6.8.19

Der Alte schlägt zweimal zu - Rezeption und Analyse



Der Alte schlägt zweimal zu - Rezeption und Analyse

Faktenstand: 1977




Wie »Der Alte« durch die Erwartungshaltung des Publikums das Gesicht verlor, das er niemals besitzen sollte.

Fiktion und Realität im TV-Serienfilm
»Der Alte schlägt zweimal zu«


INHALTSVERZEICHNIS:

1. Der Kriminalfilm »Der Alte schlägt zweimal zu«.
2. Reaktionen auf den Film .
2a) Reaktionen von der Seite der Polizei
2b) Reaktionen der Presse und der Zuschauer
2c) Reaktionen der Betroffenen
3. Erkennbare Fiktion oder erkennbare Realität
4. Inhaltliche Analyse
5. Filmische Analyse
5a) Szene 1 und Szene 9 .
5b) Szene 2: Finberg und seine Frau .
5c) Szene 28: Kösters Büro
5d) Szene 27: Finbergs Fahrt zur Scheune
5e) Szene 55: Vanessas Geständnis in Kösters Büro
5f) Szenen 5, 10, 14: Die Fahrten im LKW .
5g) Der Ton: Einsatz von Musik und Geräuschen..
6. Zusammenfassung .
Szenenliste 






»Den Alten gibt es in Wirklichkeit genauso wenig
wie das Blut bei einem Vampirfilm echt ist.«
Helmut Ringelmann


1. Der Kriminalfilm »Der Alte schlägt zweimal zu«

Am 1. Mai 1977 wurde vom Zweiten Deutschen Fernsehen zur Hauptsendezeit von 20.00 bis 21.00 Uhr die dritte Folge der Kriminalserie »Der Alte« ausgestrahlt. Dieser Serienfilm wurde von dem französischen Regisseur José Giovanni geschrieben und gedreht. Giovanni, der sich in Frankreich durch zahlreiche justizkritische Filme und Bücher einen Namen gemacht hat, ist auch in Deutschland durch seine Spielfilme »Le Hapace« (»Die im Dreck verrecken«, 1968) und »Dernier Domicile Connu« (»Der Kommissar und sein Lockvogel«, 1969) bekannt geworden.
Die Serienfolge des »Alten« mit dem Titel »Der Alte schlägt zweimal zu« hat folgenden Inhalt:


Der Speditionsunternehmer Eric Finberg hat eine gutaussehende Geliebte, mit der er gerne zusammenleben möchte, doch seine Ehefrau steht ihm im Weg. Auf einer Speditionsfahrt, zu der er sie mitgenommen hat, um sie zu ihrer Mutter zu bringen, verschwindet Frau Finberg.
Ihre Mutter erstattet bei Hauptkommissar Köster Anzeige wegen Mordes. Köster verdächtigt Finberg, seine Frau umgebracht zu haben, doch aufgrund des lückenlosen Zeitplanes, den Finberg für seine Fahrt angeben kann, kann er ihm nichts nachweisen. Köster verhaftet Finberg wegen Freiheitsberaubung und täuscht eine Suchaktion nach der Leiche Vor, während sich Kösters Assistent Heymann den Verführungskünsten der schönen polnischen Geliebten Finbergs hingibt. Als Köster Finberg wieder freilässt, fährt dieser, eingeschüchtert durch die angebliche Suchaktion des Kommissars‚ zu dem Versteck, in dem die Leiche seiner Frau liegt.
Köster ist Finberg gefolgt und verhaftet ihn erneut. Er weiß jetzt, dass Finberg die Tat zusammen mit seiner Geliebten geplant und ausgeführt hat. Durch eingefälschtes Geständnis Finbergs bringt er dessen Geliebte dazu, den Mord an Finbergs Frau zu gestehen. Dabei wird noch ein zweiter Mord aufgedeckt: Finberg brachte vor Jahren den Ehemann seiner Geliebten in Polen um. Finberg zweifelt keinen Augenblick an der Treue seiner Geliebten — erst als Köster ihm Intimfotos der Polin mit dem Kriminalassistenten Heymann zeigt, bricht er zusammen. Finberg und die Polin werden verhaftet.

2. Reaktionen auf den Film

Umgehend nach der Ausstrahlung des Filmes meldeten sich bei der Presse verschiedene Vertreter der Polizei zu Wort und kritisierten die Ermittlungsmethoden, die Hauptkommissar Köster zur Aufdeckung des Verbrechens anwendet. Auch Zuschauer und Kritiker der verschiedenen Programmzeitschriften schlossen sich dieser Kritik an.


2a) Reaktion von der Seite der Polizei

Günter Schröder, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der
Polizei (GdP), äußerte sich wie folgt:

»So wie der Alte arbeitet keiner von uns. Seine Verhörpraktiken haben den Bereich der Legalität längst verlassen. Machte das einer von uns, müsste er womöglich seinen Dienst quittieren. Das mindeste wäre eine disziplinarische Bestrafung.« (zitiert nach: NRZ, 5. Mai 1977)

Auch Ingo Herrmann, Geschäftsführer im Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK), klagte die in dem Film vorgeführten Ermittlungsmethoden an:

»Solche Fahndungsmethoden widersprechen einfach unserer Rechtsstaatlichkeit. Sie sind ganz eindeutig durch die Strafprozessordnung untersagt.« (zitiert nach: NRZ, 3.Mai 1977)

Wenige Tage später schloss sich der Deutsche Richterbund, dem auch die Staatsanwälte angeschlossen sind, der Kritik der beiden Polizeiorganisationen an. Doch nicht nur die Sprecher der Standesorganisationen, sondern auch einzelne Polizisten meldeten Bedenken gegen die Darstellung der Ermittlungsarbeit an. So zum Beispiel die 1. Hundertschaft der Bereitschaftspolizei Baden-Württemberg, Bruchsal, in einer Leserzuschrift an eine Fernsehzeitschrift:

»Wenn jedoch der Polizeidienst auch nur an einem Tag so aussehen würde, wie in dieser Krimi-Serie geschildert, würden wir noch heute unsere Uniform ausziehen.« (veröffentlicht in: FUNK UHR, 10. Juni 1977)

2b) Reaktionen der Presse und der Zuschauer

Wenn sich die Funk- und Fernsehpresse in ihrer Berichterstattung nicht die Argumente der Polizeisprecher zu eigen machte, kam es teilweise zu unqualifizierten und emotional aufgeladenen Äußerungen, wie zum Beispiel in dem der Regenbogen-Presse zuzurechnenden Blatt HEIM UND WELT:

»Schon nach der dritten Folge haben Millionen Zuschauer gemerkt, dass die Fernsehmacher einen neuen, typisch deutschen Künstlerberuf eingeführt haben: den 'Kriminaldeppen'.
In geradezu peinlicher Manier setzt. sich der Verbrecherjäger, alias Kommissar Köster, atemberaubend über Realitäten und Logik hinweg. 'Der Alte'  (...) gleicht bei seiner Aufklärungsarbeit eher einem ahnungslosen Toren.«
(»Der Alte, der Millionen enttäuschte«, in: HEIM UND WELT, Nr. 22/77)

Die Reaktion der Fernsehzuschauer ließ sich nur den wenigen in den Programmzeitschriften veröffentlichten Leserzuschriften entnehmen und kann daher keineswegs repräsentativ sein.
Andererseits geben diese Zuschriften auch keinen genauen Aufschluss darüber, ob die Zuschauer die in dem Film vorgeführten Ermittlungspraktiken als Realität verstanden haben, oder ob sie erkannten, dass es sich bei dem Stoff um Fiktion handelte:

»In einer amerikanischen Serie wären die für deutsche Verhältnisse unglaubwürdigen Szenen nicht verwunderlich. Dort haben die Polizei und Privatdetektive einen ganz anderen Spielraum. Aber für unser Land wissen wir doch ganz genau, wie sich ein Kriminalbeamter zu verhalten hat. ... Ich fände es gut, wenn die nächsten Folgen von Fachleuten überarbeitet würden.«
(Leserzuschrift von Herbert W., Bürgen, veröffentlicht in HEIM UND WELT Nr. 24/77)

Zusammenfassend kristallisieren sich fünf Anklagepunkte gegen die Serienfolge »Der Alte schlägt zweimal zu
« heraus:


  • 1 Der »Alte« sagt zu dem verdächtigen Spediteur, ohne dass er den geringsten Beweis hat: »Ich halte Sie für einen Mörder!« (Szene 20)
  • 2 Kösters Assistent Heymann gibt sich bei einem Besuch gegenüber der Geliebten Finbergs als Fremdenpolizist aus (Szene 9).
  • 3 Kommissar Köster gibt seinem Assistenten Brenner den Auftrag, Kriminalassistent Heymann bei Liebesspielen mit Finbergs Geliebter zu fotografieren (Szene 18 und 51)
  • 4 Kösters Assistent Brenner spricht mit Finbergs Stimme ein falsches Geständnis auf Tonband (Szene 35).
  • 5 Köster verhaftet den Spediteur mehrere Male ohne bestimmte Gründe zu haben (Szenen 15, 27 und 34).


2c) Reaktionen der Betroffenen

Zu den Betroffenen werden die für den Fernsehfilm verantwortlichen beziehungsweise die daran Beteiligten gezählt. Der Schauspieler Siegfried Lowitz, dessen Identifikation mit der Rolle des »Alten« durch verschiedene Presseberichte gefördert wurde, reagierte auf die Angriffe der verschiedenen Polizeisprecher so:

»Sind wir denn soweit geistig zurück, dass man den Leuten den Unterschied zwischen Spiel und Wirklichkeit erklären muss? Dies wäre ein Kulturverlust.« (zitiert nach: NRZ, 4.Mai 1977)

Dieter Stolte, Programmdirektor des Zweiten Deutschen Fernsehens, versuchte das Missverständnis, das den Grund der verschiedenen Vorwürfe bildete, wie folgt zu erklären:

»Es gehört zum Fernsehen, dass es in allen seinen Sendungen dem Zuschauer eine Teilnahme an der täglichen Wirklichkeit suggeriert, ein 'Dabeisein', das nicht dadurch aus der Welt zu schaffen ist, dass man bestimmte Sendungen als Erfindungen oder als moderne Märchen deklariert.« (zitiert nach: FUNK UHR, 10. Juni 1977)


3) Erkennbare Fiktion oder erkennbare Realität

Die Auseinandersetzung zwischen Kritikern und Kritisierten spitzt sich auf einen Punkt zu: Ist in dem behandelten Film zu erkennen, dass es sich um eine erdachte Geschichte, um Fiktion, also ein 'modernes Märchen‘ handelt, das keine Bezüge zur Realität hat, oder sind in dem Werk Realitätsbezüge zu entdecken, die bewusst von der Regie eingesetzt sind, womit  die zahlreichen Kritiker eine Berechtigung für ihre Äußerungen hätten. Der Fernsehkritiker Valentin Polcuch formuliert das Problem so:

»Wo will der Zuschauer, auch wenn er das Spiel als Spiel erkennt, wo will er die Grenze ziehen zwischen Kunstprodukt und dem Münchener Polizeipräsidium. Wo beginnt bei ihm die Fiktion, wo endet die Realität, wenn er einerseits die 'Kunstfigur' des Herrn Lowitz sieht, andererseits aber konkrete, vorschriftsmäßig gekleidete Polizeibeamte, die dieser Fiktions-Figur zur Hand gehen?« (Valentin Polcuch: »Warum die Polizei recht und der 'Alte' unrecht hat«, in: HÖR ZU, Nr. 25/77)

Eine Analyse, die zur Beantwortung dieser Fragen führen könnte, soll auf zwei Ebenen vor sich gehen: der inhaltlichen und der filmischen.


4. Inhaltliche Analyse

Bei der inhaltlichen Analyse, der Analyse von Story und Drehbuch, soll festgestellt werden, ob sich in diesen beiden Bereichen Hinweise darauf finden, ob in diesem Film Realität abgebildet werden sollte, öder ob es sich um ein Werk reiner Fiktion handelt.
Auf den ersten Blick scheint sich zunächst einmal der letztere Aspekt eindeutig zu bejahen: Die Art und Weise, wie der beschriebene Mord ausgeführt wird, erinnert an die locked-room mysteries des anglo-amerikanischen Kriminalromans.

»Die Leiche wird an einem Ort gefunden, der von innen hermetisch abgesperrt ist. Obwohl es sich ohne Zweifel um einen Mord handelt, ist nicht zu erklären, weder wie der Täter vor der Tat den Raum betreten hat, noch wie er nachher ihn verlassen haben könnte.« (Aus: Richard Alewyn: »Anatomie des Detektivromans«, in: Der Kriminalroman, Band II, herausgegeben von Jochen Vogt, S. 372-404)

Der genau ausgetimete Zeitplan, nach dem, wie sich später herausstellt, der Spediteur Finberg seine Frau tötet und die Leiche verschwinden lässt‚ gleicht dem raffinierten Plan eines Mörders aus einem Agatha-Christie-Roman. Die Ratlosigkeit des Kommissars, der sich nicht im Klaren darüber ist, wie in den 28 Sekunden, die als mögliche Differenz zwischen den rekonstruierten LKW-Fahrten festgestellt wurden, lässt sich mit der Ratlosigkeit eines Buchdetektives vergleichen, der vor dem Problem steht, wie eine in einem von innen verschlossenen Raum ermordete Person ums Leben gekommen ist.

Doch auf den zweiten Blick erweist sich die Konstruktion des Filmautors José Giovanni als unwahrscheinlich, wenn nicht sogar absurd. Man vergegenwärtige sich:

Dreimal fährt während des Filmes der Lastkraftwagen die in Frage stehende Strecke ab. Das erste Mal, als die Tat geschieht, ein zweites Mal, als der Spediteur die Fahrt in seiner Version rekonstruiert, und ein drittes Mal, als der misstrauische Kommissar die Fahrt noch einmal durchführen lässt. Und alle drei Fahrten dauern, bis auf die oben erwähnte Differenz von 28 Sekunden, gleich lang.

Diese erzwungene ständige Rekonstruierbarkeit einer einmal vorgegebenen Situation erscheint wie eine ätzende Parodie des abgeschlossenen Bibliothekszimmers, in dem der entsetzte Hausbewohner die Leiche des alten Lords findet. In der Story sind also bewusst jegliche möglichen Umwelteinflüsse (Realitäten) ausgeschaltet worden, um einen synthetischen Zustand herzustellen. Wir wagen zu behaupten, dass es in der Realität
unmöglich ist, eine vorgegebene Strecke mit einem Auto dreimal abzufahren, wobei nur ein Zeitunterschied von 28 Sekunden zwischen den benötigten Zeiten auftaucht.

Andererseits wird dieser mühsam aufgebaute Zustand der Fiktionalität wiederum zerstört durch die Banalität des Mordmotives, durch die Gewöhnlichkeit der Tat, die begangen wird: Ein Mann bringt seine Frau um, um für seine Geliebte frei zu sein. Ein Motiv, wie man es kaum (oder überhaupt nicht) in einem Kriminalroman finden wird, weil es zu 'alltäglich' ist:

»Das fängt schon an bei den Mordmotiven. Wenn heutzutage ein Redakteur einer größeren Zeitschrift liest, dass wieder mal eine Frau ihren Mann oder ein Mann seine Frau wegen einer Erbschaft oder dergleichen ermorden will, hört er schon nach den ersten Sätzen mit dem Weiterlesen auf und schickt die Geschichte zurück — denn diese einfallslose Konstellation hat es schon tausendfach gegeben. Die Fälle müssen viel origineller und interessanter, müssen ausgefallen sein (ohne dabei unwahrscheinlich zu wirken).« (Auszug aus einem Schreiben des Verlages Werner Steffen an Reinhard Jahn vom 4. September 1972)

Doch auch diese scheinbare Realität hat ihre Widerhaken: Die Charaktere der agierenden Personen, ihre Zeichnung, entsprechen den trivialen Mustern des Groschenromans. Ein wohlhabender Mann hat eine zänkische, unattraktive Frau, die ihn mit ihrem Geltungsanspruch dominiert; Die Geliebte hingegen ist eine hinreißend schöne Ausländerin, ein Fotomodell.

Die Figur des Polizeibeamten, des Hauptkommissars Köster, weist eine ähnliche Ambivalenz auf. Auf der einen Seite sammelt Köster Indizien (die LKW-Fahrten), doch gelingt es ihm nicht, den von ihm ins Auge gefassten Mörder aufgrund dieser Indizien durch rationale Gedankenarbeit zu überführen, was eine Grundvoraussetzung eines klassischen Detektivspiels ist. Köster benutzt Fälschungen, um den Mörder zu überführen: gefälschte Tonband-Geständnisse und heimlich geschossene Intimaufnahmen, um die rational aufgebaute Sicherheit des Verdächtigen durch Irrationalität zu zerstören.

Doch auch in das Schema des klassischen Kriminalromane‚ der die Ausführung eines Verbrechens und dessen Aufklärung schildert, lässt sich die Geschichte nicht einordnen, da der Zuschauer zwar aufgrund der Beschränkten Personenkonstellation mehr oder weniger weiß, wo er die Mörderfunktion anzusiedeln hat, jedoch wird nicht die Ausführung des Verbrechens explizit gezeigt, die dem Zuschauer einen 'Wissensvorsprung' vor der Ermittlerfigur geben könnte.

Allerdings neigt man eher dazu, den Film der Form des Detektivspieles zuzuordnen, da das Schwergewicht der Aktion auf Seiten der Polizei zu finden ist.

Eine andere Abwandlung eines Schemas kann man in der Tatsache sehen, dass der positive Held, der Detektiv, wegen eines Mordes einen Verdächtigen ermitteln, ihn jedoch nicht als Täter überführen kann, da er den Mord nicht begangen hat, sondern eine andere Person. Aber dennoch ist dieser Verdächtige schuldig, denn er hat einen Mord begangen, der gar nicht zur Aufklärung anstand.
Abschließend kann zum Bereich der inhaltlichen Analyse gesagt werden, dass die Story des Filmes eine Klitterung aus verschiedenen Schablonen und Schemata der Kriminalliteratur ist, die jeweils durch geschickt eingefügte Momente der ‘scheinbaren' Realität durchbrochen und in Frage gestellt werden, wobei allerdings die letzteren von den erstgenannten erheblich dominiert werden. Es kann also mit Einschränkung die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Story als Fiktion erkennbar ist.

5. Filmische Analyse

Das erste Problem, das sich bei der filmischen Analyse des Fernsehfilms »Der Alte schlägt zweimal zu« ergab, war weniger ein inhaltliches als ein technisches, nämlich die Beschaffung eines Videorecorders. Schließlich gelang es aber, das Abspielgerät der Sektion für Publizistik- und Kommunikation für einen Vormittag zu ergattern, ein Zeitraum, der allerdings nicht ausreichte, eine umfassende Analyse des filmischen Stils der Sendung zu erarbeiten.
Wir beschränken uns daher auf die Beschreibung einiger prägnanter Szenen, die es hoffentlich zulassen, die notwendigen Schlüsse im Sinne unserer Aufgabenstellung »Kann der Zuschauer Fiktion und Realität in dem Fernsehfilm erkennen?« zu ziehen.
Wenn wir davon ausgehen, dass ein Film durch die Mofiage von Bildfolgen und den gezielten Einsatz von Geräuschen‚ die von Filmmusik über Geräusche, die bei den Handlungen entstehen, die der Film darstellt, bis hin zu Dialogen, seine Wirkung erhält, so wollen wir auffällige optische und akustische Momente herausgreifen.

a) Szene 1 und Szene 9


In der ersten Szene werden dem Zuschauer Finberg und Vanessa vorgestellt. Die Szene besteht zum größten Teil aus einer Fahrt durch Vanessas Apartment und streicht sanft über verschiedene Details, bis sie zum Schluss auf Vanessa stehen bleibt. Durch diese Fahrt wird nicht nur der erotische Charakter der Szene verdeutlicht, sie ist auch ein 0ptiscneg Signal für Vanessa. In Szene 9, beim Besuch des Kriminalassistenten Heymanns‚ wird die Polin ebenfalls »befahren«, und in der Tat stellt sich eine erotische Beziehung zwischen Heymann und Vanessa ein.

In diesen beiden Szenen wird Finbergs Geliebte durch den Einsatz der Kamera charakterisiert, d.h. die Kamerabewegung hat dramaturgische Bedeutung und verweist somit auf das künstliche Arrangement der Szene und schließt folglich für den Zuschauer die Assoziation von abgefilmter Realität aus, denn ohne die Kamerabewegung wäre die Szene nicht so eindeutig verständlich.
Interessant ist in beiden Szenen der Einsatz der Musik. Dabei handelt es sich um ein einprägsames Klavierthema, welches an entscheidenden Stellen eingesetzt wird und ebenfalls erotisch die Beziehung zwischen Finberg und Vanessa signalisiert. So in Szene 1, wo die Musik die ganze Zeit als Off-Musik zu hören ist, und in Szene 3, die in die Handlung kaum einzuordnen ist.

Dieses Musikthema erinnert stark an die Musik von Claude Lelouchs Film »Ein Mann und eine Frau« von Francis Lay, die ein Weltschlager geworden ist. Hier wird im Detail deutlich, wie wenig der Film auf Realität verweist, sondern auf andere Erzeugnisse seiner Gattung, insbesondere auf französische Filme.
In Szene 9 hingegen ist keine Musik zu hören. Vanessas Wirkung wird geräuschlos zelebriert, und der Zuschauer in seiner Hörgewohnheit aufgeschreckt, denn eine so lange Zeit, wie Heymann die Polin beobachtet, wird selten 'ohne' Ton  dargeboten. 

Mit Ausnahme des Originaltons, Heymanns Umblättern der Modefotos, werden keine Geräusche hinzugemischt. Hier verweist der Film eindeutig nicht auf Erfahrungen, die der Zuschauer mit der Realität macht, sondern auf Film und Fernseherfahrungen.

b) Szene 2: Finberg und seine Frau


In Szene 2 wird Finberg sehr eindeutig auf optische Weise charakterisiert. Er kniet zu Füßen seiner Frau, und die Kamera zeigt die subjektive Sicht Finbergs an seiner Frau hinauf. Hier hat die Kameraposition ebenfalls eine dramaturgische Bedeutung, ähnlich wie in Szene 1 die Fahrt auf Vanessa.
Finberg wird als Schwächling gekennzeichnet. Aber dieser Eindruck lässt sich nur durch den bewussten Einsatz der Kamera erfahren und verweist somit auf das »Gemachte« des Films, also keinesfalls auf Realität.
Überhaupt ist die optische Charakterisierung Finbergs interessant. Mit Buckel und viel zu langen Armen, einer aufsynchronisierten, weinerlichen Stimme‚ läuft er als Quasi-Quasimodo  herum, und das Verhältnis Finberg/Vanessa verweist überhaupt auf den Allegorie-Kreis um »La belle et le Béte”, ebenfalls einer Spezialität des französischen Films. 


c) Szene 28: Kösters Büro

In dieser Szene ist Polizeiarbeit ein wesentlicher Bestandteil. Die Kamera fährt durch des Polizeibüro, und zeigt, wie einige Polizisten gerade Kaffee trinken; an einem anderen Tisch wird ein Verhafteter vorgeführt. Schließlich bleibt die Kamera auf Finberg stehen, der am Fenster sitzt, verzagt, ängstlich. In dieser Szene könnte die Interpretation zulässig sein, Giovanni wollte Polizeialltag zeigen. Und in der Tat zeigt er auch nichts anderes als das, was jeden Tag in einem Polizeibüro passieren kann.
Jedoch hat diese Darstellung eine wichtige, dramaturgische Bedeutung. Durch den Kontrast zu den geschäftigen Polizisten wird eindeutig Finbergs ausweglose Situation verdeutlicht. Dadurch, dass sich keiner der anwesenden Polizisten um Finberg kümmert, wird dessen Hilflosigkeit in dem ihm feindlichen Milieu besonders deutlich herausgehoben. Die Polizeiarbeit verweist also nicht auf sich selbst, wie beispielsweise bei verschiedenen Verhaftungsszenen der Serie »Sonderdezernat K1«, sondern dient der Verdeutlichung des psychischen Zustandes Finbergs.

d) Szene 27:Finbergs Fahrt zur Scheune

Finberg fährt nachts heimlich zu einer alten Scheune. Diese Fahrt durch die Nacht wird mit Hilfe einer extravaganten Zoomfahrt dargestellt. Der Wagen fährt durch eine total aufgenommene, flache Landschaft, so dass man fast nur die eingeschalteten Scheinwerfer erkennen kann. Die Kamera zieht immer mehr den Weitwinkel auf, die Scheinwerfer degenerieren zu optischen Signalen, die Tiefenschärfe löst sich auf, und im Hintergrund taucht dunstig das iflletzten Abendrot liegende Gebirge auf.
Wir wollen darauf verzichten, eine tiefgründige Interpretation dieser Szene vorzunehmen. Wichtig ist aber, dass solch ein Effekt der 'Übertotalen' nur mit Hilfe der Zoom-Kamera gezeigt werden kann, wahrscheinlich auch nur mit Hilfe von Filtern. Das menschliche Auge vermag nicht, die Tiefenschärfe aufzulösen, das heißt es ist in der Realität unmöglich, Scheinwerfer und Gebirge gleichzeitig zu erkennen. Ebenfalls dürften die Lichtverhältnisse die Erfassung eines solchen Bildes unmöglich machen.

Wiederum verweist das Fernsehbild nicht nur auf den abgebildeten Gegenstand, sondern auch auf die Kameratechnik, das heißt auf künstliches Arrangement.

e) Szene 33: Vanessas Geständnis in Kösters Büro

Ein anderer Einsatz des Zoomobjektivs' findet sich in der Szene, in der Vanessa das Tonband mit Finbergs angeblichen Geständnis vorgespielt wird. Köster führt Vanessa ans Fenster und zeigt ihr, wie Finberg, offenbar als freier Mann, den Hof des Polizeipräsidiums Verlässt. Dabei wird aus dem Fenster heraus gefilmt und Finberg herangezoomt. Dabei kommt dieser näher, wobei das Gitter des Fensters im Vordergrund dem Zuschauer sichtbar bleibt.
Durch die Auflösung der Tiefenschärfe geraten Finberg und das Gitter zu optischen Signalen. Sie werden so aus ihrer Umgebung herausgehoben und bieten dem Zuschauer Gelegenheit zur Interpretation. ' Auch in dieser Szene wird die Kameratechnik deutlich als dramaturgisches Instrument eingesetzt; erst das Arrangement der abgefilmten Gegenstände durch die Kamera macht den Film verständlich.

f) Szenen 5, 10, 14: Die Fahrten im LKW

Um nachzuweisen, dass Kamera und Schnitt -Technik Wirklichkeit im Film im Sinne der Intention des Regisseurs verändern kann, untersuchten wird die drei mit entscheidenden Szenen des Giovanni-Films genauer und erstellten dafür eine detaillierte

Schnittaufstellung der 3 LKW-Fahrten

 

Szene 5: Die erste Fahrt
(Finberg und seine Frau, Finberg fährt)
1 der LKW fährt vom Hof der Spedition
2 an der Ausfahrt erkundigt sich Finberg nach der Uhrzeit und lässt volltanken
3 der LKW fährt durch den Stadtverkehr
4 er fährt um eine Kehre, an der Bauarbeiter beschäftigt sind
5 Führerhaus — innen
6 der LKW passiert den Landgasthof
7 er passiert eine Tankstelle an einer Ortschaft
8 im Führerhaus des LKWs
9 Der LKW fährt um eine Kehre
10 im Führerhaus – innen

Szene 10: Die zweite Fahrt
(Köster, Brenner, Heymann (?), Finberg fährt)
1 der LKW fährt vom Hof der Spedition
2 im Führerhaus - innen
3 ähnlich wie 2
4 einer der Polizisten
5 Finberg am Steuer &
6 Stoppuhr in der Hand Kösters
7 im Führerhaus — innen
8 LKW fährt an der Kirche vorbei
9 LKW stoppt, das Verbrechen wird rekonstruiert
10 wie 8
11 im Führerhaus — Finberg von hinten
12 wie 11, Finberg von der Seite
13 die Stoppuhr
14einer der Polizisten
15 im Führerhaus
16 Totale — der LKW kommt am Bestimmungsort an

Szene 14: Die dritte Fahrt

(Köster, Brenner, Heymann fährt)
1 Führerhaus - innen- Blick auf die Straße
2 die Stoppuhr
3 Führerhaus - innen - Blick auf die Straße
4 Führerhaus - Blick von vorn nach innen,
5 Heymann
6 das Lenkrad
7 Führerhaus - Blick von vorn nach innen
8 im Führerhaus
9 einer der Polizisten - Schwenk
10 Führerhaus - innen
11 Totale
12 (leer)
13 Köster
14 Totale: LKW passiert die Kirche
15 von innen: die Tat wird rekonstruiert
16 Heymann
17 Führerhaus - innen - Blick auf die Straße
18 das Lenkrad
19 die Reifen des Wagens - LKW von der Seite
20 Ankunft an der Matratzenfabrik


Alle drei Szenen sind von der Zeit her in etwa gleich lang, jedoch steigert sich durch die Schnittfolge die Dynamik, wobei sich die Anzahl der Schnitte jeweils um ca. 50% derjenigen der ersten Fahrtszene erhöht.
Eine weitere Technik zur Erhöhung der Dynamik in der Szene ist etwa das überlaute, die Fahrt scheinbare forcieren wollende Ticken der Stoppuhr in Kösters Hand; in der Szene 14: wieder die Stoppuhr, zudem eine Großaufnahme der Wagenreifen, sowie ein gewagtes Überholmanöver Heymanns, bei dem in dem Augenblick, wo man einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden PKW erwartet, ein Schnitt erfolgt, der jetzt in einer Totalen den LKW von vorne zeigt, wie er noch rechtzeitig wieder zurück auf die rechte Fahrspur wechseln kann.
Dabei zeigt die nächste Einstellung vom Fahrtwind des LKW aufgewirbeltes Laub. An diesen Beispielen kann man den Einsatz des Schnittes als dramaturgisches Mittel, das Zeiträume zusammenrafft, blitzschnell die Perspektive des Zuschauers wechseln lässt und so Spannung erzeugt, deutlich erkennen. Und wie bereits oben erläutert verweist Dramaturgie immer auf die Fiktionalität. Untersuchen wir die Einstellung 7. der 14. Szene genauer: dabei wird von vorn durch die Windschutzscheibe die Besetzung des fahrenden LKW aufgenommen, eine Position, die in der Realität kaum einzunehmen ist, denn die Front des Wagens hat, wie bei den meisten Möbelwagen, keine ‘Schnauze‘.
Dieses Problem löste etwa Wim Wenders in seinem Film »Im Laufe der Zeit«, indem er vor einem ähnlichen Möbelwagen einen Ausleger baute, auf dem er die Kamera montierte und wo auch der Kameramann Platz fand. In etwa gleicher Weise wird auch Giovanni diese Einstellung realisiert haben. Dieser technische Aufwand aber verweist wieder auf das 'Gemachte' des Films.

5g) Der Ton: Einsatz von Musik und Geräuschen

Es ist bereits mehrmals auf die Verwendung von Musik und Geräuschen hingewiesen worden, die in diese Episode des »Alten« eingestreut wurden. Das besagte einprägsame, melodische Klavierthema, oft von einem Bass‚ einer Gitarre und einer Orgel aufgenommen und begleitet, ist der musikalische Rahmen des Films und wird, abgesehen vom Nachspann, vorwiegend an den Stellen eingesetzt, an denen es den erotischen Charakter einer Szene unterstreichen soll.
Also etwa in der Szene 1, in der Finberg und seine Geliebte Vanessa im Bett liegen; in Szene 9, als Kriminalassistent Heymann Vanessa besucht, und in Szene 13, in der Finberg in Vanessas Wohnung die Zeitung studiert.
Die Musik fungiert so beinahe ausschließlich als Leitmotiv Vanessas, denn selbst wenn die Polin in einer Szene nicht auftritt, signalisiert das Klavierthema am Ende einer solchen Einstellung ihr Auftreten zu Beginn der nächsten Szene.
Dies lässt sich exemplarisch an den so zusammengefügten Szenen 2 und 5 nachweisen: Nach dem Streit zwischen Finberg und seiner Frau an dessen Ende diese ihre Mutter anruft, setzt die Musik ein und untermalt auch die ganze nächste Szene, in der Finberg und Vanessa deren Wagen besteigen und die Tiefgarage verlassen.
Neben Kamera- und Schnitttechnik kommt also auch dem Ton eine dramaturgische Bedeutung zu, was wiederum auf die Fiktionalität des Films verweist. Die einfühlsame Klaviermusik wird zudem dann variiert und insbesondere forciert, als Finberg, alarmiert durch Kösters angebliche Suchaktion, nervös eine Landkarte studiert (Szene 19), desgleichen bei den beiden LKW-Fahrten zur Rekonstruktion des Verbrechens (Szene 10 und 14).
Die Musik verstärkt jeweils den Eindruck, den der Zuschauer durch das Bild bereits gewinnt: Ruhe, intime Atmosphäre bzw. Hektik und Nervosität.
Doch nicht nun Bild und Musik rufen diese Eindrücke hervor, sondern auch hinzugemischte Geräusche. Vor allem das überlaute Ticken der Stoppuhr (Vgl. 8.14), welches nicht dem Originalton entstammt, sondern später im Studio eingespielt würde, erhöht die Atmosphäre von Eile-während der zweiten und dritten LKW-Fahrt.

Eine solche Methode, eine in der Wirklichkeit unmögliche oder unnötige Verstärkung von Tönen, wurde auch in einer wenige Wochen darauf ausgestrahlten Folge der ZDF-Kriminalserie »Derrick«” angewandt. Derrick half das Telefon-Freizeichen, einen Mordfall aufzuklären. Die Tontechnik stellte dieses entscheidende Beweisstück durch stetiges Steigern der Lautstärke des Freizeichens heraus.
Am deutlichsten aber wird die dramaturgische Bedeutung des Tons bei der Person des Spediteurs Finberg, für dessen Darstellung Regisseur Giovanni einen französischen Schauspieler auswählte. Dieser wird folglich während des gesamten Films synchronisiert, und zwar von dem Darsteller, der die Person des Assistenten Brenner verkörpert.
Dieser tritt des öfteren spaßeshalber als Stimmenimitator in Erscheinung (Szenen 12 und 18), so dass das Geständnis vom Tonband erst dadurch wirklich echt wirken kann. Gerade auch in dieser Tatsache zeigt sich die weitgehende Künstlichkeit des Films, denn die Synchronisation des französischen Schauspielers, und bei manchen Dialogen zwangsläufig auch die seiner Gesprächspartner, lässt sich ohne große Schwierigkeiten erkennen.

6. Zusammenfassung

 Aufgrund der hier nun vorliegenden Ergebnisse, die anhand von exemplarischen Untersuchungen einiger Aspekte des Films zustande kamen, ist unseres Erachtens zweifelsfrei nachgewiesen, dass es sich bei dem TV-Serienfilm »Der Alte schlägt zweimal zu« eindeutig um eine fiktive Geschichte handelt.
Tatsächlich bestätigen dies auch die zahlreichen Leserzuschriften an Tageszeitungen, Programmzeitschriften und den Sender. Im wesentlichen besteht die Kritik nämlich darin, dass der Grad an Realität viel zu niedrig, dadurch der Grad an Fiktionalität zu hoch sei:
Hier stellt sich nun die Frage, wann eine Fernsehsendung als Fiktion zu erkennen ist, wie hoch also der Anteil realer Vorgänge und Tatsachen sein darf. Bei der hier in Rede stehenden Folge des »Alten« schien dieser augenscheinlich zu groß zu sein. Passen wir einige als Gegebenheiten der tatsächlichen Umwelt einwandfrei zu identifizierende Fakten zusammen

  • — die Handlung spielt in der bayerischen Hauptstadt München
  • — folglich sind Stadt und Umgebung, Autokennzeichn etc. einwandfrei als real existent zu erkennen
  • — Finbergs Mord an Vanessas Ehemann wird von dieser auf den 2.Januar 1971 datiert (Szene 33)
  • — sehr starke Identifikation des Schauspielers Siegfried Lowitz mit seiner Rolle als Kommissar Köster

Für den letzteren Tatbestand sind unter anderem Vorankündigungen zum Start der Krimireihe »Der Alte« verantwortlich, die mit Aussagen wie

»50 Fälle wird Erwin Köster alias Siegfried Lowitz in den nächsten zwei Jahren klären
‚(...)« (Ruhr-Nachrichten, 15.März 1977),

die den Schauspieler und seine von ihm verkörperte Rolle als identisch darstellen. Dies fördert die Institutionalisierung der Figur des »Alten« als Identifikationsperson für das Publikum:

»Als Titelheld dieser neuen Serie soll Lowitz sich zum liebsten Krimi-Star der Deutschen mausern. So will es der Münchner Produzent Helmut Ringelmann (...)« (zitiert nach: Ruhr-Nachrichten, 15.März 1977)

Erinnern wir uns: Hatten nicht wohlmeinende Zuschauer der Polizei geraten, sich bei aussichtslosen Fällen an Kommissar Keller aus der gleichnamigen Fernsehserie zu wenden...? (Vgl. Manfred Delling: Bonanza & Co, Reinbek 1976).

Im selben Atemzug, wie die Identität von Schauspieler und Rolle verstärkt wird, wird allerdings in dem RN-Artikel die Eigenwilligkeit des »Alten« und seine gewagten Methoden, die sich »immer leicht außerhalb der Legalität« bewegen, betont. Dies ist schon von vorneherein, also vor dem Start der Serie ein eindeutiges Indiz für die Fiktionalität jeder Episode.

Obwohl es das Fernsehen inzwischen seit 25 Jahren in Deutschland gibt, ist es den Zuschauern (noch) nicht zu jeder Zeit möglich, und wahrscheinlich kann man auch das nicht immer von ihnen verlangen, zwischen Realität und Fiktion eindeutig zu unterscheiden. Man kann annehmen, dass das Publikum davon ausging, dass die neue Kriminalserie größere Wirklichkeitsnähe bieten würde, als dies letztendlich der Fall war.

Um die Erwartungshaltung der Zuschauer in Bezug auf eine neue Fernsehsendung zu korrigieren oder erstmals zu schaffen, wäre es nötig und zu begrüßen ‚dem Start der Sendung erklärende Worte voranzusetzen. Noch sinnvoller aber wäre es, ständige medienkundliche Sendungen in das Programm zu integrieren, die den Rezipienten dazu befähigen, Fiktion und Realität im Fernsehen selbstständig zu unterscheiden.

Anhang

Der Alte schlägt zweimal zu
von José Giovanni

S z e n e n l i s t e

0 Serientitel

1 Episodentitel - darunter: Der Speditionsunternehmer Erich Finberg liegt mit seiner Geliebten, der Polin Vanessa, im Bett. Sie sprechen über eine eventuelle Scheidung Finbergs.

2 In der Wohnung der Finbergs. Frau Finberg macht ihrem Mann eine Szene, da er von Vanessa gesprochen hat und eine Scheidung anstrebt. Sie ruft ihre Mutter an und sagt, sie wolle eine Wache bei ihr bleiben. Finberg bietet ihr an, sie am übernächsten Tag mitzunehmen, da er ohnehin eine Fahrt in dieser Gegend zu erledigen habe. Frau Finberg setzt ihre Mutter über dieses Angebot in Kenntnis.

3 Finberg und Vanessa betreten die Tiefgarage (offenbar in dem Haus, in dem Vanessa wohnt) und fahren mit Vanessas rotem Sportwagen hinaus.

4 Auf dem Hof der Spedition Finberg. Herr und Frau Finberg fahren mit einem LKW los. Am Tor lassen sie volltanken‚ Herr Finberg vergewissert sich, dass es genau 14 Uhr ist.

5 Herr und Frau Finberg unterwegs im LKW.

6 Frau Finbergs Mutter wird unruhig und ruft vergeblich bei Finbergs daheim an. Als es an der Tür klingelt, glaubt sie, es sei endlich ihre Tochter, doch es ist nur der Kuchen, den sie bestellt hat und den ein Bote abliefert.

7 Polizeipräsidium, Kommissar Kösters Büro. Zwei Tage später. Frau Finbergs Mutter meldet ihre Tochter als vermisst und beschuldigt Finberg, sie umgebracht zu haben. Sie sagt, Finbergs Behauptung, seine Frau sei nach einer Auseinandersetzung einfach aus dem Wagen gestiegen, sei eine Lüge; vielmehr habe Finberg seine Frau ermordet, um für seine Geliebte Vanessa frei zu sein. Eine Vermisstenanzeige soll aufgenommen werden. Köster schickt seinen Assistenten Heymann zu Vanessa, er selbst möchte sich in Finbergs Spedition umsehen.

8 Köster besucht Finberg in seinem Speditionsbüro. Finberg gibt sich ahnungslos, Köster erkundigt sich nach dem Ablauf der Geschichte und erhält die Erklärung, Finbergs Frau sei nach einem Streit ausgestiegen und davongelaufen. Mehr weiß Finberg angeblich nicht.

9 Assistent Heymann besucht Vanessa. Er gibt sich als Fremdenpolizist aus, fragt sie nach ihren Einkünften, spricht ihr Verhältnis mit Finberg an. Vanessa erzählt, wie sie
sich kennenlernten. Anschließend verführt sie Heymann.

10 Köster und Assistent Brenner fahren mit Finberg am Steuer noch einmal die Strecke ab. Finberg zeigt die Stelle, an der seine Frau angeblich ausstieg. Sie kommen am Bestimmungsort an.

11 Köster erkundigt sich dort im Kontor, wann Finberg am fraglichen Tag ankam: um 16 Uhr 05, er war also genau 2 Stunden und fünf Minuten unterwegs — die gestoppte Zeit bei der Rekonstruktion beträgt 2 Stunden 10 Minuten. Köster und Finberg stellen Hypothesen auf, wie Finberg einen möglichen Mord begangen haben könnte und wie er gleichzeitig die Leiche verschwinden lassen und in dem Zeitplan bleiben konnte.

12 Polizeipräsidium, Kösters Büro. Assistent Brenner imitiert Finbergs Stimme. Keiner kann erklären, wie Finberg einen Mord begangen haben kann. Frau Finbergs Mutter ruft an und beschwert sich über den schleppenden Gang der Untersuchung.

13 In Vanessas Wohnung. Finberg studiert die Zeitung, doch über seinen 'Fall' steht nichts darin.

14 Kommissar Köster und Assistent Brenner lassen die Strecke noch einmal von Heymann am Steuer abfahren, diesmal mit Höchstgeschwindigkeit. Sie stoppen eine Zeit von 2 Stunden, 4 Minuten und 22 Sekunden. Köster folgert, dass in den an 2 Stunden 5 Minuten fehlenden 38 Sekunden der Mord begangen und die Leiche versteckt wurde.

15 Polizeipräsidium. Köster verhört Finberg. Er erkundigt sich u.a. nach Vanessa und erfährt, dass sie Witwe ist; ihr Mann beging in Polen Selbstmord. Köster verhaftet schließlich Finberg wegen Freiheitsberaubung. Er zeichnet die angeblichen Suchzonen auf einer Landkarte ein und hofft, auf diese Art und Weise Finberg einkreisen zu können. Er schickt Heymann zu Vanessa. Er soll sich um ihr Alibi zur Zeit der Tat kümmern.

16 Heymann und Vanessa in inniger Umarmung.

17 Die angeblichen Suchzonen auf der Landkarte sind bis auf einen Rest zusammengeschrumpft, doch Finberg bestreitet weiterhin, seine Frau ermordet zu haben. Köster erkundigt sich nach Vanessas Alibi zur Tatzeit. Finberg sagt, sie habe kurz nach 16 Uhr mit ihm telefoniert. Köster lässt Finberg frei.

18 Heymann hat bei Vanessa das gleiche über den Anruf erfahren. Köster beauftragt Brenner, Fotos von Vanessa und Heymann zu schießen.

19 Finberg studiert eine Landkarte.

20 Polizeipräsidium. Köster zeigt Finberg die Landkarte mit den Suchzonen und sagt ihm offen ins Gesicht, dass er ihn für einen Mörder halt. Finberg leugnet die Tat weiterhin.

21 Kösters Privatwohnung. Seine Nichte ist zu Besuch, sie spielen mit Spielzeugautos. Heymann stellt dabei fest, dass Vanessa einen roten Sportwagen fährt.

22 Brenner fährt die Strecke ab und erkundigt sich bei verschiedenen Anwohnern — offensichtlich nach dem roten Sportwagen.

23 Kösters Büro. Brenner erstattet Bericht. Es wurde ein blauer und kein roter Sportwagen gesehen;

24 Heymann lässt Köster und Brenner in die Tiefgarage bei Vanessa. Köster stellt fest, dass Vanessas roter Wagen früher blau war und vermutet, dass er davor wiederum rot war.

25 Kösters Büro. Köster lässt Finberg frei.

26 Finberg eilt in Vanessas Wohnung. Er freut sich über die Freilassung und wirft Vanessa stürmisch aufs Bett.

27 Finberg fährt nachts heimlich zu einer alten Scheune, wo er einen großen Korb unter den Bodenbrettern hervor holt. Er wird bei dieser Tätigkeit von Köster und weiteren Polizisten beobachtet und gestellt. In dem Korb ist die Leiche von Frau Finberg. Köster weiht Finberg in den Bluff der angeblichen Suchzone ein.

28 Kösters Büro. Finberg gesteht den Mord an seiner Frau, doch Köster glaubt ihm nicht. Er sagt, Vanessa habe Frau Finberg umgebracht, da andere der Zeitplan nicht so genau hätte eingehalten werden können. Finberg wehrt sich gegen die Theorie. Er behauptet, Vanessa sei unschuldig.

29 Fahrt im LKW. Die Tat wird rekonstruiert. Vanessa erschoss Frau Finberg von hinten, Finberg stoppte kurz, um mit der Leiche in Vanessas wartenden Wagen umzusteigen, während Vanessa den LKW weiterfuhr. Finberg versteckte die Leiche und holte den LKW wieder ein, Fahrerwechsel. Diese Aktionen haben 20 Sekunden zusätzlich in Anspruch genommen.

30 Am Ort der Rekonstruktion. Finberg streitet Vanessas Täterschaft ab. Er behauptet, einen Komplicen gehabt zu haben.

31 Kösters Büro. Finberg Ieugnet immer noch. Er vertraut auf Vanessas Liebe, die dauern wird, bis er aus dem Gefängnis kommt. Köster zeigt ihm die Fotos von Heymann und Vanessa. Finberg kann es nicht glauben und zweifelt an der Authentizität der Bilder.

32 Vanessa wird in ihrer Wohnung zum Verhör abgeholt.

33 Kösters Büro. Köster sagt, Finberg habe ihr den Mord angelastet. Vanessa glaubt das nicht, sie will eine Gegenüberstellung. Köster spielt ihr ein Tonband mit Finbergs angeblicher Aussage vor, Vanessa ist schwer erschüttert. Köster zeigt ihr, wie Finberg angeblich aus der Haft entlassen wird, sie sieht ihn durchs Fenster über den Hof des Präsidiums gehen. Vanessa will alles gestehen, d.h. sie berichtet davon, wie Finberg vor drei Jahren, am 2.Januar 1971, ihren Mann ermordete und einen Selbstmord vortäuschte.

34 Finberg wird vor dem Präsidium wieder verhaftet.

35 Vanessas Geständnis über den Mord an ihrem Mann.

36 Heymann bringt Finberg in das Büro. Durch die Tür sieht er, wie Köster von Vanessas Aussage ein Protokoll macht.

37 Finberg kommt zu Vanessa und Köster. Köster weist ihm Vanessas Geständnis protokolliert vor. . Finberg und Vanessa entzweien sich. Sie werden abgeführt.

38 Vor dem Präsidium. Heymann sieht zu, wie Vanessa und Finberg in den Streifenwagen verladen werden. Köster gibt ihm einen Schluck zu trinken und tröstet ihn.

39 Vanessa im Streifenwagen. Durch das vergitterte Rückfenster sieht man die drei Kriminalbeamten verschwinden. Über diese Einstellung läuft der

40 Nachspann

Credits
Der Alte schlägt zweimal zu
Regie: José Giovanni
Drehbuch: José Giovanni

Darsteller
Siegfried Lowitz     Kriminalhauptkommissar Erwin Köster - "Der Alte"
Michael Ande        Gert Heymann
Jan Hendriks         Martin Brenner
Loumi Jacobesco   Vanessa
Michael Robin        Eric Finberg
Brigitte Horney      Mutter Finberg

Musik                    Peter Thomas
Kamera                 Walter Bal , Anne-Claire Khriponnoff
Ton                        Ludwig Langecker
Schnitt                   Jacqueline Thiedot
Regie-Assistenz    Jean Couturier
Aufnahmeleitung  Hartmut Koldeway, Etta Gumpelmayr
Maskenbildner      Alfred Rasche, Traute Koller
Kostüme                Paul Seltenhammer
Bauten                   Wolf Englert, Jochen Schumacher
Produktionsleitung    Klaus Stapenhorst
Herstellungsleitun     Gustl Gotzler
Produktionsfirma
Neue Münchner Fernsehproduktion GmbH (München-Geiselgasteig)
im Auftrag von
Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) (Mainz)
Österreichischer Rundfunk (ORF) (Wien)
Schweizer Fernsehen für die deutsche und rätoromanische Schweiz (SF DRS) (Zürich)

Länge: 59 min
Format: 16mm, 1:1.37
Bild/Ton: Eastmancolor
Erstsendung (DE): 01.05.1977, ZDF;
Uraufführung (CH): 10.05.1977, DRS