4.9.17

Krimi der Woche
Geständnis im Knast


Ein Fall für Vicky Kant:

Geständnis im Knast

Von H.P. Karr


Der Gefängnisdirektor empfing Rechtsanwältin Vicky Kant an der Pforte der Haftanstalt. »Marek wartet in der Besuchszelle.«
Henry Marek war ein schmächtiger Mann, kaum 1,65 Meter groß.
  »Ich möchte ein Geständnis ablegen«, sagte er. »Ich habe Heinz Koester ermordet!«
  Vicky war überrascht. Der kleine Mann saß wegen Unterschlagung. Vor einem Jahr hatte sie ihn verteidigt, weil er in seiner Firma 250.000 Euro abgezweigt hatte.
  »Wegen des Mordes an Heinz Koester wurde Edwin Gering verurteilt«, sagte Vicky. »Der sitzt doch auch hier, oder?«
  »Wir haben uns ein halbes Jahr eine Zelle geteilt«, sagte Marek.  »Ich will nicht, dass ein Unschuldiger im Gefängnis sitzt.«
  »Gering war der Geschäftspartner des toten Koester«, erinnerte sich Vicky. »Koester war der ›King of the City‹, nicht nur weil ihm sechs Clubs gehörten, sondern auch, weil er mit seinen 180 Kilo eine beeindruckende Erscheinung war. Woher haben Sie denn den ›King‹ gekannt?«
  Marek rutschte auf seinem Stuhl herum. »Ich habe in seinen Clubs gespielt. Koester wusste, dass ich das Geld unterschlagen hatte. Damit erpresste er mich. Deshalb bin ich vor drei Jahren in der Nacht vom 28. auf den 29. August zu Koesters Villa gefahren. Es war gegen 23 Uhr. Niemand hat mich gesehen. Er bat mich nach oben in sein Arbeitszimmer ...« Marek schöpfte Atem. »Dort habe ich ihn erschossen. Danach habe ich Koesters Leiche nach unten geschleppt und im Garten vergraben, wo man sie später gefunden hat.«
  Vicky sah den kleinen Mann zweifelnd an. »Überschlafen Sie Ihr Geständnis besser noch einmal eine Nacht!«, sagte sie.
  Der Gefängnisdirektor persönlich brachte Vicky über den Hof zurück. Im Hof zog ein bulliger Kerl seine Joggingrunden. »Edwin Gering!«, sagte der Direktor. »Marek war mit ihm in einer Zelle, bis er seine Diagnose bekam: Krebs. Marek hat nur noch drei Monate zu leben.«
  Vicky seufzte. »Deshalb will er jetzt Gerings Mord auf sich nehmen - damit Gering freikommt. Von Gering kennt er die Einzelheiten, deshalb klang sein Geständnis auch ganz überzeugend.«
  »Aber?«, fragte der Direktor.
  Vicky deutete auf dem massigen Gering. »Der tote Koester war 180 Kilo schwer und sehr groß. Man nannte ihn ja nicht umsonst den ›King‹. Für einen schmächtigen Kerl wie Marek mit seinen kaum 65 Kilo wäre es unmöglich gewesen, Koesters Leiche aus der Villa und durch den Garten zu schleppen.«
  »Dann ist Marek also kein Mörder?«
  »Nein«, sagte Vicky. »Bloß ist es komisch, dass ich in diesem Fall ihn davon überzeugen muss und nicht das Gericht.«

H.P. Karr: Geständnis im Knast
BNN 24/2017 © Autor

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