24.7.18

Krimi der Woche: Nachtfahrt

Karr & Wehner   

Nachtfahrt

Eine Hurenfahrt, na klar. Sie blond, Ledermini und rote Bluse, dickes Make-up mit Rouge und Kajalstift bist dorthinaus.
   »He, Frollein, fahr'n Sie, Holsterhausen, Klinikum,ja?«
   Der Typ scheint nicht mehr ganz klar zu sein, ist mir fast in den Wagen gefallen, als die beiden an der Segerothstraße eingestiegen sind. Das Milieu kennt man ja: Nordhofstraße, Stahlstrasse, gleich neben Krupp. Früher der größte Puff in der Republik.
   Rolf liegt Zuhause im Bett und ich darf durch die Nacht kutschieren. Wagen 19, Angelika Weber auf Nachtschicht, weil ihr lover frisch aus dem Knast kommt. Der Asphalt summt unter den Reifen des Daimlers. Halb drei, nachts.
   »He, Frollein, halten Sie mal.«
   Und kaum steh' ich, da ist die Blonde schon raus und weg.
   So, wie die läuft, kommt die nicht wieder. Nur komisch, daß der Typ hinten im Wagen nichts sagt. Ich dreh mich um und will wissen, was nun los ist, als er mir entgegenfällt.
   Glasige Augen, totes Gesicht und ein bißchen Blut auf dem Hemd. Scheiße, der ist wirklich tot, der ist mir hier im Wagen abgegangen, denn eingestiegen ist er ja noch selber.
   Sieht wie eine Stichwunde aus, das in seinem Bauch.
   Das muß die Blonde gewesen sein... obwohl - warum soll sie sich ausgerechnet eine Taxe suchen, wenn sie ihn kaltmachen will?
   Die Bullen. Wenn ich den Notruf übern Taxifunk abgebe, sind die in zehn Minuten da. Streifenwagen, Kriminaldauerdienst.
   Die Handtasche liegt neben dem Toten auf der Rückbank. Die muß der Blonden gehören,  Leder, dunkelrot und der Verschluß ist aufgesprungen. Sicher, man soll nichts anfassen, aber trotzdem. Lippenstift, Puder, Schlüssel, Tampons, Kaugummi ein paar grüne Pillen und eine Plastikhülle mit Papieren. Bockschein auf den Namen Helga Werz, Lottozettel - auch Helga Werz, Nordhofstraße 24, ein Rezept und ein Foto.
   Die Innenbeleuchtung ist mies, aber trotzdem - auf dem Bild, das ist doch  Rolf. Arm in Arm. Mit der Blonden, irgendwo am Strand. Er hat noch nicht den Schnäuzer, aber diese langen schwarzen Haare, Locken bis auf die Schulter, wie ein Engel, er sieht jünger aus. Die Blonde im Bikini mit Schmachtaugen und Schmollmund.
   Was hat Rolf mit der Blonden zu tun? Warum hab ich mich überhaupt mit ihm eingelassen? Was ist hier überhaupt los?
   Irgendein Kollege brettert vorbei und blinkt mich mit der Lichthupe an. Stehenbleiben kann ich hier jedenfalls nicht.
   Ich fahre erst mal los, laß das Taxameter weiterlaufen, damit der Vogel auf dem Dach nicht brennt. Mein Gott, 37 Mark 40, die muß ich nachher selber in die Kasse tun.
   Richtung Frohnhausen. Ruhiges Wohnviertel, keine Aufregung.
   Bloß keine Probleme! hat Rolf gesagt, als er bei mir eingezogen ist. Erst mal wieder Fuß fassen, dann weitersehen.
   Wenn ich zu den Bullen geh, werden die nach der Blonden suchen. Das Foto interessiert die bestimmt auch. Das Foto muß verschwinden, soviel ist klar.
   Ich nehm's aus der Hülle raus und steck's in meine Geldtasche. Obwohl - wenn die Bullen die Blonde schnappen, dann kann sie vielleicht was erzählen. ]ber Rolf undsoweiter. Nein, so geht's auch nicht. Ich muß die Blonde überhaupt vergessen. Und wie, sag ich den Bullen, ist der Tote in meinen Wagen gekommen?
   Rüdesheimer Platz. Vorn die Kleingartenanlage.
   Erst mal rechts ran und scharf nachgedacht. Keine Probleme - also: keine Leiche in meinem Wagen, keine Fragen, keine Blondine.
   Ich muß den Typ rausschmeißen. Und dann weiterfahren. Ich denke nicht, daß einer gesehen hat, wie ich die beiden auf der Segerothstraße eingeladen habe.
   Wie lange stehe ich hier schon? Zwei Minuten, drei Minuten? 48,60 auf dem Taxameter. Ich leg den Gang ein und rolle an den Schrebergärten vorbeirollen. Dunkel ist's hier. Okay, Leerlauf rein, aussteigen, rechte Hintertür auf. Der Typ fällt mir halb entgegen. Schwer ist er nicht, ungefähr einsachtzig groß, um die 65 Kilo. Lederjacke, Goldringe an den Fingern und eine Rolex mit Brillanten am Handgelenk. Sowas kostet 30.000, wenn ich jetzt...
   Als ob ich keine anderen Probleme hätte. Ich lege ihn unter ein paar Sträucher und dann nichts wie weg.
   Die Handtasche von der Blonden liegt auf dem Beifahrersitz. Ich komme auf die Frohnhauser und merke erst jetzt, daß das Taxameter noch läuft. 56.80 Mark, ich mach' es aus.
   Helga Werz, Nordhofstraße 24, steht auf dem Lottozettel und ihrem Amtsärztlichen Gesundheitszeugnis. Sie ist also anschaffen gegangen. Und der Tote mit seiner Rolex... ihr Lude? Wahrscheinlich. Und was hat Rolf mit der ganzen Kiste zu tun? War die Blonde mal mit ihm zusammen oder was?
   Ich will das jetzt wissen. Also wieder raus in den Segeroth. Die Blonde muß mir was erzählen. Immerhin war sie dabei, als der Typ gestorben ist. Überhaupt - der Typ ist mir ja beinahe in den Wagen gefallen, geschwankt hat der, und die Blonde wollte zum Klinikum - ja klar, da hat er seine Messerwunde schon gehabt.
   Links geht die Nordhofstraße ab.
   Blaulicht flackert vor einem der Häuser, und ich brauch gar nicht nachzusehen um zu wissen, das es die Nummer 24 ist. Notarztwagen, Streifenwagen, der Kleinbus von der Kripo.
   Leute stehen da, vor der Haustür hält ein Uniformierter Wache,  da fällt's nicht auf, wenn ich mich dazustelle. Neben mir turnt einer von der Zeitung rum und fragt die Leute.
   »Bei der Werz haben sie einen kaltgemacht«, sagt einer.
   »Eifersuchtsgeschichte«, höre ich.
   »Streit hat's gegeben«, sagt eine von den Huren. »Der Kunde hat die Helga wohl von früher gekannt und wollte was von ihr. Und da ist der Harry dazugekommen, ihr Lude...tja, mit dem Messer...«
   Jetzt kommen die Sanitäter mit der Trage raus. Einer liegt drauf, das Laken überm Gesicht. Er ist wohl tot und als das Laken runterrutscht, fotografiert der Pressemensch wie wild. Alle drängen und ich seh nur ein kariertes Hemd und schwarze Locken, wie von einem Engel.
   »Mit dem war die Helga mal verheiratet«, sagt jemand.
   Ich muß nach Hause. Bestimmt ist Rolf da. Bestimmt.

Karr & Wehner, geboren 1955 und 1949 in Saalfeld und Werdohl, leben im Ruhrgebiet und schrieben bisher zahlreiche Storys, Hörspiele und die »Gonzo«-Thriller »Geierfrühling«, »Rattensommer«, »Hühnerherbst« und »Bullenwinter«. 1996 erhielten sie den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Krimi des Jahres und 2000 den Literaturpreis Ruhrgebiet. Zuletzt wurden sie für Ihren Krimi-Slam »Hier in Tremonia« für den besten Kurzkrimi des Jahres ausgezeichnet.
www.karr-wehner.de

Karr & Wehner: Nachtfahrt
erschienen in: »Berbersommer« Essen: A4-Verlag
Ausgezeichnet mit dem Walter Serner-Preis 1988
© by Autoren / Reinhard Jahn
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