27.5.19

Marabo 1/1983
So amerikanisch wie eine Schrotflinte
Portrait Dashiell Hammett

Hammett, der berühmte amerikanische Krimiautor ist der Held des gleichnamigen Detektivfilmes von Wim Wenders, der diesen Monat bei uns Premiere hat. Der Autor als Detektiv, der Detektiv als Autor - Hammett war beides.

Ein Porträt von Reinhard Jahn

"Ich bin von der Continental Detective Agency, Büro San Francisco", erklärte ich ihm. "Wir haben vor ein paar Tagen von Ihrem Sohn einen Scheck und einen Brief erhalten, in dem er. einen Mann anforderte, der hier etwas für ihn erledigen sollte. Ich bin dieser Mann."
(Red Harvest)

Die Stadt heißt Personville, doch jeder nennt sie nur Poisonville, eine hässliche, vom Rauch der Ziegelschornsteine der Schmelzhütten gleichmäßig eingeräucherte Ansiedlung von vierzigtausend Menschen, eingeklebt in einen hässlichen Einschnitt zwischen zwei hässlichen Bergen.

 Fact? Fiction? 


Amerika vor Beginn der Dreißiger, Amerika vor dem Schwarzen Freitag, jenem 24. Oktober 1929, an dem die überzogenen Hoffnungen einer Nation auf allgemeine wirtschaftliche Prosperität vom Börsenkrach begraben wurden.
Zwischen November 1927 und Januar 1928 erscheint in dem auf billige Krimi-Unterhaltung spezialisierten Black-Mask-Magazine die Geschichte von der Bluternte in Poisonville.
Für ein paar Cents pro Wort geschrieben von einem gewissen Dashiell Hammett, der zuvor schon unter dem Pseudonym Peter Collinson ein paar Stories bei »BlackMask«-Herausgeber John Daly hatte unterbringen können, ohne dass jemand den lakonisch erzählten Gangstermärchen besondere Bedeutung geschenkt hätte.

Detektiv bei Continentals


Dieser Dashiell Hammett kennt sich aus, weiß, wovon er schreibt, wenn er von Korruption und Gangsterkriegen erzählt, die in den Endzwanzigern in den USA erblühen wie zu keiner Zeit zuvor.  In Chicago befehligt ein gewisser Al Capone eines der größten Gangster-Syndikate der Neuzeit, in den speakeasys fließt der seit 1917 verbotene Alkohol in Strömen, treffen Geschäftsleute auf Ganoven, Kabarett-Girls auf Kriminalbeamte, jeder weiß, was der andere tut, aber keiner redet darüber.
Dashiell Hammett, der Junge aus Mary's County, Maryland, Jahrgang 1894, ist mit dreizehn von der Schule geflogen, er hat bei der Baltimore & Ohio Railway als Rangierarbeiter gearbeitet, sich als Zeitungsverkäufer, Angestellter und Hafenarbeiter durchgeschlagen, bevor er einen Job bei der Pinkerton National Detective Agency (»We never sleep!«) in Baltimore bekam.
Gangster hat er beschattet, geklaute Juwelen zurückgebracht, die Unter- und Halbwelt San Franciscos nach Informationen abgeklopft und versucht, Entlastungsmaterial für den wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagten Komiker Fatty Arbuckle herbeizuschaffen. In den acht Jahren bei Pinkerton sammelt Hammett Material, macht er Charakterstudien, die später in seine Geschichten einfließen, hört er Stories und erlebt Verbrechen.

Der gläserne Schlüssel

Eine Grippe, die er sich während seiner Dienstzeit als Unteroffizier im Ersten Weltkrieg zugezogen hat, wächst sich nach Kriegsende zu einer Tuberkulose aus, so dass er seinen Job bei Pinkerton aufgeben muss. Seine Ehe mit einer Krankenschwester, die  er 1920 geheiratet hatte, ist kaputt, Hammett hängt herum, beginnt zu saufen.
Und er schreibt, schlüpft in die Rolle des Continental Op und lässt ihn Dinge erleben, die er selbst erlebt hat.
Später wird man seinen Stil »so amerikanisch wie eine abgesägte Schrotflinte und so erregend wie ein Extrablatt« nennen, wird man ihn mit Hemingway vergleichen oder Hemingway mit ihm.
Knapp und lakonisch ist seine Sprache, präzise die Charakterdarstellung, dicht die Atmosphäre.
Der Autor Dashiell Hammett verbrennt an sich und seinen Geschichten, flackert als Strohfeuer mit vier Romanen zwischen 1929 und 1931 grell. auf und verglüht als Comic-Szenarist (Secret Agent X-9) und Drehbuchschreiber in Hollywood:
Mit »Der Malteser Falke« hat er 1930 einen Meilenstein in der Geschichte der Kriminalliteratur gesetzt, es folgt" 1931 »Der gläserne Schlüssel« beides Geschichten um Liebe, Hass und Korruption, Geschichten von Geld und Machtgier, Skrupellosigkeit und Gewalt. Geschichten, die absolut nichts mehr mit jenen Krimis zu tun haben, wie sie von der Dame Agatha Christie zur gleichen Zeit in Merry Old England produziert werden.
»Hammett hat den Mord an die Leute zurückgegeben, die ihn begehen!«, sagt Raymond Chandler später. Hammett hat den Mord zu jenen zurückgebracht, die Gründe haben, ihn zu begehen: die Profi-Killer, die korrupten Politiker, die normalen Menschen, deren Gefühle und Leidenschaften blutig enden.

Rote Ernte

Und das Amerika der Depression und des New Deal schaut gern in den Spiegel, den ihm der Marxist Hammett vorhält, den Spiegel, der mit Hollywood-Perfektion die gröbsten Angriffe auf das korrupte System der Endzwanziger glättet und der den Gangster als Produkt des Spätkapitalismus vorführt:
Viermal wurde »Der Malteser Falke« verfilmt, zweimal »Der gläserne Schlüssel«, einmal »Der dünne Mann«, Hammetts letzter Roman, in dem er sich beinahe komplett von seinen hartgesottenen Helden  abwendet und in der Figur des reich verheirateten Dandy-Detektivs Nick Charles eine kuriose Mischung aus Sherlock Holmes und Sam Spade entwickelt.

»Der dünne Mann« bleibt sein letztes Werk, auch wenn in den darauffolgenden Jahren noch eine Reihe von Kurzgeschichtensammlungen erscheinen, in denen die Stories seiner frühen Jahre wieder veröffentlicht werden.
Dash, wie ihn seine neue Lebensgefährtin Lilian Hellman nennt, wird als Marxist zum »enfant terrible« der Hollywood-Gesellschaft, die nach Meinung einiger Mächtiger von kommunistischen Umtrieben gesäubert werden muss. Natürlich fällt da Hammetts Engagement für die Kämpfer gegen den Faschismus im Spanischen Bürgerkrieg auf, natürlich greift man sich ihn, als er 1951 einen Fond verwaltet, aus dem die Kaution für verhaftete »Civil Rights«-Kämpfer gezahlt werden soll. Hammett weigert sich, die Namen der Spender des Fonds zu verraten und erhält prompt die Quittung: fünf Monate Gefängnis.

Zwei Jahre später steht er vor dem McCarthy-Ausschuss und weigert sich auf die »Sind Sie jetzt oder waren Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei?«-Frage zu antworten; ganz im Gegensatz zu so aussagefreudigen Kollegen wie Robert Taylor, Ronald  Reagan und Gary Cooper, die ganze Namenslisten derer hersagen, die ihrer Meinung nach dem Kommunismus nahestehen.

Der dünne Mann

Stärker aber als die Auseinandersetzungen mit den Kommunistenjägern macht Hammett in jenen Tagen der Kampf gegen sich selbst zu schaffen, sein Kampf gegen den Alkohol, dem er spätestens seit 1945 in regelmäßigen Abständen verfällt.
Getrunken hat er immer, in der Prohibitionszeit schon, aber niemals so exzessiv wie jetzt. Sein Körper ist geschwächt durch die frühe Tuberkulose, sein Inneres ausgebrannt, und nur die Tantiemen aus dem Filmrechten seiner Stoffe und der endlosen Weiterverwertung seiner »Dünner Mann«-Idee als Film-, Radio- und Fernsehserie bewahren ihn davor, in die Gosse abzusacken, aus der er den Stoff seiner Geschichten nahm.
Als Hammett 1961 stirbt, schreiben bereits andere in seinem Sinne weiter: Raymond Chandler und Ross MacDonald zähmen Hammetts  »Continental Op« und schleifen die Ecken von Sam Spade ab, bis ein Philipp Marlowe und ein Lew Archer daraus werden.
ENDE

Reinhard Jahn: Dashiell Hammett - So amerikanisch wie eine Schrotflinte
Erschienen in:
Marabo (Bochum). Heft 1(Januar) 1983
Seite 22-23