29.3.21

Sieben Meilen vor dem Nirgendwo

Sieben Meilen vor dem Nirgendwo

Von H.P. Karr  

Der Mann auf dem Boot weinte. Er starrte auf die Pistole in seiner Hand, dann wanderte sein Blick über die Reling der Yacht und verlor sich in der See. Sie lagen vor Anker, sieben Seemeilen vor der Küste, abseits aller Schifffahrtsrouten. Sie hatten die Einsamkeit gesucht. Gefunden hatten sie den Tod.
   Die Pistole rutschte ihm aus der Hand, polternd schlug die schwarze Waffe aufs Deck.
   Die Leiche seiner Frau lag vorn auf dem Sonnendeck. Ein kleines, braungerändertes Einschussloch, knapp zehn Zentimeter unter dem linken Schlüsselbein zerstörte ihre Schönheit. Ihre Augen waren geschlossen, vor wenigen Minuten hatte er mit einem sanften Händedruck die Lider über die starren Pupillen geschoben.
   Der Freund lag unten in der Kombüse, jugendlich, braungebrannt. Der Körper war im Todeskampf verkrampft, das Gesicht gezeichnet von den Schmerzen, die das tödliche Gift in seinem Leib verursacht hatte.
   Die Sonne war inzwischen halb versunken. Ein leichter, frischer Wind kam auf und ließ den Mann frösteln. Der Windhauch trocknete die beiden feuchten Spuren, die seine Tränen auf den Wangen hinterlassen hatten.
   Vor drei Tagen waren sie aufgebrochen. Zu zweit, weil die geglaubt hatten, so wieder zueinander finden zu können. Seine Frau war fröhlich und ausgelassen gewesen, als sie den kleinen Hafen verließen und aufs offene Meer hinaussteuerten.
   Nur ein paar Meilen vor der Küste, die schmale Linie der Bergrücken, die sich hinter dem Hafen erhoben, waren noch zu sehen, hatten sie zum ersten Mal geankert. Sie hatten in der Kombüse gekocht, in der Enge der Kabine hatten sie gegessen. Der Mann hatte sie mit völlig neuen, anderen Augen betrachtet und war bereit gewesen, alles zu vergessen. Zu vergessen, was er vor einigen Monaten nur durch Zufall von einem Arbeitskollegen erfahren hatte.
 



Die kleine Motoryacht irgendwo sieben Seemeilen vor irgendeiner Küste ist ein entschieden geeignetere Ort für ein Verbrechen als eine Großstadt wie Essen, mit 600.000 Einwohnern, mit Polizeistreifen, Zivilfahndern, Sitz eines Landgerichtes . Hier draußen, sieben Seemeilen vor dem Nirgendwo, verschwimmen die Dimensionen des Raumes, verlieren sie ihren Maßstab. Hier werden Gefühle zu einer einzigen, gigantischen Triebkraft. Der Schauplatz ist eingezirkelt, die Personen sind festgelegt, das Geheimnis des geschlossenen Raumes kann zelebriert werden. Viel zu alltäglich ist für den Krimi-Autor das, was er am Montag in  Lokalteil seiner Zeitung lesen wird: "Um in seinem Eishockeyclub mithalten zu können, griff der Essener Postoberschaffner Thomas C. in die Postkasse. Rund fünfeinhalbtausend Mark, die er für Nachnahmepakete kassierte, leitete er nicht an seine Behörde weiter, sondern verbrauchte sie binnen zehn Monaten für seine eigenen Zwecke.
   Oder: In seiner Wohnung an der Phönixhütte würgt ein 19-Jähriger seine Mutter im Streit bis zur Bewusstlosigkeit, in Bottrop-Grafenwald geht der Sauna-Pub des Essener Rennfahrers Harald Grohs in Flammen auf.  Man findet   aufgebrochene Türen und leere Benzinkanister. Die Polizei, meldet der Fünfzehn-Zeilen-Bericht, tappt im Dunkeln, der geschädigte Rennfahrer vermutete Brandstiftung und sagt: "Ich tippe auf ein Konkurrenzunternehmen."
   Was in Essen ebenso wie anderswo, in Bochum, Gelsenkirchen, in Bottrop oder in Hattingen und Wattenscheid an Gesetzesverstößen anfällt, ist zu gewöhnlich; zu banal und viel zu oft schon vorgekommen, als dass es einen Krimi-Autor noch auf die Idee bringen könnte, eine Geschichte, einen Roman: oder ein Hörspiel darüber zu schreiben. Wen inspiriert denn schon der Familienstreit, den die beiden Streifenbeamten zu schlichten haben, was ist an der Kneipenschlägerei besonderes, die gegen drei Uhr wegen einer Nichtigkeit ausbricht?
   Die Wirklichkeit schreibt wirklich  nicht die besten Kriminalgeschichten. Da ist es schon interessanter, wieder auf unsere Yacht sieben Seemeilen im Nirgendwo zu blicken, uns für den Mann zu interessieren, dessen Frau tot auf dem Sonnendeck liegt und dessen Freund in der Kabine vergiftet wurde. Was ist passiert? Wer ist es gewesen? Welches Motiv steckt dahinter?

Nach einen kurzen Blick auf die halb versunkene Sonne flogen die Gedanken des Mannes zurück zu den versteckten Andeutungen seiner Arbeitskollegen, den Sticheleien, die seine Eifersucht geweckt hatten, die schließlich zu einem brennenden Hass geworden war, als er entdeckte, dass die Gerüchte, die er aufgeschnappt hatte, der Wahrheit entsprachen.
   Er hatte vergessen wollen, und als er sie in die Arme nahm, während die Yacht gestern  Morgen ausgelaufen war, glaubte er, einen neuen Anfang machen zu können.
   Am nächsten Morgen waren sie von einem heftigen Klopfen: an der Bordwand geweckt worden. Als er nachsah, entdeckte er das Motorboot, das  längsseits gegangen war. Ein junger Italiener  stand am Steuer, und hinten, auf der Sitzbank, saß der Freund. Sportlich, braungebrannt, jungenhaft unbekümmert, bekleidet mit Tennishemd und Shorts.
   Er sei zufälligerweise in der Nähe gewesen, erklärte er. Wolle nur kurz einmal vorbeischauen.
   Ehe der Mann etwas erwidern konnte, hatte sich der Freund schon an Bord geschwungen und dem Italiener die Anweisung gegeben, wieder heimzufahren.
   Die Gedanken des Mannes drehten sich im Kreis. Der Anfang, vor dem er sich geglaubt hatte, schien auf einmal in unendliche Ferne zu rücken. Er hatte die beiden beobachtet, heimlich, seine Frau und den Freund. Als sie sich sicher und ungestört glaubten. Er hatte die leise Stimme seiner Frau gehört, die zwischen Gardinen in den Garten gedrungen war, gemischt mit dem leisen Lachen seines Freundes.
   Des Freundes, der jetzt neben ihm an Bord stand, der ihm auf die Schulter klopfte und nur davon sprach, dass er gern mit ihnen zusammen ein wenig herumfahren wolle. So waren sie weitergefahren, zu dritt. Der Mann am Steuer der Yacht, der Freund unten in der Kabine, zusammen mit der Frau.
   Wenn es fast windstill war und die Yacht nur noch gemächlich dahinglitt, konnte er die beiden Stimmen unten in der Kabine hören.
   Konnte hören und verstehen, ohne dass sie ahnten, wie er sie belauschte. Nach einer Weile hatten sie nicht mehr leise und zärtlich gesprochen, sondern kalt, berechnend. Planend. Über ihn, den Mann, der am Steuer stand.

Was passiert in einem Menschen, bevor er schießt, bevor er in ein Verbrechen verwickelt wird? Dazu wird die Bühne in einer Kriminalgeschichte entworfen, dazu brauchen wir die Yacht und die namenlosen Menschen an Bord. Um die Leidenschaften und die möglichen Zusammenhänge darzustellen. Denn das enthält uns der Polizeibericht aus gutem Grunde vor, weil die wirklichen Täter, die wirklichen Opfer ein Recht haben, zu schweigen. Die Kriminalgeschichte präsentiert uns auf engstem Raum den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, von Motiv und Effekt, von Schuld und Sühne. Der Polizeibericht in der Zeitung liefert nur episodisches, den Erkenntnisstand, niemals das Ganze: "In akuter Lebensgefahr schwebt die 18-jährige Schülerin Eva  G. aus Essen. Wie die Kriminalpolizei am Freitag mitteilte, ist die junge Frau Opfer eines Sexualverbrechens geworden. Die Tat muß nach den bisherigen Ermittlungen am Fronleichnamstag zwischen 2 und 4:30 Uhr geschehen sein. Die 18-jährige konnte bisher nicht vernommen werden; sie liegt auf der Intensivstation der Neurochirurgie im Klinikum. Bevor Eva G. von dem Täter brutal vergewaltigt wurde, war sie am Hals gewürgt worden. Die Kriminalpolizei schließt nicht aus, dass die 18-jährige bleibende Gehirnschäden davontragen wird."
   Das ist  schmutzig, grausam, das ist vor unserer Haustür passiert: Ausgangspunkt für das scheußliche Verbrechen war eine Diskothek an der Steeler Straße. Dort hatte sich Eva nach Mitternacht mit ihrer 20-jährigen Schwester und einigen Bekannten aufgehalten. Die Schwestern verloren sich später aus den Augen. Die 20-Jährige wurde unruhig, als sie ihre Schwester in dem Lokal nicht mehr entdecken konnte, obwohl deren Sachen noch auf dem Tisch lagen."
   Diese Ereignisse zum Gegenstand einer Geschichte zu machen ist Aufgabe eines Journalisten, sie ist zu realistisch und zu aufschlussreich, als dass sie noch den unterhaltsamen thrill eines Krimis entwickeln könnte. Denn wir wissen genau, was wir von einem Krimi zu erwarten haben: ein Gedankenspiel, das sich an feste Formen hält, an die Guten  und die Bösen, an Recht und Gerechtigkeit. Wir erwarten, dass er in der Realität angesiedelt ist aber wir erwarten nicht, dass er real ist.

 
Der Mann hatte nie erfahren, was sie unten in der Kabine der Yacht planten, Am frühen Abend, als die Sonne noch über dem Horizont stand, war die Frau heraufgekommen und hatte ihm ein Glas Fruchtsaft gebracht. Dann war sie nach vorn aufs Sonnendeck gegangen, während der Freund langsam aus dem Niedergang an Deck kletterte.
   Der Mann konnte hören, wie sich der Freund hinter ihm bewegte, er hatte einen raschen Schritt zur Seite gemacht, aus einer Intuition heraus. Der Freund hatte die Pistole abgefeuert und wäre der Mann stehengeblieben, hätte ihn die Kugel der Freundes in den Rücken getroffen. So sirrte sie an ihm vorbei und traf seine Frau, die vorn auf dem Sonnendeck gerade ihr Badetuch ausbreitete.
   Der Mann hatte zugeschlagen, aus dem Impuls des Hasses heraus, hatte den Freund am Kinn getroffen. Ohnmächtig war der aufs Deck gesackt. Fünf, vielleicht zehn Minuten hatte der Mann die Szene betrachtet, gelähmt und unfähig zu begreifen, was geschehen war. Dann hatte er den Anker ausgeworfen, das Badetuch über die Leiche seiner Frau gedeckt und versucht, den Freund wieder zu Bewusstsein zu bringen. Er hätte ihm den Fruchtsaft eingeflößt, den ihm seine Frau gebracht hatte. Der junge Mann hatte die Lippen geöffnet, geschluckt, getrunken, war zu Bewusstsein gekommen.
   Dann hatte er gesehen, was er trank, war an die Reling gestürzt, hatte versucht, sich zu erbrechen, doch da war es schon zu spät.
   Das Gift hatte gewirkt, noch während er den Niedergang zur Kabine hinunterwankte, um zum Funkgerät zu gelangen. 7

 

Die Aufklärung, die der Polizeibericht liefert, ist nicht dramatisch, sie konstatiert, was gewesen ist: Ein 22 Jahre alter Mann hat in Essen-Bergerhausen eine 87-jährige Rentnerin mit einem Brotmesser erstochen, um 570 Mark in bar und ein Sparbuch zu rauben. Ein 17- und ein 18-Jähriger sind in Katernberg festgenommen worden, als sie einen PKW aufbrechen wollten. Zwei Jugendliche im Alter von 13 und 15 Jahren wurden festgenommen, als sie Polizei bei der Überprüfung ihrer Mofas feststellte, dass es sich um gestohlene Fahrzeuge handelte. In der Nacht bleibt ein 35jähriger Einbrecher im Kamin eines Verbrauchermarktes stecken und muß von der Feuerwehr befreit werden. Die Täter werden in Untersuchungshaft genommen, dem Haftrichter vorgeführt, die Ermittlungsergebnisse gehen von der Kriminalpolizei zur Staatsanwaltschaft, bis Anklage erhoben wird, bis die Vene stattfindet, vergehen Wochen, Monate.
   So lange möchten wir nicht warten. Wir brauchen die Befriedigung der Sühne sofort, wir möchten den Täter entlarvt und bestraft sehen.
   es soll wieder Ordnung herrschen.
   Das Spiel wird zu Ende gespielt, die Unordnung beseitigt, eine neue, stabile Ordnung geschaffen.

   
Der Mann hatte die Pistole aufgehoben. Er spürte das kühle Metall in seiner Hand. Die Sonne war untergegangen, der Wind wurde kühler. Er starrte auf das tiefschwarze Meer.
   Er weinte nicht mehr.

 
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Mord nach Rezept - Band 22 
Abgerechnet wird am Schluss:
Zwei Dutzend spannende Krimis

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Es geht um Mord - um scheinbar perfekt ausgetüftelte Morde, um spontane Taten, um tödliche Verbrechen. Von den Nordseeinseln bis zu dem bayerischen Alpen. Es geht um Kommissare, die die richtigen Fragen stellen, um dem Täter am Ende auf die Spur zu kommen - die aber auch manchmal arg danebenliegen. Aber nicht für lange.
Außerdem geht es auch noch um Betrug, Überfall und Raub, um Liebe, Leidenschaft, Gier und Eifersucht. Und für alle Fälle gilt: Abgerechnet wird zum Schluss.


Quellenangabe:
H.P. Karr
Sieben Meilen vor dem Nirgendwo (1153)
veröffentlicht in "jederart", Essener Zeitschrift für Lyrik, Prosa und Grafik, Redaktion: Eka Kempkes, u.a.
©  by author / R.Jahn
Verbreitung nur mit Genehmigung 
 
   
   
   

27.3.21

Krimi der Woche
Willkommen im Team

Willkommen im Team

Von Ralph Petersen
   
Marion Holl war vor ihrem Häuschen erschossen worden, in das sie mit ihrem Mann vor zwei Wochen eingezogen war. »Oh mein Gott!« Hauptkommissarin Sigrid Kant erkannte die Tote. »Bis vor zwei Wochen hieß sie noch Ma-rion Mannschorek.«
   Ihr Kollege Knut Beck schluckte. Er war frisch zur Mordkommission versetzt worden. »Ein Raubüberfall auf einen Geldtransport vor fünf Jahren«, erklärte Sigrid Kant. »Zwei Täter. Ein Wachmann wurde angeschossen. Marion Mannschorek hat uns damals anvertraut, dass ihr Bruder Klaus und sein Freund Rüdiger Schwartz hinter dem Überfall steckten. Klaus Mannschorek schwor seiner Schwester noch beim Prozess Rache. Daraufhin hielt Marion sich versteckt. Vor zwei Wochen hat sie ganz diskret geheiratet.«
   »Und jetzt hat sich ihr Bruder an ihr gerächt«, spekulierte Beck.
   »Oder Rüdiger Schwartz«, ergänzte Sigrid.
   Die ersten Ermittlungen bestätigten ihren Verdacht.
   »Marion wurde mit derselben Pistole ermordet, die bei dem Überfall benutzt wurde!«, berichtete Beck am nächsten Tag.
   »Keine Ahnung, was aus Marion geworden ist!«, meinte Rüdiger Schwarz, als Sigrid Kant ihn befragte.
   »Marion wurde mit der Waffe erschossen, die seinerzeit bei dem Überfall verwendet wurde!«, sagte die Kommissarin.
   Schwartz war das egal: »Kein Kommentar!«
   Klaus Mannschorek lebte nur ein paar Straßen weiter.
   »Ihre Schwester wurde gestern ermordet!«, sagte Sigrid Kant. »Und zwar hier ganz in der Nähe.
   Klaus verzog keine Miene. »Meine Schwester war seit ihrer Aussage bei dem Prozess eh für mich gestorben!«
   »Was ist denn aus der Pistole geworden, die Sie bei dem Überfall benutzt haben?«, bohrte Sigrid.
   »Wurde sie etwa damit erschossen? Die Waffe war im Garten von unseren Eltern verbuddelt. Kann gut sein, dass Marion oder ihr Göttergatte die Knarre gefunden haben. Haben Sie ihrem Macker schon auf den Zahn gefühlt?«
   »Woher wissen Sie denn auf einmal, dass Marion geheiratet hat, obwohl Sie angeblich keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt hatten?«, fargte die Kommissarin.
   Mannschorek wirbelte herum, doch da hatte Sigrids Kollege Beck ihm schon Handschellen angelegt.
   »Ihr erster Zugriff, Kollege!«, lächelte Sigrid. »Willkommen im Team!«
   ENDE
 


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H.P. Karr präsentiert
Mord nach Rezept - Band 10: Die Retro-Edition - mit zwei Dutzend Krimis zurück in die Achtziger


Die Achtziger – das waren die Jahre, als man noch überall rauchen durfte, der Marlboro-Mann und der Camel-Tramp im Kino Werbung machten und die Hollywood-Hits »Dirty Dancing«, »Shining« und »Zurück in die Zukunft« hießen. Zum Telefonieren benutzte man Festnetztelefone, und wenn man unterwegs war, musste man sich zum Anrufen eine Telefonzelle suchen – das waren gelbe Kabinen mit einem Münztelefon und einem gestohlenen Telefonbuch.

Zwei Dutzend clevere Kriminalstorys aus der guten alten Zeit – als im Fernsehen immer dienstags »Dallas« lief und freitags »Derrick« ermittelte. Die Hits des Jahrzehntes waren »Take On Me« von a-ha , Nena mit »99 Luftballons« und natürlich »Jeanny« von Falco. Wie immer zu Ihrem Vergnügen ausgesucht und zusammengestellt von Krimikenner H.P. Karr. 

 

 

Ralph Petersen
Willkommen im Team
Badische neueste Nachrichten
21/2021 vom 27.3.2021
© by author / R. Jahn
Verbreitung nur mit Genehmigung

 

17.3.21

Jan Costin Wagner
Tage des letzten Schnees

Jan Costin Wagner ist der große Melancholiker des deutschen Kriminalroman. Manche sagen, dass seine Romen mit dem schweigsamen finnischen Kommissar Kimmo Joentaa die besten Skandinavienkrimis sind, die bisher geschrieben wurden.

Anfang Mai, im finnischen Turku fällt der letzte Schnee.  Diesmal geht es um die schicksalhaften  Verstrickungen von Leben und Tod, Liebe und Verlassenwerden. Alles beginnt damit, dass der Architekt Lasse Ekholm eine 11-jährige Tochter vom Sport abholt – und auf der verschneiten Straße in einen Unfall verwickelt wird. Er überlebt. Seine Tochter nicht. In Kommissar Joentaa findet er einen sensiblen Begleiter in der Zeit der Trauer – denn Kommissar Joentaa  kann viel von dem nachfühlen, was Lasse empfindet – denn er selbst hat ja seine Frau vor einigen Jahren durch eine schwere Krankheit verloren.
Eine andere Geschichte dieses Buches ist die des Finanzmanangers Markus Sedin, der bei einem Geschäfstermin die ungarische Escort-Lady Reka kennenlent und sich unsterblich in sie verliebt. So unsterblich, dass er sie nach Finnland holt, ihr eine Wohnung kauft und mit ihr ein zweites Familienleben führt. Bis er durch Zufall dahinterkommt, dass Reka immer noch als Prostituierte arbeitet. Doch  als er sie deehalb zur Rede stellen will, findet er sie – und einen unbekannten Mann – tot  der Wohnung.

Spannend, dicht, emotional extrem berührend – so kann nur Jan Costin Wagner erzählen. Seine Kriminalromen sind stilisische Juwelen, mit ihren geschliffenen, reduzierten Dialogen und den langen Schilderungen intensivster Gefühlsmomente.
(Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)

Jan Costin Wagner
Tage des letzten Schnees
Berlin: Galiani, 2013

Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als freier Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main und in Finnland, seiner zweiten Heimat. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet (Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Der Roman Das Schweigen wurde 2010 fürs Kino verfilmt.

 

Hanne Nehlsen
Tod im Watt

Kann das sein - ein Toter auf Pellworm, der beschaulichen nordfriesischen Insel – knapp 37 Quadratkilometer groß, rund 1100 Bewohner (ohne Touristen)?
Doch ja, es ist eindeutig ein Toter, der am Strand gefunden wird. Es ist der alte Hinrich Wessels, ein Sonderling, der von seiner knappen Rente in einem heruntergekommenen Häuschen wohnte und niemandem etwas zuleide getan hat. Und jetzt liegt Wessels tot am Strand, ganz offensichtlich erschossen. Das Gewehr liegt neben ihm.
Für Polizei-Obermeister Frerk Thönnissen von der Inselpolizei (bzw: er ist DIE Inselpolizei) ist klar, dass es sich um Selbstmord handeln muss. Denn: Auf Pellworm kennt jeder jeden, das bringt man sich nicht gegenseitig um.
Trotzdem kann sich Thönnissen mit seiner Selbstmordtheorie nicht durchsetzen, als Kommissar Hundt von der  Kripo Husum nach Pellworm kommt, um den ungeklärten Todesfall zu untersuchen. Dabei muss Polizeiobermeister Thönnissen entdecken, dass er seine Pellwormer doch nicht so gut kennt, wie er mein.
Zuerst kommt heraus, dass der alte Wessels ins einem heruntergekommene Haus eine florierende Schwarzbrennerei betrieb.
Dann wird klar, dass er die Erlöse aus dem Verkauf des Schwarzgebrannten bei der Pellwormer Sparkasse in Goldmünzen – Krügerrand – anlegte, die er daheim aufbewahrte. Wo man sie nicht gefunden hat.
Das macht jetzt nicht nur aus jedem Pellwormer einen potentiellen Verdäöchtigen für dne Mord an Wessels, sondern auch zum Schatzjäger und Schatzgräber.

Ein flotter und pfiffiger Inselkrimi, der eine ausgetüftelte Agatha Christie-Geschichte mit einer guten Portion Friesengeist und Nordseewellen kreuzt. Die Fuifuren sind sympathisch kauzig-knorrig, der Kriminalfall geschickt aufgezogen und ds vergnüglichste ist, wie sich das Ermittlerduo aus Inselpolizist und Festlandkommissar aneinander gewöhnen muss.
(Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)

Hanne Nehlsen
Tod im Watt - ein Nordsee-Krimi
Berlin: Aufbau Taschenbuch, 2013

Martin Cruz Smith
Tatjana

"Tatjana", ein Arkadi Renko-Roman, beginnt mit der pompösen Beerdigung auf einem Moskauer Friedhof. Ein Boss der russischen Mafia wird zu Grabe getragen und zur Bestattung sind alle anderen Gangster gekommen. Doch unter den Trauergästen ist auch Arkadi Renko von der Moskauer Polizei, legendärer Ermittler seit "Gorky Park", dem wegweisenden Russland-Thriller von Martin Cruz Smith aus dem Jahr 1981. In mehr als  einem halben Dutzend Romanen hat der Amerikaner Cruz Smith das Schicksal seines aufrechten Ermittlers durch Glasnost und Perestroika und dem Zerfall der Sowjetunion bis ins Russland von Wladimir Putin begleitet.
Was Renko an dem toten Mafia-Boss interessiert ist die Frage, ob und wie dessen Sohn die Nachfolge antreten wird. Oder ob die anderen Mafiabosse das Erbe unter sich aufteilen werden.
Zugleich gibt es einen weiteren Fall – die Aufdeckungsjournalistin  Tatjana Petrowna stürzt aus dem sechsten Stock eines brennenden Hauses. Tod. Selbstmord oder Unfall. Jedenfalls kein Fall für einen Mordaufklärer wir Arkadi Renko. Der kommt erst ins Spiel, als es darum geht, die letzte Recherche Tatjanas zu rekonstruieren. Schlüsselindiz ist dabei das Notizbuch eines Simultandolmetschers, offensichtlich das Protokoll eines streng geheimen Treffens – aber auch in einem ganz persönlichen Code verschlüsselt.
Die Spur der letzten Recherche Tatjanas, die der realen Figur der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja nachgebildet ist – führt nach Kaliningrad – das ehemalige Königsberg  - heute eine russische Enklave zwischen Polen und Litauen und ein Eldorado des Verbrechens.

Arkadi Renkos neuer Fall zeichnet wieder einmal ein dunkles Bild der Zustände in Russland. Machtmissbrauch, Korruption und offen ausgeübte Gewalt des organisierten Verbrechens prägen die Gesellschaft. Das alles schildert Martin Cruz Smith schonungslos und spannend – bis zum Schluss der düsteren Geschichte. Ein brillantes Stimmungsbild.
(Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung)


Martin Cruz Smith

Tatjana
Deutsch von Susanne Aeckerle
München: C. Bertelsmann, 2013

Robert Kviby
Korrupt

Schweden 1989 – Annie Lander ist Polizeireporterin bei der größten Zeitung Stockholms, verheiratet mit dem sensiblen Musiker Max – und derzeit von ihm schwanger.
Bei ihrer Arbeit hat sie sich in einen Fall verbissen, der sie in höchste Gefahr bringen wird: Seit Jahren verschwinden regelmäßig junge Frauen – Prostituierte – und tauchen später ermordet wirder auf.
Eine Mordserie, ein Serientäter? Gerüchte gibt es viele in der Szenen, und das interessnate ist das von dem "Herrenbund" oder dem "Club" mächtiger Wirtschaftsführer und Poliziker, die sich regemäßig Frauen – Prostituierte – zu ihren Treffen einladen, um sich… nun ja- unterhalten zu lassen. Aber was geschieht genau bei diesen Treffen?
Federführend beim diesem Treffen ist der Wirtschaftsboss Johan Droth – und je nähr Annie ihm bei ihren Recherchen kommt, dest gefährlicher wird es für sie. Bis sie plötzlich verschwindet und Max in Verdacht gerät.
Er macht sich auf die Suche nach seiner Frau und stößt dabei ganz tief in die Abgründe der Herrengesellschaften und Clubs, die fest zur schwedischen Gesellschaft gehören und in denen Korruption und Begünstigung, Schiebereien blühen und Komplotte geschmiedet werden. Und er findet Hilfe bei jemandem, von dem man es am wenigstens erwartet hätte.
Vorlage für dieses erste Abenteuer von Annie und Max Lander war eine reale Serie von drei Frauenmorden an der Stadtgrenze von Stockholm – die bis heute nicht aufgeklärt wurde. Robert Kviby spekuliert in seiner spannenden Kriminalgeschichte über die Hintergründe und zeichnet dabei ein düsteres, illusionsloses Bild der schwedischen Eliten: Korrupt, geldgierig, gewissenlos sind die Politiker und Wirtschaftsbosse.

Schweden tiefschwarz  - ein packender, desillusionierener Blick hinter die Kulissen des Musterlandes. Ein Serienauftakt, der noch viele spannende Geschichten von Annie und Max Lander erwarten lässt.
(Reinhard Jahn WDR Mordsberatung)



Robert Kviby
Korrupt

Hamburg: rororo
2013
(Hörbuch gesprochen von Simon Jäger)

John le Carré
Empfindliche Wahrheit


In einem Hotel in Gibraltar wartet ein Mann auf seinen Einsatz – er nennt sich Paul Anderson, und er ist ein britischer Staatbürger auf Agentenmission. Mehr weiß er eigentlich nicht – außer, dass er seinen Auftrag von einem echten Minister bekommen hat. Er soll dessen "Augen und Ohren" bei einer Kommandoaktion sein, bei der ein Al Kaida-Terrorist in Gibraltar gefangen genommen werden soll.
Die Aktion läuft nicht ganz so glatt, wie es sich die Beteiligten vorgestellt haben – aber am Ende klappt dann doch alles – so erzählt man es jedenfalls dem Mann, der sich Paul Anderson nennt, ehe man ihn wieder nach England zurückschickt.
Aber was geschah wirklich bei der Operation „Wildlife“?
Allein dieser Auftakt zu John le Carrés neuem Roman ist einzigartig, sensationell gut geschrieben, im typischen le Carré-Stil: detailreich, aber zugleich voller Andeutungen und Querverweise. Und genau in diesem Stil geht es weiter – ins britische Verteidigungsministerium, wo der Minister sitzt, der den Mann nach Gibraltar geschickt hat. Und wiederum weiter zu einem zufälligen Treffen von "Paul Anderson" mit einem Agenten aus der Kommandoaktion.
John le Carré in Höchtform – sprachlich und stilistich brillant, mit einer Geschichte, die direkt aus den aktuellen Nachrichten stammen könnte.
(Reinhard Jahn WDR5 Mordberatung)

 

John le Carré
Empfindliche Wahrheit
Berlin: Ullstein, 2013
 

15.3.21

Special Force One - Die Spezialisten

 

 S:F One - Special Force One

... ist "die Antwort der Vereinten Nationen auf den Terror". Die Heftromanserie erschien 25. Mai 2004 bis 26. April 2005 bei Bastei. Nach 24 Ausgaben war Schluss.
Autoren waren unter anderem Michael J. Parrish, William T. Connor , Roger Clement, Dario Vandis, Marcus Wolf.

Seit Ausgabe 3 erschien neben dem Romanheft auch eine gleichnamige Zeitschrift, in der neben Artikeln zu Militärthemen auch die Romane nachgedruckt wurden. Nach fünf Ausgaben wurde der Titel der Zeitschrift in ACTION geändert, nach drei weiteren Ausgaben wurde die Zeitschrift eingestellt.

Die Special Force One ist eine international zusammengesetzte Spezialeinheit, die im Auftrag der UNO den internationalen Terrorismus bekämpft.

Eine Ebook-Ausgabe mit 17 Romanen erschien 2016 als Special Force One - Die Spezialisten


 

13.3.21

Krimi der Woche

Original und Fälschung
So gut wie echt

Von H.P. Karr

 Der Mann im Kaschmirmantel interessierte sich nun schon seit einer Viertelstunde für die »Farben im Nebel«. Hanna Herzog stellte das Bild erst seit kurzem in ihrer Galerie aus. Laut Prospekt stammte es von August Graumayer, dessen Bilder zuletzt stark im Wert gestiegen waren.
   »Ich habe das Bild in Kommission«, sagte Hanna zu dem Mann. »Der Besitzer muss es verkaufen.«
   »Wieviel?«
   »Achtzehntausend«, sagte Hanna.
   »Das wäre ein guter Preis für einen echten Graumayer!«
   Hanna lächelte in sich hinein, denn sie hatte die »Farben im Nebel« selbst gemalt. Der Stil des Malers lag ihr, fand sie.
   »Ein Graumayer ist eine sichere Geldanlage«, fuhr Hanna fort. »Sie wissen, dass er seit zehn Jahren nicht mehr malt.«
   »Achtzehntausend«, murmelte der Kunde. »Das ist viel Geld für einen gefälschten Graumayer.«
   Hanna schluckte. »Ge ... fälscht?«
   Der Mann musterte das Bild. »In der letzten Zeit sind einige gefälschte Graumayers aufgetaucht. Und alle Bilder stammen aus Ihrer Galerie.«
   »Bitte«, stammelte Hanna. »Ich habe meine Graumayers immer nur verkauft, wenn ich Geld brauchte.«
   Der Mann hatte inzwischen Hannas Atelier entdeckt und dort auf der Staffelei einen weiteren »Graumayer«. »Gesicht im Nebel« wollte Hanna ihn nennen.
   »Wunderbar!« Der Mann griff nach dem Pinsel und malte etwas in die rechte untere Ecke. »Jetzt ist es ein echter Graumayer!«
   Hanna starrte auf die Signatur, die der Mann auf das Bild gesetzt hatte.
   »Sie ... sind ...«
   »August Graumayer«, sagte der Mann. »Und wir werden sehr viel Geld verdienen.« Graumayer hob die Hand und Hanna sah, dass sie stark zitterte. »Eine tückische Krankheit«, erklärte Graumayer. »Für eine Signatur reicht es gerade noch, aber malen kann ich nicht mehr. Doch dafür habe ich ja nun Sie, meine Liebe.«
   »Aber… das wäre doch ... und Betrug!«
   Graumayer lächelte. »Nicht mehr und nicht weniger, als es bisher Betrug war, oder?«
   ENDE
   


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Ein Mord in einem verschlossenen Raum, ein tückisch arrangierter Unfall, ein vergifteter Drink – in jedem Fall ein Fall für Kommissarin Katja Kampp von der SOKO RUHR. Mit messerscharfer Kombinationsgabe ermittelt die clevere Kriminalistin innerhalb kürzester Zeit, wer der Täter ist.

H.P. Karr

Ein Fall für Kommissarin Katja Kampp

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Für seine aktuellen Ratekrimis erfand der Essener Autor H.P. Karr die ebenso clevere wie attraktive Hauptkommissarin Katja Kampp von der SOKO Ruhr. Sie ermittelt überall dort zwischen Duisburg und Dortmund, wo Erfahrung und Kombinationsgabe gefragt sind. Das Besondere an ihren Fällen: Die Leser können gemeinsam mit der Kommissarin ermitteln - und wenn sie genau aufgepasst haben, wissen sie am Ende genau so viel wie die Kommissarin und können den Täter überführen.


H.P. Karr
Original und Fälschung
Erstveröffentlichung
BNN 13.3.2021
© by author / R. Jahn
 Verbeitung nur mit Genehmigung