28.3.11

Criminale Crash 3/3


Eine wahre Geschichte
Von MJ Hammer
Aufgezeichnet von H.P. Karr

Was bisher geschah

In dem Keller war es so heiß wie im Arsch der Teufels. Im schwächlichen Licht der schwächlichen Glühbirne bibberte der Schwächling vom Krimi-Archiv vor sich hin. Sie hatten uns an ein Regal gebunden, auf dem ein paar komische Dinge standen, die wohl die Glauser-Preise darstellen sollten. Als ich wach wurde, dröhnte mir der Schädel. Den Geschmack in meinem Mund beschreibe ich Ihnen lieber erst gar nicht.
Das Weichei grinste schief. »Konfuzius sagt: Man trifft sich immer zweimal im Leben.«
Das hat zwar mein Dad gesagt, aber ich hatte im Moment andere Sachen im Kopf, als mich mit ihm darüber zu streiten. »Sagt Konfuzius auch was darüber, wie man aus dem Keller von so einer abgewrackten Stadthalle rauskommt, wenn man an Regal mit skurrilen Krimipreisen festgebunden ist?«
»Er sagt: Der Preis ist heiß!«

Zuerst dachte, dass er in der Hitze total durchgeknallt wäre, aber dann sah ich, was er meinte. Da, wo mich die Schwestern festgebunden hatten, stand einer von den alten Glausern, ein schrilles Metallteil mit ordentlichen Kanten, an denen ich den Strick durchscheuern konnte, mit dem sie mich festgebunden hatten.
»Sie wollen uns gleich holen und dann auf einer Podiumsdiskussion fertig machen!«, sagte das Weichei.
»Scheiße«, sagte ich.
»Das gefällt mir an dir«, sagte er. »Du bist so konstruktiv.«

Ich rubbelte weiter und nach fünf Minuten lief mir der Schweiß so runter, dass ich jeden Wet-T-shirt Wettbewerb gewonnen hätte. Das Weichei kriegte Stielaugen und leckte sich die Lippen.
»Ha«, sagte ich. »Scheinst ja doch ein Kerl zu sein.«
»Kommt immer auf die Frau an«, sagte er.
»Klar!« Endlich hatte ich den Strick durchgerubbelt. »Immer hängt's von uns ab!« Ich machte mich auf die Suche nach einem Ausgang.
»Mach mich los!«, kreischte das Weichei hinter mir.
»Selbst ist der Mann!«

Die Stahltür, vor der ich stand, sah gut aus. Ich machte sie auf. Dahinter sah es nicht mehr so gut aus, denn da standen Mister Ali mit dem Hut und eine ziemliche Ecke, mit einem Bizeps, wie ich ihn bisher nur bei der »Tödlichen Doris« gesehen hatte. »Na, was hab ich sagt, Thomas«, meinte Ali. »So leicht lässt sich unsere amerikanische Freundin nicht unterkriegen!« Der Typ, der Thomas hieß, packte mich, während Ali das Weichei losband. Dann stießen sie uns beide über die Treppe nach oben. »Los! Aufs Podium, zum Kreuzverhör!«

* * *

Im Vergleich zu dem Zeug, das uns auf dem Podium bei der Diskussion um die Ohren flog, waren die Schlammringkämpfe in Terrys Blue Bar eine blitzsaubere Sache. Die Figuren, mit denen wir auf dem Podium hockten, waren noch schlimmer als mein Freund, das Weichei. Einer war ein Professor, der allen Ernstes die Wörter in Krimis gezählt hatte; dann waren da noch ein paar Bullen von der Polizei, die bloß meinten, die Krimischreiber hätten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und natürlich die Krimischreiber selber: »Wir müssen …« - »Wir wollen …« - »Wir fordern …«
Und es war ganz klar, wer bei der Nummer die Arschkarte hatte: das Weichei und natürlich ich: »Dein Vater ist doch an allem Schuld!«

»Du musst nur sagen, dass dein Dad ein Trottel ist!«, raunte der eckige Thomas neben mir. Der Kerl zog hier offenbar die Strippen und hatte den Charme einer Kettensäge. »Dann lassen wir dich laufen. Also spucks lieber aus!«

»Wenn hier einer was ausspuckt, dann du deine Zähne!«, knurrte ich. Der eisenharte Griff, mit dem er meine Hand unter Tisch fest hielt, verstärkte sich.
Das Weichei war noch schlimmer dran, denn den hatten gleich zwei im Griff: Die Mylady und der Ali mit dem Hut. Trotzdem hielt er sich ganz gut. Er hielt sich sogar sehr gut.

»Ihr bildet euch wohl eine Menge ein«, sagte er auf einmal. »Wollt ihr tatsächlich behaupten, dass ihr nie was von Enid Blyton gelesen habt? Oder Nancy Drew?« Die Ladys unten im Publikum hielten schlagartig die Klappe. Die »Apothekerin« kippte nach hinten und musste mit ihrem Riechfläschchen wiederbelebt werden. Dabei war das Weichei war noch längst nicht fertig: »Ihr bildet euch tatsächlich ein, dass ihr den Krimi ganz alleine erfunden habt? Dass es Edgar Allan Poe und Conan Doyle nie gegeben hat?« Jetzt waren auch die Kerle geplättet. Ich auch, nebenbei gesagt. Das Weichei war auf einmal richtig hartgekocht. »Und was ist mit Chandler, Hammett, Cain und Gardner?«, brüllte er und schoss in die Höhe. »Mal abgesehen davon, dass die den Krimi erst richtig nach vorn gebracht haben: Die haben auch viel mehr geschrieben als ihr. Wahrscheinlich, weil sie nicht so viel übers Schreiben gequatscht haben. Weil die auf den ganzen Theorieblödsinn gepfiffen haben. Die hatten nur eine Regel: Du sollst keine langweiligen Geschichten schreiben.«

Er starrte in den Saal. Es war so still, dass man den Kakerlaken beim Vögeln zuhören konnte. »Okay«, sagte das Weichei und sah zu mir rüber. Was soll ich sagen - da war was in seinem Blick, was mir bis unter die Zehennägel ging. »Wenn ihrs den Amerikanern zeigen wollt, dann zeigts ihnen, indem ihr besser seid. Aber dafür müsst ihr erstmal genauso gut werden wie der alte Herr von der Lady hier. Der hat's nämlich wirklich draufgehabt, und wenn ich mich fragt, dann ist es eine Schande, dass seine Bücher hier nicht mehr gekauft werden.«

Ich hatte gar nicht mitgekriegt, wie der eckige Thomas meine Hand losgelassen hatte. Er glotzte das Weichei fassungslos an.
»Und außerdem«, sagte das Weichei leise, aber seine Stimme war auf einmal hart wie der Stahl, »wenn ihr der Lady hier...«, er zeigte auf mich, »was tut, dann kriegt ihr es mit mir zu tun!«

Wow!

Ich meine, nicht dass ich es nicht auch selber geschafft hätte, aus dieser Nummer rauszukommen. Aber irgendwie war mir doch ganz schummrig, denn der letzte Kerl, der mal so was für mich getan hatte, war mein Dad gewesen. Ich war damals gerade acht und die Mädels von der Straßengang in unserem Viertel hatten es auf mich abgesehen gehabt, weil ich mit dieser Scheiß-Zahnspange rumlaufen musste.
Das Weichei kam zu mir rüber und nahm meine Hand. Im Saal rührte sich nicht mal ein Schweißtropfen. »Komm, Baby!« Er zog mich von dem Podium. »Besser, wir sind weg, ehe die schnallen, was ich gesagt habe.«
Zum ersten Mal war ich mit ihm einer Meinung. Und ehrlich, keiner wunderte sich mehr drüber, als ich selber.

* * *

In der Hotelbar flößte ich ihm erstmal einen Drink ein, während sich um uns herum sich die Jungs und Mädels von diesem SYNDIKAT die Kante gaben, als wäre morgen wieder Prohibition. Langsam beruhigte sich mein Freund, das Weichei. »Denen hab ich's aber gegeben!«, brabbelte er.
»Cool«, bestätigte ich.
»Das musste mal gesagt werden.«
»Und du hast es ihnen gesagt!«
Er strahlte mich an. »Ich habs für dich getan.«
»Na komm …«

Er war auf einmal ganz nah bei mir. In seinen Augen war was, was mir den Barhocker unterm Arsch wegzog. Nicht, dass ich nicht schon vorher mal dem einen oder anderen Kerl in die Augen gesehen hätte... aber der hier, der konnte einen angucken...
»Was ich da gestern über die Sache mit der Potenz gesagt hab, war Scheiße«, meinte er.
Ich hatte was im Hals und musste mich räuspern. »Na, das wollen wir doch nicht hoffen!«.

»Sag mal«, raunte er mir ins Ohr. »Du hast doch hier'n Zimmer, oder?«
Ich musste kichern. »Willst du etwa meine Kriminalromansammlung sehen?«
»Aber immer.« Er kicherte richtig süß. »Aber eigentlich«, sagte er, »passen wir ja gar nicht zusammen.«
»Scheißdrauf«, sagte ich.
Er grinste. »Ja, genau! Scheißdrauf!«
Dann küsste er mich. Danach war ich so fertig, dass er es war, der mit einen Drink einflößen musste.
Auf dem Weg aus der Bar mussten wir uns gegenseitig stützen. »Damit eins klar ist..«, sagte ich. »Ich bin eine Dame.«
Seine Hände machten sich auf mir selbständig. »Stimmt.«
»He«, sagte ich. »Für die coolen Sprüche bin ich zuständig.«
Irgendwie schafften wirs zum Lift und oben sogar bis zu meinem Zimmer. Wir purzelten aufs Bett und verknoteten uns ein bisschen ineinander. Zwischendurch fiel mir noch was ein: »Sag mal …«
»Ja?«
»Wie heißt du eigentlich?«

ENDE

Criminale Crash
(C) beim Autor
Jede weitere Veröffentlichung mit mit schriftlicher Genehmigung

27.3.11

Criminale Crash 2/3


Eine wahre Geschichte
Von MJ Hammer
Aufgezeichnet von H.P. Karr

Was bisher geschah

Die ganze Stadt war ein Witz. Angeblich war sie die größte Stadt am mittleren Niederrhein, aber ich kann Ihnen sagen, ich hab bei uns schon Parkplätze gesehn, die größer sind. Und interessanter. Die hielten hier tatsächlich ihre zwei Hochhäuser für eine Skyline und waren stolz auf die hundert Meter plattierten Elends, das sie Fußgängerzone nannten. Am Südausgang des Bahnhofs hingen ein paar Gestalten herum, die versuchten, wie Junkies auszusehen, aber was da in einer Stunde an Stoff verdealt wurde, jagt man sich bei uns im Big Apple schon zum Frühstück in die Vene.

Ich hatte Mister Weichei irgendwo bei Düsseldorf aus dem Wagen geschmissen, nachdem er mir die Fakten gegeben hatte, aber sein Angstschweiß hing immer noch in dem Mustang. Deswegen hatte stand die Karre jetzt auch quer über drei Stellplätze auf dem Parkplatz des »Holiday Inn«, in dem ich letzte Nacht den verpennten Nachtportier erstmal mit ein paar Klappsen auf den Hinterkopf auf Vordermann hatte bringen müssen, um ein Zimmer zu kriegen.

Nur ein paar hundert Meter von Hotel von der Speicker Straße weg, durch die Stadt an einem Krankenhaus vorbei, war diese »Kaiser Friedrich Halle« - ein Ding wie Barbies Ferienhaus - mit einem grünen Dach und Säulen am Eingang.

»Criminale« hieß es auf dem Transparent über dem Portal. Wenn mich das Weichei nicht angelogen hatte, trafen sich da gerade die ganzen Hotshots des neuen deutschen Krimis. Der Bücherwurm hatte mir noch gesagt, dass die Typen vom SYNDIKAT diese CRIMINALE jedes Jahr in eine anderen Stadt aufzogen und am Ende immer ein Preis - Glauser oder so - für den angeblichen besten deutschen Krimi verliehen. Ganz klar - wenn es wirklich was über den deutschen Regionalkrimi zu erfahren gab, dann hier.

Der goldbetresste Portier drückte mir einen blutroten Stempel auf den Handrücken und ließ mich ins Foyer. Da sah ich sie dann, die Typen, die meinem Dad und seinen Büchern hier das Wasser abzugraben versuchten. Ein smarter kleiner Bursche in Fussballdress war wohl so was wie der Obermax - jedenfalls quatschte er endlos in die einzige Fernsehkamera, die da war. Das heißt - gerade als ich reinkam, drängelte sich hinter mir noch ein kleiner, dreckiger Kameramann mit Rangerweste und ausgelatschten Turnschuhen durch. »Wieder mal zu spät, Gonzo?«, kicherte jemand, ohne dass der Typ sich irgendwie dran störte.

»Hi Ma'm!« Ein Kerl mit einer Figur, mit der er bei uns sofort einen Job als Kaufhausweihnachtsmann gekriegt hätte, grub mich von der Seite an. »Pleased to meet you!« Sein Hut war von besserer Qualität als sein Englisch. »Wir haben schon gehört, dass Sie kommen!« Außerdem meinte er, er hieße Ali oder so und würde mich gern ein bisschen rumführen.

Auf den Büchertischen sah ich den Kram, wegen dem ich hergekommen war: Regionalkrimis. Sahen eigentlich aus wie normale Krimis, aber dann stand immer noch drauf, was drin war: Allgäu oder Borkum oder Pfalz oder Mecklenburg-Vorpommern (was immer das auch sein mochte). Und ich sah die Leute, die das Zeug schrieben - ganz normale Jungs und Mädels eigentlich, denen man so gar nicht ansah, dass sie was mit Allgäu oder Mecklenburg-Vorpommern zu tun hatten. Mister Ali übergab mich an eine smarte Schwarzhaarige die alle nur Mylady nannten. Mylady meinte, sie sei hier direkt aus Mönchengladbach, hätte aber auch ein nettes Schlösschen auf der Insel - so genau weiß ich das nicht mehr - und ich müsse unbedingt die »Schwestern« kennen lernen.

Ehe ich mich umgucken konnte, saß ich auch schon mit den Damen bei Eierlikör und Herrentorte im Hallen-Café und wurde von der Bande über meine Fights mit der »Tödlichen Doris« ausgequetscht. Das Englisch der Damen war auf alle Fälle besser als ihr Eiergesöff. Gerade als sie mich zur Ehrenschwester machen wollten, kriegte ich mit, was die eine, die gerade reinkam, mit Mylady tuschelte. Es hörte so was wie: »Wir haben den Typ! Unten im Heizungskeller. Windet sich wie ein Wurm...«

Fragen Sie mich nicht, warum ich sofort an Mister Weichei denken musste. »Was für einen Wurm?«, fragte ich.
Kaltes Schweigen.
»He, Schwestern«, grinste ich. »Wir gehören sich zusammen!«
Wenn ich will, kann ich ein ganz schön hinterhältiges Aas sein. Sogar bei Schwestern.

»Der Bücherwurm hat sich unbeliebt gemacht!«, sagte die Lady schließlich. »Schreibt ständig Aufsätze darüber, dass der deutsche Krimi wieder echte Kerle braucht und keine starken Frauen. Diese Leseratte mit ihrem Krimi-Archiv! Aber heute Abend zeigen wir ihm, wozu starke Frauen in der Lage sind!« Sie gossen mir noch was von dem Eierzeug ein und stießen mit mir an. »Übrigens«, sagte eine, die ganz gemütlich aussah, und die sie die »Apothekerin« nannten: »Der Wurm hat uns auch erzählt, warum du hier bist, MJ …«

Schlagartig war mir klar, warum mein letztes Glas mit dem Eierzeug so komisch schmeckte und warum die Schwester die »Apothekerin« hieß. Es war dann auch vorerst das Letzte, was mir klar wurde, denn dann gingen mir alle Lichter aus.

Fotzsetzung folgt ... hier

Criminale Crash 1/3

Eine wahre Geschichte
Von MJ Hammer

Aufgezeichnet von H.P. Karr


Endlich war mir klar, warum man nur als Kerl so ein richtig harter Schnüffler sein konnte - weil man nur als Kerl einfach in seine leere Bierdose pissen kann, wenn man bei einem Job nicht mal so einfach um die Ecke konnte. Ich hatte mir vorhin an so einem Schuppen, den die Leute hier »Kiosk« nannten, ein Sixpack geholt und war schon bei der dritten Dose. In absehbarer Zeit würde sich hier also ein Problem ergeben, denn ich stand mit meinem gemieteten Mustang in dieser runtergekommenen Straße und konnte nicht mal eben ein paar Kilometer bis zum nächsten Ladies Room fahren.
Als mir mein alter Herr vor drei Jahren schrieb, dass er nun doch endlich in so einen Rentnerschuppen in Jersey ziehen würde, wo sie einem vor dem Essen den Mund und hinterher den Hintern abwischen, da hatte ich gerade diesen Job in Terrys Blue Bar, bei dem ich mir dreimal am Abend von der »Tödlichen Doris« beim Schlammcatchen die Titten einsauen lassen musste.

Also dachte ich mir, dass es nur besser werden konnte, wenn ich Dads Laden übernahm. Der Alte hatte nichts dagegen und zwei Unterschriften später war ich eine Schnüfflerin. Ich musste noch nicht mal die Schrift auf dem Milchglas an seiner Bürotür ändern: M. Hammer, Private Investigator. Ach so, ja: Mein Name ist Hammer, MJ Hammer. Sie haben vielleicht mal was von meinem alten Herrn gelesen. Er hatte da mal mit einen ziemlich eckigen Kerl über ein paar von seinen Fällen geplaudert, und der Typ hat dann eine Menge drumrumgedichtet und den ganzen Kram als Bücher verkauft. Von dem Kram ist für die beiden jahrelang Geld rübergekommen.
Als die anderen harten Kerle aus der Branche mitkriegten, dass ich da auf einmal mitmischen wollte, grinsten sie sich erstmal eins, und ich hörte sie rumtuscheln, dass das einzig harte, was ich brauchte, ein richtig harter … Sie wissen schon, wäre.

Der Erste, der's mir dann ins Gesicht sagte, hatte hinterher ein paar Sitzungen bei seinem Zahnarzt und das Gequatsche hörte schlagartig auf.
Das Kaff, in dem ich hier im Moment hockte, nannte sich Duisburg, und der Erste, von dem ich's gehört hatte, war ein kleiner rothaariger Kerl aus San Francisco, der dauernd »Düffburch« sagte; aber er sagte auch dauernd »Fan Sranciffco«, weil ihm vorne ein paar Zähne fehlten, was mit irgendeiner »alten Feschichte« mit einem Vogel zusammenhing, einem Geier oder einem Falken oder so was - ich habs vergessen. Die Gegend hier im Hafen sah gar nicht mal so übel aus, alles sauber und proper, wie man es sich bei den Krauts halt so vorstellt. Mir steckte noch das Jetlag von New York-Düsseldorf (oder »Düffeldorf«, wie mein rothaariger Freund gesagt hätte) in den Knochen. Der Steward hinten bei uns Economy-Paxen war ein drahtiger Latino gewesen, mit Feuer in den Augen und einer Menge Haaren auf der Brust, wie ich feststellte, als wir kurz vor Irland auf dem Erster Klasse-Klo ein bisschen Spaß hatten.

Am Ende der Straße im rausgeputzten Neuen Hafen lag der Laden, auf den ich ein Auge hatte, weil ich mich da mit dem Kerl verabredet hatte, von dem ich angeblich erfahren konnte, wie das hier alles zusammenhing. Über der Tür hieß es in rotem Neon »Schimanski's«. Inzwischen war es Abend geworden, die Sonne verdampfte in den Ölschlieren im Hafenbecken, und ich überlegte gerade, ob ich es nicht vielleicht doch schaffen konnte, in meine Bierdose zu pissen, als der Typ auftauchte.
Klein, grau, Strickpullover, Jeans aus dem Vierte-Hand-Laden, ausgelatschte Sandalen und Pferdeschwanz. Mit einem Wort: Mister Schlaffschwanz persönlich. Er kam von der Bushaltestelle rüber und steuerte auf den Bums zu. Ich glitt aus dem Wagen. Man konnte richtig sehen, wie bei ihm der Groschen fiel und er begriff, dass ich nicht das doofe Collegegirl aus Minnesota war, das ich ihm am Telefon vorgespielt hatte. Er versuchte noch abzuhauen, aber ich kriegte ihn an der Schulter packen, riss ihn herum und rammte ihm das Knie dahin, wo Männer es gar nicht mögen. Er heulte auf. In seinem Blick spiegelten sich die letzten roten Strahlen der Sonne und seine Angst. Ich schob ihn in die Einfahrt neben dem »Schimanski's«.

»Okay, Baby«, sagte ich, während ich nach unten langte und zupackte. »Wir unterhalten uns jetzt gepflegt oder ich drücke zu.«

»Wa …«
Widerlich, wie er herumjammerte.
Ich griff fester zu. »Sag goodbye zu deinen Kindern!«
»Waaa … was denn bloß!«, quietschte er wie ein Tele-Tubbie.


Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann sind das Kerle, die um Gnade winseln. Ich hatte auch schon ausgeholt, um ihm ein paar aufs Maul zu geben, als ein Bursche in einer schmuddeligen Jacke durch die Einfahrt kam und »Scheiße« brüllte. Normalerweise keine große Sache, so ein Kerl - immerhin habe ich dreimal am Abend die »Tödliche Doris« Schlamm fressen lassen - aber der hier krakeelte rum, dass er von der »Krippo Düssburch« sei. Das hier wär sein Revier, und deshalb würde es hier jetzt gleich rundgehen.


* * *


Wir rasten aus Düssburch oder Duisburg oder wie auch immer raus. Mister Weichei kauerte auf dem Beifahrersitz. Ich hatte ihn gerade noch in den Mustang schleifen können, ehe der brüllende Penner vollkommen ausgerastet war.

»Wer war das eigentlich?« fragte ich.
»Ein Bulle?«

»Horst?« Das Weichei schniefte. »Horst ist schon lange kein Bulle mehr. Kommt damit gar nicht zurecht!« Das alte Industriezeug neben der Autobahn sah im Mondlicht sah aus wie das Straflager aus »Alien 3«, und ich kam mir vor wie Ripley mit einer extrem schlabberigen Lebensform auf dem Beifahrersitz.
»Sie müssen Hammer sein«, winselte er ein paar Kilometer weiter.
»Bin ich.«

»Hätte ich mir gleich denken können. Ich hab gehört, dass Sie kommen.«

»Von wem?«
Er winselte irgendwas. »Sprich deutlich, solange du noch Zähne hast!«
Er brabbelte was von Freiheitsberaubung, Nötigung, Geschwindigkeitsübertretung und Fahren ohne Sicherheitsgurt und was einem hier bei den Krauts dafür blühen konnte.
»Benimm dich wie ein Kerl!«, sagte ich. »Das ist ja ekelhaft!«
Aber er war halt so ein Büchertyp, hatte eine Krimibibliothek und wahrscheinlich sein Lebtag keinen echten Schnüffler gesehen. Ich kann diese Kerle nicht ausstehen: Verbarrikadieren sich in staubigen Hinterzimmern voller Regalen, blättern sich in ihren Büchern die Finger wund, spielen nachts unter der Decke an sich rum, während phantasieren sich dabei etwas von der Erstausgabe vom »Tiefen Schlaf« mit dem Druckfehler auf Seite 66 zusammen bis es ihnen … na Sie wissen schon.


»Wie haben Sie mich gefunden?«, winselte er, während wir uns einem Kaff näherten, das Mönchengladbach heißen sollte. Die Autobahn hieß A 52, und beides zusammen war so was von einem Witz, dass ich ein trockenes Lächeln zwischen den Zähnen zerkaute. Hier sollte also die neue Krimiszene entstanden sein, wegen der die Zahlen auf den Schecks, die mein Dad von seinem eckigen Freund und dessen Verlag bekam, auf einmal immer kleiner wurden? Lächerlich! Aber ein Job war ein Job, und dieser Job war ein ganz besonderer Job, weil ich für meinen alten Herrn unterwegs war. Ich hatte ihm versprochen, mich darum zu kümmern, als ich letzte Woche draußen in Jersey bei ihm vorbeigeschaut hatte.

»Da geht was komisches vor in Deutschland!«, hatte er gesagt, als ich ihn in seinem Rollstuhl auf die Terrasse schob. »Mickey sagt, unsere Auflagen bei den Krauts sinken. Angeblich gibt's neue deutsche Krimis. Irgendso ein Zeug mit Bayern, Kölnern, Niedersachsen und Friesen« So, wie er das alles sagte, klang es wie der Aufmarschplan für die dritte Invasion. »Nennt sich Regionalkrimi. What the fuck ist dieses regional - kannst du da was rausfinden, MJ?«


Okay, deswegen war ich hier, und deswegen ertrug ich auch das Winseln von Mister Weichei neben mir. Seinen Namen hatte ich von einem kleinen Typen mit Bart und Brille aus Bonn, der meinem Alten mal bei einem Bouchercon über den Weg gelaufen war und der auch Bücher sammelte, aber nicht so daneben war wie der, der da neben mir hockte.

»Bochumer Krimi Archiv!«, hatte der Bonner am Telefon gesagt. »Die wissen alles. Aber die reden nicht mit jedem.«
Also hatte ich mich für ein kurzes Telefonat in ein blödes Collegegirl verwandelt, das für ihre Abschlussarbeit alles über den deutschen Regionalkrimi wissen wollte. Und Mister Weichei hatte es prompt geschluckt.


»Harte Schüfflerin, was?«, zischte Mister Krimi-Archiv neben mir. »Sie bilden sich da wohl eine Menge darauf ein? Was wollen Sie sich damit beweisen? Welches Trauma haben Sie?«

Ich ging in die Eisen. Er knallte gegen die Windschutzscheibe, als der Mustang auf den Standstreifen schlidderte. Ich wartete, bis wir standen. »Willst du mich anmachen? Du? Mich? Ja? Was ist das für ein Scheiß-Trauma, das du mir da einreden willst?«

»Überkompensation weiblicher Minderwertigkeitsgefühle«, krächzte er. »Potenz …«

»Potenz? Red doch nicht von Sachen, von denen du nur mal was gehört!« Mister Waschlappen schrumpfte zusammen.
»Also«, sagte ich. »Dieser deutsche Regionalkrimi. Gib mir die Fakten. Wer? Wie? Wo? Warum? Wie viel?!«


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