21.3.14

Marabo 2/1981:
Solange der Bizeps nicht beim Denken stört – Portrait Herbert Somplatzki

Herbert Somplatzki - Schriftsteller, in der Bodybuilding-Szene und im Trimm Dich-Center gleichermaßen zu Hause wie in der Volkshochschule und der Essener Kulturpolitik

Ein Portrait von Reinhard Jahn und Andreas Böttcher


Die Bewegung ist zu Ende. Die Arme sind vollständig gestreckt.
Die Muskelfasern des Trizeps brachii, auf das Äußerste kontrahiert, verkürzt, leisten den leichten Anstrengungseinsatz.
Sie halten das schwere Eisengewicht senkrecht über dem Kopf, durchglüht von brennendem, zitternden Schmerz.
Der Atem keucht.
Schweiß strömt über Gesicht und Hals, Brust und Rücken.
Noch halten die Arme das Eisen über dem Kopf.
Schmerzend und zitternd.
Schwankend in erschöpfter Anstrengung.
Dann wuchtet - mit letzter Kraftanstrengung Karl-Heinz die Hantel auf den hellgrauen Teppichboden. In sich zusammengesunken sitzt er auf der Bank.
Die gebeugten Arme auf die Oberschenkel gestützt.
Den Kopf tief gesenkt.
Und die Geräusche von Herzschlag und Atem hüllen ihn ein.

Warum treffen wir den Mann, der die Körperarbeit in einem Bodybuilding-Studio so pedantisch und intensiv beschreibt, ausgerechnet in der Volkshochschule? Vielleicht weil die hantelklappernde und schweißtreibende Atmosphäre eines Sportstudios nur dem Bodybuilder Herbert Somplatzki gerecht werden würde und nicht so sehr dem Schriftsteller.
Also sind wir auf die VHS Essen  verfallen. Er wartet in dem nach dem nach dem Vorbild klassischer Amphitheater angelegten Forum, unauffällig in einem der unbequemen Ledersessel. Herbert Somplatzki, kurzgeschnittenes, schwarzes Haar, brauner Rollkragenpullover, eine braune Collegmappe in der Hand.
Beruf: Schriftsteller.

Wie jeder einigermaßen presseerfahrene Mitmensch hat auch Herbert Somplatzki auf einer DIN-A-4-Seite einen kurzen Standardlebenslauf mit einer Liste bisheriger Berufe und Veröffentlichlungen zusammengestellt:
1934 in Masuren geboren, nach der Volksschule Berglehrling, 11 Jahre im Ruhrbergbau tätig, neuneinhalb Jahre davon Untertage. Anschließend Ausnahmestudent der Deutschen Sporthochschule in Köln, Ausbildung zum Diplom-Sportlehrer. Studium der Erziehungswissenschaften Diplom-Pädagoge. Seit knapp einem Jahr als freier Schriftsteller tätig, Wohnort Essen.
Aber auch ohne diesen Lebenslauf zu kennen kann man schon sehr viel über Herbert Somplatzki sagen, wenn man seinen Romanerstling 'Muskelschrott' (1974) und seinen in diesen Tagen erschienenes Jugendbuch 'Schocksekunde' gelesen hat.
'Muskelschrott', den er heute als "fast zu privat" einschätzt, erzählt die Geschichte des Berglehrlings Horst, der mit 15 Jahren auf der Zeche anfängt, später Karriere als Fußballprofi macht und schließlich nach einer schweren Verletzung auf dem Spielfeld von der Stadtverwaltung eingestellt wird und in einem Freizeitpark arbeitet, wo er allerdings schon nach recht kurzer Zeit mit der Bürokratie aneinandergerät und im Rahmen eines Arbeitsgerichtsprozesses hochoffiziell gegangen wird.
Und genauso wie dieser Horst hat auch Karl-Heinz, Protagonist in 'Schocksekunde' eine Lebenskrise zu bewältigen, in die er durch eine schwere Verletzung gestürzt wird. Horst trifft es auf dem Fußballplatz, Karl-Heinz baut einen Motorradunfall, der ihn körperlich handicapt und ihn zwingt, einen neuen Anfang zu machen, sich zuerst einmal selbst zu finden.
Die Rückbesinnung auf• den eigenen Körper, das buchstäbliche Arbeiten an sich selbst wird dabei sowohl für Horst, als auch Karl-Heinz zu dem Mittel, mit dem sie ihr angeschlagenes Selbstvertrauen wieder aufbauen, mit dem sie eine neue Selbstsicherheit finden. Karl-Heinz arbeitet in 'Schocksekunde' - Untertitel 'Leben musst du selber' so lange an sich, bis er, äußeres Zeichen seines Erfolges, Junioren-Meister der Bodybuilder wird. Die Szene kennt Herbert Somplatzki aus eigener Erfahrung ("Solange mein Bizeps mich nicht beim Denken stört..."), und die Bedeutung, die er der Arbeit an sich selbst beimisst, wird deutlich, wenn er sagt: "Wir haben nicht einen Körper, wir sind ein Körper wir sterben mit ihm."
Die Beschreibung von Bewegungsabläufen, körperliche Anstrengung und die Sportszenen gehören deshalb auch zu den intensivsten. Passagen seiner Bücher, und es nimmt auch kaum Wunder, dass auf der Liste seiner Veröffentlichungen auch ein Sachbuch über 'Körpertraining und Bewegungsgestaltung im darstellenden Spiel! zu finden ist.
Wenn er schreibt, dann weiß er, was er tut. "Wenn ich eine Motorradfahrt beschreibe, dann fahre ich das auch!", sagt er. Sei es ein Boxkampf, ein Sprung vom Siebenmeter-Brett oder das Training in der Sportschule. Somplatzki versteht es, die  Vorgänge in ihre Einzelteile zu zergliedern und sie in abgehackten, mitunter stakkatoartig montierten Sätzen und Worten pedantisch genau zu erfassen. Wobei er, und das hebt ihn als Autor über die Ebene des normalen Sport-Sachbuches hinaus, neben den äußeren Bewegungsabläufen auch noch das innere Erleben seines jeweiligen Protagonisten zu vermitteln versteht.
"Ich schreibe nur das, was ich persönlich nach- oder vorvollziehen kann!", sagt er. Dementsprechend direkt und unmittelbar sind dann auch seine Texte, für die er keine gängige Interpretation zur Hand hat. So etwas, meint er, kann man getrost den Germanisten überlassen, die es fertigbringen, ganze Dissertationen über ein einzelnes Romankapitel zu schreiben. Somplatzki selbst begnügt sich damit, auf die beiden Bücher zu zeigen, die vor ihm liegen und zu sagen: "Das wollte ich erzählen." Auch wenn man manchmal den Eindruck haben kann, dass er Schwierigkeiten hat, in einer durchgehenden Romanhandlung die Einzelszenen richtig zu gewichten, muss man ihm zugestehen, dass jede einzelne Passsage für sich genommen durchaus bestehen kann. Denn sprachhandwerklich ist jeder Romanabschnitt allein genommen ein kleines Kabinettstückchen, dem man die sprachliche Filigranarbeit, die dahinter steckt nicht anmerkt.

Das Handwerkszeug dazu hat sich Herbert Somplatzki durch seine 'Schrumpfstories' erarbeitet. Diese kleinen, auf 50 Worte begrenzten Geschichten sind Shortstories im wahrsten Sinne des Wortes: kurz, prägnant, mal lustig, mal nachdenklich. Sprachökonomie, die jeden Inhalt in seiner einfachsten und deutlichsten Form mitteilt. Geschichten, an denen bis zuletzt gefeilt und gearbeitet worden ist.
Dass er gerne feilt und seinen Arbeiten selbstkritisch gegenübersteht, wird auch in unserem Gespräch deutlich: Er fragt nach, er will wissen, was mir an seinem neuen Roman auffällt, wie gewisse Passagen wirken. Er erkundigt sich nach dem Eindruck, den ich beim Lesen gehabt habe. Kritik nimmt er dabei gelassen zur Kenntnis, überprüft sie, verteidigt sich nur, wenn er sich missverstanden fühlt und fragt ansonsten nach Verbesserungsvorschlägen. Ein Autor. wie man ihn sich als Verlagslektor eigentlich nur wünschen kann, zumal seine Arbeitsmethode (zuerst ein drei oder vierseitiges Konzept, das dann nach und nach ausgebaut wird) stets für Anregungen, Kritik, Tipps und Diskussionen offen ist. Aus dieser Arbeitsbeschreibung entsteht der Eindruck, dass Herbert Somplatzki noch nach einer Suche nach einer unverwechselbaren eigenen Identität ist, dass er sich in seiner neuen Position als Berufsschriftsteller jetzt zwischen den Erfordernissen des Marktes und den eigenen Absichten zurechtfinden muss. Wobei er allerdings keine Neigung zeigt, gängige und unterhaltende Marktware zu produzieren, denn er hat Persönlichkeit genug, seine eigenen Vorstellungen zu umreißen und sie im Rahmen des Möglichen auch durchzuführen.

Wenn man mit ihm redet, muss man sich seinem Tempo anpassen, er ist liebenswürdig und gesprächig, ohne geschwätzig zu sein, denn die defensive Diplomatie ist nicht seine Art. Er sagt, was er denkt und er denkt augenscheinlich auch das, was er sagt. Dass er mit der Kultusbürokratie ; im allgemeinen und der in; Essen im besonderen auf Kriegsfuß steht, ist kein Geheimnis, was er von Kollegen und Verlegern hält, sagt er auch dann, wenn es kritische Bemerkungen sind. Verletzend wird er allerdings nie, weil er Humor hat. Meint er doch zur Essener Kulturpolitik: "Ich glaube, wir brauchen keine Literaturförderung, weil wir doch inzwischen die Laserstrahlen am Rathaus haben."

Herbert Somplatzki:
Muskelschrott, Roman, Fischer Nr. 1429.
Zeit der Pilze, Schrumpfstories, Verlag Homann Wehr,
Schocksekunde, Franz Schneider Verlag. .


Reinhard Jahn:
Solange der Bizeps nicht beim Denken stört – Portrait Herbert Somplatzki
in: MARABO. Bochum. Heft 2(Februar) 1981, S. 57-58