2.4.08

Norbert Horst: Blutskizzen

Gänsehaut-Krimi-Tipp

Der Mann arbeitet zuviel und schläft zuwenig. Er isst, was grade in der Bäckerei in der Auslage liegt. Er ist Kommissar bei der Kripo und hat deshalb kein Privatleben, denn aus der mal-so-mal-so- Beziehung zu Ayse aus dem Imbiss wird wohl nie was festes werden. Er ist wohl so um die vierzig, dauernd auf dem Sprung aber dann auch wieder hochkonzentriert bei der Arbeit. Spuren sortieren, Berichte schreiben, die Dinge im Blick behalten. Und nein, der Mann hat kein Alkoholproblem wie so manch anderer Ermittler, dessen Fälle hier im Krimi-Archiv die Regale füllen.

"Tag. Mein Name ist Konstantin Kirchenberg, ich bin von der Kripo. Sie haben den Toten gefunden, Herr..."

In BLUTSKIZZEN von Norbert Horst hat Konstantin Kirchenberg jetzt seinen dritten Auftritt. Ein Kommissar, abseits der TATORT-Tüftler. Ein Kommissar, der direkt aus der Arbeit einer Mordkommission erzählt, hier und heute, irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Ein Workoholic, ein Bulle mit Leib und Seele, genau wie seine Kollegen vom KK 11: Ernst, der im Dienst ergraute, Ulla, die pragmatische, Atze und Thorsten und natürlich Bruno, der im Moment Probleme mit seiner Frau hat. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
In BLUTSKIZZEN ist es ein toter alter Mann, mit dem der Fall beginnt, nackt, gefesselt, abgelegt in einem Müllcontainer an der Autobahn...

Der Schiebedeckel des Containers steht auf, ist zur Hälfte mit Müll gefüllt, darauf die Leiche, nackt, Seitenlage. Kräftiger Bursche für das Alter, aber nicht mehr der Jüngste. Die Arme auf dem Rücken, die Hände durch einen zusammengeknüllten Müllsack verdeckt. Wahrscheinlich gefesselt. Die Beine vor den bauch gezogen. Sieht aus wie ein Kind im Mutterleib. Obendrauf Plastiktüten, loses Papier, rosa, Pommesreste, eine Bonbontüte. >Nimm 2<. Auf den Unterschenkeln Eierschalen und Asche. Sein Kopf liegt auf einer leeren Plastikflasche, Eistee, Pfirsich. Auf dem Ohr ein halbes belegtes Brötchen, daneben ein angebissener Apfel. In der Restmülltonne, die Leute lernen's einfach nicht.
Seine Augen sind leicht geöffnet, der Mund auch, grauer Drei-Tage-Bart. Könnte 'ne Strangulationsspur sein, da am Hals. Ja, ist stranguliert worden. Sieht aus, als hätte er noch Schmerzen. Wollen wir mal nicht für dich hoffen. Die Haut lilagrau, am Rücken und an der Hinterseite der Beine dunkelrote Totenflecke.

Kein spektakulärer Fall, aber auch kein gewöhnlicher. Denn Kirchenberg und dem KK11 fallen die Parallelen zu einem anderen toten alten Mann auf, kürzlich entdeckt im Müllcontainer auf dem Hof eines Supermarktes. Ein Blick ins Auffindeprotokoll der Kollegen zeigt die Ähnlichkeiten:

Die Leiche liegt im mittleren der drei Behältnisse. Beim Eintreffen ist das Schiebelement zum verschließen etwa 30 cm aufgeschoben. Zur besseren Sicht wird der Deckel des Behälters weitere 30 cm geöffnet. Dazu wird die seitliche rechte Strebe des Deckel mit dem Handballen an der vorderen Kante nach hinten gedrückt. Der Container ist nach erster Einschätzung zu etwa zwei Dritteln mit Müll gefüllt, sodass die Leiche ca. 50 cm unterhalb der Öffnung liegt, in der Weise, dass der Kopf an der linken Seite liegt und das Gesicht nach vorne weist.

Das ist die trockene Prosa von Polizeiakten, die Norbert Horst genauso gut beherrscht wie den düsteren, vorwärtstreibenden Erzählstrom seines Kommissars Kirchenberg. Ein suggestiver Stakkatostil, mit dem er schon in seinen beiden ersten Büchern LEICHENSACHE und TODESMUSTER einen absolut neuen, faszinierenden Ton in den deutschen Polizeikrimi gebracht hat.

Denn Norbert Horst ist im Hauptberuf Polizist, Kriminalpolizist mit Erfahrungen aus verschiedenen Mordkommissionen. Was er über die Ermittlungen des KK 11 erzählt, ist also nicht das angelesene Wissen über Polizeiarbeit, mit dem sich manch anderer Krimi-Autor behelfen muss. Was Norbert Horst erzählt, macht klar, dass Ermittlungsarbeit aus dem geduldigen Bohren dicker Bretter besteht. Wie etwa der Suche nach dem hellen Kastenwagen, den ein Zeuge gesehen haben will.

"Konstantin Kirchenberg von der hiesigen Kripo. Ich brauchte eine Auskunft über ein Fahrzeug eines Ihrer Kunden."

Nur eine Spur von vielen, und scheinbar nicht einmal eine besonders Erfolg versprechende. Oder vielleicht doch der Ansatzpunkt, der die Ermittlung am Ende zu dem Serienmörder führt, der mindestens zwei alte Männer umgebracht hat...

"Konstantin Kirchenberg von der Kripo, Herr Gösebrecht, ich bräuchte nur ein paar Informationen von Ihnen."

Nicht aufgeben, überall nachfragen, mit Dutzenden von Informationen jonglieren, sie einordnen, ablegen oder weiter verfolgen: Das ist Kirchenberg der Besessene, der Profi, der sich trotz aller Abgebrühtheit von jedem neuen Fall immer noch anrühren lässt. Der es mit seinem hellwachen Blick schafft, auch uns Leser jedes Mal wieder mit hineinzuziehen in die Geschichte einer Mordermittlung, die nicht immer notwendigerweise mit dem tränengeschwängerten Geständnis eines Täters enden muss. Ganz und gar nicht. Eine Geschichte, die Polizeiarbeit auf eine ganz eigene, neue, faszinierende Art und Weise ausleuchtet - ein neuer Kirchenberg-Krimi eben.
Womit wir beim Gesetz der Serie sind, und zwar nicht nur der Mordserie, die Kirchenberg und seine Kollegen in BLUTSKIZZEN aufklären muss, sondern bei einer Krimi-Serie. BLUTSKIZZEN ist - wie gesagt - jetzt der dritte Kirchenberg-Krimi, und ab drei Romanen mit der selben Hauptfigur liegt nach den Regeln des Krimi-Archivs eine Serie vor, für die wir jetzt mal ein ganzes Regalbrett reservieren. Und: wenn hier im Krimi-Archiv mal ein Mord passieren sollte, möchte ich, dass Kirchenberg den Fall bearbeitet.
Autor: Reinhard Jahn

Norbert Horst
Blutskizzen
Goldmann Taschenbuch

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