12.11.20

Krimi der Woche: Moosrosenkavalier

Der Moosrosenkavalier

von Karr & Wehner

Sie waren schon alle da, als Gonzo in Altendorf ankam: Streifenwagen, die Spurensicherung, der Kriminaldauerdienst und der Leichenwagen. Vorm Haus tuschelten die Nachbarn.
   Der Blumenhändler, vor dessen Laden Gonzo den Kombi in eine Parklücke quetschte, schleppte die Dahlien aus dem Saisonangebot aus der Straßenauslage in den Laden zurück. Als Gonzo die Videokamera von der Ladefläche holte, plierte der Händler auf die Aufkleber auf den Seiten. »Gonschorek Videoproduktion - TV und Werbung - sind Sie das?«
   Gonzo checkte die Kamera und und behielt den Hauseingang im Auge.«Sind sie schon mit dem Sarg raus?«
   Der Blumenhändler kratzte sich am Kopf. »Moosröschen«, sagte er. »Vor drei Stunden hat er sich noch Moosröschen geholt. 17 Stück. Hochzeitstag, hat er gesagt, 17 Jahre.« Er nahm die letzten Arm voll Dahlien aus dem Eimer. »Er hat immer Moosröschen genommen.«
   »Klar«, sagte Gonzo. »Ist der Sarg schon raus?«
   Der Händler schüttelte den Kopf. »Seine Frau war eine ganz liebe«, sagte er. »Jede andere hätte ihn schon längst auf die Straße gesetzt. Dauernd diese Techtelmechtel. Zuletzt mit der Angelika aus der Lottoannahmestelle. Immer Moosröschen. Zwei Wochen lang jeden Tag, bis er sie rumhatte. Und vorher die Kindergärtnerin, achtzehn Tage. Oder die Blonde vom Friseur, nur drei Tage. Und immer Moosröschen.«
   »Alles klar«, sagte Gonzo und drängelte sich mit der Kamera auf der Schulter durch die Gaffer. Hoffmeister von der Nordwache stand am Eingang und nickte Gonzo nur kurz zu, als er sich ins Treppenhaus schob. Es war die Parterrewohnung. Im Treppenhaus warteten die Bestatter mit dem Sarg, die Wohnungstür stand auf. Kommissar Behrendt stand in der Diele, die Hände in den Jackentaschen.
   »Mach schnell«, sagte er zu Gonzo. »Du gibst ja sowieso nicht eher Ruhe, bis du deine Bilder hast.«
   Gonzo setzte die Kamera an. Auf dem Küchenboden Stücke von Tellern, mit Soße verschmiert, Rouladen, Kartoffeln. Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Jemand weinte. Gonzo schwenkte den Toten vor dem Küchenschrank ab, Brust und Bauch von Stichen zerfetzt, und das blutige Filettiermesser auf dem Boden.
   »Siebzehn Stiche«, sagte Behrendt. Jemand hatte dem Toten die Hände auf der Brust gefaltet, der Moosröschenstrauß klemmte zwischen den Fingern.Gonzo setzte die Kamera ab. Im Wohnzimmer weinte eine Frau.
   »Sie?«, fragte Gonzo.
   Behrendt nickte. »Hat uns selber angerufen.«
   »Motiv?«, fragte Gonzo, mehr der Form halber.
   »Noch offen«, sagte der Kommissar.
   Die Leichenträger nahmen dem Toten die Moosröschen aus der Hand, ehe sie ihn in den Blechsarg legten.
   

Karr & Wehner sind als Autorenteam mit ihren »Gonzo«-Krimis bekannt geworden. Obwohl sie nicht immer die schönsten Seiten des Reviers zeigen, erhielten sie 2000 den »Literaturpreis Ruhrgebiet«. Außerdem wurden sie zweimal mit dem Friedrich Glauser-Preis ausgezeichnet.

Der Moosrosenkavalier
Erstveröffentlichung in :
Karr & Wehner: Hühnerherbst
Zürich: Haffmans, 1997
© by Autoren / Reinhard Jahn
Weiterverbreitung nur mit Genehmigung

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