29.4.11

Wie wir wurden, was wir sind.
Mehr als 50 Jahre deutsche Kriminalromane.

Vortrag im Rahmen der Langen Kriminacht in der Stadtbücherei Nettetal
6. Mai 2011 bei der CRIMINALE

Wie wir wurden, was wir sind.

Mehr als 50 Jahre deutsche Kriminalromane.

So, wie das da steht, ist es natürlich falsch. Als habe es vor dem Zweiten Weltkrieg und vor 1945 keine deutsche Kriminalliteratur gegeben. Das wurde zwar eine Zeitlang gern behauptet, ist aber deshalb trotzdem nicht wahr.
Kriminalromane gehörten ebenso zur Unterhaltungsliteratur der Weimarer Zeit wie der Liebes-Roman, der Gesellschaftsroman, der Abenteuerroman und der "Sitten-Roman" (vulgo: der softcore Porno). Sogar Zukunftsromane gab es. Weil wir diesen Abschnitt hier nun keinesfalls vertiefen wollen, schließen wir ihn auch gleich ab - mit Verweis auf Buchreihen  wie den "Aufwärts-Kriminalroman", die "Bären-Bücher" und andere Krimi-Reihen, die in jener Zeit publiziert wurden, aber auch auf die zahlreichen Fortsetzungsromane, die in Tages-Zeitungen erschienen und eine große Leserschaft fanden - quasi als die daily soap des Vor-Fernseh-Zeitalters.
Das mit den Fortsetzungsromanen müssen wir uns jetzt einmal merken. Wozu, das wird später klar werden.
Ein wunderbares Werk, das diese Literaturszene der Weimarer Zeit beschreibt ist:
Martin Keune : Groschenroman: Das aufregende Leben des Erfolgsschriftstellers Axel Rudolph
Die Geschichte eines Bochumer Bergmanns, der zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller der Weimarer Zeit wurde.

Also, wie fing das alles wieder an, nach dem Krieg. Deutschland war in die Besatzungszonen aufgeteilt, von denen sich die "Alliierten" bald zusammen organisierten, während die russische Besatzungszone Wert auf ihr Eigenleben legte. Aus ihr wurde später die DDR - mit einer eigenen Sorte von Kriminalliteratur.

In der Tri-Zone - beziehungsweise TRI-ZONESIEN, wie es ein Karnevalsschlager jener Zeit formulierte - waren die Medien, also auch das Verlagswesen, der Kontrolle der Besatzungsmächte unterworfen.

Neu gegründete Zeitungen und Zeitschriften mussten sich lizenzieren lassen, beziehungsweise lizenziert werden. Genau wie Rundfunkanstalten - und Verlage - standen sie unter der Aufsicht der Kulturoffiziere der Besatzungsmächte. Einer von ihnen war etwa der Journalist Hugh Carleton-Greene - der in der britischen Zone den NWDR mit aufbaute. Er war der Bruder britischen Autors Graham Greene, der unter anderem die Vorlage zu dem Nachkriegs-Filmklassiker "Der dritte Mann" schrieb.
Andere Kulturoffiziere, die maßgeblich an der "Re-Education" der Deutschen arbeiteten, hatte ähnliche berufliche Hintergründe - sei es als Journalisten, als Werbe- oder PR-Leute oder Verlagsangestellte. Sie sorgten in dieser Zeit - und später, als sie sich zum Teil in Deutschland niedergelassen hatten - für einen ständige Strom von Übersetzungen US-amerikanischer (Unterhaltungs-)Literatur - darunter nicht unwesentlich viele Kriminalromane.
Als Kulturoffiziere genehmigten sie die Veröffentlichung solcher US-Unterhaltungsware, später wurden nicht wenige von ihnen Literatur-Agenten und zogen hinter den Kulissen die Strippen um Autoren wie Erle Stanley Gardner ("Perry Mason"), Raymond Chandler, Dashiell Hammett, aber auch James Hadley Chase, Lemmy Caution, Peter Cheyney und Mickey Spillane auf den deutschen Markt zu bringen.

Und die deutsche Kriminalliteratur, wo fand die statt? Und woher kam sie? Krimi bezieht seine Geschichten in der Regel immer auf die aktuelle Zeit - und die hatte sich in Deutschland ja gerade radikal gewandelt und wandelte sich noch immer, so dass man nur die allerwenigsten Romane aus der Weimarer Zeit wiederveröffentlichen konnte. Abgesehen davon, dass die potentiellen Schauplätze fast alle zerbombt waren und sich Polizei und Justiz erst wieder im Aufbau befanden, konnte man sich auch bei der (früheren) ideologischen Position des Autors nie ganz sicher sein.
Gut, es mussten also neue Krimis geschrieben werden. Weil Krimi stets populär ist, auf ein Massen-Publikum zielt, fand die deutsche Kriminalliteratur der Nachkriegszeit dementsprechend in den Massenmedien statt - will sagen: im Radio und in der Presse.

Wir bewegen uns jetzt so in der Mitte bis Ende der sechziger Jahre, also fast am Ende des Wiederaufbaus. Es gibt zwei deutsche Staaten, die Aussicht auf eine Wiedervereinigung ist absolut illusorisch.
Die Hochliteratur wird bestimmt von den Autoren der Gruppe 47, es sind Namen wie Heinrich Böll, Martin Walser, Günter Grass und andere. Eins ihrer Themen: die deutsche Vergangenheit.
Im Krimi sind es andere Namen:
Rolf und Alexandra Becker, Hugo Maria Kritz, Michael Horbach, auch Johannes Mario Simmel und Heinz G. Konsalik gehören dazu. Und natürlich Marie Luise Fischer.
Sie schrieben entweder für den Hörfunk (wie R. und A. Becker, eines der großartigsten und erfolgreichsten Teams), oder sie arbeiteten für Illustrierte.
Titel für die Revue 1953
Quelle Wikipedia

Illustrierte - das man hier vielleicht erklären, waren eines DER Massen- und Unterhaltungsmedien der sechziger und siebziger Jahre. Sie waren kaum zu vergleichen mit den heutigen "Magazinen" oder "Klatschblättern" - eine Illustrierte war i.d.Regel zwar spezialisiert (Mode, Frauen, Fernsehprogramm), aber sie war als Familienzunterhaltung ausgelegt, als "Musikdampfer", wie es der große Illustrierten-Chef und "Erfinder des Stern  Henri Nannen einmal nannte.
Die Illustrierten mit ihren großen "Tatsachenserien" ("Deutschland deine Sternchen") und "Fortsetzungsromanen" war das Forum für den Kriminalroman jener Jahre.
Es waren zum größten Teil journalistisch vorgebildete - und vorbelastete Autoren, die die erfolgreichsten Romane für Blätter wie KRISTALL, CONSTANZE, BUNTE (ja, die gab es damals schon), die HÖR ZU oder REVUE verfassten.
Ein Fortsetzungsroman in einer Illustrierten war ähnlich "konzipiert" wie eine daily soap, er wurde groß inszeniert (mit großen Illustrationen), und nicht selten wurde er so "gestückelt", dass Abonnenten darüber vergaßen, ihr Abo zu kündigen.
(Als "Vater" des modernen Fortsetzungsromane gilt Eduard Rhein, langjähriger Chef der HÖR ZU, der als erster auf die Idee kam, den Fortsetzungsroman eigens für das Blatt schreiben zu lassen, und das nicht notwendigerweise von einem Autor allein. Als "Hans Ulrich Horster" schrieb, bzw inszenierte er selbst einige der erfolgreichsten HÖR ZU-Romane - "Suchkind 312")

Nur als Beispiel, wie die Fortsetzungsromane "inszeniert" wurden einige Kopien aus der BRAVO.
Nicht selten wurden die Romane dann noch als Taschenbücher nachgedruckt, andere Romane - besonders die des "späten" Konsalik entstanden bereits in einer Art Medienverbund zwischen Zeitschriftenredaktion und Buchverlag.
Dass diese Krimis im heutigen Bewusstsein gar nicht als Väter und Mütter unserer Gattung wahrgenommen werden, liegt daran, dass sie den "Krimi"-Aspekt in der Regel immer um einem "Drama"-Aspekt erweiterten, heute würde man sagen, es waren "Liebes-Krimis" oder "Chick-Lit-Krimis" oder "Schicksals-Krimis" oder ähnliches. Überhaupt war "Krimi" seinerzeit dem "britischen" Krimi vorbehalten, dem Landhaus- und Edgar Wallace-Krimi, auf den sich die "Mimi" aus dem Schlager so wunderbar reimte.

Statt "Krimi" nannte man es selbst gern "Zeit-Roman", weil dort Themen der Zeit aufgegriffen wurden. In diesem Zusammenhang waren die Geschichten und Stoffe sicher mitunter nicht weit vom heutigen Nachmittagsfernsehen entfernt. Und genau wie da war die "Kriminalgeschichte" die Form, in der die aus der Aktualität der Zeit gegriffenen Stoffe erzählt wurden.
Beispiel etwa "Mischlingsmädchen Billie", ein Fortsetzungsroman aus der PRALINE 1971, in dem das Thema der "Mischlingskinder", will sagen: der Besatzungskinder in Deutschland thematisiert wurde. Ein anderer Autor - Michael Horbach - fasste das Thema ähnlich spekulativ an: "Gottes zweite Garnitur."
Vergessen wir nicht, dass die großen Bucherfolge von J.M. Simmel - ES MUSS NICHT IMMER KAVIAR SEIN - zuerst als Fortsetzungsgeschichte in der QUICK erschienen, bei der Simmel mitarbeitete.
Beispiel für einen außerordentlichen "Sensationsroman": DR LESIUS von Michael Donrath alias Michal HORBACH, ein großes Kolportageabenteuer für die BUNTE ILLUSTRIERTE

Die Autoren  dieser Romane waren oft nach einer kurzen journalistischen Vorkriegskarriere dann "im Felde" gewesen und hatten nach Kriegsende wieder als Journalist zu arbeiten begonnen. Fast typisch, dass sich in den Bibliographien dieser Autoren immer mindestens ein Kriegsroman findet, in dem sie ihre Erfahrung verarbeitet haben (der bekannteste wurde später "Steiner -Das Eiserne Kreuz" von Will Berthold.)
Zu dieser Generation zählt auch Heinz G. Konsalik, der - wie man weiß - mehr als einen Kriegsroman geschrieben hat, aber eben auch Krimis - bzw eher Thriller - , unter anderen als Fortsetzungsromane.

-->;Übernahme durch ALMUTH: MARIE LUISE FISCHER etc etc


Der andere Bereich in dem Krimi sich entwickelt, war der Rundfunk - dort war Krimi freilich bis Ende der siebziger im wesentlichen angelsächsisch geprägt - nicht nur, weil des Kriminalhörspiel der BBC - aus dessen Fundus man sich bediente - eine große und großartige Tradition hatte, sondern natürlich auch, weil die deutschen  Rundfunkanstalten unter britischer Lizenz und Leitung neu aufgebaut wurden.
Hier muss natürlich jetzt ein Name wie Francis Durbridge fallen, der vor seinen Fernseh-Straßenfeger im Rundfunk mit seinen mehrteiligen Serials (um den Kriminalschriftsteller Paul Temple) großen Erfolg hatte.
Deutsche Autoren?
Erst später stellte sich heraus, dass sich hinter "Malcolm F. Browne", der für den NWDR das Serial "Gestatten mein Name ist Cox" geschrieben hatte, eine eher komödiantisch angelegte Kriminalstory mit dem Untertitel "Ein Spaßvogel im Kampf gegen die Unterwelt",  - dass sich hinter diesem ur-britischem Autorennamen das deutsche Autorenpaar Rolf und Alexandra Becker verbarg, die mit ihrem "Cox" einen Riesen-Erfolg haben sollten - der bis hin zu einer Fernsehserie und einem Kinofilm reichte.

(Die Legende geht wenigstens so, das Rolf Becker sich den Namen eines britischen Onkels borgte, um sein erste Cox-Manuskript beim NWDR an den Mann zu bringen.)

Übernahme ALMUTH, die in etwa über diese Dinge redet: Wenn man sieht, dass etwa die Frankfurter Autorin Lieselotte Appel als "L.A. Fortride" ihre Krimis bei Goldmann veröffentlichte, ist man fast geneigt, der Geschichte zu glauben. Hier passt auch gut die Geschichte von Irene Rodrian hinein, die sich mit zwei Manuskripten beim Wettbewerb um den Edgar Wallace Preis beteiligte und mit dem einen gewann - Tod auf St Pauli - aber man ihr nur die Hälfte des Preisgeldes zahlen wollte, weil sie eben eine Frau war. und das andere Manuskript wurde abgelehnt, weil es hieß: "Das ist so gut, das kann keine Frau geschrieben haben.")

Wie sind jetzt schon heftig in den siebziger, und des gibt  den sogenannten neuen deutschen Krimi - der jetzt auch neben den Illustrierten-Romamen als Buchveröffentlichung zu existieren beginnt. Als Bücher waren bis dahin in der Regel Krimis unter eben dieser Bezeichnung als Taschenbücher und das auch noch in einheitlich aufgemachten "Reihen" erschienen.
Das hieß: drei Goldmann Krimis pro Monat, drei gelbe Ullstein-Krimis pro Monat und zwei oder drei Heyne Krimis. Dazu die Serie der "Mitternachtsbücher" aus dem Desch-Verlag und natürlich - seit Ende der sechziger, die rororo-thriller. Schwarzes Cover, anfangs noch auf gelbes Papier gedruckt, herausgegeben von einem Lektor, der sich anders als seine Kollegen bei Ullstein und Goldmann nicht als Traditionalist verstand, sondern als Innovator: Richard K. Flesch.

Er sorgte für den ersten Schwedenkrimi-Boom in Deutschland, indem er Sjöwall und Wahlöö übersetzen ließ. Und durch ihren Ansatz kam eine Generation deutscher Autoren zu Wort, die ausdrücklich von Flesch gefordert und gefördert wurden:
Die Schwarze Bande von Rowohlt, bestehend aus
-Bosetzy,
-Molsner,
-Rodrian,
-Hansjörg Martin,
-Werremeier und teilweise
-Thomas Andresen.
Einesteils waren auch diese Autoren journalistisch vorbelastet - se stammten aus der Generation, die den oben beschriebenen Stars wie Will Berthold, Rolf Palm oder Michael Horbach folgte. Mike Molsner - Journalist, Friedhelm Werremeier - so eine Mischung aus Gisela Friedrichsen und Peter Scholl-Latour für den Bereich Kriminalitäts- und Gerichtsberichterstattung.
Andere hatten - wie Hansjörg Martin oder Irene Rodrian - mal Kontakt zur Werbung, zum Zirkus oder zum Theater und zum Fernsehen gehabt, waren also "Unterhaltungsprofis"

Und als Solitär unter ihnen Horst Bosetzky (alias -ky) - ein Soziologie-Professor aus Berlin -  der wegen seines Berufs ganz klar für die Begriffprägung "Soziokrimi" verantwortlich, die später fast zum Schimpfwort geworden ist.
Hansjörg Martin war eher der Gentleman, der Vertreter des zeitgemäßen Unterhaltungsschriftstellers in der Runde. Seine Romane BEI WESTWIND HÖRT MAN KEINEN SCHUSS und EINER FEHLT BEIM KURKONZERT erzielten neben der Buchveröffentlichung als rororo-thriller ihren Durchbruch beim Publikum als - genau: Fortsetzungsroman, (im Stern)

Im STERN und anderen Zeitschriften - der BUNTEN, der HÖR ZU, der QUICK schrieb damals auch einer, der zwar nicht zur Schwarzen Bande gehörte, aber ebenfalls zu den prägenden Autoren des deutschen Nachkriegskrimis zählt: ein gewisser Michael Preute, geboren in Duisburg. Gelernter Journalist (Tagszeitung, Illustrierte, dann Journalist und Krisen-Reporter) Preute schrieb Fortsetzungsromane im "Zeitroman"-Stil, aber auch Sachbücher wie etwa "MORD SCHMITT" über einen Kriminalisten seiner Zeit und "ernsthafte" Kriminalromane wie MAGNETFELD DES BÖSEN.

Zu seinem großen Erfolg kam er freilich erst Jahre später, als Preute aus dem Reporterjob ausgestiegen war, sich selbst trockengelegt hatte und sich in einem Eifelörtchen namens Berndorf niederließ, nach dem er sich fortan benannt. Jacques Berndorf. Er schrieb seine ersten Siggi Baumeister-Krimis, die noch bei Bastei Lübbe erschienen, und in denen Siggi Baumeister noch ein fitter, fixer Politjournalist in Bonn ist.
Ein anderer Journalist dieser Zeit kämpfte auch gegen die Droge - nicht Alkohol, sondern Heroin - und bereicherte den deutschen Krimi um einige seiner besten Werke: Jörg Fauser (Jahrgang 1944), eigentlich Literat mit journalistischer Ader, schrieb nach diversen Drogenbüchern seine Krimis DER SCHNEEMANN, ROHSTOFF und SCHLANGENMAUL, die nur allzu gern wegen ihrer absoluten "unpolitischen", also "individualistischen" Haltung gegen den Sozio-Krimi ausgespielt wurden, denen man andererseits schon bald Eindimensionalität und Formelhaftigkeit vorwarf.

Die Romane des Sozio-Krimis werden oft als Ausdruck der Studentenrevolte, als Teil des außerparlamentarischen Aufbegehrens seiner Zeit gesehen, aus dem sich dann auch der politische Terrorismus der RAF entwickelte. Im Sinne von "Zeitromane" mag das wohl stimmen - dass es Romane waren, die ihre Stoffe aus ihrer Zeit bezogen (ähnlich wie das "Mischlingsmädchen Billie" in den sechzigern)
Zeitgemäß, beziehungsweise Zeitbezogen waren - nach dem Sozio-Krimi - dann auf einmal die Frauenkrimis - auch sie als Reflex auf den um sich greifenden Feminismus und die Emanzipationsdebatte.

Und hier übergebe ich an Almuth Heuner, die die Sache dann auch zu Ende bringen wird.

Keine Kommentare: