25.9.12
Gesucht – gefunden oder: Chrysanthemen ohne Vase
Gesucht – gefunden oder: Chrysanthemen ohne Vase
Eine kommunale Kunstgeschichte
Von Karr & Wehner
Lokales: Kommunales Kunstkataster
Neue Besen kehren gut: Als erste Maßnahme nach der Amtsübernahme hat der neue Essener Kulturdezernent Heribert Simplotzki (CDU) gestern bei einem Pressegespräch die Gesamterhebung der Kunstwerke im Besitz der Kommune angekündigt. In den nächsten Tagen müssen alle Fraktionen, Beigeordnete, Amtsleiter, Beamte und Angestellte die in ihren Behörden befindlichen Kunstwerke beim Stadtarchiv im Haus der Essener Geschichte an der Bismarckstraße melden. Dort wird in der neu eingerichteten »Leitstelle Kunst« auch ein Abgleich der bisher in drei behördeninternen Karteien und Datenbanken verzeichneten Kunstwerke »mit dem Ist-Bestand vor Ort«, wie es Simplotzki formuliert, vorgenommen. Will sagen: Es wird kontrolliert, ob die Bilder und Skulpturen aus städtischem Besitz auch wirklich dort hängen oder stehen, wo sie laut Aktenlage hängen und stehen sollen.
Den Vorwürfen der Linkspartei, dass Simplotzki sich mit diesem Kunstkataster insgeheim im Auftrag der Kämmerei einen Überblick über bisher nicht im Haushalt aufscheinende Vermögenswerte der Stadt verschaffen soll, wies Stadtkämmerer Henning Taschau zurück. »Niemand hat die Absicht, die Kunst im öffentlichen Raum im Rahmen der Haushaltskonsolidierung zu verkaufen!«, erklärte er.
»Ja?«
»Herr Born?«
»Und wenn?«
»Ich habe eine Empfehlung. Von Bienek. Ich …«
»Morgen. 15 Uhr. Gruga. Knife Edge.«
»Kenne ich.«
»Davon gehe ich aus.«
»Ich bin, wie soll ich sagen … in einer gewissen Zwangslage!«
Der Typ war Ende sechzig, wirkte aber noch erstaunlich fit. Er hatte sich nur auf einen Stock mit einem Elfenbeinknauf gestützt, als er auf die Henry Moore-Plastik im Gruga-Park zusteuerte, vor der Born touristenmäßig in seinem »Kunstführer Ruhr« blätterte.
»Um es kurz zu machen, Herr Bienek riet mir …«
»Um es wirklich kurz zu machen«, sagte Born, »brauche ich eine Anzahlung.«
»Selbstverständlich!« Der alte Herr zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und legte ihn Born in den Kunstführer.
Born schlug das Buch zu und steckte es ein. »Ich höre.«
»Nun, man hört, dass Sie der beste sein sollen, also beziehungsweise der einzige, der in der Lage ist, in relativ kurzer Zeit, ein … sagen wir, hochwertiges Produkt zu erstellen, das … wie auch immer … es geht um einen Christian Rohlfs. Der Name …«
»Sagt mir was, ja!«, sagte Born. »Es geht Ihnen um die Chrysanthemen ohne Vase, Tempera auf Leinwand, von den Nazis als entartet entsorgt und dann zeitweise verschollen.«
»Ja!« Der Alte schaute bedrückt auf seine Schuhspitzen. Hob dann den Blick. »Wie Herr Bienek mir sagte … nein, lassen Sie mich anders beginnen: Die Chrysanthemen sind Ende der Sechziger auf einem etwas seltsamen Weg in den städtischen Kunstbestand geraten. Wenn Sie Bienek junior kennen, dann wissen Sie ja sicher, dass sein Vater die Briefmarkenhandlung und Galerie Bienek am Rüttenscheider Stern hatte. Im philatelistischen Bereich hatte er sich auf Marken der deutschen Kolonialgebiete spezialisiert und mit der Galerie auf späten Expressionismus und beginnende Neue Sachlichkeit.«
Sein Blick streifte das Knife Edge und Born ahnte, dass er mit dem Henry Moore gar nichts anfangen konnte, weil für ihn als Skulpturen wahrscheinlich nur Marmorfrauen mir ordentlichen Titten zählten. Oder kantige Diskuswerfer im Arno Breker-Style.
»Wie auch immer … durch Umstände, auf die ich hier nicht eingehen will, geriet Bienek senior damals in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass am Ende die Kommune die Grundbesitzabgaben und andere städtische Gebühren zwangsvollstrecken wollte. Um das noch in letzter Sekunde abzuwenden, hat Bienek senior die Chrysanthemen von Christian Rohlfs der Stadt übereignet, zu einem Buchwert von seinerzeit 10.000 Mark. Das war eine etwas ungewöhnliche Art, die Gewerbe- und Grundsteuern zu bezahlen, aber es gab da gewisse persönliche Beziehungen zwischen Herrn Bienek und Herrn Luedemann, dem damaligen Kulturdezernenten. Dessen Büro hat das verwaltungstechnisch über einen Ankaufsvertrag und eine interne Umbuchung der Mittel realisiert. Aber das interessiert Sie sicher gar nicht.«
»Nicht wirklich«, seufzte Born. »Fakt ist also, dass die Chrysanthemen von Rohlfs seitdem im Besitz der Stadt sind.«
»Nun ja … gewissermaßen. Ich war damals im Kulturamt – wir waren damals noch im Allbau-Haus, denn wir hatten ja noch kein richtiges Rathaus. Herr Bienek hatte das Bild persönlich vorbeigebracht, nachdem die Ankaufs-Vereinbarung unterzeichnet war. Er war ja ein Mann der Tat und wollte nicht warten, bis das Museum Folkwang sich bei ihm meldete, um das Bild in die Städtische Kunstsammlung zu übernehmen. Er hat die Chrysanthemen gegen Quittung bei uns gelassen, und der Herr Luedemann hat deswegen auch eine Aktennotiz geschrieben, damit alles seine Ordnung hatte. Ja, ich komme gleich zur Sache …
Sehen Sie, die Aktennotiz und die Quittung haben wir dann dem Folkwang-Museum geschickt und von dort eine Ausleihbescheinigung bekommen, dass der Rohlfs bei uns im Kulturamt hängt. Soweit war das verwaltungstechnisch sauber geregelt – bis jetzt bei dem Abgleich für das Kunstkataster von diesem Simplotzki die Akte aus dem Folkwang beim Stadtarchiv auftaucht und die den Rohlfs aus dem Kulturbüro zurückfordern – was ja der Nachfolger des Kulturamtes ist. An eine unbürokratische Verlängerung der Ausleihe seitens Folkwang ist nicht zu denken, weil der Rohlfs inzwischen vom Wert her weit über dem liegt, was in ungesicherten städtischen Räumen aufgehängt werden darf. Sehen Sie, Das rote Dach von Rohlfs hat vor ein paar Jahren bei einer Auktion 320.000 Euro erzielt … wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Verstehe vollkommen!«, sagte Born, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte. »Sie brauchen die Chrysanthemen. Und Sie haben sie nicht.«
»Das Kulturbüro hat sie nicht!«, sagte der Alte und starrte wieder auf seine Schuhspitzen. Born befürchtete, dass er gleich in Tränen ausbrechen würde. „Und ich stehe ein halbes Jahr vor der Pensionierung, da würde sich eine Untersuchung und eine mögliche Regressforderung fatal auf meine Pension auswirken. Deshalb …«
Born fischte den Umschlag aus dem Kunstführer. »Und das? Woher kommt das?«
»Ein Kunststipendium. Habe ich gleich nach unserem Telefonat offiziell ausgeschrieben. Ausgestattet mit Sondermitteln aus dem Kulturbüro und EU-Fördermitteln, die wir irgendwann mal für irgendwas genehmigt bekommen haben. Wenn Sie mir da jetzt zeitnah die Chrysanthemen ohne Vase liefern könnten … Sie würden mir da wirklich aus einer großen Verlegenheit helfen, Herr Born!«
»Hallo?«
»Herr Born?
»Wer sonst?«
»Sie haben etwas für mich?«
»Ja. Steile Lagerung. Morgen. 13 Uhr.«
Der Verkehr floss in mittäglicher Hektik durch den Kreisverkehr am Südausgang des Hauptbahnhofs. Davon unbeeindruckt krochen die vier Bronzebergmännchen durch die Steile Lagerung auf der Fußgängerinsel am Übergang zur Rellinghauser Straße. Born hatte seinen Wagen weiter oben beim RWE-Tower abgestellt und das Bild in einer witterungsbeständigen Spezialhülle mitgebracht, 40 mal 60, Tempera auf Leinwand, ungerahmt.
Die attraktive Frau, mit der er vor drei Wochen an der Kardinal Hengsbach-Statue neben dem Essener Münster den Deal gemacht hatte, trug heute einen leichten Sommermantel und eine Sonnenbrille im Seventies-Style. Kommissarische Leiterin des Amtes für Ratsangelegenheiten und Repräsentation, wie Born gleich nach ihrem Date beim Kardinal gegoogelt hatte, denn sie gefiel ihm außerordentlich gut.
»Danke, dass Sie die … Sache so schnell erledigen konnten!«, lächelte sie und griff nach dem Bild. »Und wegen der Bezahlung...«
Ende der Leseprobe
Alexander Pfeiffer (Hrsg.)
Krimi Kommunale 3
Bereits zum dritten Mal wagen sich Autoren in die weit verzweigten Gänge der Kommunalverwaltungen in Deutschland und decken Lügen, Betrug und weitere dubiose Machenschaften auf.
Alexander Pfeiffer ist Krimi-Autor und -Herausgeber und Hessischer Landesvorsitzender des Verbands deutscher Schriftssteller.
Die Autoren: Cornelia C. Anken, Mischa Bach, Jürgen Ehlers, Nina George, Brigitte Glaser, Almuth Heuner, Karr & Wehner, Thomas Kastura, Jürgen Kehrer, Michael Kibler, Alexander Köhl, Erwin Kohl, Eva Lirot, Sandra Lüpkes und Klaus Stickelbroeck
Alexander Pfeiffer (Hrsg.)
Krimi Kommunale 3
Kurzkrimis
ca. 230 Seiten, kartoniert,
Wiesbaden: Kommunal- und Schulverlag, 2012
ISBN 978-3-8293-1023-9