24.10.12

Mordsberatung Factsheet: Trümmerkrimis







Factsheet
Telefonischen Mordsberatung auf WDR5
27.10.2012
Emscherquellhof Quellenstr. 3
59439 Holzwickede
Live vom Festival "Mord am Hellweg"
Krimi-Tipps direkt von der Quelle
Moderation: Thomas Hackenberg














Trümmerkrimis…
…sind Kriminalromane, die in der deutschen Nachkriegszeit – von Kriegsende bis zum Anfang der Siebziger Jahre spielen.

Wer?
Peter Kerksen: Zechensterben
Spielt zur Zeit der Fussball-WM 1966 ("Wembley-Tor") in Oberhausen und hat thematisch auch das titelgebende Zechensterben als Unterthema.
Stichwort: Kohle- und Stahlkrise im Revier

Christiane Dieckerhoff: Blütenträume
Spielt ebenfalls um die Sechziger im Revier rund um die Zeche Ludwig. Ein Lokalreporter deckt einen Einbruch und Diebstahl aus dem Geldtresor der Zeche auf.

Cay Rademacher: Der Trümmermörder
Cay Rademacher: Der Schieber
Spielen in der direkten Nachkriegszeit (1946/47) in Hamburg. Im Mittelpunkt stehen Kommissar Stave von der Mordkommission und Lieutenant MacDonald vom britischen Nachrichtendienst. Dichte Atmosphäre (Schwarzmarkt, Demontage, Reparationen etc) , ausgezeichnet geschildertes Lokalkolorit, teilweise Bezug auf reale Fälle ("Trümmermörder") machen die Reihe zu einem kleinen Juwel.

Edgar Noske: Nacht über Nippes
Spielt im Köln der fünfziger Jahre

Helmut Frangenberg: Trümmer
Spielt im Köln des Jahres 1947 und behandelt einen authentischen Fall

Jürgen Ehlers: Neben dem Gleis
Spielt in Hamburg 1959 und erzählt die Geschichte einer Serie von Banküberfällen, bei denen der Täter die Polizei narrte – ein authentischer Fall. Der Autor hat zuvor bereits eine Reihe von historischen Krimis, meist zu authentischen Fällen, aus der Weimarer Zeit geschrieben.

Anne-Kathrin Koppetsch: Kohlenstaub
Spielt in den Sechzigern in Dortmund und erzählt von den ersten Pfarrerinnen, die im Kirchendienst tätig waren.

Wolfgang Brenner: Der Patriot
…ist ein Sonderfall, weil es mehr Polit-Thriller und Spionageroman als klassischer Krimi ist: Es geht um den authentischen Fall des Verfassungschutzchefs Otto John, der 1954 plötzlich in der DDR auftauchte. Entführung und Gehirnwäsche oder freiwilliger Übertritt?

Uwe Klausner: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall
Gehört zu einer Serie von historischen Krimis, die ihren Helden aus der Nazizeit herüber ins Nachkriegsdeutschland füphren. Diese Roman behandelt die Unterstützung alter Nazis im Nachkriegsdeutschland. Er spielt 1962 in Berlin wo eine Sekretärin des BND ermordet wird.

Jan Zweyer: Persilschein
Ist der dritte Teil einer Trilogie, mit der Jan Zweyer seinen Helden Peter Goldstein bzw Golsten aus dem Dritten Reich bis ins Nachkriegsdeutschland verfolgt. Dieser Roman spielt in Herne und im Ruhrgebiet 1950.

 
Warum?
Die zeitgeschichtlich orientierten Krimis bieten nicht nur das nolstalgische Gefühl der Erinnerung an Fernsehereignisse wie "Stahlnetz" (1958–1968) oder die Durbridge-Straßenfeger, sie bedienen auch die Erinnerungsindustrie, wie sie aktuell von den Event-Filmen im Fernsehen und einer Reihe von zeitgeschichtlichen BioPics betrieben wird: Es gab Filme über die Sturmflut in Hamburg, über das Unglück und die Rettung von Lengede und BioPics über Beate Uhse, Hildegard Knef oder Romy Schneider.
Vergangenheit ist also nicht mehr nur durch die eigene Biographie erinnerbar, sondern auch durch und im Rhamen von  Unterhaltungsstoffen. Den ersten Ansatz einer künstlerischen Verarbeitung der Nachkriegszeit machte Rainer Werner Fassbinder mit seinen deutschen Trilogie "Die Ehe der Maria Braun" (1978), "Lola" (1981) und "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982).


Der Wert der "Trümmerkrimis" liegt also in ihrem nolstalgischen Potential.
Dazu kommt, dass die zeitgeschichtliche Kulisse ohne Bezug aufs Dritte Reich und die damit verbundenen politisch belasteten Themen erzählt werden kann.  Thematisiert wird die Anstrengung der Wiederaufbaus, die Zufriedenheit des Wirtschaftswunders und des "Wir sind wieder wer", gemeinsam mit dem gesellschaftlichen und technologischen Optimismus dieser Zeit.
Die Trümmerkrimis schließen an die historischen Krimis aus der Epoche der Weimarer Republik und des Dritten Reichs an, die von Volker Kutscher, dem Briten Philip Kerr und teilweise von –ky und Susanne Goga geschrieben werden.
Die Kulisse des zerstörten Deutschlands, beziehungsweise des Wiederaufbaus und später des Wirtschaftswunders ist in Teilen der kollektiven Erinnerung noch präsent und bietet daher einen guten Resonanzboden für eine Kriminalgeschichte. Und es gibt in der kollektiven Erinnerung auch eine Reihe von "großen Verbrechen", die Thema werden können:
der Fall Rosemarie Nitribitt, ("Rosemarie" von Erich Kuby)
alles Fälle, die ähnlich sensationell aufgemacht wurden wie jüngst etwa die Fälle Sedlmayr, Moshammer oder Kachelmann. Die großen klassischen Fälle spiegeln – in der Rückbetrachtung - auch stets die essentiellen moralischen und gesellschaftspolitischen Unterströmungen ihrer Zeit.


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Die Krimis aus der Zeit des Wiederaufbaus  spielen aber auch in den Bereich der Familiengeschichten, die derzeit als Genre erfolgreich sind – weil sie gleichsam sie Epoche unserer Eltern oder Großeltern schildern.
"Echte" Kriminalromane aus der Epoche (also Romane, die zu jener Zeit geschrieben wurden) sind entweder verloren  (nicht mehr greifbar) oder sie weichen einer realistischen Beschreibung der Zeit aus, indem sie als Krimi weitgehend klassische Geschichten in einem wenig prägnanten deutschen Ambiente erzählen.
Krimis aus jener Zeit wären die Romane von Hans Gruhl, teilweise von Stefan Murr, einige Stahlnetz-Romane von Wolfgang Menge etc.
Viele Romane, die wir heute als "Krimis" bezeichnen würden, erschienen seinerzeit als Fortsetzungsgeschichten in Illustrierten und sind heute nicht mehr unmittelbar greifbar.
Rarität dabei: Ein frühes Werk von Jacques Berndorf "Der Monat vor dem Mord", ein Fortsetzungsroman aus dem stern von 1972, (damals noch von Michael Preute), der vor einigen Jahren wieder aufgelegt wurde.

Die Epoche der "nachgeschriebenen" historischen Krimis endet Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger – hier begann der "neue deutsche Krimi", beziehungsweise der "Sozio-Krimi", der sich der realistischen Darstellung bundesrepublikanischer Wirklichkeit verschrieben hatte und dessen Werke heute schon als "historische Krimis" gelesen werden können.
Beispiele  wären die Romane von -ky und von Frank Göhre
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Wie?
Zeitgeschichte als Hintergrund wird mit verschiedenen erzählerischen Mitteln, die teilweise aus dem historischen Roman stammen, vermittelt. Hinweise auf reale Ereignisse, Bezüge auf Zeitungs-Beiträge etc, Nennung von Markennamne, ausführliche Beschreibung von Lebenssituationen (besonders bei den Krimis in den 40er Jahren) sind die klassischen Methoden, um die Kulisse aufzubauen.
Die Verarbeitung von realen Kriminalfällen – wie etwa im "Trümmermörder" – schafft oft eine zusätzlichen Attraktivität.
Charakterisch für Trümmerkrimis ist, dass die Kriminalfälle noch "von Hand" gelöst werden müssen, also ohne das modische Instrumentarium von Rechtsmedizin und Forensik. Das bietet die Möglichkeit, sich mehr mit Menschen und Charakteren zu beschäftigen.
In Trümmerkrimi rauchen die Leute Overstolz oder Juno oder später Ernte 23, und zwar dauernd und überall. Es gibt auch Pfeifenraucher und Raucher von Zigarren und "Stumpen", eine Art minderwertiger Zigarre.  Sie trinken Dujardin oder Asbach Uralt, fahren Volkswagen (den Käfer) oder Opel (den Admiral) oder Mercedes (den Ponton-Mercedes) und sie müssen zum Telefonieren in telefonzellen gehen und unter anderem auch "Ferngespräche" anmelden. Sie gehen eher ins Kino oder ins Variete als dass sie daheim fernsehen, und wenn, dann können sie höchstens ein oder zwei Programme sehen, und auch das nur in schwarz-weiss.