Widerworte aus der Küche
Ihre "Widerworte aus der Küche' sind keine
Emanzipationsliteratur: Im Mittelpunkt der Kinder- und Jugendbücher von Otti Pfeiffer
stehen Heranwachsende, die sich langsam von ihren Eltern lösen, um ihre eigene
Persönlichkeit zu entwickeln.
Von Reinhard Jahn
Zu den professionellen Selbstdarstellern der
Literaturszene und den mediengerechten Autorenpersönlichkeiten gehört sie
sicherlich nicht. Dazu ist Otti Pfeiffer aus Herdecke viel zu sehr Hausfrau und
Mutter geblieben, die nur "nebenbei" schreibt, dafür aber in ihren
Aussagen und der Intensität ihrer Arbeit ebensoviel leistet wie jeder
hauptberufliche Schriftsteller.
"Ich habe viele, viele Jahre gelebt, ohne eine
einzige Zeile zu schreiben", sagt sie. "Ich habe einen Beruf gelernt,
geheiratet, drei Kinder bekommen und bin dann wieder in den Beruf gegangen. Mit
40 habe ich erst angefangen zu schreiben, das ist ganz plötzlich aus mir
herausgekommen." Trotzdem ist der Titel ihrer ersten Veröffentlichung aus dem
Jahre 1972 - "Widerworte aus der
Küche" - nicht programmatisch zu verstehen, denn mit
Emanzipationsliteratur oder schicken Frauenbekenntnissen haben ihre Texte nicht
viel zu tun. Es sind vielmehr einfache und schlichte Bilder,' in denen deutlich
wird, in welche Widersprüche wir verwickelt sind, wie machtlos wir vor den
durchkonstruierten Machtmitteln stehen, wie unvollkommen zwischen allem
Perfekten.
Ohnmacht
entmachtet nicht
das Mächtige
Ohnmacht
ist Bewusstlosigkeit
Bewusstlos
sind wir immerhin
glücklich
Mit den "Widerworten" wurde aus Ottilie
Pfeiffer, der Hausfrau und Mutter die Autorin Otti Pfeiffer, die inzwischen mit
ihren Kinder- und Jugendbüchern bekannter geworden ist, als mit ihren lyrischen
Arbeiten oder ihren Erzählungen.
Egal, ob sie nun verspielt und träumerisch die Geschichte
von "Großen Olaf und den kleinen Knüpsen" oder realistische
Geschichten aus der Welt der Jugendlichen erzählt wie beispielsweise in
"Zeit, die durch die Sanduhr läuft" - wichtig ist für sie immer nur
die Geschichte, die es zu erzählen gilt. Es sind Geschichten von Kindern und
Heranwachsenden, die mit übergroßen, scheinbar erdrückenden Gefühlen
zurechtkommen müssen, die ihre Beziehungen zu ihren Eltern und ihrer Umwelt
neu. begreifen und sich dadurch zu eigenen Persönlichkeiten entwickeln.
"Ich lege sehr viel Wert auf Gefühle und das
Gestimmtsein von Personen", sagt sie. Was aber nicht heißen soll, dass sie
"gefühlvoll" schreibt. Vielmehr: "Es ist wichtig, Gefühle)
festzuhalten. Ich denke an das, was Kinder möglicherweise in einer bestimmten
Situation empfinden."
Denn die Gefühle der Kinder unterscheiden sich gar nicht
so sehr von denen der Erwachsenen. "Nur als Erwachsener weiß ich, wie man
damit umgehen kann. Wenn man Angst hat, dann kann man bei jemandem Schutz
suchen - aber ein Kind kann von dieser Angst erdrückt werden." Die
Geschichten, die Otti Pfeiffer erzählt, bestechen durch ihre Einfachheit und
durch die Genauigkeit, il mit der sie die Gedanken und Gefühle ihrer
jugendlichen Helden erfasst.
"Ich kann nicht sagen, ob ein Junge oder ein Mädchen
so ist, wie ich es darstelle", erklärt sie, "Ich würde eher sagen, dass
ich mich selbst so verhalten hätte, wenn ich in eine solche Situation geraten wäre."
Und Reaktionen der zahlreichen Kinder, die bei Lesungen oder Diskussionen immer
wieder sagen "Ja, so war es!" und "Woher haben Sie das gewusst?"
fragen, geben ihr recht: die Gefühle der Erwachsenen unterscheiden gar nicht so
sehr von denen der Kinder. .
Otti Pfeiffers Jugendromane sind aber immer auch
Beschreibungen einer Loslösung vom Elternhaus. Da gibt es in "Zeit, die
durch die Sanduhr läuft" die fünfzehnjährige Melanie, die plötzlich
erkennt, dass es besser ist, sich ein
wenig von ihren Eltern zu lösen. Sie entdeckt, dass sie an der Schwelle des
Erwachsenenseins steht und ihren eigenen Weg gehen muss.
"Das muss sein, dass man sich aus solchen
Beziehungen löst", sagt Otti Pfeiffer zu diesem Thema der persönlichen,
individuellen Emanzipation ihrer Figuren. "Es ist die Vorstellung, dass
man ein ganz eigener Mensch ist und sein eigenes Lehen führen muss. Wenn zum
Beispiel eine Mutter-Tochter-Beziehung nicht irgendwann einmal gelöst wird, ist
es unmöglich eine neue, gleichberechtigte Beziehung miteinander
aufzubauen." Und das ist dann ein größerer Verlust als der kurze Schmerz
bei der Trennung des Kindes von der Mutter.
Schau nicht zugleich
mit mir
in den Spiegel, Mutter
In deinen Augen
so war ich.
Ich denke:
So werde ich sein.
Komm, wir verhängen
die Spiegel,
wir kennen uns doch
Denn konfektionierte Sozialkritik und glatte Ideologien
sind ohnehin nicht ihre Sache, nicht umsonst bevorzugt sie Erzählungen in der Ich-Form,
die sich nur mit den Problemen und Gefühlen einer einzigen Person beschäftigen.
Ein bisschen Erinnerung an die eigene Kindheit ist
sicherlich auch stets dabei, wenn sich Otti Pfeiffer vormittags ("Da bin
ich allein und kann am besten arbeiten!") an die Maschine setzt, um zu
schreiben. Aber auch die Anregungen, die sie durch ihre mittlerweile fast
erwachsenen Kinder bekommt, die Probleme des Schulalltages und des
Familienlebens greift sie auf, entwickelt eine Erzählung daraus, beschäftigt
sich mit ihnen, versucht sie zu verstehen und ihnen auf den Grund zu gehen.
Was ihre Mutter geschrieben, erfahren die Söhne Michael
(19 und Ingo (17) und Tochter Suse (13) zumeist allerdings erst, wenn das Buch
gedruckt worden ist. Dann weiß Otti Pfeiffer wenigstens, dass es dem Lektor und
dem Verleger gefallen hat. Und: "Häusliche Kritik habe ich sowieso nicht
so gern!"
Reinhard Jahn
Kasten Zur Person
Otti Pfeiffer, geboren 1931 in Wesel. Sie besuchte die
Volksschule, die Realschule, anschließend das Abendgymnasium. Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin.
Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern Michael (19), Ingo (17) und Suse
(13) in Herdecke, ist Hausfrau und Mutter und arbeitet als Teilzeitkraft in der
Stadtbücherei Dortmund-Hombruch.
Nachdem sie als 20jährige für kurze Zeit einmal
Gerichtsreporterin für eine Lokalzeitung gearbeitet hatte, begann sie erst mit
40 Jahren wieder zu schreiben und zu veröffentlichen. Arbeitsgebiete sind neben
kurzen Prosatexten und Lyrik besonders Kinder- und Jugendbücher, Erzählungen
und Texte zu Bilderbüchern.
Bücher:
-Widerworte aus der Küche, Kurzprosa, Wulff-Verlag 1972
-Machen wir mal einen Sandsturm, Kinderbuch,
Schneider-Verlag, 1976
-Träume stehen auf dem Stundenplan, Jugendbuch,
Schneider-Verlag, 1978
-So klein mit Hut, Kinderbuch, Schaffstein-Verlag, 1978
-Zeit, die durch die Sanduhr läuft, Jugendbuch,.
Schaffstein-Verlag, 1979
-Der große Olaf und die kleinen Knüpse, Kinderbuch,
Dressler-Verlag,1980
Reinhard Jahn: Widerworte aus der Küche – Portrait Otti Pfeiffer
Ruhr-Nachrichten (Dortmund), 2.1.1982 (Wochenend-Ausgabe)