, sagte sie kokett. »Auf diese Reise hat er mir eine ganze Kollektion mitgegeben.«   Sie lachte. »Der Hoteldetektiv hat mich zwar beschworen, alles im Safe aufzubewahren, aber ich habe mich geweigert. Schließlich ist der ganze Schmuck ja versichert.« 
    Eine schwere Hand legte sich von hinten auf Martens Schulter. »Hallo Herr Marten... Verzeihung - König«, grinste Philippe Lamarche. »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich mich ein wenig zu Ihnen setze.« 
    »Ihr beide werdet euch doch jetzt nicht etwa streiten?«, vermittelte Jennifer.
    Marten konnte nur schwer seine Wut unterdrücken, denn er hatte lange genug darauf gewartet, einen solchen Goldfisch wie Jennifer kennenzulernen. Doch Lamarche war wie eine Klette.
    Als sie aufbrechen wollten, zog Marten seine wohlgefüllte Brieftasche und rief den Ober.
    »Aber nicht doch!«   Lamarches Brieftasche war ebenso gut gefüllt. Er drückte dem Ober ein paar Geldscheine in die Hand. »Es ist mir eine Freude, Herr... König!« 
    * * *
Auf dem Parkplatz verabschiedete sich Jennifer. »Danke für den reizenden Abend, Philippe!«   Sie küsste zuerst Lamarche auf die Wange, und dann Marten. »Und dir natürlich auch, Gerhard!« 
    Nachdem Jennifers Taxi abgefahren war, packte Marten Lamarche.«  Jennifer gehört mir!«   zischte er. »Und nenne mich gefälligst nicht immer Marten!« 
    Lamarche machte sich frei und zeigte auf den Schaukasten mit Fahndungsplakaten der Polizei am Rand des Parkplatzes.
    »Da steht es doch, unter deinem Bild: Gerhard Marten, gesucht wegen Hochstapelei und Hoteldiebstahl!« 
    »Und hier?«   Marten zeigte auf einen Steckbrief mit Lamarches Bild. »Da steht Gaston Monte, Heiratsschwindler.« 
    »Sieh mal!«,   sagte Lamarche plötzlich. »Da hat man noch einen Steckbrief aufgehängt.«   Marten schluckte. Kein Zweifel - das Foto zeigte Jennifer. »Juanita Cordobez, Taschendiebin«, las er.
    Lamarche tastete nach seiner Brieftasche. Er fand sie nicht.
    Marten grinste. Erst als er nach seiner eigenen Brieftasche greifen wollte, begriff er, dass er sich zu früh gefreut hatte.





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Manfred Mainau: Galgenvögel
Bildwoche Heft 30/1994
© Autor/Jahn facts&fiction