19.2.78

Textanfänge in geschriebener und gesprochener Sprache

 


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Grundbegriffe der Textlinguistik

Textanfänge in geschriebener und in gesprochener Sprache




1.     Emische und  etische Texte

2.     Etische Textanfänge

2.1.   Etische Textanfänge und -schlüsse in schriftlicher Sprache

3.     Emische Textanfänge

3.1.   Emische Textanfänge in geschriebener Sprache

3.2.   Emische Textanfänge Sprache

3.2.1. Vorspanntexte

3.2.2. Die Verknüpfung zwischen Vorspann und inkludiertem Text

3.3.  Anfangssätze mit Deiktika vs. Anfangssätze ohne Deiktika

4.    Nichtemische-etische Texte



1. Emische und etische Texte


In seinem Aufsatz »Textanfänge in geschriebener und gesprochener Sprache« (Orbis, XVII (1968), 343 – 388) befasst sich Roland Harweg mit Textanfängen in geschriebener und gesprochener Sprache, wobei unter den Begriff »gesprochene Sprache« nicht die schriftlich konstituierten Texte fallen, die mündlich vorgetragen werden. Als »gesprochene Sprache« gelten vielmehr die Texte, die dem Modus ihrer Konstitution nach als mündliche zu  gelten haben. Sie werden im weiteren »mündlich konstituierte Texte« genannt.

Texte sind unidirektional lineare sprachliche Einheiten, die einen Anfang und ein Ende haben. Anfang und Ende werden durch Delimitationsmerkmale gekennzeichnet. Es wird zwischen textimmanenten und texttranszendenten Delimitationsmerkmalen unterschieden, d. h. zwischen Merkmalen, die innerhalb und solchen, die außerhalb des Textes liegen.

Texte, die immanenten Merkmalen genügen, werden emisch genannt, Texte, die die transzendenten Merkmale erfüllen, heißen etisch.

Etische Texte nähern sich dem intuitiven, vorwissenschaftlichen Textbegriff, während die emischen Texte eine formale Konzeption jüngster Forschungen auf dem Gebiet der Textlinguistik sind. Die Untersuchung eines sprachlichen Gebildes nach immanenten und nach transzendenten Delimitationsmerkmalen wird mitunter verschiedene Ergebnisse über den Anfang des Textes erbringen, so dass auch im folgenden zwischen emischen und etischen Textanfängen unterschieden werden soll.  

2. Etische Textanfänge  

Beim Vergleich schriftlich und mündlich konstituierter Texte kann festgestellt werden, dass Textanfänge und -schlüsse im schriftlichen Bereich wesentlich deutlicher gekennzeichnet sind als im mündlichen.



2.1 Etische Textanfänge und -schlüsse in schriftlicher Sprache

Im Bereich der  geschriebenen Sprache sind etische Anfänge durch Überschriften und Buchtitel gekennzeichnet, wobei sich Buchtitel durch bestimmte Spezifikationen von Kapitelüberschriften unterscheiden und somit ihren Status als Signal für etischen Textanfang auch bei Vorkommen von Kapitelüberschriften behalten.

Etische Schlüsse werden durch Signale wie »finis operis«, bzw. »Ende« gekennzeichnet. Auch drucktechnische Konventionen wie z. B. der Abschluss eines Buchbandes, oder ein relatives Leerzeilenkontingent in Verbindung mit dem nachfolgenden Überschriftentypus können Signale für das etische Ende eines Textes sein.

Im Brief bilden die Angaben des Briefkopfes (Name, Ort, Datum) den etischen Anfang und die Grußformeln am Schluss das etische Ende.



2.2. Etische Textanfänge und -schlüsse in gesprochener Sprache

Mündlich konstituierte Texte haben weniger eindeutig delimitierende Signale als die schriftlichen etischen Texte. Merkmale wie Überschriften oder das den Textschluss kennzeichnende »Ende« fehlen hier völlig.

Grußformeln, die im schriftlich konstituierten etischen Text die Schluss-Signale eines Briefes bilden, können, wenn sie in mündlich konstituierten Texten vorkommen, als Anfangs- und Schluss-Signale angesehen werden, sofern das Gespräch zwischen den Formeln nicht durch größere Pausen etisch zerrissen wird.
Beschließen und beginnen Grußformeln nicht einen etischen Text, so kann die Begrüßungsformel als Einleitung eines etisches Textes betrachtet. werden und die Verabschiedungsformel als Schluss eines anderen etischen Textes.
Da jedoch zahlreiche etische Texte nicht durch Grußformeln delimitiert werden, muss festgestellt werden, dass Grußformeln keine fundamentalen Delimitationssignale für mündlich konstituierte etische Texte sind.

Als Delimitationssignal können Pausen angesehen werden, die einem etischen Text jeweils vorangehen als auch folgen. Treten neben Pausen noch Grußformeln auf, so sind letztere redundant. Als eindeutige Delimitationsmerkmale scheiden die Pausen jedoch aus, da bisher weder Status noch Motivation mancher Pausen geklärt werden können. Da die Formalisierbarkeit dieses Merkmals scheitert, können Pausen die formale Funktion eines Delimitationsmerkmals kaum übernehmen, obwohl sie Harweg als fundamentalste etische Delimitationssignale ihrer Art erscheinen.



3. Emische Textanfänge

Möglicherweise könnten Beginn und Abschluss eines Themas als Delimitationsmerkmal gelten. Anders als die bisher behandelten Merkmale, die außerhalb des untersuchten Textes lagen, sind diese im Text selbst angesiedelt.
Auch wenn die Formalisierung der Grobstruktur eines solchen Themas auf Textebene bislang noch nicht durchführbar erscheint, kann auf einen Formalisierungsversuch der sich größtenteils auf der Satzebene abspielenden Feinstruktur eines Themas zurückgegriffen werden.
Dieser Versuch untersucht die Konstitution eines Textes durch die Eruierung der pronominalen Verkettungsstruktur. Die Grundbegriffe der Verkettung durch syntagmatische Substitution, die Roland Harweg in seinen Buch »Pronomina und Textkonstitution« (München, 1968) erläutert, werden im folgenden als bekannt vorausgesetzt. Allgemein kann gesagt werden, dass es sich bei diesem Prinzip um die anaphorische Wiederaufnahme eines Substituendums durch ein im Text nachfolgendes Substituens, bzw. mehrere Substituentia handelt,  Substituenda und Substituentia haben unterschiedliche Funktionen, Während die Substituenda Träger der Delimitation des Anfanges sind, sind Substituentia Träger der Textkonstitution. Textschlüsse werden lediglich durch nachfolgende Textanfänge markiert.

Textanfangssätze dürfen, laut Harweg, lediglich Substituenda enthalten. Anfangssätze, die neben Substituenda
noch Substituenda-Substituentia und/oder Substituentia enthalten, markieren keinen eindeutigen Textanfang, da in diesen Fällen der in Betracht kommende Satz ebenfalls als Textfortsetzungssatz angesehen werden kann bzw muss. Daraus folgt eine Rangordnung, in der die Substituentia über die Substituenda-Substituentia und diese wiederum über die Substituenda dominieren.

Um  schriftlich und mündlich konstituierte Texte vergleichen zu können, werden die sechs Möglichkeiten zusammengestellt, die die Anfangssätze emischer Texte konstituieren können. Es sind dies:

(a) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen nur Substituenda vorkommen


(b) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen Substituenda-Substituentia vorkommen

(c) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen Substituenda und Substituenda-Substituentia vorkommen

(d) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen Substituenda und zulässigen Substituentia vorkommen

(e) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen Substituenda-Substituentia und zulässige Substituentia vorkommen

(f) Sätze, in denen als Gegenstandbezeichnungen Substituenda, Substituenda-Substituentia und zulässige  Substituentia vorkommen.

Die von Harweg in den Gruppen d bis f aufgeführten Möglichkeiten stellen lediglich eine Erweiterung der Gruppen a bis c um zulässige Substituentia (Substituentia, die ihr Substituendum im gleichen Satz haben) dar.
Für die weitere Untersuchung stellen sich die Erweiterungen d bis f als unerheblich heraus, so dass sich die Analyse auf die Gruppen a bis c beschränkt.


3.1. Emische Textanfänge in geschriebener Sprache

In der schriftlichen Konstitution sind alle erwähnten Möglichkeiten des Textanfanges möglich und zulässig, wenn auch unterschiedlich häufig.
Am häufigsten sind Sätze des Typs c, wie zum Beispiel »An einem unfreundlichen Novembertage (Substituendum) wanderte ein armes Schneiderlein (Substituendum) auf der Landstraße nach Goldach (Substituendum-Substituens), einer kleinen reichen Stadt (Substituendum), die nur wenige Stunden (Substituendum-Substituens) von Seldwyla (Substituendum-Substituens) entfernt ist.« (Gottfried Keller, Kleider machen Leute).

Weniger häufig kommen Sätze des Typs b vor: »Sonntags, den 22. Mai 1808 (Substituendum-Substituens), sind in Mähren (Substituendum-Substituens) Steine (Substituendum-Substituens) vom Himmel (Substituendum-Substituens) gefallen.«
(Johann Peter Hebel, Steinregen).

Am wenigsten häufig sind schließlich Sätze des Typs a: »Auf einem schmalen Eisenbett (Substituendum) schliefen ein Mädchen (Substituendum) und ein Mann (Substituendum).«
(Hans Fallada, Wolf unter Wölfen).




3.2 Emische Textanfänge in gesprochener Sprache

Zunächst einmal erscheinen Sätze des Typs a (substituenda-konstituiert) in mündlich konstituierter Sprache unnormal. Eben so sind gewisse Subtypen der Gruppen b und c als Textanfang in gesprochener Sprache nicht akzeptabel.

Aus der Gruppe der substituendum-substituens-konstituierten Anfangssätze sind Sätze, die aus Eigennamen und Sätze, die aus generell bzw. universell verwendeten Gattungsnamen bestehen, nicht linguistisch korrekt.
Sätze wie »Am 5. 5. 1821 starb. Napoleon I auf St. Helena.« und »Das Sammeln von Briefmarken entspannt die Nerven.« sind als Anfangssätze mündlicher Texte unnormal, da sie mit keinem ihrer Ausdrücke an die umliegende Sprechsituation anschließen. Ein solcher Anschluss erscheint Harweg als die fundamentale Bedingung für einen emischen Textanfang in mündlich konstituierter Sprache.

Ebenfalls nicht als Anfangssätze eines gesprochenen Textes anerkannt werden die Subtypen der Gruppe c,  in denen Substituenda mit Eigennamen und/oder generell oder universell verwendeten Gattungsnamen kombiniert werden. Sätze wie »Am 1. August 1901 (Eigenname) erklomm ein junger Mann (Substituendum) einen hohen Kirchturm (Substituendum).« oder »Jedes Volk (Gattungsname) erlebt mal (Substituendum) schlechte und mal (Substituendum) gute Zeiten.« werden lediglich als Anfangssätze schriftlicher Texte akzeptiert.

Der Anschluss an die umgebende Sprechsituation, der die o.a. Beispielsätze als Anfangssätze in gesprochener Sprache akzeptabel machen würde, kann durch die Voranstellung eines temporaldeiktischen Ausdruckes geleistet werden, dem beispielsweise in einem aus Eigennamen konstituierten Satz das Datum in Form einer Apposition folgt: »Heute, vor 150 Jahren , am 5.5. 1821 starb Napoleon I auf St. Helena.« Eine implizite Anbindung an die gegenwärtige Sprechsituation findet man in Sätzen, bei denen die Zeitangabe in der Zukunft liegt: »Die Olympischen Sommerspiele 1980 finden in Moskau statt.«

Bei anderen ist eine Anbindung an die Sprechsituation vorhanden, jedoch nicht sofort erkennbar: »Vom 28. August bis zum 3. September fand der Linguistenkongress statt.« Erst eine Erweiterung zeigt, dass es bei der Datumsangabe nicht um einen Eigennamen sondern um ein Deiktikon handelt, nämlich: »Vom 28. August bis zum 3. September dieses Jahres« und nicht »1967«. Die temporalen Kleinraumdeiktika wie z.B. »heute«‚ »morgen«, »gestern« usw. gewährleisten also den Anschluss an die umgebende Sprechsituation. Sätze, an deren Konstitution Deiktika oder aus Deiktika + Eigennamen und/oder generell oder universell verwendete Gattungsnamen beteiligt sind, werden als Anfangssätze in gesprochener Sprache akzeptiert.

Bei den Deiktika liegt das Gewicht auf den lokalen Deiktika wie »hier«, »dieser«, usw. und auf den bereits erwähnten temporalen Kleinraumdeiktika. Dabei werden die determinierenden Zeigegesten oder Zeigeäquivalente als Komponente der deiktischen Handlung gesehen.

Sätze wie »Heute kommt Karl Meier mit seiner Frau.« sind als Textanfang in geschriebener Sprache nicht möglich, es sei denn, es handelt sich um »wörtliche Rede« oder einen Dramentext, was aber wiederum eine schriftliche Niederlegung gesprochener Sprache ist.  

Temporale Großraumdeiktika wie »In diesem Jahrhundert« sind dagegen nur in schriftlicher Sprache als Anfang möglich. »In diesem Jahrhundert müssen vordringlich die Probleme der Jugend behandelt werden.« ist als Anfangssatz in gesprochener Sprache uneigentlich.

Die genannten Deiktika scheinen demnach für mündlich konstituierte emische Textanfänge spezifisch zu sein. Es bleibt jedoch die Frage zu beantworten, ob nicht auch Anfangssätze des Typs a und andere zuvor ausgeschlossene Subtypen der Gruppen b und c in gesprochener Sprache möglich und akzeptabel sind, und falls dies der Fall ist, unter welchen Bedingungen sie als linguistisch korrekte Anfangssätze anerkannt werden.



3.2.1. Vorspanntexte

Der Textanfangstyp a scheint auf das Gebiet der geschriebenen Sprache beschränkt. Doch auch in gesprochener Sprache existieren fiktionale Texte, die mit Textanfangssätzen des Typs a eingeleitet werden. An erster Stelle wären hier Witze zu nennen, es folgen Inhaltsangaben von Spielfilmen, Theaterstücken, Romanen und Novellen usw.

Diese Texte stehen jedoch nicht unvermittelt, sondern sie werden durch sogenannte »Vorspanntexte« an die aktuelle Sprechsituation angeschlossen. Kennzeichnend für diese Vorspanntexte sind explizite oder implizite Temporaldeiktika, die diesen Anschluss gewähren. Die Vorspanntexte können monologisch oder dialogisch aufgebaut sein.

Ein monologischer Vorspanntext für einen Witz lautet beispielsweise:
»Gestern habe ich einen netten Witz gehört. Den muss ich dir mal erzählen. Hör mal zu...«

Oder dialogisch:
A: »Du, ich habe soeben einen tollen Witz gehört.«
B: »So, dann erzähl' mal!«
A: »Wahrscheinlich kennst du ihn schon.«
B: »Macht nichts, erzähl' ruhig!«
A: »Also, dann pass mal auf...!«


Die Vorspannsätze von Witzen jedoch, die in einer zwanglosen Witzrunde als nicht-erste Witze erzählt werden, wie etwa: »Da fällt mir noch ein anderer Witz ein!« oder »Ich kenne einen ähnlichen Witz!« können nicht als emische Textanfangssätze betrachtet werden, sondern nur als Textfortsetzungssätze, da sie implizite Substituentia enthalten: »Ich kenne noch einen ähnlichen Witz (wie diesen)!«
Dieses interpolierte Substituens bezieht sich auf zwei Substituenda, von denen das erste im Vorspanntext des vorhergegangenen Witzes steht, während das zweite der vorgegangene Witz selbst ist, wobei das letztere Substitituendum (also der Witz selbst) das erstere determiniert. Zu diesem Zweck muss der Vorspanntext, der das erste Substituendum enthält, katalysiert werden, so dass das zweite Substituendum (der Witz selbst) sich als Teil des Prädikates des interpolierten Substituens erweist:

»Ich habe gestern einen tollen Witz gehört. <Dieser Witz ‹interpoliertes einfaches Substituens› lautet:> Da haben...«
Da diese Vorspannsätze keine emischen Textanfangssätze sondern nur Fortsetzungssätze sind, müssen  sie nicht durch Temporaldeiktika an die aktuelle Sprechsituation angeschlossen werden - was nicht ausschließt, dass sie es mitunter durch punktuelle Prädikate sind.

Zum Typ a der substituenda-konstituierten Anfangssätze gehören auch Rätsel und Denksportaufgaben, die prinzipiell mit dem gleichen Vorspann wie auch ein Witz an die Sprechsituation angeschlossen werden können: »Du, ich habe gestern eine Aufgabe gehört, und zwar lautet die folgendermaßen...«
Jedoch gestatten Denksportaufgaben auch kürzer Vorspanntexte, wie zum Beispiel: »Pass mal eben auf...« oder »Hör mal zu...«
Der Grund hierfür scheint nach Harweg die Frage zu sein, in die die Aufgaben münden, so dass die hinleitenden Sätze lediglich als Einleitung zu betrachten sind: »Hör mal eben zu. Ein Kreter sagt: Alle Kreter lügen. Lügt er oder sagt er die Wahrheit?!« Dies kann auch folgendermaßen formuliert werden: »Ein Kreter, der sagt ›Alle Kreter lügen‹, lügt er, oder sagt er die Wahrheit?«

Bei der Untersuchung der Vorspannsätze können gewisse Gesetzmäßigkeiten beobachtet werden. So treten zum Beispiel Frage- und Befehlssätze uneingeschränkter auf als Aussagesätze. Letztere scheinen im allgemeinen auf Vorspanne von Witzen usw. beschränkt zu sein.

Allgemein kann gesagt werden, dass Texte mit Aussage-Vorspannen auf ein aktuelles Interesse stoßen, während Befehls- und Fragesätze, die den vorspannpflichtigen Text auslösen, stets von einer anderen Person als der der Textproduzenten ausgehen, was bedeutet, dass diese Texte nicht auf ein aktuelles Interesse stoßen und gewöhnlich dem Gesprächspartner nicht aufgedrängt werden wollen.
Als Beispiel wären die bekannten »Jugenderlebnisse« anzuführen, die vom Textproduzenten nicht mit »Ich möchte jetzt einmal eines meiner Jugenderlebnisse erzählen«, eingeleitet werden können, sondern die von einen Gesprächspartner mit einem Imperativ-Vorspann wie etwa »Erzähle doch einmal eines deiner Jugenderlebnisse!« ausgelöst werden müssen.

Imperative sind auch in einfachen Fragesätzen wie zum Beispiel »Wie hoch ist der Kölner Dom?« enthalten. Diese Imperative sind implizit als syntagmatische Nachbareinheiten der Fragen vorhanden. Entweder sind sie als Sätze mit kataphorischer Bezugnahme der Frage vorangestellt, wie etwa »Beantworte mir bitte folgende Frage!« oder sie folgen der Frage mit anaphorischer Bezugnahme: »Beantworte mir diese Frage bitte« Die in diesen impliziten Imperativen implizierten temporalen Kleinraumdeiktika ermöglichen es wiederum, die deiktikalosen Fragen an die aktuelle Sprechsituation anzuschließen.

Ebenso wie Fragen durch implizite Deiktika an die Sprechsituation angeschlossen sind, sind Aussagesätze in Prüfungsgesprächen und Interviews angeschlossen. Der Satz »Ein Philosph hat einmal gesagt: ›Begriffe töten das Dasein.‹!« verlangt keinen eigentlichen Vorspannsatz, der ihn an die Sprechsituation anschließt, sondern höchstens einen Vokativ (der kein vollgültiger Ersatz für einen Vorspann ist).

Dieser Aussagesatz ist akzeptabel, weil er in den meisten Fällen die Einleitung zu einer Frage wie etwa »Was sagen Sie zu dieser Behauptung?« bildet. Da Fragesätze, wie oben erläutert, bereits an die Sprechsituation angeschlossen sind, nimmt dieser Anschluss dem anschlusslosen Aussagesatz seine Anstößigkeit.  
Imperative und Fragen erleichtern in gesprochener Sprache den Einsatz in eine Situation. Das heißt, sie treten als fakultative Vorspanne auf, auch bei Anfangssätzen, die bereits durch Temporaldeiktika an die Sprechsituation angeschlossen sind. Der relativ »harte« Gesprächseinsatz »Gestern ist Frau Meier im Supermarkt als Ladendiebin erwischt worden!« wird durch eine vorangestellte Frage zu einem »weichen« Einsatz: »Haben Sie schon gehört? Gestern ist Frau Meier... «

Ebenso wie die zuvor als in gesprochener Sprache als unnormal aufgefassten Textanfänge des Typs a können nun auch die anderen, vorher ausgeschlossenen Subtypen der Gruppen b und c für den Bereich der gesprochenen Sprache durch geeignete. Vorspanntexte akzeptabel gemacht werden. Es sind dies

(a) Sätze mir präteritalem Prädikat mit bekannten Eigennamen, mit oder ohne Substituenda, jedoch ohne ex- oder implizite Temporaldeiktika: »Am 5.5. 1821  starb Napoleon I auf St. Helena.«
Dieser Satz kann an die aktuelle Sprechsituation angeschlossen werden durch z.B.: »Heute möchte ich euch einmal etwas über die französische Geschichte seit 1821  erzählen.«

(b) Sätze, die aus generell oder universell verwendeten Gattungsnamen konstituiert sind, mit oder ohne Substituenda, ohne Temporaldeiktika: »Die Sprachphilosophie untersucht die Sprache nach Ursprung, Wesen und Funktion.«
Durch einen Vorspann wie: »Heute möchte ich etwas über die Sprachphilosophie sagen.« werden sie für gesprochene Sprache akzeptabel gemacht.

(c) präterital erzählende Ich-Sätze wie »Als ich drei Jahre alt war...«. Sie können durch einen Vorspann für den Bereich der gesprochenen Sprache akzeptabel gemacht werden: »Heute will ich eine Geschichte aus meiner Kindheit erzählen...«



3.2.2 Die Verknüpfung zwischen Vorspann und inkludiertem Text

Die Verknüpfung. zwischen Vorspann und inkludiertem Text geht meist auf eine Ellipse zurück. In der Interpolation wird deutlich, dass der inkludierte Text »metasprachlich«, d.h. als ein in einem Prädikat des Vorspanntextes stehendes Zitat mit dem Vorspann verknüpft ist. Als Beispiel: »Ich habe gestern einen tollen Witz gehört. (Er lautet:) Da gehen zwei Tomaten...«
Viele der inkludierten Texte beginnen auch in Fällen, in denen eine andere Bildung möglich ist, mit dem Morphem »da«,  das als umgangssprachliches Äquivalent des expletiven »es« angesehen werden kann. 'Da' hat weder deiktische noch anaphorische Funktion - seine Existenz ist kein Argument gegen die Behauptung, Witzanfänge seien rein substituenda-konstituiert.

Nicht so eindeutig zu bestimmen ist jedoch die Stellung des »da« bei Inhaltsangaben von Spielfilmen. Nach dem monologisch konstituierten Vorspanntext »Ich habe gestern einen Film gesehen. Da muss du unbedingt reingehen. Da ist eine junge Frau...« kann man »da« als Substituens, das äquivalent mit »Film« und dem ersten, im Vorspanntext auftauchenden, »da« ist. Anders jedoch bei dem folgenden, dialogisch konstituierten Vorspanntext:

A: »Gestern habe ich einen interessanten Film gesehen, den  du dir unbedingt ansehen musst!«
B: »Nein, dazu habe ich keine Zeit. Erzähle mir lieber den Inhalt!«
A: »Also gut. der Inhalt ist folgender. Da lebt ein alter Mann...«

Hier hat »da« keine Substituensstellung, sondern die gleiche Funktion wie z.B. das »es« am Anfang schriftlich konstituierter Texte. Der Grund hierfür scheint in dem Begriff »Inhalt« zu liegen, da die Inhaltsangabe offensichtlich nicht an den Begriff »Film« sondern an »Inhalt (des Films)« angeschlossen wurde.
Harweg erklärt diese beiden Arten des »da« wie folgt: »Film« stellt im Vorspann eine Ortsangabe dar, die mit einem  : objektsprachlichen »da« am Anfang der Inhaltsangabe wieder aufgenommen wird. »Inhalt (eines Films)« ist keine Ortsangabe,  sondern eine Bestimmung, an die sich eher ein metasprachlich einzustufendes »da« anschließt, dem als Zitat oder wörtliche Rede die gesamte Inhaltsangabe folgt.

Ausdrückliche Inhaltsangaben tauchen noch in Schulstunden auf, in denen die Inhalte fiktiver Literatur wiedergegeben werden. Der Verlust an Zwanglosigkeit dieser ausdrücklich an gekündigten Inhaltsangaben lässt sich daran ablesen, dass das umgangssprachliche »da« seltener oder gar nicht als Anfangsmorphem auftritt, Stattdessen orientiert sich der Sprecher an der Schriftsprache: »In einer kleinen italienischen Stadt...«.




3.3 Anfangssätze mit Deiktika vs. Anfangssätze ohne Deiktika

Die Unterschiede zwischen Textanfängen in geschriebener und gesprochener Sprache lassen sich in der folgenden Dichotomie beschreiben:

emische Anfangssätze, die explizite oder implizite Lokal- und/oder temporale Kleinraumdeiktika enthalten.
gesprochene Sprache

versus

emische Textanfangssätze, die diese Deiktika nicht enthalten.
geschriebene Sprache


Dies sagt auch, dass vorspannfreie Sätze ohne Deiktika  nicht - in gesprochener Sprache vorkommen und vorspanntextfreie emische Anfangssätze mit diesen Deiktika in geschriebener Sprache in der Regel nicht vorkommen. (D.h. falls sie vorkommen, ist dieses Vorkommen uneigentlich.)

All dies kann. durch geeignete Vorspann- bzw Rahmentexte aufgehoben werden, in die die jeweiligen Texte metasprachlich in Form eines Zitates oder einer wörtlichen Rede inkludiert werden.




4. Nichtemische-etische Texte

Textanfänge in geschriebener Sprache die Substituentia enthalten, werden zwar als »richtig« akzeptiert, da die Möglichkeit der Rückfrage nach dem betreffenden Substituendum fehlt, doch für den Textgrammatiker sind sie allerdings »falsch«.
Sie können allenfalls als Stilmittel anerkannt werden. Textgrammatisch müssen diese Anfänge durch Katalyse, d.h. durch Voranstellen eines emischen Anfanges, der nur Substituenda enthält und keine neuen Informationen bringt, grammatisch »richtig« gemacht werden.  
Um eine Trennung in dieser Gruppe der Textanfänge durchzuführen und substituentiakonstituierte Textanfänge gegenüber substituendakonstituierten zu disqualifizieren, trennt Harweg substituentiakonstituierte Anfangssätze als nichtemisch-emische Anfänge von den emisch-emischen, substituenda-konstituierten Anfangssätzen.

Diese Trennung stimmt auch mit dem intuitiven Textbegriff des unvoreingenommenen Lesers überein, der bei substituendakonstituierten Textanfängen das Gefühl hat, etwas vorenthalten zu bekommen, bzw  »mitten hineinzuspringen«, das heißt, der Status als »Anfang« wird nicht erkannt.

ENDE