7.6.17

Nachtfahrt

Walter Serner Preis 1988

Nachtfahrt

Von Karr & Wehner

Eine Hurenfahrt, na klar. Sie blond, Ledermini und rote Bluse, dickes Make-up mit Rouge und Kajalstift bis dorthinaus.
»He, Frollein, fahr'n Sie, Holsterhausen, Klinikum, ja?«
  Der Typ scheint nicht mehr ganz klar zu sein, ist mir fast in den Wagen gefallen, als die beiden an der Segerothstraße eingestiegen sind. Das Milieu kennt man ja: Nordhofstraße, Stahlstraße, gleich neben Krupp. Früher der größte Puff in der Republik.
  Rolf liegt Zuhause im Bett und ich darf durch die Nacht kutschieren. Wagen 19, Angelika Weber auf Nachtschicht, weil ihr lover frisch aus dem Knast kommt. Der Asphalt summt unter den Reifen des Daimlers. Halb drei, nachts.
  »He, Frollein, halten Sie mal.«
Und kaum steh ich, da ist die Blonde schon raus und weg.
  So, wie die läuft, kommt die nicht wieder. Nur komisch, dass der Typ hinten im Wagen nichts sagt. Ich dreh mich um und will wissen, was nun los ist, als er mir entgegenfällt.
  Glasige Augen, totes Gesicht und ein bisschen Blut auf dem Hemd. Scheiße, der ist wirklich tot, der ist mir hier im Wagen abgegangen, denn eingestiegen ist er ja noch selber.
  Sieht wie eine Stichwunde aus, das in seinem Bauch.
  Das muss die Blonde gewesen sein... obwohl - warum soll sie sich ausgerechnet eine Taxe suchen, wenn sie ihn kaltmachen will?
  Die Bullen. Wenn ich den Notruf übern Taxifunk abgebe, sind die in zehn Minuten da. Streifenwagen, Kriminaldauerdienst.
  Die Handtasche liegt neben dem Toten auf der Rückbank. Die muss der Blonden gehören, Leder, dunkelrot und der Verschluss ist aufgesprungen. Sicher, man soll nichts anfassen, aber trotzdem. Lippenstift, Puder, Schlüssel, Tampons, Kaugummi ein paar grüne Pillen und eine Plastikhülle mit Papieren. Bockschein auf den Namen Helga Werz, Lottozettel - auch Helga Werz, Nordhofstraße 24, ein Rezept und ein Foto.
  Die Innenbeleuchtung ist mies, aber trotzdem - auf dem Bild, das ist doch Rolf. Arm in Arm. Mit der Blonden, irgendwo am Strand.

     Er hat noch nicht den Schnäuzer, aber diese langen schwarzen Haare, Locken bis auf die Schulter, wie ein Engel, er sieht jünger aus. Die Blonde im Bikini mit Schmachtaugen und Schmollmund.
Was hat Rolf mit der Blonden zu tun? Warum hab ich mich überhaupt mit ihm eingelassen? Was ist hier überhaupt los?
Irgendein Kollege brettert vorbei und blinkt mich mit der Lichthupe an. Stehenbleiben kann ich hier jedenfalls nicht.
Ich fahre erst mal los, lass das Taxameter weiterlaufen, damit der Vogel auf dem Dach nicht brennt. Mein Gott, 37 Mark 40, die muss ich nachher selber in die Kasse tun.
Richtung Frohnhausen. Ruhiges Wohnviertel, keine Aufregung.
Bloß keine Probleme!, hat Rolf gesagt, als er bei mir eingezogen ist. Erst mal wieder Fuß fassen, dann weitersehen.
Wenn ich zu den Bullen geh, werden die nach der Blonden suchen. Das Foto interessiert die bestimmt auch. Das Foto muss verschwinden, soviel ist klar.
Ich nehm's aus der Hülle raus und steck's in meine Geldtasche. Obwohl - wenn die Bullen die Blonde schnappen, dann kann sie vielleicht was erzählen. Über Rolf undsoweiter. Nein, so geht's auch nicht. Ich muss die Blonde überhaupt vergessen. Und wie, sag ich den Bullen, ist der Tote in meinen Wagen gekommen?
Rüdesheimer Platz. Vorn die Kleingartenanlage.
Erst mal rechts ran und scharf nachgedacht. Keine Probleme - also: keine Leiche in meinem Wagen, keine Fragen, keine Blondine.
Ich muss den Typ rausschmeißen. Und dann weiterfahren. Ich denke nicht, dass einer gesehen hat, wie ich die beiden auf der Segerothstraße eingeladen habe.
Wie lange stehe ich hier schon? Zwei Minuten, drei Minuten? 48,60 auf dem Taxameter. Ich leg den Gang ein und rolle an den Schrebergärten vorbei. Dunkel ist's hier. Okay, Leerlauf rein, aussteigen, rechte Hintertür auf. Der Typ fällt mir halb entgegen. Schwer ist er nicht, ungefähr einsachtzig groß, um die 65 Kilo. Lederjacke, Goldringe an den Fingern und eine Rolex mit Brillanten am Handgelenk. Sowas kostet 30.000, wenn ich jetzt...
Als ob ich keine anderen Probleme hätte. Ich lege ihn unter ein paar Sträucher und dann nichts wie weg.
  Die Handtasche von der Blonden liegt auf dem Beifahrersitz. Ich komme auf die Frohnhauser und merke erst jetzt, dass das Taxameter noch läuft. 56.80 Mark, ich mach' es aus.
Helga Werz, Nordhofstraße 24, steht auf dem Lottozettel und ihrem amtsärztlichen Gesundheitszeugnis. Sie ist also anschaffen gegangen. Und der Tote mit seiner Rolex... ihr Lude? Wahrscheinlich. Und was hat Rolf mit der ganzen Kiste zu tun? War die Blonde mal mit ihm zusammen oder was?
  Ich will das jetzt wissen. Also wieder raus in den Segeroth. Die Blonde muss mir was erzählen. Immerhin war sie dabei, als der Typ gestorben ist. Überhaupt - der Typ ist mir ja beinahe in den Wagen gefallen, geschwankt hat der, und die Blonde wollte zum Klinikum - ja klar, da hat er seine Messerwunde schon gehabt.
Links geht die Nordhofstraße ab.
Blaulicht flackert vor einem der Häuser, und ich brauch gar nicht nachzusehen um zu wissen, das es die Nummer 24 ist. Notarztwagen, Streifenwagen, der Kleinbus von der Kripo.
Leute stehen da, vor der Haustür hält ein Uniformierter Wache, da fällt's nicht auf, wenn ich mich dazustelle. Neben mir turnt einer von der Zeitung rum und fragt die Leute.
  »Bei der Werz haben sie einen kaltgemacht«, sagt einer.
  »Eifersuchtsgeschichte«, höre ich.
  »Streit hat's gegeben«, sagt eine von den Huren. »Der Kunde hat die Helga wohl von früher gekannt und wollte was von ihr. Und da ist der Harry dazugekommen, ihr Lude...tja, mit dem Messer...«
  Jetzt kommen die Sanitäter mit der Trage raus. Einer liegt drauf, das Laken überm Gesicht. Er ist wohl tot und als das Laken runterrutscht, fotografiert der Pressemensch wie wild. Alle drängen und ich seh nur ein kariertes Hemd und schwarze Locken, wie von einem Engel.
  »Mit dem war die Helga mal verheiratet«, sagt jemand.
  Ich muss nach Hause. 

  Bestimmt ist Rolf da. 
  Bestimmt.

Erschienen unter anderem in: 
- In: der lichtblick. Berlin: Nr.11-12/1988.
- In: Heyne Krimi Jahresband 1989. München: Heyne 1989. (= TB 2260).
- In: die horen. Hannover: Nr.154/1989.

 

Nightdrive

by Karr & Wehner

Of course, I'm driving a hustler. She's blonde, leather miniskirt and red blouse, thick make-up with heavy-duty blush and black eyeliner.
  "Hey, lady, take us to Holsterhausen, the hospital, okay?"
  The guy seems to be a little fuzzy: almost fell into my ca when I picked up the two of them in Segeroth Street. You know the neigherborhood: Nordhof Street, Stahl Street, right next to Krupp. Used to be the biggest whorehouse in the Republic.
  While Rolf is at home in bed, I get to drive around all night long. Taxi No. 19, Angelika Weber doing night shift because her loverboy only just got out of jail. The asphalt is humming under zhe Benz's tires. Half past two in the morning.
 "Hey, lady, stop here a moment."
 And I've hardly come to a stop when the blonde's already out and gone. 
   The way she's running she's not coming back. Seems funny that the guy in the back of the car isn't saying anything. I turn around to ask him what the deal is, when he sudenly falls towards me.
  Glassy eyes, dead-looking face, and a little blood on the shirt. Shit, he's really dead, he croaked right here in the car, after all, he got in on his own.
  That looks like a stab wound in his stomach.
  It must have been the blonde...although - why would she pick a taxi of all places for bumping him off?
  The cops. If I call the emergency number on my taxi radio they'll be here in ten minutes. Squad car, round-the-clock detectives.
  A handbag's lying next to the dead man on the seat. Must be the blonde's. Dark red leather, and the lock's snapped open. Sure, you're not supposed to touch anything, but still... Lipstick, compact, keys, tampons, chewing gum, a few green pills and some papers in a plastic holder. Hustler pass, made out to Helga Werz; lottery coupon - also Helga Werz, Nordhof Street 24; a prescription and a photo.
  The lighting in here is pretty bad, but still - the one in the picture, that's gotta be Rolf. Arm in Arm with the blonde, somewhere on a beach. He doesn't have the moustache yet, but that's his long black hair, curls down to his shoulders, like an angel; he looks younger, too. The blonde in a bikini with bedroom eyes and pouting lips.
 Qhat's Rolf got to do with the blonde? Why did I get involved with him anyway? And just what is going on here?
  Some colleague races by and blinks his high-beam at me. I definitly can't stay here.
  So I drive off for now, keep the meter running so that the dingbat on the roof doesn't light up. Good lord, that's 37 Marks and 40: I'm gonna have to put that in out of my own pocket.
  Drive towards Frohnhausen. Qiet residential area, no excitement.
  "Please, no problems!" Rolf said when he moved in with me. First, get back on the level, then figure out what next.
  If I call the cops, they'll search the blonde. I'm sure they'll be interested in the photo, too. The photo's gotta disappear, that much is clear.
  I take it out of the holder and put it in my cash pouch. Although - if the cops get the blonde, maybe she'll talk. About Rolf and so on. No, that's no good. I gotta forget the blonde altogether. But what do I tell the cops about how this dead guy got into my car?
  Rüdesheimer Place. First the allotment area.
  Pull up to the curb and think hard. No problems - that means: no corpse in my car, no questions, no blonde.
  I've gotta throw this guy out. And then drive on. I don't think anybody saw me pick up these two on Segeroth Street.
  How long have I been standing here? Two minutes, three minutes? 48 Marks 60 on the meter. I put her in gear and roll past the allotments. It's dark here. Okay, put her in neutral, get out, open the right back door. The guy almost falls out. He's not that heavy, maybe five eleven tall, around 150 pounds. Leather jacket, gold finger-rings, and a Rolex with diamonds on his wrist. That's worth at least 30,000 - if I took...
  As if I didn't have enough problems. I put him under a few bushes and get out of there.
  The blonde's handbag is lying on the passenger seat. I get to Frohnhauser and realize only then that the meter ist still on. 56 Marks 80, I make it up.
  Helga Werz, Nordhof Street 24 is the adress on the lottery coupon and her Public Health Department certification. She's a hustler alright. And the stiff with the Rolex... her pimp? Probably. And what's Rolf got to do with whole shebang? Did the blonde date him once or something?
  Now I want to know. So back again to Segeroth. The blonde's gotta talk to me. Anyway, she was there then when the guy died. Actually - that guy almost fell into my car, he was staggering, and the blonnde wanted me to go to the hospital - of course, he already had the stab wound then.
  Nordhof Street is on the left.
  Blue lights flicker in front of the houses, and I don't need to check to know that it's Number 24. Ambulance, squad car, the feds' minivan.
  People are standing around, a guy in uniform guards the front door; noboddy will notice if I join the crowd. Someone from the newspaper is next to me, doing his thing, asking questions.
  "A guy was bumped off in Werz's apartment," someone says.
  "Some jealousy thing," I heard.
  "They were fighting," says one of the whores. "I guess the client had known Helga before and was getting out of line. So Harry comes in, her pimp...yeah, with a knife..."
  Now the paramedics come out with the stretcher. Someone's lying on it, a sheet over his face. I guess he's dead, and when the sheet slips down the press guy starts taking pictures like crazy. Everyone crowds around and all I can see is a plaid shirt and black curls, like those of an angel.
   "Helga was married to him once," someone says.
  I've gotta get home. Rolf will be there for sure. Fur sure.
 

(Translated by Ulrike Emigh).