18.9.18

Zum Start des größten Krimi-Festivals Europas

NRW im Zeichen des Krimi-Festivals “Mord am Hellweg“

Reinhard Jahn im Interview


Von Jens Dirksen

Essen.  Reinhard Jahn (62) kennt die Entwicklung des deutschen Krimis aus allen erdenklichen Perspektiven. Er ist Gründer und Leiter des Bochumer Krimi-Archivs, des Deutschen Krimi-Preises und des Deutschen Krimi-Lexikons, aber auch als versierter Kritiker tätig. Zudem hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Walter Wehner den polizeifunksüchtigen Video-Geier Gonzo Gonschorek erfunden (wobei ein revierbekannter Blaulicht-Reporter erkennbar Vorbild stand), der in den 90er-Jahren Furore machte und dem Duo den Literaturpreis Ruhr einbrachte.


Reinhard Jahn, der auch Rate- und Jugend-Krimis sowie Kriminal-Hörspiele geschrieben hat, ist zudem beteiligt an Europas größtem Krimi-Festival, dem „Mord am Hellweg“, das am heutigen Samstag startet. Jens Dirksen sprach mit ihm über den Regional-Krimi im Wandel der Zeiten.

Herr Jahn, wo sehen Sie die Anfänge des Regionalkrimis?

Angefangen hat alles Ende der 80er-Jahre mit dem „Ekel von Datteln“, um es grob zu sagen.

Wie? Nicht schon Mitte der 70er-Jahre mit Jürgen Lodemann und seinem Anita-Drögemöller-Roman?
Nein, das ist ja weniger ein Krimi als vielmehr ein Gesellschaftsroman, der den Krimi adaptiert, ein Sittenroman.

Also, Ende der 80er-Jahre….

… da hatten Autoren wie Werner Schmitz, Reinhard Junge oder Leo P. Ard schon zum Teil für den Dortmunder Weltkreis-Verlag bewusst trashige Romane geschrieben, mit Titeln wie „Roter Libanese“ oder „Fotofalle“. Und dann kam eben diese Trilogie über Datteln, es folgten ja noch „Das Ekel schlägt zurück“ und „Die Waffen des Ekels“. Die haben ja nicht zuletzt deshalb Aufsehen erregt, weil das Vorbild für die Ekel-Figur, der langjährige Bürgermeister Horst Niggemeier, stets bestritten hat, dass diese Figur irgendwas mit ihm zu tun hätte. Und die beiden Autoren haben immer wieder nachgelegt, das hat dann weiteren Auftrieb gegeben.

Da war der Krimi auch eine Chance, den sozialdemokratischen Filz im Ruhrgebiet zu beschreiben.
Genau, Junge und Jürgen Pomorin, der hinter dem Pseudonym Leo P. Ard steckt, verstanden den Regionalkrimi als eine Art Gegenöffentlichkeit.

Warum ist eigentlich das Ruhrgebiet so ein Epizentrum des Regionalkrimis?

Wegen der großartigen und einzigartigen Mischung von Milieus, seiner speziellen Lage und seiner besonderen Geschichte. Hier durchschneiden sich Idylle und Industrialisierung, Arbeit, Bergbau, Arbeitskampf und aktuell Strukturwandel. Man sieht sich nicht ungern als eine Art Los Angeles – eine Agglomeration von Groß- und Mittelgemeinden, die nicht so metropolenartig fokussiert ist wie New York oder Tokio. Im Revier ist deswegen jede Art von Kriminalität und Krimi möglich – und wahrscheinlich. Vom Trenchcoat-Herrn-Haferkamp bis zum Militärjacken-Proll-Schimanski.

Auch nicht ganz unwichtig: Der Grafit-Verlag in Dortmund machte aus dem Regionalkrimi ein Programm.

Und das ging dann ja auch schon bald übers Ruhrgebiet hinaus: Jürgen Kehrer mit seinen Wilsberg-Krimis in Münster etwa, oder die ehemalige journalistische Edelfeder Jacques Berndorf, der mit dem Journalisten Siggi Baumeister den Vater aller Eifel-Krimis erfand. Der hatte übrigens eine Vorgeschichte als Romanfigur im Bastei-Verlag, das lief da aber offenbar nicht so gut. Auch der hat immer noch zeitgenössische Themen aufgegriffen, die im Schwange waren.

Und heute?

Heute ist der Regionalkrimi der Mittelbau der deutschen Krimi-Landschaft, ein vormals kritisches und heute eher handwerkliches, weitgehend innovationsfreies Genre. Wir sind längst im Übergang vom politischen Engagement zum reinen Entertainment. Oder man könnte auch sagen: Regionalkrimis sind heute die Schlagersänger in der Spannungsliteratur, da gibt es dann alles, von Helene Fischer bis zum Wendler.

Wo geht denn der Trend hin bei den Regio-Krimis?


In die Urlaubregionen, ganz klar! Denken Sie an die Ostfriesen-Krimis, die Allgäu-Krimis…

…und der erfolgreichste deutsche Regiokrimi spielt Folge um Folge in der Bretagne, Jean-Luc Bannalec ist ja nur ein Pseudonym.

In der Tat, der Urlaubskrimi ist ja die logische Fortentwicklung des Regio-Krimis mit anderen Mitteln. Seltsamer Weise übrigens vorwiegend an der Atlantik-Küste bis runter nach Portugal. Dafür gibt’s bisher kaum Mallorca-Krimis, nur einen von Manni Breuckmann, der ist gar nicht schlecht. Es geht ja immer mehr um Charaktere und Erzählung, weniger um Spannung und Gesellschaft. Jung-Autoren achten heute schon verstärkt darauf, ihre Figuren als serientauglichen Charakter anzulegen, etwa wie Mankells Wallander. Aber insgesamt gibt es in der Krimi-Branche ein großes Wehklagen und Rätselraten, wo es mit dem Regio-Krimi hingehen könnte, ob ihm vielleicht Impulse aus dem Liebesroman oder aus dem Familienroman gut täten. Oder mehr Geheimnisvolles?

Gibt’s denn heute auch noch richtig gute Regionalkrimis?

Klar: Mechtild Borrmann und Norbert Horst sind die beiden Literaturgaranten im deutschen Krimi.

Erstveröffentlichung:
WAZ / NRZ / Funke-Medien 14.09.2018 - 14:38 Uhr (online)
WAZ / NRZ / Funke-Medien 15.09.2018 Print
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NRW im Zeichen des Krimi-Festivals “Mord am Hellweg“
Reinhard Jahn im Interview
WAZ / NRZ / Funke-Medien 15.9.2018