16.9.08

Komm schon, Baby - lach dich tot!

Krimi und Humor

Von Reinhard Jahn

Können Verbrechen komisch sein? Darf man darüber lachen?
Wo bleibt der Humor bei Mord und Totschlag?
Natürlich kann Verbrechen auch komisch sein, natürlich gibt es Komik im Kriminalroman. Das Kunststück ist halt, die komische, humorvolle Komponente - das Lachen - mit der ernsthaften Komponente in Einklang zu bringen.
Die wenigsten Autoren können das - deshalb ist der komische Kriminalroman auch ein seltenes Gewächs, noch seltener ist der wirklich gelungene komische Krimi.

Fangen wir aber erst einmal mit einer Negativauswahl an:
Was ist nicht komisch?
Definitly nicht komisch sind Autoren wie Henning Mankell mit seinem Kommissar Wallander oder Donna Leon mit Commissario Brunetti. Mankells skandinavischer Bedenkenträger, der an der Welt und der Umwelt verzweifelnde Wallander, hat ebenso wenig komisches Potential wie sein Kollege Brunetti, der zweiflerische Gondel-Cop.
Denn beiden fehlt Ironie und Selbstkritik. Wallander und Brunetti - besser: Mankell und Leon nehmen die Welt, die sie beschreiben als Reflexionsfläche ernsthafter Diskurse: über Terrorismus, Korruption, Ausländerfeindlichkeit oder was auch immer. Aber wenn solche großen Dinge wie etwa der Verfall eines Gesellschaftssystems durchdekliniert werden, dann ist dort kein Platz für eine Distanz, wie Selbstironie oder Sarkasmus, Zynismus oder Humor sie erfordern.
Humor ist sozusagen der zweite Blick auf die Welt, der andere Blick: Der, der sich nicht auf das große, sondern das kleine richtet. Der nicht das offensichtliche, sondern des hinter- und untergründige in den Fokus nimmt.

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Der beste Witz der Welt:
Sherlock Holmes und Dr. Watson machen Camping. Nach einer guten Flasche Wein legen sie sich hin und schlafen ein. Ein paar Stunden später wacht Holmes auf und stößt seinen Freund an: "Watson, schauen Sie zum Himmel und sagen Sie mir, was sie sehen!"
Watson: "Ich sehe unzählige Sterne"
Holmes: "Was schließen Sie daraus?"
Watson überlegt einen Moment: "Astronomisch gesehen schließe ich, dass es Millionen von Galaxien und Milliarden Planeten gibt. Astrologisch stelle ich fest, dass der Saturn im Sternbild des Löwen steht. Horologisch folgere ich, dass es ungefähr viertel nach drei Uhr morgens ist. Theologisch erkenne ich, dass Gott mächtig ist und wir alle klein und unbedeutend sind. Meteorologisch nehme ich an, dass morgen ein wunderschöner Tag sein wird. Und was folgern Sie?"
Holmes: "Dass irgendein Mistkerl unser Zelt gestohlen hat..."

Lachen mit Poirot und Wimsey

Viele klassische Helden der Kriminalliteratur haben es, das gewisse Etwas, die gewisse Distanz zu sich selbst, einen Sinn für Ironie und Selbstironie. Hercule Poirot, der kleine belgische Meisterdetektiv aus Agatha Christies Romanen zum Beispiel. Als geborener Meister der Selbstinszenierung choreografiert er seine Auftritte bis ins absurde Detail, ohne sich dabei aber zum Clown zu machen. Ganz im Gegenteil - dadurch, dass Mrs Christie soviel Liebe auf die Schilderung der kleinen Schrullen verwendet, die Figur auch in ihren Schwächen so sorgfältig ausmalt, bringt sie uns Poirot viel näher, als es bei einem klaren, ungebrochenen Protagonisten jemals gelingen könnte: Supermänner haben eben keinen Humor, Supermänner werden bewundert, aber man findet sie selten sympathisch.

Lord Peter Wimsey ist auch so ein Fall, wenn auch ein etwas eleganterer, denn eigentlich war der Gentleman-Detektiv von Dorothy Sayers bereits als Parodie auf die existierenden Meisterdetektive angelegt, eine Parodie, die er glücklicherweise nicht wurde, weil er Harriet Vane traf, die Frau seines Lebens, die er vor dem Galgen rettete und damit zum Mann, Liebhaber, Gatten wurde.

Humor in allen Formen bringt uns also Menschen nahe und näher - Humor rundet eine Persönlichkeit ab und lässt uns schneller und leichter glauben, dass dieser Mensch, dieser Held, all diese unglaublichen Dinge erlebt, von denen erzählt wird.

Das funktioniert um so besser, je besser der Erzähler - der Autor - sein Handwerk beherrscht und es versteht, Ironie und Humor nicht nur in Äußerlichkeiten zu schildern, sondern ihn auch in der Sprache zu verweben:
"Die Haupthalle des Sternwoodschen Hauses war zwei Stockwerke hoch", erzählt Raymond Chandlers Philip Marlowe. "Über den Türflügeln, die eine Herde indischer Elefanten durchgelassen hätten, war auf einem breiten bunten Glasfenster ein Ritter im dunklen Harnisch bei der Errettung einer Dame zu sehen, die an einem Baum gefesselt war und praktischerweise nichts weiter trug als eine Menge langes Haar. Der Ritter hatte kontaktfreudig das Visier hochgeklappt und fummelte an den Stricken herum, mit denen die Dame am Baum festgezurrt war." (Der tiefe Schlaf)

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Der zweitbeste Witz der Welt:
Zwei Jäger sind im tiefsten amerikanischen Wald auf Pirsch, Plötzlich bricht der eine zusammen. Sein Kollege reißt sein Handy heraus und ruft den Notruf an: "Mein Gott, ich glaube, mein Kumpel ist tot!"
"Sind Sie sicher?", fragt der Operator in der Notrufzentrale.
Eine Pause. Der Operator hört einen Schuß. Und dann sagt der Anrufer: "Ja."

Dünner Mann und allergischer Mann

Also das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen zu sehen, das übliche Schema aufzubrechen und bis ins Gegenteil zu verdrehen, Dingen eine neue Bedeutung zu geben oder aber auch den Lauf der Dinge so sein zu lassen, wie er ist: zufällig, anarchisch, nicht geordnet - das macht das Wesen des Witzes und des Humors aus.

Eines Witzes, den etwa in Detektiv-Klassikern wie "Der dünne Mann" von Dashiell Hammett Nick und Nora Charles in ihren srewball-Dialogen zelebrieren - die Kriminalgeschichte ist hier zum Teil nur Bühne für eine Gesellschafts- und Ehekomödie - die allerdings wesentliche Erkenntnisse über das Mann-Frau-Ding in den besseren Kreisen der 20er Jahre vermittelt. Nebenbei, sozusagen.

Der Witz im Alltag suchen und ihn auch zu finden, das ist eine Begabung, die auch Gunter Gerlach hat. Der Hamburger Autor hat Bartzsch erfunden, den Detektiv der unter 99 Prozent aller bekannten Allergien leidet.

"Bartzsch!" stellt er sich in der Regel vor. "Wie der Kindermörder nur mit z."
Dass er als multipler Allergiker seine nahezu staubfreie Wohnung eigentlich nicht verlassen sollte, macht ihn nicht gerade zum Idealkandidaten für einen Detektiv - der sich doch in allen Milieus, also auch den staubigsten - bewegen können sollte. Wie Bartzsch also in den Gerlachs "Allergiker"-Krimis damit fertig wird, macht einen Großteil des Humors der Romane aus. Dass Gerlach darüber hinaus auch einer der besten Beobachter und Analytiker von Alltagsgeschehen ist, gibt seinen Romanen noch einen ganz besonderen Reiz.

Und wie überall komische Situationen entstehen, wenn Menschen mit ihren Stärken und Schwächen aufeinandertreffen, wenn sie ihre Interessen ausgleichen wollen oder einfach mit einander umgehen wollen (oder müssen), entsteht auch in der ganz normalen Straßenkriminalität Komik.

Ja, Verbrechen kann auch komisch sind, aber nicht jedes Verbrechen ist es auch. Der Axtmörder, der serienkillend den einschlägigen Profilern und Cops die Arbeitsgrundlage liefert, ist nicht zum Lachen. Die Bzeiehungsdramen im Kleinbürgermilieu, bei denen Lebenslügen und emotionale Konflikte auf- und abgearbeitet werden, sind es auch nicht. Komisch ist das Verbrechen meist in seiner Kleinform, die sich nicht gegen Leib und Leben, sondern gegen Geld und Gut des Mitmenschen richtet. Komisch sind meist Gauner, über deren Aktivitäten und Erfolge - meist allerdings auch Misserfolge - man sich amüsieren kann: der Einbrecher, der im Schnapsladen gleich zur Verkostung schreitet und von der Polizei sturztrunken abgeführt werden kann. Der Trickbetrüger, der in die Fänge einer resoluten Seniorin gerät, oder der schusselige Passfälscher, der den 34. Januar als Geburtsdatum in seine neuen Papiere einträgt und sich wundert, warum er bei der nächsten Kontrolle verhaftet wird - die Geschichten vom Versagen des Verbrechens goutieren wir nicht nur gern in den bunten Meldungen der Tagespresse, sondern auch im Kriminalroman.

Wobei die wirklich guten Versager im Krimi auch immer wirkliche Menschen - quasi Ganoven wie Du und Ich- sein sollten. Wie etwa der biedere deutsche Angestellte Heinz Borbet, der in "Beule oder Wie man einen Tresor knackt" von Klugmann und Mathews über Wochen versucht, einen Safe zu knacken, den ihm die kriminelle Fantasie der Autoren in den Keller gestellt haben.
"Pecunia non olet!", sagte der Polizist
"Wie bitte?", fragte Borbet.
"Sie sind Lateiner?", fragte der Polizist.
Borbet war verwirrt.
"Ich stamme aus Niedersachsen!"

Oder aber der zweifelhafte Meisterganove Dortmunder, der in einigen Romanen des Amerikaners Donald E. Westlake demonstriert, in welchem Missverhältnis der Aufwand an krimineller Energie mitunter zu ihrem Ergebnis stehen kann. Oder als brillantes kleines Kabinettsstückchen die Chronik der kriminellen Karriere zweier Schnapsladenräuber, die Elmore Leonard in "Dies ist ein Überfall" nachzeichnet - in Dialogwitz und Slapstick auch gekonnt nachgeahmt von Peter Meisenberg in "Schmahl".

Komik ist aber nicht nur dort unten möglich, down to earth, auf der Straße, in der Welt, wie wir sie kennen und manchmal hassen, sondern auch in der Oberliga, dem fast rein literarischen Spiel mit Sprache und Versatzstücken - in der Krimi-Parodie.
Für die Experten ist nichts komischer als einen richtigen Krimi zu übertreiben und seine Standardfiguren -situationen und .-plots durch den Kakao zu ziehen. Das funktioniert um so besser, je weiter die Formeln und die Gesetze des Gegenstand der Parodie allgemein bekannt und verbreitet sind.

Wenn Superdetektiv Chico Pipa in den "Super-Thrillern" des Italieners Carlo Manzoni mit seinem whisky-saufenden Hund Gregg auf Ermittlungstour geht, die einen Mike Hammer (von Mickey Spillane) vor Neid erblassen lässt, dann ist das für die einen - die kaum etwas von Chandler, Hammett oder Hammer kennen - höchstens überspannter italienischer slapstick, für die anderen - die Kenner - ist es augenzwinkernder Krimi-Humor, der alle hardboiled-novels mit ihre toughen Helden auf italienisch-chaotische Normalmaß herunterstutzt und das alles it einer gehörigen Portion Absurdität würzt.

Es geht freilich auch etwas subtiler, weniger laut, also, wie mancher jetzt sagen wird: harmloser, etwas menschlicher, etwas näher an der Wirklichkeit als die reinen Insider-Jokes.
Subtil wie etwa wiederum bei Gunter Gerlach, der in "Falsche Flensburger" zum ersten Mal Jakob Vogelsang auftreten ließ, einen Gelegenheitseinbrecher und Schriftsteller, dessen aktuelles Abenteuer "Irgendwo in Hamburg" ihn wieder in seine Heimatstadt zurückgeführt hat, und zwar ins gefährlichste aller sozialen Biotope - ein Mietshaus. Mit Vogelsang hat der Autor eine perfekte Verschränkung von Krimi-Muster und absurdem Welttheater gefunden - der kriminelle Schriftsteller, beziehungsweise der schriftstellernde Kriminelle, der sich seinen Weg - und seine Geschichte - zwischen diesen beiden Polen suchen muss: der Welt und der Literatur.

ENDE

Literatur:
Gerlach, Gunter Die Allergie Trilogie:
"Kortison", "Katzenhaar und Blütenstaub", "Neurodemitis"
Rotbuch Verlag

Gerlach, Gunter Die Jakob Vogelsang-Romane
"Falsche Flensburger","Irgendwo in Hamburg"
Rotbuch Verlag

Klugmann/Mathews
"Beule"
Rowohlt Verlag

Leonard, Elmore
"Dies ist ein Überfall"
Rowohlt Verlag
Neuausagbe unter dem Titel "Beute"
Heyne Verlag

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