27.10.18

Krimi der Woche - Alte Liebe rächt sich nicht


Alte Liebe rächt sich nicht

Von Jackie Kowal
   
Henry Steiner war eine harte Nuss. Selbst für Kommissarin Linda Krantz. Denn Henry Steiner stritt alles ab. Niemals war er im Südviertel gewesen. Auf keinen Fall hatte er dort vor dem Haus 34 in der Beethovenstraße gewartet. Und er hatte dort auch nie Denise Delamare attackiert, die Burlesquetänzerin aus dem Metropol-Varieté.
    »Diese Dame braucht Publicity, deshalb erfindet sie diesen Vorfall!«, erklärte Henry im Brustton der verfolgten Unschuld.
    Kommissarin Krantz schaute auf die Uhr. Fünf vor zwölf. Ihr nächster Termin saß ihr im Nacken. Aber vor ihr saß leider immer noch Henry Steiner.
    »Denise behauptet aber, Sie genau erkannt zu haben«, sagte sie.
    Henry hob die Schultern. »Natürlich kennt sie mich. Von früher. Als sie noch Tabledance gemacht hat, im ›Trocadero‹ am Steintor. Wir hatten damals eine Affäre. Sie glaubte, ich würde sie heiraten, aber das hat sich dann leider… zerschlagen. Deshalb will sie es mir jetzt wohl heimzahlen!«
    Lindas Kollege Kraiczek kam herein. »Gleich zwölf – Ihre Besprechung mit dem Polizeichef!«
    »Sie können mir also nichts nachweisen!«, triumphierte Steiner. »Dann kann ich ja wohl gehen, oder?«
    »In Gottes Namen!«, seufzte Linda Krantz.
    Sie überließ es Kraiczek, Henry hinauszubringen. Der Polizeichef wartete. Pünktlich betrat sie sein Büro im obersten Stock des Polizeipräsidiums. Der Leiter der Forensik und ein Vertreter des Kriminaldauerdienstes waren schon da. Bei der Besprechung ging es um die Neustrukturierung der Ermittlungsabteilungen. Ein Thema, so interessant, dass sich Linda Krantz fast schon die Vernehmung von Henry Steiner zurückwünschte.
    Und als schien das Schicksal ihren Wunsch erhört zu haben, platzte ihr Kollege Kraiczek schon nach fünfzehn Minuten aus dem Büro das Polizeichefs. »Es tut mir leid, Chef – aber Kollegin Krantz hat einen dringenden Einsatz!«, sagte er. Und leise setzte er hinzu: »Denise Delamare hat uns alarmiert. Henry Steiner hat ihr angeblich soeben einen Stein ins Fenster geworfen!«
    Linda Krantz war schon auf dem Weg zur Tür, als der Polizeichef irritiert fragte, wer denn Denise Delamare sei. »Steht alles später in meinem Bericht!«, beruhigte die Kommissarin ihn. Kraiczek hatte schon einen Streifenwagen organisiert, der im Hof wartete. Mit Blaulicht und Sirene ging es hinaus in Südviertel, wo Denise wohnte. Schon eine halbe Stunde nach Denises Anruf stoppten Linda Krantz und ihr Kollege in der Beethovenstraße. Die Burlesquetänzerin erwartete sie in der Tür, im seidenen Morgenmantel überm knappen Mieder. »Kommen Sie! Kommen Sie herein! Sehen Sie sich alles an!«
    Im Wohnzimmer ihres kleinen Einfamilienhäuschens war die Fensterscheibe zersplittert. Scherben und ein Stein lagen auf dem Teppich. »Es war Steiner, ich habe ihn genau erkannt!«, sagte die Tänzerin leicht hysterisch. »Seine Rache für meine Anzeige gegen ihn. Ich hasse ihn!«
    Draußen auf der Straße fuhren die Fotografen vom »Kurier« und vom »Super Express« mit ihren Motorrollern vor. »Denise!«, riefen sie über den Gartenzaun. »Was ist passiert?«
    »Sie entschuldigen ...« Denise raffte ihren Morgenmantel und eilte hinaus. Die Kameraverschlüsse der Reporter rasselten. »Ich muss Ihnen von einem Attentat auf mich berichten!«, setzte Denise an.
    »Das Attentat haben Sie selbst inszeniert«, sagte Kommissarin Linda Krantz neben ihr kühl.
    »Pfft!«, machte Denise. »Ich weiß doch, was ich gesehen habe.«
    »Ja, was haben Sie gesehen?«, riefen die Reporter. »Erzählen Sie!«
    »An Ihrer Stelle würde ich jetzt nicht behaupten, dass Sie Henry Steiner gesehen haben!«, sagte Linda Krantz leise zu Denise. »Denn Henry war bei mir im Präsidium und ging dort um 12 Uhr. Und Punkt 12.15 Uhr melden Sie dieses Attentat. Aber man braucht vom Präsidium bis hierher mindestens dreißig Minuten. Selbst wenn er hätte fliegen können, hätte Henry das nicht geschafft.«
    Denise stutzte. Dann strahlte sie die Reporter an. »Es tut mir leid, meine Herren! Aber ich muss Kommissarin Krantz jetzt bei ihren Ermittlungen helfen. Sie hat wohl schon eine heiße Spur.«
    »Genau!«, sagte Linda Krantz.



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