Mord nach Drehbuch – live aus Hagen
Reinhard Jahn, Thomas Hackenberg, Ingrid Müller-Münch, Ulrich Noller Bild: WDR |
30. April 2016, 21.05 Uhr | WDR 5
Der Bildschirm ist ihnen nicht genug. Immer mehr Drehbuchautoren schreiben jetzt auch Kriminalromane. Was sind die Gründe für diesen Seitenwechsel? Was zeichnet die Romane der Fernsehschreiber aus? Das WDR 5 Krimi-Kompetenzteam ermittelt live in der Stadtbücherei Hagen.
Die WDR5-Krimi-Experten Ulrich Noller (KrimiZEIT-Bestenliste), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv) und die Journalistin Ingrid Müller-Münch nennen Namen und präsentieren Fakten. Welche Fernsehautoren sind im Buchbereich besonders erfolgreich? Mit welchen Geschichten überzeugen sie die Leser? Sind die Bücher besser als die Filme?
Reinhard Jahn, Thomas Hackenberg, Ingrid Müller-Münch, Ulrich Noller
Unter der Regie von Chiefinspector Thomas Hackenberg ermittelt das Krimi-Kompetenzteam live vor Publikum in der Stadtbücherei Hagen und empfiehlt natürlich wie immer seine aktuellen Favoriten aus den Bestsellerlisten.
Redaktion: Petra Brandl-Kirsch
Hörerinnen und Hörer können sich per E-Mail an der Sendung beteiligen. mordsberatung@wdr.de
Datum: Samstag, 30.04.2016
Ort: Stadtbücherei Hagen Springe 1 58095 Hagen
Beginn: 21.00 Uhr
Karten: Eintritt frei
Anmeldung wird erbeten unter mordsberatung@wdr.de
Factsheet
Drehbuchautoren als Romanschreiber.Warum schreiben viele Drehbuchautoren in jüngster Zeit auch Kriminalromane und Thriller?Zuerst einmal ein Blick auf die unterschiedlichen Produktionssituationen:
Ein Drehbuch entsteht in der Regel stufenweise auf der Basis von Voschlägen und Diskussionen über einen "Stoff", bzw eine Idee.
- Autoren und Produzenten legen Exposes/Ideenskizzen vor.
- Aus Exposes werden Treatments
- daraus Bildertreatments (Der ganze Film in seiner Szenenaufteilung, nur ohne Dialog)
- daraus wird ein Drehbuch (1. Fassung)
- es folgen oft weitere Fassungen des Buches. Es kann auch vorkommen, dass der "Autor" ausgetauscht wird und ein neuer Autor an dem Drehbuch (dem Stoff) weiterarbeitet.
Ein Roman entsteht in der Regel aus der Idee eines einzelnen Autors, der den ganzen Text allein verfasst.
- Autoren legen – wenn überhaupt – bei einem Verlag ein Expose vor.
- bei positivem Feedback schreibt der Autor den Roman.
- in Zusammenarbeit mit dem Lektorat und andern Verlagsabteilungen wird das Projekt optimiert und fertiggestellt.
Drehbuchautoren arbeiten also arbeitsteilig und auch nach Anweisung (oder unter dem Druck von Notwendigkeiten: Kulissen, Drehorte, Schauspieler)
Romanautoren arbeiten weitgehend selbstbestimmt und alleinverantwortlich. Sie müssen kaum Rücksicht auf Notwendigkeiten nehmen. Sie können Kulissen frei wählen und gestalten ("Hamburg brennt") und ihre Charaktere ohne Rücksicht auf Schauspieler gestalten.
Drehbuchautor Markus Stromiedel über die Zwänge des Geschäftes
Zitat: "Im Gegensatz zum Buchgeschäft, wo die Autoren ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit genießen würden, sei ein guter Drehbuchautor "darauf trainiert, sich anzupassen". "'Frauenaffin' ist ein Wort, das jeder für das deutsche Fernsehen Schreibende kennen muss, genau wie die ungeschriebenen Gesetze eines jeden Sendeplatzes",
http://www.dwdl.de/nachrichten/18147/autor_fordert_mehr_freiheiten_fr_kreative/
Und Markus Stromiedel im Interview über die unterschiedliche Behandlung von Drehbuch- und Romanauatoren
Zitat: Schildern Sie doch mal die „miserable Behandlung“ der Drehbuchautoren.
Dazu vielleicht eine kurze Geschichte aus meinem eigenen Autorenleben. Seit Kurzem schreibe ich auch Romane. Als ich mein Manuskript für „Zwillingsspiel“ abgegeben hatte, wurde ich zur Vertreterkonferenz in den Verlag eingeladen. Die Verlagsleiterin von Droemer-Knaur begrüßte mich mit den Worten: „Herzlichen Dank, dass Sie uns Ihr Manuskript anvertrauen.“ So einen Satz hatte ich in meinen Jahren als Drehbuchautor noch nie gehört. Als ich mein erstes Drehbuch für einen „Tatort“ abgab, sagte der Regisseur nur: „Ich hab noch nie in meinem Leben einen solchen Mist gelesen.“ Meine Kollegen und ich erleben beim Fernsehen häufig eine Geringschätzung unserer Arbeit.
http://www.noz.de/archiv/vermischtes/artikel/102704/tolle-talente-steigen-entnervt-aus
Die ganze Abrechung mit der Drehbuchbranche in einem "Insiderbericht" von Markus Stromiedel in der FAZ aus dem Jahr 2008
Wie das Fernsehen Autoren vernichtet
Die Qualität unseres Fernsehens hängt auch von den Schreibern ab. Die werden miserabel behandelt. Es herrscht ein Regiment der Einfallslosen, die auf die Quote schielen und die „Stars“ hofieren.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ein-insiderbericht-wie-das-fernsehen-autoren-vernichtet-1712091.html
Und zum Schluss noch die Abrechnung von Frank Göhre mit der Branche. Göhre ist den Weg vom Romanautor zum Drehbuchautor (bzw Hybrid-Autor) wieder zurück zum Romanautor gegangen:
"Das Böse wird erschossen, aus"!
Der Hamburger Krimi-Autor Frank Göhre über seinen Entschluss, das Drehbuchschreiben aufzugeben, und das Manko deutscher TV-Krimis – Von Volker Albers
http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article137526504/Das-Boese-wird-erschossen-aus.html
Ist es da ein Wunder, dass die so gegängelten, bevormundeten und geringeschätzten Drehbuchautoren endlich einmal die Freiheit eines Roman-Autors genießen wollen? Schreiben wollen, was sie wollen, ohne dass ihnen jemand hineinredet und auch mit der Gewissheit, dass sie von Anfang bis Ende für einen Stoff (einen Roman) verantwortlich sind und man sie nicht mitten auf der Strecke gegen einen Kollegen austauscht, der sich mit miesen Tricks ins Geschäft gebracht hat?
Drehbuchautor Andreas Pflüger in einem DLF-Interview zu den Freiheiten des Romanautors:
Zitat: Das Drehbuch-Schreiben unterscheidet sich von einem Roman in vielerlei Hinsicht. Ich habe es als befreiend empfunden, dass ich nicht die üblichen Rücksichten nehmen musste, die ein Drehbuch-Autor nehmen muss – schon allein in Bezug auf die Ökonomie eines Films. Es ist nun mal nicht möglich, so opulent und ausschweifend zu erzählen, wie das in einem Roman möglich ist. Ich kann mich nicht in fünf verschiedenen Erdteilen bewegen in einem Fernseh-Zweiteiler, schon das war eine große Freude. Und es war auch endlich niemand da, der mir in einer Szene sagt, schmeiß‘ den Vollmond raus, denn auf den müssen wir extra warten, und ich habe ihn dann einfach reingeschrieben, das war sehr schön.
http://www.deutschlandfunk.de/laessige-meisterschaft.700.de.html?dram:article_id=82052
Für das Schreiben von Romanen bringen (gute) Drehbuchautoren in der Regel alle wichtigen Fähigkeiten mit. Das heißt: sie können eine Geschichte entwickeln und umreißen ("plotten"), Charaktere gestalten und beschreiben und genresicher Geschichten aufbauen, indem sie der Grunddramaturgie des Drehbuchs mit plotpoints und ähnlichen Regeln folgen. Alles Fähigkeiten, die sich ein genuiner Romanautor erst aneignen muss (notfalls in einem Drehbuchseminar).
Zwischendurch mal ein kleines Ranking:
Die fünf besten Drehbuchautoren, die auch Romane schreiben
Zudem haben Film und Fernsehen die Rezeptionsgewohnheiten des Leser/Zuschauer in den letzten Dekaden stark geprägt. Besonders Entertainment- und Genre-Literatur wird "filmisch" erzählt, das heißt mit personalen Perspektiven, wechselnden Handlungssträngen und dramaturgisch nach dem Drei-Akt-Schema oder dem Modell der Heldenreise aufgebaut.
Nicht umsonst gilt die Leserbewertung "Ich sah die Geschichte wie in einem Film vor mir" als höchstes Lob.
Erzählerisch haben auch Stilelemente des Drehbuches ihren Weg in die Literatur gefunden. Besonders James Ellroy hat den Stil der Stakkato-Beschreibung (abgeleitet vom Beitext des Drehbuches) als Stilmittel perfektioniert:
Beispiel:
LOS ANGELES / SONNTAG, 28. DEZEMBER 1941
07:53 Uhr
Kirche. Ein Hochamt für die Toten von Pearl Harbor.
Der Erzbischof predigte. In einer wahnsinnig gewordenen Welt pries er die Güte. Er zitierte Statistik – die zu Tode Gekommenen und die versenkten Schlachtschiffe.
Parker saß in der vierten Reihe. Dudley zwei Reihen weiter vorn. Der Erzbischof erregte sich über den Wahnsinn von Völkern und Menschen.
(James Ellroy: Perfidia, Deutsch von Stephan Tree, © Ullstein Buchverlage)
Fazit:
Drehbuchautoren als Romanautoren sind eigentlich eine WIN-WIN-Kombination:
Es sind in Sachen Dramaturgie und Spannung geschulte und versierte Autoren, die ihre Vision einer Geschichte in der Form zu Parier bringen, in der sie sich ihnen darstellt.
Drehbuch/Romanautoren betonen oft, wie sehr sie die Freiheit schätzen, die sie im Buchgeschäft genießen.
Die "Schwierigkeiten", mit denen sie zu kämpfen haben, sind im Vergleich dazu marginal. (Zitat eines Drehbuchautors: "Da ist mir beim Schreiben des Romanes aufgefallen, dass ich da auch mitunter beschreiben kann/muss, was der oder die da denkt. das hat man ja so beim Drehbuch nicht.")
Ausblick:
Inzwischenen hat das Modell der "Writers Room" aus dem Drehbuchbusiness versuchsweise im Romanbereich Einzug gehalten. Der Writers Room ist ein bei aktuellen amerikanischen und skandinavischen Serien entwickeltes Vorgehen bei der Herstellung Drehbüchern für horizontal erzählte Serien (Breaking Bad, House of Cards etc).
Dazu werden die an der Serie beteiligten Autoren zur Drehbucharbeit zusammengerufen. Man schreibt räumlich nah beieinander, strukturiert von Besprechungen, gemeinsam an dem Projekt.
Was abweichend von der Aufteilung "eine Episode = ein Autor" zu neuen Arbeitsteilungen führen kann wie etwa: "ein Handlungsstrang/eine Figur = ein/zwei Autoren."
Geleitet werden kann der Writers Room vom sogenannten "Showrunner", dem Gesamtkreativverantwortlichen der Serie (der die Idee entwickelt und verkauft hat und dessen Vision die Serie ist.)
Im Januar 2016 startete der Bastei-Verlag einen "Writers Room" mit Markus Stromiedel als "Showrunner", um mit fünf Autoren einen Thriller zu schreiben.
Zitat: Die Bastei Lübbe AG hat jetzt ein einzigartiges Projekt gestartet: In nur fünf Wochen sollen fünf Autoren einen gemeinsamen Thriller schreiben, der zunächst exklusiv auf der Streaming Plattform oolipo als Serienformat erscheinen wird.
http://www.buchmarkt.de/content/64819-bastei-luebbe-ag-startet-experiment-writers-room-fuer-streamingdienst-oolipo-.htm
Aus Kreisen des inzwischen abgeschlossenen Projektes gibt es äußerst positive Einschätzungen und Meldungen. Die Autoren waren (freiwillig) während der Arbeitsphase vor Ort in den Büros des Bastei-Verlages, der während der Kreativphase wenig bis keinen Einfluss auf das Projekt nehmen konnte/durfte. Nach der Plotting-Phase wurde die Arbeit aufgeteilt und jeder Autor schrieb seine Passagen (wobei er bei Fragen zu außerhalb liegenden oder außerhalb seines Textes wirkenden Details auf dem kurzen Dienstweg mit den anderen korrespondieren und sich abstimmen konnte).
Pressemitteilung BASTEI mit Foto
https://www.luebbe.com/de/news/2016-01-18/bastei-luebbe-ag-startet-writers-room-fuer-oolipo/id_5906334
Die fertigen Passagen durchliefen eine abschließende Bearbeitung (stilistische Anpassung, dramaturgsicher Feinschliff etc) durch den Showrunner.
Der macht für den Erfolg des Writers Room vor allem die "Chemie" verantwortlich, die im Team herrschte, dessen Mitglieder von ihm ausgewählt/ausgesucht wurden.
Exkurs: Dem Vernehmen nach wurden die Autoren des Writers Room mit einer Art Pauschale/Buyout bezahlt, das wohl nur einen Teil der Rechteeinräumungen betrifft. Erlöse aus anderen Rechtevergaben sollen dann neu honoriert werden.)
Andere, ältere Modelle von Gemeinschaftsromanen:
Krimicamp: Jürgen Kehrer, Sandra Lüpkes, Sabine Trinkaus Tatjana Kruse, Ralf Kramp, C.S. Henn, Peter Godazgar, Kathrin Heinrichs |
schrieb gemeinsam den Roman "8"
Der KBV-Verleger Ralf Kramp, selbst Autor, lud sieben Kolleginnen und Kollegen für acht Tage in eine einsames Haus an der polnischen Grenze ein. Dort plottete und schrieb man innerhalb von acht Tagen den Roman "8".
Dabei ging man sequentiell vor – nach dem gemeinsamen plotten schrieb jeder Autor "seinen" Teil.
Das Hotel Terminus
initiiert von H.P. Karr,
unter Mitwirkung von Walter Wehner und Jürgen Alberts
Eingeladen wurden 22 Autoren, um Geschichten zu schreiben, die an einem definierten Ort – dem titelgebenden "Hotel Terminus" spielten. Setting und Hotelpersonal waren den Autoren vorgegeben, in der Gestaltung ihrer Erzählungen waren sie frei, solange sie
_im Hotel spielten
_das Hotel und das Personal nicht zerstörten
Verbindende Passagen zwischen den Stories wurden von der Romanregie (Karr & Wehner) geschrieben.
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