31.7.97

Laudatio auf Richard Hey
anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser 1997

 

Regula Venske

Laudatio auf Richard Hey anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser 1997

Lieber Richard Hey, liebe Kolleginnen und Kollegen ...

Als ich mich in der Vorbereitung auf unsere Jury-Sitzung in Richard Heys Oeuvre einlas, traf es mich unvorbereitet und mit voller Wucht - nun, ich will nicht gerade sagen: daß der sogenannte deutsche Frauenkrimi von einem Mann erfunden wurde - aber: daß Richard Hey mit seiner Kriminalkommissarin Katharina Ledermacher bereits in den siebziger Jahren eine würdige Vorgängerin für die später nachfolgenden Heldinnen erfand.

Es war diesem Autor nicht unbedingt in die Wiege gelegt, einmal für sein Lebenswerk mit dem Ehren-Glauser “für seine Verdienste um den deutschsprachigen Kriminalroman” ausgezeichnet zu werden. In den “was Dramatiker angeht: dürren fünfziger, beginnenden sechziger Jahren“ war Richard Hey (laut Theater heute) als Dramatiker “eine Hoffnung”. Die Hoffnung aber, die er für das deutsche Drama weckte, hat er als Verfasser von ungezählten Hör- und Fernsehspielen und schließlich im Kriminalroman erfüllt - vielleicht eingedenk der Vorstellung, daß auch Shakespeare, hätte er heute gelebt, für Funk und Fernsehen geschrieben hätte; Kriminalgeschichten allemal.

So reiht sich der Ehren-Glauser in eine interessant gemischte Liste von Literaturpreisen ein, mit denen Richard Hey bislang ausgezeichnet wurde, und setzt diese würdig fort: 1955 die Fördergabe des Schiller-Gedächtnispreises des Landes Baden-Württemberg für sein zweites Theaterstück Thymian und Drachentod (das erste hieß übrigens, vielleicht durchaus programmatisch fürs Gesamtwerk: Revolutionäre und wurde 1953 uraufgeführt); 1960 den Gerhart-Hauptmann-Preis der Freien Volksbühne Berlin; 1964 den Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Hörspiel Nachtprogramm, schließlich 1983 den Kurd-Laßwitz-Preis für den Science-fiction-Roman Im Jahr 95 nach Hiroshima.

Auch in seinen Theaterstücken ging es Richard Hey - so etwa im drittem Stück mit dem schönen, bereits auf Kriminalistisches anspielenden Titel Der Fisch mit dem goldenen Dolch, 1958 uraufgeführt - bereits um eine kritische Sicht auf einen verantwortungslosen, zynischen Journalismus, um Parteienproporz und Bürokratismus. Man erkennt also in den Inhalten, mit denen sich Hey früh befaßte, eine Kontinuität bis hin zu seinen Kriminalromanen, die wir heute besonders würdigen wollen. Es sind vier an der Zahl: Ein Mord am Lietzensee, 1973 - wie auch die anderen - in der von Richard Hey mitbegründeten AutorenEdition erschienen, Engelmacher & Co.  aus dem Jahr 1975, Ohne Geld singt der Blinde nicht von 1980 und schließlich Feuer unter den Füßen, ein Roman, 1981 erschienen, in dem Hey Motive seines Drehbuchs zu dem Fernsehfilm Der Mann auf dem Hochsitz - 1978 in der ARD gelaufen - verwendete.

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Hier agierte nicht mehr Katharina Ledermacher, die ja zum Entsetzen des Publikums am Ende des 3. Krimis ihren Dienst als West-Berliner Oberkommissarin quittierte, sondern ihre schwäbische Kollegin Marianne Buchmüller, von der am Ende des Romans allerdings zu hoffen stand, daß sie in die Fußstapfen der Ledermacherin treten würde.

Die zeitgenössischen Rezensenten wurden nicht müde, Heys Rang unter den “wenigen ernstzunehmenden deutschsprachigen Krimiautoren” zu betonen ...; kein Geringerer als Walter Jens etwa würdigte das “Auf-denKopf-Stellen traditioneller Kriminalroman-Muster in Form einer vordergründig spannenden und hintergründig reißerischen Geschichte”.

Auch heute noch, da die Konkurrenz um einiges größer geworden ist, quantitativ und qualitativ, nicht zuletzt durch eine ganze Phalanx weiblicher Kommissare und Ermittlerinnen, auch heute behauptet die Ledermacherin, und mit ihr Richard Hey, noch und erst recht diesen Rang. Die gesellschaftlichen Probleme, die sich ihr vor rund zwanzig jahren stellten, existieren immer noch und in verschärfter Form: Immobilienspekulationen und -pleiten, Jugendgewalt und sogenannte “Altenfallen”, Drogenhandel und Fremdenhaß, die Bedrohung durch eine Mafia, die nicht erst importiert zu werden braucht, weil die Gesellschaft sie schon selber produziert usw. Und nach wie vor macht die Ledermacherin bei der Lösung der Fälle eine gute Figur: eine unkonventionelle, interessante und glaubwürdige Erscheinung, deren politisches Bewußtsein und deren Sensibilität beeindrucken. Oder, genauer gesagt: die Sensibilität, mit der ihr Autor sie wahrnimmt und entfaltet, beeindruckt. ...

Das Markenzeichen ihres Schöpfers Richard Hey ist ein Generationen und Geschlechter übergreifender Humanismus, ein Humanismus, so möchte ich sagen, der Bildung, des Stils und der politischen Moral. Er habe sich für eine weibliche Hauptfigur entschieden, weil er mit ihr “eine genaue, empfindliche Beschreibung der Opfer” besser leisten zu können glaubte, gab Richard Hey auf einer VS-Tagung 1977 zu Protokoll; sicher ein besserer Grund für eine solche Wahl als das Schielen auf das vordergründig Erfolg heischende und scheinbar Marktgängige, das man heute - bei manch einem jüngeren, auch männlichen Kollegen - antreffen kann.

Kein Lorbeer für Angelo hieß eines der frühesten Hörspiele von Richard Hey. Bevor es nun heute abend Lorbeer für Richard gibt, möchte ich noch eine Bitte äußern: Im Jahr 95 nach Hiroshima finden wir Katharina Ledermachers Grabstein auf einem Friedhof in Fuertoventura. Darauf stehen ihre Lebensdaten: 1935-2002. Ein paar Jährchen lang könnte sie also noch jede Menge Fälle lösen. Lieber Richard Hey - wie wär’s?

gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever
    

Richard Hey

Rede anläßlich der Verleihung des Ehren-Glauser-Preises, Jever 31.5.97

Mich freut es sehr, einen Preis von Kollegen zu bekommen. Und eine Ehre ist es natürlich, bei aller Lotterie, die zur Preisvergabe gehört. Ich denke, auch Irene Rodrian oder Michael Molsner hätten den Ehren-Glauser nach Hause tragen können. Die haben viel mehr Kriminalromane geschrieben als ich, und gewiß keine schlechteren. Damit möchte ich nicht die Weisheit der Jury in Frage stellen, oh nein! Sondern eher eine gewisse Verlegenheit zugeben. Denn ich habe mich ja, Kriminalromane schreibend, immer mehr vom Krimi entfernt, vom “einfachen, eindimensionalen” Krimi, wie ich ihn ohne Überheblichkeit nennen möchte. Dieser Krimi ist wichtig, er hat sein Publikum: Leute, die abends, zermürbt von den Problemen des Tages, ins Bett kriechen, voller Furcht, keinen Schlaf zu finden. Die dann aber, mit Hilfe einer spannenden Geschichte, die sie nichts angeht - jemand wird ermordet, jemand wird verdächtigt, jemand wird verfolgt, Grausiges häuft sich - eine ruhige Nacht haben. Krimis als Problemverjager, als Schlafhilfe. Von Anfang an fühlte ich mich nicht in der Lage, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Im Gegenteil. Ich wollte den Lesern mit Problemen kommen, die sie, hoffte ich, was angingen. Ich wollte ihnen nicht zum Schlaf verhelfen, sondern zu - wenn auch nur sehr vorübergehender - Wachheit. Ja, das alte Aufklärungsspiel, das wollte ich spielen. Deshalb beulte ich die Form des Kriminalromans aus, von Roman zu Roman, und je sicherer ich wurde, ein bißchen mehr. Übrigens stelle ich mit Vergnügen fest, daß auch Regula Venske und Hartmut Mechtel, (deren letzte Romane ich sofort gelesen habe, als ich hörte, ich kriege diesen Preis) mit Ausbeulen beschäftigt sind, ebenso P.M.Carlson, der ich gestern zuhörte, und wahrscheinlich die meisten von Ihnen. Nach einiger Zeit merkt man allerdings, das Ausbeulen genügt nicht, führt nicht weiter. Entweder man muß zurück zum eindimensionalen Krimi. Oder man muß was anderes versuchen. Ich versuchte was anderes, schrieb Nicht-Krimi-Romane, die ich dann in Richtung Krimi ausbeulte. Irgendwann kam ich dahinter, daß ein bedeutender Teil der Weltliteratur aus genau solchen Produkten besteht. Sie werden mich nicht mißverstehen. Ich sage ja nicht, daß ich, mit meinen kümmerlichen Auflagen, Weltliteratur mache. Ich sage lediglich, daß ich auf einem Gebiet zu arbeiten versuche, das mir gute Literatur möglich machen könnte. Nur, im deutschen Sprachraum gibt es auf diesem Gebiet allenfalls Ausnahmen, keine Tradition.

Woran liegt’s?

Vor einiger Zeit, ich weiß nicht mehr wann und bei welcher Gelegenheit, habe ich eine Antwort versucht. Daß nämlich die gescheiterten Revolutionen der Deutschen die Ursache sind. Als nämlich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Studenten, Lehrer, Professoren begriffen, daß aller Kampf um die Veränderung der Verhältnisse vergeblich gewesen war, transportierten sie ihr Träume in die Literatur. Dort sollte das Erhabene, das Schöne, das Gute und Gerechte Wirklichkeit werden, dort sollte leben, was Kanonen zusammenkartätscht hatten. Freilich mußte auch das ungebildete gemeine Volk zugleich mit banaler Zerstreuung bdeient werden. So entstand U- und E-Literatur als Gegensatz (in den angelsächsischen Sprachen, beispielsweise, gibt es den nicht), und wir müssen uns in der E-Literatur mit einem erheblichen Anteil von metaphysischer Erwartung herumplagen. Dem wollte ich von Anfang an entgehen. Deshalb begann ich mit Kriminalromanen. Und hörte gleich von einem E-Kritiker, den ich, egal ob er gerecht oder ungerecht urteilt, wegen seiner Kenntnisse und Leidenschaftlichkeit schätze, von Marcel Reich-Ranicki nämlich: Lieber Hey, Ihre Sachen lese ich nicht, weil ich nie Kriminalromane lese. Das war vor 25 Jahren. Aus solcher Voreingenommenheit sind wir inzwischen heraus - dank der Bemühungen einiger anderer Literaturkritiker und -professoren. Nicht zuletzt auch durch die Tätigkeit der Ehrenwerten Gesellschaft. Aber die Spaltung von U- und E-Literatur existiert, wenn auch gemildert, weiterhin. Und es bleibt weiterhin die Frage, warum wir sie bisher nicht überwinden konnten.

Heute denke ich, mein erster Anwortversuch war, wenn auch nicht falsch, so doch nicht konsequent genug. Seit jeher haben bei uns, trotz aller bedrohlichen Metaphysik, jüdische Dichter und Schriftsteller U und E aufs Leichteste und Eleganteste verbunden. Sie sind von unseren Großvätern und Vätern ermordet oder vertrieben worden. Jetzt fehlen sie und ihre Nachfahren der deutschen Literatur. So einfach ist das. Und so verheerend zugleich. Wenn ich eine Frau nachts einen Brief in einen Berliner Briefkasten werfen lasse, so kann das, bestenfalls, gut erzählt sein. Läßt Philip Roth jemanden in New York einen Brief in einen Kasten werfen, so ist es große Literatur. Sie merken, ich übertreibe. Aber, sagte Heinrich Böll mal, wenn ich nicht übertreibe, bin ich nicht realistisch und keiner hört mir zu. Dort, wo jüdische und nichtjüdische Schriftsteller unter gleichen gesellschaftlichen Bedingungen arbeiten, entsteht ein Klima, das beide weiterbringt. Und genau dieses Klima gibt es nicht mehr bei uns. Wir können nur hoffen, daß es wieder möglich wird.

Denn - und damit komme ich zum Schluß - der ausbeulende Krimi-Autor heute ist jemand, der sich auf unsicherem Boden bewegt. Er betreibt, so habe ichs mal gelesen, Geschichtsschreibung von unten. Aber die Geschichtsklitterung von oben, durch die Nachrichten in Zeitungen und elektronischen Medien, ist stärker. Und nicht nur die Klitterung. Was immer dem Autor Neues einfällt - in der Wirklichkeit ist es längst da. Da gehts zu wie im Wettlauf zwischen Hase und Igel. Der Autor kommt immer zu spät. Nehmen Sie zum Beispiel das Buch von Jan Philipp Reemtsma IM KELLER. Ich glaube nicht, daß ich mich irre, wenn ich behaupte, keiner von uns hier in diesem Saal hätte Entführung und Erpressung so beschreiben, so analysieren können. Ganz zu schweigen von den großen Verbrechen, die zum Alltag dieses Planeten gehören. Wie könnten wir, weiteres Beispiel, auch nur ansatzweise die Verbindung von kollektiver Feigheit und Geschäftsgier der sogenannten Freien Welt als Reaktion auf die nun seit acht Jahren andauernden Morddrohungen, denen unser Kollege Rushdie ausgesetzt ist, wie seine physische Situation deutlich machen.

Aber ich sehe schon, ich bin dabei, auch dieses Dankesworte unziemlich auszubeulen. Die Kunst des feinen Übergangs zu einem eleganten Schlußsatz wird mir jedoch, fürchte ich, nicht gelingen. So bleibt mir nur, zu hoffen, Sie nehmen meine Beulen mit Nachsicht hin. Ich danke fürs Zuhören.

gehalten am 31.5.1997 im Rahmen der Criminale in Jever


Veröffentlicht in Secret Service Nr 86 , Juni 1997
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